Dickhäuter und dünne Debatten

Elefantenrunde und dünner Miosga-Talk gaben einen Vorgeschmack auf die Durchwurschtelei, die Deutschland erwartet. Die Mimik des Friedrich Merz wird zum Menetekel: Probleme will er krampfhaft weggrinsen – Angriffe von Links und ausgestreckte Hände von Rechts. Von Michael Plog

Screenprint: ARD / Berliner Runde

Glaubt man Meinungsforschern, dann erreicht die Union auch deshalb keine 30 Prozent mehr, weil Friedrich Merz keine klare Kante zeigt. Man weiß nicht, was er will. Mal redet er so, dann so, mal spricht er von „kleinen Paschas“, dann macht er sofort einen Rückzieher. Mal stimmt er zusammen mit der AfD ab, dann entschuldigt er sich im nächsten Moment dafür. Mal will er Taurus-Raketen in die Ukraine liefern, dann nicht, dann wieder doch. Mal stellt er Putin ein Ultimatum, dann will er das nie getan haben.

Der Wähler ist verwirrt. Zu recht, wie sich nach der Wahl zeigt. In der Elefantenrunde im ZDF macht Merz eine denkbar schlechte Figur. Minutenlang sitzt er da und „lächelt“ ins Nirwana. Jan van Aken, Sprachrohr der SED-Nachfolgepartei „Die Linke“ mit Großem Proletinum, droht offen und unverblümt mit Antifa-Terror auf der Straße – Merz lächelt. Alice Weidel von der AfD macht ihm schöne Koalitionsaugen – Merz lächelt.

Doch es ist eigentlich kein Lächeln, auch kein Schmunzeln – es hat überhaupt nichts Natürliches. Es ist ein versteinertes Grinsen. Und schlimmer noch: Hinter dieser fratzenhaft verkrampften Mimik spürt der Betrachter Anspannung und eine große Unsicherheit. Dieses Grinsen entstellt die Misere des Merz bis zur Kenntlichkeit. Er hat sich mit seiner Brandmauer gegenüber der AfD ins Aus manövriert, obwohl er mittendrin ist. Und Merz weiß genau, dass Alice Weidel vermutlich Recht hat, wenn sie sagt: Keine seiner Ankündigungen, die er im übrigen bei der AfD abgeschrieben habe, werde er in Koalitionen mit der SPD und den Grünen jemals durchsetzen können. Merz will auch diese Prophezeiung weggrinsen. Doch niemand kauft ihm das noch ab. Und genau das ist sein Problem.

In seltener Eintracht haben sich fast alle Parteivorderen zu dieser Elefantenrunde eingefunden. Fast alle. Sahra Wagenknecht vom BSW kneift, ihre Vertreterin Amira Mohammed Ali mag nicht erklären, warum.

Alice Weidel gibt sich ruhig und unaufgeregt. Ob bei Ingo Zamperoni in den Tagesthemen oder in der Elefantenrunde vor einem bisweilen bissigen und recht übergriffig-aggressiven Moderatoren-Duo (Bettina Schausten/ZDF und Oliver Köhr/ARD) – auf allen Kanälen muss sich Weidel fragen lassen, welche Zugeständnisse sie jetzt machen müsse, damit endlich mal jemand mit ihrer AfD koalieren will. Sie dreht den Spieß um und wieder zurück in seine logische Position. Die anderen, vor allem die CDU, müssten sich bewegen, und zwar schnell. Die AfD spiele nicht auf Zeit. In Deutschland müsse sich endlich etwas ändern. Vor allem in Sachen Migrations- und Energiepolitik.

Und dann sagt sie bemerkenswert klar und gleich auf mehreren Kanälen: Es werde der Tag kommen, an dem die AfD an der CDU vorbeizieht und stärkste Kraft im Parlament wird. Auch Merz knallt sie diesen Satz unmissverständlich ins Gesicht. Und der? Schaut ins Nirwana. Grinst. Versteinert.

Während der abgekanzelte Kanzler Olaf Scholz in der Elefantenrunde seinen lang erwarteten Abgang ankündigt („Ich wollte Kanzler werden. Ich habe mich um kein anderes Amt in der Regierung beworben“), gibt es bei Robert Habeck nichts Neues. Immer noch die alte, zerknitterte Mokassin-Mimik mit schräggestelltem Kopf und trübem Wortsalat. Die Amerikaner würden jetzt gegen Europa arbeiten, sagt er. Weidel würde immer nur lügen, sagt er. Sie sei das Sprachrohr Putins. Er stottert und stammelt, ganz bewusst. Alles wie immer.

Bei Miosga wenig später wird seine Parteivorsitzende Franziska Brantner ihn über den grünen Klee loben. Habeck habe „’nen klasse Job gemacht“. Das greift Jens Spahn (CDU) nur zu gern auf. Das könne „doch wohl nicht Ihr Ernst sein“, nach zwei Jahren Rezession und überbordenden Migrationszahlen, die Habeck und die Ampel zu verantworten hätten.

