In Verlegenheit: Der arme Robert Habeck und der inhaftierte Julian Assange

Nicht mehr jung, dennoch naiv gescheitert: Ein Videointerview mit Robert Habeck sorgt für Belustigung. Darin fordert er die Freilassung eines in Großbritannien Inhaftierten und unterstellt der dortigen Justiz politische Abhängigkeit.

Screenprint: via twitter
Was mich aus tiefstem Herzen freut, ist, dass Robert Habeck, Sie erinnern sich, der Parteivorsitzende der Grünen, der gern Kanzler werden möchte, viel Zeit übrig hat, zumindest zwei Stunden, eine Minute und 43 Sekunden, um mit dem Journalisten Thilo Jung in dessen Quasselformat Jung & Naiv, Folge 496 ein wenig zu schwatzen. Vielleicht hat es Robert Habeck auch allzu sehr gefreut, dass sein Duzfreund ihn als den „vielleicht nächsten Kanzler hier im Land“ vorstellte.

Aber der liebe Thilo haut den lieben Robert dann doch mit einer Frage ziemlich in die Kanzlerpfanne, denn er möchte von Robert Habeck, dem vielleicht nächsten Kanzler hier im Land, wissen, ob er nicht nur die Freilassung von Nawalny, sondern auch die Freilassung von Julian Assange fordert. Der Fall Nawalny hat nun soviel mit dem Fall Assange zu tun, wie der Kaffeesatz mit dem Satz des Pythagoras oder Leonid Breshnew mit Margret Thatcher. Das kann der liebe Thilo, der bekanntlich naiv ist, natürlich nicht wissen. Da hätte ihn der liebe Robert als Kanzlerprätendent doch aufklären können.

Der Bürgerrechtler Alexej Nawalny wurde, nachdem er im Januar nach Moskau zurückgeflogen war, eingesperrt und am 2. Februar zu dreieinhalb Jahren Straflager verurteilt. Der schillernde Journalist und WikiLeaks Gründer Julian Assange wurde in London verhaftet, weil er gegen Kautionsauflagen verstoßen hatte. Der Auslieferungsantrag der Vereinigten Staaten wurde am 4. Januar 2021 von einem Londoner Gericht abgelehnt. Die USA kündigten an, in Berufung zu gehen.

Die Antwort auf Jungs konfuse Frage wäre also für Robert Habeck einfach gewesen, denn es gibt keinen Grund, wenn man denn den Rechtsstaat achtet, an der Rechtsstaatlichkeit Großbritanniens zu zweifeln. Robert Habeck hätte sich also zurücklehnen und sein Vertrauen in die Fairness der britischen Justiz ausdrücken können, wie es ein Kenner der Rechtsstaatlichkeit und ein Staatsmann getan hätte. Doch Habeck antwortet tapfer unsicher: Ein faires Verfahren fordern wir!

Wie kommt der „vielleicht nächste Kanzler hier im Land“ auf den Gedanken, dass die britische Justiz nicht rechtsstaatlich arbeitet, so dass er ein „faires Verfahren“ anmahnen muss? Stehen britische Gerichte in puncto Rechtsstaatlichkeit auf der Ebene Moskauer Gerichte? Doch diese Frage stellt sich für Thilo Jung erst gar nicht, denn für ihn scheinen britische Gerichte in puncto Rechtsstaatlichkeit auf der Ebene Moskauer Gerichte zu stehen. Sondern er hakt nach: Warum nicht die Freilassung?

Robert Habeck gerät ins Straucheln und stottert sich zu der Aussage durch: Julian Assange muss ein Verfahren bekommen, das nicht politisch motiviert ist. Damit unterstellt der grüne Parteivorsitzende, dass die britische Justiz politisch motivierte Urteile in Gerichtsprozessen fällt und zieht deren Unabhängigkeit in Zweifel. Das kann nur jemand tun, der eine geringe Meinung von der Gewaltenteilung hegt. Thilo Jung behauptet dann nicht nur naiv, sondern völlig kenntnisfrei, dass das Verfahren gegen Julien Assange ein „politisches Verfahren“ und ein „Angriff auf die Pressefreiheit“ sei. Da schluckt der gute Robert erst einmal, so belehrt zu werden, soweit hat er womöglich noch gar nicht gedacht. Der „vielleicht nächste Kanzler hier im Land“ ist sprachlos, so sprachlos, dass Thilo, der nun nicht mehr naiv ist, ihn zur Rede stellt wie der verärgerte Lehrer den bockigen Schüler: „Du forderst nicht die Freilassung?!“ Wieder Schweigen. Schüler Habeck, nun ganz und gar nicht mehr der „vielleicht nächste Kanzler hier im Land“, sagt schließlich kleinlaut und einsichtsvoll: „Doch. Ich fordere die Freilassung von Julien Assange!“ Er ist hindurch. Die Erleichterung ist ihm anzumerken.

Halten wir fest, der Vorsitzende der Grünen ist der Meinung, dass ein rechtsstaatliches Verfahren überflüssig ist, dass Richter im Fall Assange nicht zu entscheiden haben, weil der Vorsitzende der Grünen sich in einem youtube-Interview entschlossen hat, die Meinung des Interviewers zu übernehmen, dass Julien Assange freizulassen ist. Schließlich stehen die Meinungen eines Journalisten und eines Vorsitzenden der deutschen Grünen über britischer Rechtsstaatlichkeit.

Vielleicht wird Robert Habeck Bundeskanzler, nach Angela Merkels viel zu langer Amtszeit kann das inzwischen anscheinend jeder werden. Das ist quasi alternativlos.

Allerdings bin ich nun im Zweifel, ob ich noch etwas Kritisches über Robert Habeck schreiben darf, denn im Vergleich mit Annalena Baerbock besitzt Robert Habeck noch die Gabe des Zweifels und Anflüge von gelegentlicher Nachdenklichkeit, sonst hätte er auf Jungs Frage die entsprechende Schublade grüner Phrasen geöffnet. Habeck bemüht sich zumindest hin nun wieder auf Fragen zu antworten – nur bekommt ihm das nicht allzu gut.

— Richard Meusers v.W. ن ?? ?? (@maternus) February 24, 2021


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