Parallelgeschichten: Wolfgang Herles und die Bundesrepublik

Weit mehr als eine Autobiographie: Wolfgang Herles legt mit „Gemütlich war es nie“ auch die Geschichte der Bonner und der Berliner Republik vor und er liefert einen kritischen Insiderbericht des öffentlich-rechtlichen Journalismus.

Wolfgang Herles ist ein seltener Vogel im Völkchen der zwitschernden Journalisten. Er ist der, der zuhört. Er ist leise, wenn er spricht. Er spreizt seine Federn nicht. Er ist einer Eule nicht unähnlich, die bekanntlich über kluge Augen und feines Gehör verfügt und ansonsten ein Federkleid in Tarnfarbe trägt. Das macht ihn erfolgreich – und irgendwie angenehm altmodisch. Er reportiert und gackert nicht, wenn er ein Ei gelegt hat, sondern brütet es still aus, bis der Gedankenvogel durch die Schale bricht. Er hat Haltung, aber die ist nicht aus dröhnendem Gusseisen, sondern durch Fakten veränderbar. Das macht er sich nicht leicht. Er gehört zur aussterbenden Sorte der Gedankenbrüter.

Genug des Lobs. Sein Buch zeichnet sich dadurch aus, dass es Distanz wahrt. Er erzählt über sich, und ich gestehe: Wir haben viele Ähnlichkeiten. Es gibt eben doch Generationenschicksale. Unser Schicksal ist, dass wir irgendwo auf dem Land aufwuchsen, fern der Metropolen. Das macht zum Außenseiter; man kennt ja den heißen Scheiß noch nicht und muss erst die Lage anschauen, genauestens, welche Tanzschritte bei der Balz gerade gefordert sind. Wir sind aufgewachsen in einer Zeit, in der die Menschen damit beschäftigt waren, ihren gerade zusammengekratzten Wohlstand ein wenig zu mehren und deshalb nicht unbedingt zurückzuschauen. Rückschau ist der Luxus der Wohlhabenden, nicht die Lebensweise der Gerade-etwas-Habenden. Also musste unsere Generation aus der gesicherten Basis heraus viele Fragen stellen, die leider keine guten Antworten fanden, wenn es solche überhaupt gegeben hat.

»Seid umschlungen, Millionen!«
Die Gefallsucht der Medien erzeugt Konformismus
So ist mit dieser Biographie ein Zeitpanorama entstanden, in der man lesend herumwandern kann. Und dann landet man im Bonner Viereck, das gebildet wurde aus dem Kanzleramt, dem Fernsehstudio, dem Bundestagseingang und dem Büdchen, wo man Zeitungen kaufte und Zigaretten oder Würstchen zum Stützbier am Mittag. Herles beschreibt den Wandel der Bundesrepublik anhand seines Lebens. Beide sind fast gleich alt. 1950 im Bayerischen Wald geboren und am Bodensee aufgewachsen, spiegelt sein Lebenslauf dann auch als Journalist in Bonn und Berlin verblüffend die Geschichte des Landes. Als professioneller Zeitzeuge ist er stets nah dran am Geschehen und an den Mächtigen. Aber er beobachtet nicht nur, sondern wird immer wieder gefangen von den Ereignissen.

Lange fühlt er sich aufgehoben in dieser Republik. Bis zum Knacks. Sein persönlicher Knacks – als ihn der Kanzler als Chef des Hauptstadtstudios des ZDF entfernen lässt – korrespondiert nicht zufällig mit dem Knacks der Republik. In der Rolle des Gedankenbrüters geht er kritisch um mit der Wiedervereinigung. Nein, er ist nicht dagegen, aber musste es so sein, wie es angeblich unbedingt sein musste? Jubel-Krähen ist seine Sache nicht, aber Helmut Kohl stellte sich halt die Frage: Wozu hält man sich denn ein ZDF, wenn es dann nicht jubelkräht, wenn man es braucht? Kann man nicht einen Kräher statt einer Horch-Eule hinstellen, der die Wünsche des Herrn entgegennimmt?

Man konnte. Herles sieht es nicht so, aber tatsächlich ging es für ihn dann erst los. Ungeheuerlich, wie viele bemerkenswerte Menschen er sprechen, vor die Kamera zerren, ausfragen durfte. Auch da kreuzten sich gelegentlich unsere Wege. Er wollte Jürgen Schrempp, den damals wichtigsten Industriemanager, befragen. Ich übte mit Schrempp, wie man Herles auskontert. Das Archiv weiß, wer seinen Job bewältigt hat.

