Die „rechtsextremen“ Phantome von Kongsberg

Auch beim Attentat von Kongsberg spielt nicht redliche Berichterstattung, sondern das Narrativ die Hauptrolle. Während internationale Medien auf eine Trollerei der Twitterszene reinfallen, jagt der öffentlich-rechtliche Rundfunk rechtsextreme Täter, die nie am Tatort waren. Schludrige Recherche und ideologisches Framing geben sich die Klinke in die Hand.

Screenprint via Twitter/ZDFheute

Das Attentat in der norwegischen Stadt Kongsberg hat Norwegen und Europa schockiert. Die Polizei stellte sich auf den Standpunkt, nur die nötigsten Informationen zu liefern, um die Ermittlungen nicht weiter zu behindern. Auch medial heißt es in solchen Fällen: keine voreiligen Schüsse, abwarten und recherchieren. Schließlich gehört es sich nicht für Qualitätsmedien, nur zu „googlen“ statt zu „recherchieren“. Man „checkt“ Fakten, man schaut auf das ganze Bild.

Wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinanderdriften, zeigt jedoch das tatsächliche Verhalten der Journalisten. Sie lechzen nach jedem Detail. Besonders, wenn es in das Schema passt. So geschehen, als der vermeintliche Name des Täters im Netz kursierte. Was die Journalisten nicht wussten: es handelte sich um eine Trollerei der deutschen „Siftwitter“-Community, die Bilder des als „Drachenlord“ bekannten Youtubers Rainer Winkler hochluden, und behaupteten, es handele sich um Fotos des Täters. In Windeseile schrieben die Journalisten voneinander ab – und verhalfen dem vermeintlichen Attentäter „Rainer Winklarson“ von Kongsberg zur Berühmtheit.

Die griechische Sonntagszeitung Proto Thema, die große französische Regionalzeitung Sud Oest und selbst Corriere della Sera – zusammen mit der Repubblica die wichtigste Tageszeitung Italiens – sind auf die Trollerei reingefallen. Plötzlich eroberte „Rainer Winklarson“ die Welt. Das Narrativ war auch zu verführerisch: ein übergewichtiger, weißer junger Mann trat in die Fußstapfen von Anders Breivik. Das linke Narrativ, dass der Rechtsextremismus die größte Bedrohung Europas sei, schien sich zu bestätigen.

Doch selbst als der Fall aufflog und am Donnerstagmorgen durchsickerte, dass nicht die neue rechte Gefahr, sondern die alte islamische Bedrohung an die Tür geklopft hatte, stand die Aufarbeitung nicht an erster Stelle des Journalismus. Dass ein Haufen destruktiver Internetjunkies das Kongsberg-Attentat mit Fake News in bestimmte Fahrwasser gelenkt hatte, wurde zwar auch in den deutschen Medien rezipiert. Doch das ZDF wollte noch einen draufsetzen.

Acht Stunden nachdem die Polizei den Hintergrund des Täters geklärt hatte, war sich ZDF-Korrespondent Henner Hebestreit sicher: „Das alles erinnert doch viele in Norwegen an den rechtsextremistischen Terror des Anders Breivik, dessen Taten man am zehnten Jahrestag im Juli gefeiert (sic!) hat und dessen Opfer man auch gedacht hat. Jetzt also Kongsberg.“ Bei all der moralischen Erschütterung kann man schon mal vergessen, die Konversion des Täters zum Islam zu erwähnen. Was nicht passt, wird passend geframed. Offensichtlich steht nicht das Attentat im Mittelpunkt der Berichterstattung, sondern der Kampf gegen rechtsextreme Phantome.

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Kommentare ( 27 )

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Rolf Keller
2 Jahre her

Der Beitrag illustriert das schöne Sprichwort: „Wer mit dem Finger auf andere zeigt, auf den zeigen drei Finger zurück.“ Wer sich den Twitter-Schnipsel vom ZDF angeschaut hat, müsste eigentlich gesehen haben: Es ging um die Stimmung in Norwegen, einem friedlichen Land, in dem Polizisten gewöhnlich keine Waffen tragen, die Stimmung nach einem Anschlag, bei dem Menschen augenscheinlich durch den Ort gejagt und getötet wurden. Natürlich erinnert diese Situation die Norweger zuallererst an den Mordlauf von Anders Breivik. Von daher ist die Bemerkung des ZDF-Korrespondenten in Norwegen völlig in Ordnung, wenn nicht gar zwangsläufig. Dass die Kommentare zu dem Nachrichtenschnipsel auf… Mehr

the ministry of silly walks
2 Jahre her

Jaja, der spätere Reichskanzler hat genau gewußt, wie Propaganda geht. Recherchieren Sie mal, wer sich heute als „Bewegung“ bezeichnet (kurze Auffrischung: „Bewegung“ war letztlich deckungsgleich mit NSDAP, also ein Begriff der heutzutage nicht verwendet werden sollte, ähnlich wie „Säuberungen“, „Kulturschaffende“ u.v.m…

the ministry of silly walks
2 Jahre her

Neulich im Qualitätsradio BR2: 3 Minuten Attentat – mutmaßlicher Täter, nach Aussagen der Polizei, Motiv unklar – dann ein Satz „zum Islam konvertiert“ – dann 3 Minuten Breivik – rechtsextrem, brutal, wieder in N. Der zufällige Hörer erkennt nur: ein zweites Utoya, schon wieder ein rechtsextremes Attentat in N. Falls sich das nicht bestätigt: Gott (welchem) sei`s gedankt, Halleluja – nur ein Amoklauf (siehe Kommentar Süddeutsche: Restrisiko Mensch). Es ist sowas von w-i-d-e-r-l-i-c-h ….

