Fridays for Future löst sich auf – nicht multikulti genug

Die größte FFF-Gruppe Neuseelands in Auckland hatte Mitte Juni ihre Auflösung bekannt gegeben. Dies sei ein Beitrag zur Entkolonialisierung, denn man habe die berechtigten Stimmen und Forderungen der „BIPOC-communities (Black, Indigenous and People of Color) ignoriert und gemieden.

IMAGO / Christian Mang

Hamburg. Eine Erschütterung geht durch die Umweltbewegung: Die deutsche „Fridays for Future-Organisation“ löst sich auf. „Wir nehmen uns ein Beispiel an unseren Freunden in Neuseeland“, so die Fridays for Future-Sprecherin Luisa Neubauer, „denn wir haben genau dasselbe Problem wie sie – wir sind eine weiß-dominierte Bewegung, die ein rassistisches Problem mit BIPoC- und Migrant:innen-Gruppen hat“. Es habe von Anfang an daran gefehlt, die Vielfalt der Menschen in Deutschland bei FFF abzubilden. Die Bewegung habe daran intern gearbeitet, aber es habe nicht gereicht. Deshalb sei die Auflösung wie in Neuseeland notwendig, so Neubauer.

Die größte FFF-Gruppe Neuseelands in Auckland, der mit 1,5 Millionen Einwohnern größten Stadt Neuseelands, hatte Mitte Juni ihre Auflösung bekannt gegeben. Dies sei ein Beitrag zur Entkolonialisierung, denn man habe die berechtigten Stimmen und Forderungen der „BIPOC-communities (Black, Indigenous and People of Color) ignoriert und gemieden, die aber vom Klimawandel besonders stark betroffen seien. „Deshalb sollen sie die Bewegung führen und nicht die Weißen“, schreibt FFF Auckland auf ihrer Facebook-Seite „School Strike 4 Climate Auckland“.

— The Washington Post (@washingtonpost) June 15, 2021

Bei FFF-Deutschland habe man nach langen Diskussionen selbstkritisch erkannt, so Luisa Neubauer, dass ein „weiter so“ nicht möglich sei. „Mit Carla Reemtsma und mir stammen zwei der Bundessprecher:innen aus einer wohlhabenden Hamburger Familie, die zudem noch vom Tabak aus Übersee profitiert hat“. Das bilde die gesellschaftliche Realität nicht ab. Nach Kritik an einem Satz in ihrem Podcast „Wie kann es sein, dass wir in einem Land leben, in dem sich Menschen 70 € mehr für ein Flugticket nicht leisten können?“ habe sie erkannt, aus einer solch privilegierten Sicht könne man Klimaschutz im Namen der Betroffenen nicht vertreten. Die streikenden Schülerinnen und Schüler müßten nun zusehen, wie sich künftig neu organisierten. Sie selbst und andere FFF-Führend:innen hätten ja als Mitglieder:innen der Grünen auch künftig Möglichkeiten, Politik zur Rettung des Klimas zu gestalten.

Der überraschende Schritt der Schülerstreik-Bewegung hat in anderen Umwelt-Organisationen unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Die Führungsspitze von Bündnis 90/die Grünen hält auch personelle Konsequenzen für unvermeidbar. Es gebe im Bundesvorstand und an der Fraktionsspitze im Bundestag „Defizite bei der Repräsentation bestimmter Gruppen“, sagt Gesine Agena, Leiterin der AG Vielfalt und bis 2019 Mitglied des Grünen-Bundesvorstands. Das dürfe so nicht bleiben, die Partei müsse diverser werden.

Eine Auflösung sei aber vor der Bundestagswahl nicht machbar, schon wegen der Erwartungen der finanziellen Großspender nicht. Und die Auflösungserscheinungen bei den Grünen im Saarland seien auch nicht hilfreich. Dort gibt es eine Austrittswelle im Vorstand, nachdem beim jüngsten Parteitag ein Mann entgegen dem Parteistatut auf Listenplatz 1 gewählt und vor einer Frau mit ukrainischem Migrationshintergrund auf Platz 2 vorgezogen wurde.

Die Deutsche Umwelthilfe sieht keinen Anlaß, ihre restriktive Mitgliedspolitik zugunsten von mehr Diversität zu ändern. „Wir haben derzeit per März 2021 genau 459 stimmberechtigte Mitglieder, die vom Vorstand ausgewählt werden“, so ein Sprecher. „Sollen wir uns unsere Politik zur Senkung der Autoabgase durch betroffene Dieselfahrer, die auch noch im ADAC oder AvD Mitglied, sind torpedieren lassen? Oder gar von Petrolheads wie Ulf Poschardt?“. Für die Umwelthilfe komme so etwas nicht in Frage.

Mehr Nachdenklichkeit für Fragen der Diversität signalisierte SPD-Umweltministerin Svenja Schulze. „Wenn auch bei der Klimabewegung die Identitätspolitik eine stärkere Rolle als bisher spielt, denn werden wir darauf neue Antworten finden müssen, um auch Forderungen nach mehr Mitsprache und Repräsentation in Umweltorganisationen Rechnung zu tragen“. Schulze schwebt ein „Gutes und gerechtes Klima-Gesetz“ vor. Dadurch sollen Gruppen von sich Betroffen-Fühlenden mehr Mitmachrechte bekommen. Sie wolle aber nicht ein Verbandsklagerecht alter Art vor, sondern ein niederschwelligeres Angebot. „In diesen Zeiten, wo die Aktivisten Umweltschulz per Mausclick machen möchten, sollte jedes Anliegen, das 10.000 Klicks, Likes oder Unterstützer in sozialen Medien wie Twitter, facebook oder openpetition.de aufweist, das Recht auf Änderung oder Auflösung bei der betreffenden Organisation einklagen können“. Darüber wachen soll ein Identitäts-Wächterrat, der aus Personen mit Diskriminierungserfahrung besteht. Die Ministerin will das Gesetz nach der gewonnenen Bundestagswahl unter Kanzler Olaf Scholz einbringen und an die Spitze des Wächterrats Hengameh Yaghoobifarah, Ferda Ataman und Xavier Naidoo berufen.


Claudia Pritt

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