Wie die Handschrift verschwindet

Im digitalen Leben braucht man keine Stifte mehr. Vor allem Altersklassen, die schon vollständig mit dem Computer aufgewachsen sind, verlieren rasend schnell uralte Fertigkeiten wie das Schreiben mit der Hand. Überraschung: Selbst das Tippen auf Tastaturen wird verlernt.

picture alliance / Zoonar | benis arapovic

Da ist dieser recht intelligente Scherz über die vermaledeite Autokorrektur in Schreibprogrammen am Computer oder am Smartphone. Es ist ein doppeltes englisches Wortspiel, das sich beim besten Willen nicht übersetzen lässt:

The inventor of auto-correct has died.
Restaurant in piece.
The funnel will be held tomato.

Moderne Menschen – oder besser: Menschen in unseren „modern“ genannten Zeiten – kommunizieren miteinander zunehmend über automatisch vorgeschlagene Textbausteine. Das geht schnell und ist bequem, man muss sich die Wörter und Kurzsätze nicht selbst einfallen lassen.

Unser Gehirn ist evolutionsbiologisch auf Energiesparen ausgelegt. Oder anders: Wir sind von Natur aus denkfaul. Deshalb suchen wir in unserer Umgebung nach Mustern und schaffen uns im Alltag unzählige Routinen: Das Erkennen eines Musters erspart uns die Analyse von dessen Einzelteilen, und über eine eingeübte Routine müssen wir auch nicht mehr groß nachdenken.

Darum sind künstlich generierte Formulierungsvorschläge so beliebt. Das erklärt auch mindestens teilweise den weltweiten Siegeszug der „Emojis“: Das sind die kleinen Piktogramme, die nicht nur Dinge, sondern auch Gefühle abbilden. Im schlechtesten Fall ersetzt so ein Mini-Bildchen ein Wort. Im günstigsten Fall ersetzt es einen ganzen Satz, mit dem man sonst umständlich beschrieben hätte, wie man sich gerade fühlt.

Wenn wir nicht wollen, müssen wir im Prinzip nicht mehr selbst schreiben.

Und wir tun es auch kaum noch. Das gilt vor allem (aber nicht nur) für die sogenannte „Generation Z“. So nennt man die zwischen 1995 und 2010 Geborenen. Sie sind heute also zwischen 14 und 30 Jahre alt und die erste Alterskohorte, die vollständig im digitalen Zeitalter aufgewachsen ist: Computer, Laptops, Tablets, Smartphones und Soziale Medien. Viele Studien sind zu dem übereinstimmenden Ergebnis gekommen, dass die GenZ bis zu vier Stunden täglich allein am Smartphone verbringt. Dazu kommt die Zeit am Computer/Laptop/Tablet, bei Online-Spielen und beim Streaming.

Sie sind „Digital Natives“, Eingeborene der digitalen Welt. Sie nutzen die neuen Technologien intuitiv. Technik verändert die Welt, aber auch die Menschen. Die Aufmerksamkeitsspanne der GenZ wird von manchen Forschern auf gerade noch acht (8) Sekunden taxiert. Das entspricht etwa der Konzentrationsfähigkeit eines Guppys. Auch andere Fähigkeiten werden sukzessive verlernt.

Dazu gehört: das Schreiben mit der Hand.

Die Linguistik-Professorin Nedret Kiliçeri von der Universität Istanbul hat in einem Interview gerade darauf aufmerksam gemacht, dass viele Hochschulstudenten selbst einfache Schreibregeln nicht mehr kennen. Wenn man ihnen einen Stift und ein Papier in die Hand drückt, haben sie allergrößte Schwierigkeiten, ihre Gedanken auszudrücken. Zu längeren strukturierten Sätzen seien sie meist nicht mehr in der Lage, sagt Kiliçeri: „Die Studenten vermeiden lange Sätze und schaffen es oft nicht, richtige Absätze zu schreiben. Sie denken, dass das Aneinanderreihen von unabhängigen Sätzen einen Absatz ausmacht.“

Die Professorin führt das auf den Einsatz von Multiple-Choice-Tests und auf die Sozialen Medien zurück. In Letzteren habe sich eine eigene Sprache entwickelt. Alles werde verkürzt und mit Emojis ausgedrückt. Ideen würden heutzutage bevorzugt in Textbausteinen mit weniger als zehn Wörtern zusammengefasst.