Last edited 2 Jahre her by the ministry of silly walks
mediainfo
2 Jahre her

Hier sind es die „rechtsextremen Phantome von Kongsberg“, im Fall des ermordeten Tory-Abgeordneten Amess spricht welt.de von einem „Verdächtigen“ somalischer Herkunft.
Er ist also nur „verdächtig“, die Tat begangen zu haben, für die es zig Augenzeugen gibt, und er vor Ort nach Begehung der Tat überwältigt wurde.

Andreas aus E.
2 Jahre her
Antworten an  mediainfo

Der Deutschlandfunk beeilte sich, gleich nach Bekanntgabe von „Somalier“ und mutmaßlich islamistisch“ die Erinnerung nachzuschieben, daß vor fünf Jahren ein „Rechtsextremist“ einen Labour-Politiker gemetztelt hatte.
Ihre Frameing-Handbuch haben die fein verinnerlicht, muß man denen lassen…

Meine Prognose: Dem Somalier, Einzelfall, wird alsbald psychisches Problem attestiert werden. Hat sonst nichts mit nichts zu tun. Gefahr kommt von rechts!

Westried
2 Jahre her

Ich habe mir die „heute“ nochmal angeschaut. https://www.zdf.de/nachrichten/heute-19-uhr/211014-heute-sendung-19-uhr-100.html
Im Bildbericht kurz vorher wird 2x auf den islamistischen Hintergrund hingewiesen, in der Anmoderation davor auch einmal.
In dem kurzen Reporterbeitrag wird der Bezug zu der Terrortat vor 10 Jahren in einem sonst sehr friedlichem Land hergestellt: Für mich ist die gesamte Berichterstattung in Ordnung.

Kassandra
2 Jahre her

Erneut ein Problem. In GB berichten sie von einem „Somalian man, 25“, der mehrfach auf den Tory-Abgeordnete David Amess eingestochen und ihn getötet hat. Bei uns reden sie derweil darüber, dass ein „tatverdächtiger 25-jährigen Mann“ festgenommen wurde.https://www.dailymail.co.uk/news/article-10096107/Police-swoop-road-outside-building-MP-David-Amess-holding-constituency-surgery-today.html

Ralf Poehling
2 Jahre her

Das reicht nicht nach Breivik, das riecht nach IS. Man kann den norwegischen Behörden sicherlich vorwerfen, nach Breivik nicht die richtigen Schritte bei der Sicherheit eingeleitet zu haben, um Attentäter schnell und effizient zu neutralisieren. Aber mit Breivik hat die Motivation des Täters wohl gar nichts zu tun. Im Gegenteil: Das stinkt förmlich nach der üblichen islamisch-religiösen Radikalisierung von gesellschaftlichen „Outlaws“, die sich auf dem Wege des Übertritts in den Islam eine religiös-ideologische Rechtfertigung für ihre mangelnde Integrationsfähigkeit in die Regeln der zivilisierten Gesellschaft zusammenkleistern und dann auf den Kriegspfad einschwenken. Man denke zum Vergleich auch an Andreas Baader, der… Mehr

Ralf Poehling
2 Jahre her
Antworten an  Kassandra

Dass der Verfassungsschutz das Problem kennt, weiß ich.
Und dass die Presse über die Jahre hin und wieder das Problem thematisert hat auch. Richtig Fahrt bekommt es aber erst in letzter Zeit. Und da muss man Springer deutlich hervorheben. Welt und Bild sind dankenswerterweise ganz vorn mit dabei.
Aber das hatte ich nicht gemeint. Gemeint war der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der bei diesem Thema immer noch um das Problem herumschwurbelt, wenn er es denn überhaupt aufgreift.

Alfred Werner
2 Jahre her

Gegen den rotgrünen „Journalismus“ ist kein Kraut gewachsen. Doch: Sie dürfen dank ihrer an die Macht gequatschten „politischen Lieblinge“ jetzt Ihre Geldbeutel genauso sauber auswaschen wie alle anderen Bürger auch. Man gönnt es ihnen von Herzen. Ob sie die Kausalität jemals begreifen werden ?

Aqvamare
2 Jahre her

Narrativ ist eine Erzählung, also ein Märchen. Der Zuschauer des ÖRR akzeptiert das gehörte, wichtig ist nur die Information, die gesagt wird, nicht die Information, die wirklich geschehen ist. Chemnitz ist eine solche Geschichte, einmal im Raum, nicht mehr aus den Köpfen zu bekommen.

Contenance
2 Jahre her

Neulich in der Schule sollten die Kinder vom Beruf ihres Vaters berichten. Alle erzählten freudig von ihrem Vater.

Nur Lukas Maria zögerte und drückste rum, bis er leise hervorbrachte, dass sein Vater in einer Table Top Bar arbeitete.

Ale waren irritiert, nach der Stunde fragte die Lehrerin nach, ob das stimmen würde. Er antwortete, nein, natürlich nicht. Aber er sei in Wirklichkeit Journalist beim ÖR, und da hätte er sich einfach zu sehr geschämt, davon zu berichten.