Bürgergeldkosten verschärfen die Krise
Krankenkassen vor dem Kollaps: Wie die Politik Deutschlands Gesundheitswesen vor die Wand fährt
Dass der ehemalige Corona-Gesundheitsminister Spahn schon wieder völlig ungeniert durch die Talkshows tingeln kann, ohne sich jemals für die milliardenschweren Maskendeals, seinen obskuren Vier-Millionen-Villa-Kauf, die Plünderung der Krankenkassen-Rücklagen oder die unzähligen Corona-„Impf“-Opfer oder, oder, oder zu verantworten – das ist eines der erstaunlichsten Erkenntnisse auch dieses Abends. Spahn darf den Sorgenvollen geben, er bedauert, „dass in Sachsen 45 Prozent die AfD gewählt haben“ und „dass der Frust sich verdoppelt hat“. Er salbadert von „Verantwortung für das Land“, von dringend nötigen „Problemlösungen“, von „nach vorn schauen“. Er lässt leere Worthülsen fliegen wie ein Maschinengewehr auf Dauerfeuer. Eigentlich wie Habeck, nur mit geradem Kopf und ohne Ladehemmung. Habeck kauert und lümmelt, Spahn sitzt aufrecht da, als hätte er einen Ladestock verschluckt.

Bei Caren Miosga sitzt auch der Ministerpräsident aus Rheinland-Pfalz mit am Plaudertisch. Für Alexander Schweitzer (SPD) hat sie eine besonders hübsche Frage parat, die ihre journalistische Kompetenz auf den Punkt bringt. Just zeitgleich zu ihrer Sendung, so Miosga, würde ja auch eine Sitzung der SPD-Spitzen stattfinden: „Was wird da besprochen?“ Schweitzer lässt sie genüsslich auflaufen: „Weil ich bei Ihnen bin, kann ich Ihnen darüber keine Auskunft geben. Sie können nicht beides von mir bekommen, Anwesenheit und Auskunft über Sitzungen, die zeitgleich stattfinden.“ Allgemeines Gelächter.

Schweitzer fasst in knappe Worte, was Deutschland unter einem Kanzler Merz erwartet: „Da weiß man nicht, ob er von morgens bis abends dieselbe Strategie durchhält.“ Miosga will von Spahn wissen, wie „kanzlerabel“ Merz sei. Und Journalistin Dagmar Rosenfeld („The Pioneer“) fragt, warum die CDU eigentlich nur mit der zweiten Wahl an den Start gegangen sei. CSU-Chef Markus Söder sei doch ein viel beliebterer Kanzlerkandidat gewesen. Spahn weicht aus. Das alles ist mit seinem Parolen-Paragliding nicht kompatibel, da fehlt ihm einfach der Aufwind. Am Ende liefert er nur verbale Turbulenzen wie diese: „Wenn ich frage, welche Frage Sie stellen. Wenn es darum geht, wer schaut Sie am liebevollst-wuscheligen aus dem Fernsehen an, dann ist es nicht Friedrich Merz, das ist so.“ Ah, ja.

Grünen-Chefin Brantner lässt keinen Zweifel daran, dass sich mit den Grünen in einer künftigen Koalition nichts ändern werde: „Unser Ziel ist es, ein Land zu bleiben, in dem Menschen willkommen sind.“ Also Migration wie immer? Oder schlimmer?

Interessante Zahlen kommen aufs Tapet, als Miosga zu Jörg Schönenborn schaltet, dem gescheiterten WDR-Intendanzanwärter und Fachmann für Hochrechnungen und Meinungsumfragen. Schönenborn zufolge hat allein die AfD 1,86 Millionen Nichtwähler für sich mobilisiert. 910.000 holte die Partei von der CDU, 800.000 von der FDP. Von der SPD wechselten 680.000 zur AfD.

Ein einsamer Zuschauer wechselt an diesem ernüchternden Wahlabend in seiner Not von Weißwein zu Whisky. Und schreibt schmerzbetäubt diesen Text.

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Kommentare ( 53 )

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Milton Friedman
1 Monat her

Das Verrückte am Handeln Merz ist ja, dass er einzig durch eine Regierungsbeteiligung der AfD die Chance hätte, sie zu „entzaubern“. Ich vermute seine Spekulation ist: „Rechter“ Kanzler bedeutet Aufwind linker Parteien (Die vorhersebare Wahl in Hamburg wird man uns als Aufschwung dank Staatsmänischer Parteiführung verkaufen) Aufwind Linker bedeutet, sich im Rechten Lager als Schutzwall vor den Linken zu gerieren (= Merkel Pre-2015) Und nach links hin sich als vertrauenswürdiger Dompteur der Rechten zu gerieren (= Merkel Post-2015) Die SPD kann er somit vor sich her treiben, die durch das Bewerberumfeld im linken Spektrum (Volt, Linke, Grüne und andere Marxisten)… Mehr

jopa
1 Monat her

Irgendwie geistert das Wort Italien durch meinen Kopf, nicht als Urlaubsziel sondern als Menetekel der Vergangenheit. Und das Kürzel DC folgt auf dem Fuße. Wenn ich nur noch wüßte, warum. Es ist so fern und gleichzeitig so nah.