Dazu kommt, dass die ganz praktische Fähigkeit abnimmt, mit der Hand zu schreiben. Die Folge ist ein verkümmertes Schriftbild. Die Handschrift verlaufe entweder nach unten oder nach oben und sei zunehmend unleserlich. Während Schulkinder früher daran gewöhnt gewesen seien, mit Papier und Stift zu arbeiten, hätten sie heute schon sehr früh mit Bildschirmen und Tastaturen zu tun, erklärt die Sprachwissenschaftlerin ihre Beobachtungen.

Sogar das Tippen wird verlernt.

Denn nicht nur die Fertigkeit zum handschriftlichen Verfassen von Texten verkümmert: Auch beim Tippen auf den üblichen Computer-Tastaturen ist ein wachsender Kompetenzverlust feststellbar.

Das Zehn-Finger-System, das noch aus der Zeit der Schreibmaschine stammt, verschwindet. Das „Wall Street Journal“ hat jüngst Zahlen des US-Bildungsministeriums analysiert. Im Jahr 2000 hatten noch 44 Prozent aller Highschool-Absolventen einen Tastaturkurs belegt. Im Jahr 2019 waren es gerade noch 2,5 Prozent.

Die technikaffine GenZ kann am Computer praktisch alles – nur nicht tippen, ohne dabei auf die Tasten zu sehen.

Inzwischen sind junge Menschen beim typischen Zwei-Daumen-Schnelltippen auf ihren Smartphones wesentlich besser als beim Tippen auf herkömmlichen Tastaturen. Generell wird das Tippen durch die Touchscreens von Smartphones und Tablets ohnehin vom Wischen („Swiping“) ersetzt. Nicht wenige Soziologen nennen die GenZ deshalb auch „Gen Swipe“.

Das alles führt dazu, dass die generelle Kommunikationsfähigkeit sinkt.

Die Autokorrektur und erst recht die von Künstlicher Intelligenz generierten Texte machen das Tippen zunehmend überflüssig. Wenig verwunderlich, geht zuerst die Tipp-Geschwindigkeit verloren – und dann die Tipp-Fähigkeit als solche. Schließlich schädigt die Dominanz von digitaler Technik die Schreibfähigkeit des Menschen insgesamt.

Das ist keine gute Nachricht. Sprachwissenschaftler sind sich einig, dass die Schreibfähigkeit und die allgemeine Kommunikationsfähigkeit Hand in Hand gehen.

Die südosteuropäische Vinča-Schrift und die Mesopotamische Keilschrift gelten als älteste Schriften der Menschheit. Sie begannen vor etwa 7.500 Jahren als Bilderschriften. Aus ihnen entwickelten sich unsere heutigen Schriftsprachen – und mit ihnen die Zivilisation.

Es könnte sein, dass wir uns nun zur Bildersprache zurückentwickeln. Smiley-Emoji.

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Kommentare ( 21 )

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Igel
10 Tage her

Die von Albert Kapr geförderte und von Renate Tost und Elisabeth Kaestner in den 1960er Jahren in Leipzig entwickelte, erstmals wirklich gut schreibbare „Schulausgangsschrift“ ist noch nicht einmal 60 Jahre alt. Die Schönheit des Wortes und des Gedankens auch in seinem persönlich geprägten Bild zu würdigen, hatte eine kurze Blütezeit. Ich kann mich noch gut an die „Schönschreib“-Vorlagenhefte zum Üben mit der Weiterentwicklung der Schulausgangsschrift – der Schulschrift-Kursiv – gut erinnern. Es hat einfach Freude bereitet, einem Inhalt die adäquate Schönheit zu verleihen. Wesentliche Nachrichten schreibe ich auch heute noch selbstverständlich mit der Hand auf einem entsprechenden Papier. Und es… Mehr

alter weisser Mann
10 Tage her

Es ist ja nicht nur die Handschrift ….
Letztens hörte ich etwas über Kurse für Jugendliche in England, wo diese lernten, wieder ans Telefon zu gehen wenn das klingelt und simple Vorgänge am Telefon (Tischbestellung im Restaurant) incl. der dabei übliche Phrasen zu bewältigen. Die haben da wohl schon richtige Phobien entwickelt, weil das böse Telefon sie quasi immer „spontan überfällt“ und sie in sofort und in Echtzeit ohne Helferlein reagieren müssen.
https://www.swr3.de/aktuell/nachrichten/handy-telefonieren-telefon-angst-kurse-100.html

AlNamrood
11 Tage her

Handschrift? Überhaupt schreiben? Es fängt für die meisten Schüler schon damit an, dass sie ihre Gedanken gar nicht formulieren können.

