Während sich die Kirchen selbst abschaffen, entdecken junge Menschen den Glauben neu – nicht immer in der Liturgie, sondern im Metal, in Filmen und auf TikTok. Von Silvia Venturini

Man stelle sich folgende Szene vor: Ein Jugendlicher, schwarzes Bandshirt, lange Haare, AirPods in den Ohren, starrt in der S-Bahn aus dem Fenster. Was hört er? Bach? Eine Predigt? Einen Bibel-Podcast? Natürlich nicht. Es sind die donnernden Gitarrenriffs von Sabaton, jener schwedischen Metal-Band, die sich mit martialischer Inbrunst historischen Schlachten widmet. In diesem Moment explodieren Trommeln und Chöre in epischer Breite: „In the name of God – for the grace, for the might of our Lord!“ Kein Kirchenchor, kein katholischer Männerverein, sondern Stadionrock im besten Sinne.
Wird dieser junge Mann nun zum Christentum bekehrt? Kaum. Sabaton ist keine Missionsgesellschaft, sondern eine Musikmaschine mit martialischer Ästhetik. Und doch geschieht etwas Seltsames: Je mehr Jugendliche sich solchen Erzählformen hingeben – seien es Metal-Epen, tiefsinnige Filme oder TikTok-Phänomene mit spirituellem Einschlag – desto öfter berichten sie von einer Wiederentdeckung des Glaubens. Nicht weil sie ihn direkt suchen, sondern weil sie ihn auf Umwegen finden. In Momenten, wo Popkultur auf Sinn trifft, wird aus Unterhaltung plötzlich Transzendenz.
Die Sinnfrage – leise gestellt, laut beantwortet
Womit wir beim wahren Kern dieser Entwicklung wären: der Sinnfrage. Es ist kein Zufall, dass junge Menschen heute auf der Suche sind. Sie wachsen auf in einer Welt der Entwurzelung. Ihre Identität ist fluide, ihre Zukunft prekär, ihre Geschichte dekonstruiert. Das Einzige, was ihnen bleibt, ist die permanente Wahlfreiheit – und damit die Einsamkeit, die aus grenzenlosen Möglichkeiten erwächst.
Irgendwann kommt der Moment, in dem diese Generation sich fragt: Wozu das alles? Wozu TikTok, Karriere, Polyamorie, Genderseminar und nachhaltiger Wochenmarkt, wenn am Ende nur der Tod wartet? Diese Frage schleicht sich ein – nicht als theologisches Traktat, sondern als existenzielles Unbehagen. Sie wächst in stillen Momenten, in gebrochenen Beziehungen, in der Erfahrung von Verlust. Und dann, eines Tages, trifft sie auf ein kulturelles Werk, das ihr Tiefe verleiht.
So geschehen bei unzähligen Lesern des „Herrn der Ringe“ – jenem Epos, das von J.R.R. Tolkien geschrieben wurde, dem überzeugten Katholiken, der selbst sagte: „My work is fundamentally religious and Catholic; unconsciously at first, but consciously in the revision.“ Nirgendwo fällt das Wort “Gott”, kein Gebet wird gesprochen – und doch durchzieht das Werk ein spirituelles Rückgrat, das von Opfer, Hoffnung und Erlösung handelt. Nicht wenige Leser berichten, dass sie durch dieses Buch zu Christen wurden. Nicht wegen theologischer Argumente, sondern weil sie sich in einer Welt wiederfanden, in der Gut und Böse noch benannt wurden, in der Treue, Mut und Gnade Bedeutung hatten.
Ähnlich wirkmächtig sind Filme wie Terrence Malicks „Tree of Life“, ein visuelles Gebet zwischen Kosmologie und Kindheitserinnerung, das in seiner metaphysischen Dimension selbst gestandene Atheisten ins Grübeln brachte. Oder „The Grey“ mit Liam Neeson, der sich in einem existenziellen Überlebenskampf im Schnee auf einen Dialog mit Gott einlässt – zornig, verletzlich, und zutiefst menschlich. Auch hier kein Psalm, (fast) kein Kreuz, keine Hostie – und doch eine spirituelle Tiefe, die den Zuseher erschüttert.