Nun schauen wir zurück. Und ja, Bonn war keine Idylle, sondern eine feuchte Schlangengrube unter einer trüben Dunstglocke. Und während Herles durch die Welt eilte, auf der Suche nach Gesprächspartnern mit einer Kragenweite, die es im heutigen Engstirnvogel-ZDF nicht mehr gibt, begann es mit der Berliner Republik bergab zu gehen. Es ist das Berlin Virus. Größenwahn, Isolation und Selbstbezogenheit in den flachen Weiten einer sandigen Ebene rundherum, Paris zu weit weg und Brüssel eine große, bösartige Glucke, die alle malträtiert. Weltabgewandtheit und ständiges Wühlen im Eigenen.

Interview mit Wolfgang Herles
„Konformismus ist die Staatsideologie Deutschlands“
Die Fundamente des Wohlstands bröckeln. Der Staat gefährdet die Demokratie, die er bewahren soll, schützt die Bürger weder vor sich selbst noch vor ihren Feinden. Wie konnte es dazu kommen? Es ist auch die Geschichte einer Entfremdung der Regierung und Medien vom Volk.

„Dieses Land braucht vielleicht gar keine Hauptstadt“, sagte er in unserem Interview „Konformismus ist die Staatsideologie Deutschlands“. „Es gibt auch keine Hauptstadt-Korrespondenten – damals. Heute nennt sich der Journalist Hauptstadt-Korrespondent. Darin steckt schon eine Lüge, nämlich dass er über den anderen steht.“

Tatsächlich. Wolfgang Herles weiter: „Studio-Leiter Bonn. … Es war das Studio Bonn, das stand nicht über dem Studio Düsseldorf und über dem Studio München, das war einfach das Studio Bonn. Dass wir Bundespolitik gemacht haben, das wusste man ja sowieso, da musste man nicht so ein Etikett draufkleben, so ein großmächtiges, angeberisches.“

Damit ist es die Erzählung eines Epochenbuchs. Die entfesselte Globalisierung geht einher mit der nächsten industriellen Revolution, die das Leben der Menschen verändert. Herles begleitet Giganten der Wirtschaft wie Bill Gates, Steve Jobs oder Jack Welch. Es folgen Begegnungen mit den größten Schriftstellern der Gegenwart. Herles reibt sich auch am eigenen Metier, durchlebt die Untiefen der Talkmeisterei und die Hörigkeit der Medien. Seine höchst lebendigen Erinnerungen sind kein bockiger Protest – aber sie sezieren, zudem höchst unterhaltsam, die Deformation unserer Gegenwart. Und er ist immer auf Distanz, lässt sich nicht vereinnahmen. Immer noch nicht. Hört das denn nie auf?


Wolfgang Herles, Gemütlich war es nie. Erinnerungen eines Skeptikers. LMV, Hardcover mit Schutzumschlag, 392 Seiten mit zahlreichen schwarz-weiß Abbildungen, 25,00 €.


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Kommentare ( 15 )

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15 Comments
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Lucius de Geer
1 Monat her

Herles mag sich verständlicherweise gern ausführlich mit seiner Vita in der guten alten BRD auseinandersetzen und wird das wie von Herrn Tichy angedeutet sprachlich meisterhaft tun. Die Probleme, die sich gegenwärtig vor uns auftürmen, lassen die BRD allerdings als ein biedermeierliches Idyl erscheinen (ich selbst fand es dort überwiegend gemütlich, da die 68er Spinner das Regiment noch nicht ganz übernommen hatten) – weshalb ich Lektüre bevorzuge, die sich der Gegenwart und der Zukunft widmen. TE hat zum Glück viele Journalisten der jüngeren Generation gewonnen, die das mit Geschick und Leidenschaft tun, ohne larmoyant zu werden. Und jetzt sehe ich mit… Mehr

HPs
1 Monat her
Antworten an  Lucius de Geer

afd & „Sprung in die Realität des 21. Jhdt.“

Das soll ein Witz sein.
Bei denen steht Sprung ins 19. Jhdt. auf dem Programm.

Guzzi_Cali_2
1 Monat her

Ich kann mit Sicherheit sagen, daß ich dieses Machwerk noch nicht mal geschenkt nehmen oder gar lesen würde.

ffriedl
1 Monat her

Das Buch enthält die schlüssige Herleitung, dass der Abgrund in die zentralistische Meinungssteuerung im Wechsel der Regierungshauptstadt begründet ist. Obwohl man nie genau weiß ob nicht hinter dieser Causa noch andere verborgen sind. Der Titel des Buches vermittelt aber nicht wie viel zeitgeschichtliche Analyse darin verborgen ist. Ich habe gerade diesen Teil des Buches mit Erstaunen gelesen und kann es nur empfehlen.