Frank_78
11 Tage her

Schlechte Zeiten erschaffen starke Menschen,
starke Menschen erschaffen gute Zeiten,
Gute Zeiten erschaffen schwache Menschen
und schwache Menschen erschaffen schlechte Zeiten.

Momentan sind wir bei der letzten Zeile. Ob Politik, Wirtschaft oder Kultur, diese Zeilen gelten für so gut wie alle Bereiche.

P.Schoeffel
11 Tage her

„Die technikaffine GenZ kann am Computer praktisch alles“ … bedienen, das der Computer anbietet.
Das war´s dann aber auch.

Rob Roy
11 Tage her

Ich sehe im Alltag immer mehr Jugendliche, die nur noch in Druckbuchstaben schreiben.

Last edited 11 Tage her by Rob Roy
Chrisamar
10 Tage her
Antworten an  Rob Roy

Leider sehe ich im Alltag nie einen Jugendlichen, welcher ein Buch liest…

rainer erich
11 Tage her

Richtig, aber Vorsicht mit der Technikaffinitaet. Die Leute wissen ueber die Technik, die Mechanismen, die Funktionsweise und die Systeme und ihre Logik nichts, gar nichts. Sie koennen mit ihr spielen. Das ist etwas kategorial voellig anderes. Ein kleines Problem stoesst sie sofort an ihre Grenzen. Schreibe ich als 71 jaehriger Jurist mit der heute ueblichen Ausrüstung und mit einschlägiger Erfahrung mit Technik und den jungen Menschen. Alles andere trifft natuerlich ins Schwarze.

A rose is a rose...
11 Tage her

Tatsächlich gibt es sehr interessante Studien zu Kreativität, Lernen und Gehirnfunktion. Diese beschreiben eindrücklich, wie wichtig es ist, Gedanken zu Papier zu bringen, mit Stift und Tinte. Die hierbei geförderten Prozesse sind für Lernen, Verarbeiten und Abspeicherung von Informationen essentiell. Aber leider wird kaum mehr Forschung in diesem Bereich in D betrieben und die in anderen Ländern dazu vorliegenden Informationen ignoriert.
Übrigens ist sogar die Verwendung von PP-Präsentationen und/oder Smartboards bei fortschrittlichen Institutionen bereits wieder verpönt, da sich herausgestellt hat, dass sie für das Verständnis und die Aufnahmefähigkeit von Informationen kontraproduktiv sind.

Zuschauer
11 Tage her
Antworten an  A rose is a rose...

Offenbar ist Handschrift gut für das Gehirn, weil sie die Gehirnaktivität anregt und komplexe Verbindungen schafft, die das Lernen und Erinnern neuer Informationen erleichtern.

Autour
11 Tage her

Sprachwissenschaftler sind sich einig, dass die Schreibfähigkeit und die allgemeine Kommunikationsfähigkeit Hand in Hand gehen. Ja nicht nur das!!!!! Wer nicht Kommunizieren und nicht schreiben kann, der hat auch Probleme mit dem Lesen und verstehen des Gelesenen! Das geht alles zusammen! Wir bekommen Generationen von Zombies… die zu nichts mehr fähig sind! Dabei wäre es so einfach gegen zu steuern! Man müsste nur all den ganzen Schwachsinn dieser Pseudowissenschaftler widerrufen und zurück zu den Wurzeln gehen…! Ein striktes Handyverbot in der Schule, zurück zur Tafel und zurück zu Schulheften! All dieses digitale Gedöns in den Orkus! Es ist schon komisch… Mehr

mweiss
11 Tage her

Im Film „Idiocracy“ wird gezeigt, wohin das alles letztendlich führt. Schon ein paar Jährchen alt, aber aktueller denn je.