Dellson
1 Monat her

„Mir wird applaudiert, weil mich jeder versteht, und Ihnen, weil Sie niemand versteht.“ ( Charlie Chaplin zu Albert Einstein) Welche Rolle sinnbildlich dazu die AfD Positionen und die anderen Parteien inkl. ihre medialen Meinungsverstärkungssender abbildet, kann jeder für sich selbst einordnen! Der Kardinalfehler in diesen Runden ist, nicht gemeinsam für Lösungen der bestehenden Mißstände einzutreten, sondern immer die vorhandene eigene Haltung zur Grundvoraussetzung für jede Handlung zu machen und davon ausgehend zu hoffen eine Lösung damit zu erreichen. Also jahrelang asymetrische Eskalation beklagen, dabei Konsens verkünden ohne Diskussion.Ein Einflußparameter dazu könnte sein: „Es ist schwer einen Menschen von etwas zu überzeugen,… Mehr

DELO
1 Monat her

Scholz ist durch Merz ersetzt worden und die zwei unfähigsten Grünen-Minister werden nicht mehr im Kabinett sein. DAS ist das Wahlergebnis von gestern – und das war’s denn auch. Selten hat sich ein neugewählter Kanzler so dämlich aufgeführt wie Merz gestern in der Elefantenrunde. Das schmerzt als Zuschauer und schmerzt als CDU-Wähler.

Phil
1 Monat her
Antworten an  DELO

Dabei dachte ich die Altparteienwähler seien gänzlich schmerzbefreit?

RandolfderZweite
1 Monat her

Peter Hahne gestern im Livestream hier bei TE war die absolute Offenbarung!! In wenigen klaren und lockeren Worten hat er das beschrieben, was wir zeitnah erleben dürfen….andere würden es mit „erdulden müssen“ umschreiben!!!
Hier nochmals ein Dank für die tolle After-Wahlbegleitung – kein Wortspiel!:)

moorwald
1 Monat her

Mal sehen, wie lange das reflexhafte, obrigkeitstreue „in Teilen rechtsextrem“ sich noch hält…

moorwald
1 Monat her

Gerade weil die SPD so schwach geworden ist, wird sie diese Schwäche in Stärke ummünzen und Merz das Leben schwermachen. Kurioserweise ist der Starke vom Schwachen abhängig.
BSW ist schon Geschichte mangels Nachfrage. Die Grünen werden weiter schrumpfen und wieder zu dem werden, was sie immer geblieben sind: eine verschrobene, im Grunde unpolitische Sekte. Sie sind mit dem Zeitgeist aufgestiegen und fallen mit diesem, der sich gerade heftig dreht.

Buonarroti
1 Monat her

Was mir am Wahlergebnis gefällt und was nicht. Die CDU kann sich von dem schlechtesten Ergebnis ihrer Geschichte (2021/24,1%) nur um 4,4 Prozentpunkte auf das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte (28,5%) verbessern, obwohl die Ampel die desaströste Regierung der Geschichte der Bundesrepublik war. Das die größte Oppositionspartei und ihr Kanzlerkandidat Fritze Merzel von der traurigen Gestalt dieser Pool-Position nicht stärker profitierten sagt eigentlich Alles. Bei einer Koalition mit den verbleibenden Opportunisten der SPD hat sie noch eine Chance. Falls sie mit der SPD und den Grünen oder den Linken koalieren müsste, würde sie in spätestens in 2 Jahren bei den dann anstehenden… Mehr

Last edited 1 Monat her by Buonarroti
Juergen P. Schneider
1 Monat her

Merz ist wie Merkel. Er will einfach nur gerne Kanzler sein. Für Politik interessiert er sich nicht.

Markus Gerle
1 Monat her

Mitkommentatoren haben es unten ja schon geschrieben. Und ja, auch ich habe mich gestern gefreut. Meine schlimmsten Befürchtungen von weiteren 4 Jahren der Grünen in Regierungsverantwortung sind nicht wahr geworden.

Phil
1 Monat her
Antworten an  Markus Gerle

Was macht die CDU anders als die Grünen? Aufhebung der CO2-Abgaben? Neubau von regelbaren Kraftwerken? Beendigung der Energiewende? Ausmisten des Sozialstaates? Beendigung der Zuwanderung? Reduzierung der Bürokratie und Gesetze? Massenentlassung von Beamten? Normalisierung der Beziehungen zu Russland?
Nichts davon wird mit der CDU geschehen, denn dazu müsste sie mit der AfD als Juniorpartner zusammenspannen, was sie nicht tun wird. Weitere 4 Jahre (oder bei Beschleunigung des wirtschaftlichen Verfalls weniger als 4 Jahre) wird es genau so weitergehen wie bisher. Danach wird die AfD, oder die SED-Folgeorganisation über die Geschicke in diesem Land bestimmen.