Guzzi_Cali_2
1 Monat her

Nicht zuletzt deshalb werde ich dieses Buch meiden, wie eine nässende Krankheit.

bkkopp
1 Monat her

Dem poetischen Lob des ersten Absatzes schließt man sich gerne an. Wolfgang Herles ist ein Solitär. Klug, kritisch, aber nicht aggressiv oder ad hominem abwertend. Kanzler Kohl hat ihn zwar auf ein anderes Arbeitsfeld gezwungen, hat ihn aber nicht professionell, wirtschaftlich und sozial verleumdet und vernichtet, wie das, beispielsweise, bei einem Donald Trump üblich wäre. Wolfgang Herles gehört zu einer Journalistengeneration die auch an Hans-Joachim Friedrich erinnert. Ich freue mich auf noch viele Kolumnen von Wolfgang Herles.

bkkopp
1 Monat her
Antworten an  bkkopp

Im TE-Shop ist auch das Buch “ Die Ära Trump“ / Ansgar Graw, zu erwerben, das man allen Trump-Fans und MAGA-Illuminati wärmstens empfehlen kann.

Hoffnungslos
1 Monat her

Gute Frage: Braucht Deutschland eine Hauptstadt? Im Mittelalter tagte der Reichstag in unterschiedlichen Städten und wurde damit wohl Deutschland eher gerecht. Berlin nennt sich Hauptstadt, ist es das? Berlin war Preußen, nie Deutschland. Wofür steht Berlin heute? Ein chaotischer Stadtstaat, der sich für den Nabel der Welt hält….

Guzzi_Cali_2
1 Monat her
Antworten an  Hoffnungslos

Der Whiskey-König Lüning hat mal so richtig gesagt: Jede Hauptstadt in Europa trägt meist überproportional zu einer gesunden Wirtschaft bei. Bei Berlin ist es gerade umgekehrt. Dort sind mehrheitlich Schmarotzer ansässig – zuvorderst die Politkaste nebst der Medienschranzen.

Nibelung
1 Monat her

Gemütlich war es tatsächlich noch nie so richtig seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und ich kann mich noch sehr genau an die endlosen Kritiken meines alten Herrn erinnern, der schon in den fünfziger Jahren sich durch seinen Beruf im Zeitungswesen ständig aufgeregt hat, welche Typen uns da serviert wurden, von denen er nach eigenen Recherchen nicht immer überzeugt war, daß sie das Format mitbrachten um anständig durch die Welt zu gehen. Das alles hat sich anfangs hautpsächlich um die regionale Politik gedreht und als das Thema ausgeschöpft war konzentrierte man sich auf die Landes -und Bundespolitik, zumindest war das… Mehr

Deutscher
1 Monat her
Antworten an  Nibelung

„Gemütlich“ oder nicht: Die BRD bot bis in die 90er Jahre einen gut funktionierenden Mix aus reichlich konservativen Anteilen, die für die nötige Stabilität sorgten, persönlichen Freiheiten, die weiter reichten als heute und ausreichend sozialen Elementen, die gewährleisteten, dass auch die Schwächsten nicht untergehen. Wer seine Arbeit ordentlich gemacht hat, hatte auch genug Knete und mehr wurde im Grunde gar nicht von einem verlangt. Der Staat hielt sich weitgehend im Hintergrund, wusste sich aber gegen seine Feinde zu wehren und seine Bürger zu schützen. Die Presse hatte eine gewisse Macht, aber nicht zu viel, und sie nutzte sie, um der… Mehr

Last edited 1 Monat her by Deutscher
Klaus Uhltzscht
1 Monat her

Gutgemeinter Hinweis: Sollte das Buch für den gesamtdeutschen Markt vorgesehen sein, würde ich kein Titelbild wählen, das Ähnlichkeit mit Erich Honecker aufweist.
Der Titel „Gemütlich war es nie“ paßt soweit; hier kann ich persönlich aber nur den ostdeutschen Markt einschätzen.

Casa Done
28 Tage her
Antworten an  Klaus Uhltzscht

Stimmt!

Deutscher
1 Monat her

Ich kenne mindestens 100 Leute, für die es weniger gemütlich war, als für Herrn Herles.

August der Starke
1 Monat her
Antworten an  Deutscher

Nun, 36 Jahre nach der Ausreise und vorherigem 46-jährigem DDR- Leben, muß ich, wenn ich ehrlich bin, als Resümee ziehen, daß Wolf Biermann, als er noch der Wolf war, hart im Urteil war, als er nur kurz nach seiner Ausweisung aus der DDR sagte, er sei vom Regen in die Jauche gekommen. Ganz so hart will ich mein Urteil nicht fällen, aber ich darf an die bekannten und oft zitierten Worte von Bärbel Bohley erinnern. Im Kern: Es wird alles wieder kommen, nur raffinierter und subtiler. Man schaue hin, wo man will – sie hatte Recht. Es würde zu weit… Mehr