Missionierung auf Umwegen – ein altes Prinzip
Was heute wie ein neues Phänomen erscheint, ist in Wahrheit so alt wie die Ausbreitung des Christentums selbst. Die frühen Missionare wussten: Wer ein Volk bekehren will, darf nicht frontal gegen seine Kultur predigen. Er muss sie umformen, ihre Sprache sprechen, ihre Symbole deuten.
Der „Heliand“, das alt-sächsische Epos des 9. Jahrhunderts, ist dafür ein Lehrstück: Das Neue Testament wurde in eine germanische Heldendichtung verwandelt, in der Jesus wie ein Stammesfürst mit Gefolgsleuten durch die Lande zieht. Für die heidnischen Sachsen war das verständlicher als die abstrakten Predigten eines byzantinischen Klerikers. Die Wahrheit blieb dieselbe, nur die Verpackung war eine andere.
Ähnlich verfuhren die orthodoxen Missionare im Osten Europas, wo das Christentum geschickt mit slawischer Volksreligiosität verwoben wurde. Man übernahm Feste, Bräuche, Rituale – und füllte sie mit neuem Sinn. Selbst in der Neuen Welt, bei der Missionierung der Indigenen Völker Amerikas, gelang es vor allem jenen, die einfühlsam auf bestehende Mythen eingingen, den Glauben nachhaltig zu vermitteln. Die Kirche hat stets verstanden: Der Weg zu Gott führt manchmal durch die Tür der Kultur.
Die neue Mission – digital, unbewusst, effektiv
Heute übernimmt diese Rolle die Popkultur. Meist unbewusst, oft widersprüchlich, aber nicht weniger wirksam. Junge Menschen folgen auf TikTok nicht Theologen, sondern Influencern, die mit Hashtags wie #JesusTok oder #ChristianCheck simple Glaubensbekenntnisse posten, Bibelverse tanzen oder Alltagssorgen mit Gebet beantworten. Es ist banal, manchmal kitschig, aber es wirkt.
Selbst ästhetische Strömungen wie „Corecore“ oder „Whimsigoth“ bringen spirituelle Untertöne ins Spiel, indem sie auf surreale, melancholische Weise das Alltägliche mit dem Transzendenten verbinden. Und während Kirchenleitungen über Inklusion und Gendergerechtigkeit konferieren, entdecken Jugendliche im Film, in der Musik oder im Meme das, was ihnen in der Liturgie fehlt: eine direkte Berührung mit dem Mysterium.
Die Pointe der Geschichte
Und so steht die paradoxe Diagnose am Ende dieses Rundgangs durch Glauben und Kultur: Die Rückkehr zur Religion geschieht nicht durch Dogmatik, sondern durch Ästhetik. Nicht durch Predigten, sondern durch Pop. Nicht durch Konzilstexte, sondern durch Geschichten. Das Christentum wird heute nicht missioniert, sondern wiederentdeckt – im Subtext von Werken, die gar nicht missionieren wollen.
Das ist kein Makel, sondern eine Chance. Denn der Glaube, der durch den Umweg gefunden wird, ist oft tiefer verankert als der, der durch Zwang oder nur gewohnheitsmäßig vermittelt wurde. Wer durch einen Film, ein Lied oder ein Buch auf den Geschmack gekommen ist, stellt die richtigen Fragen: nach Wahrheit, Sinn, Erlösung. Und wer fragt, der klopft an.
Die Kirchen wären gut beraten, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Nicht um Popkultur nachzuäffen, sondern um ihre spirituelle Kraft zu verstehen. Vielleicht ist es am Ende der Gitarrenriff, der das Herz öffnet. Oder ein Satz aus einem Fantasy-Roman. Oder ein TikTok-Video. Die Wege des Herrn, so heißt es, sind unergründlich. Und manchmal sind sie ziemlich laut.
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Die Entwicklung ist nicht neu. Selbst Hippies hatten eine christliche Strömung. Black Sabbath sind extrem christlich, man muss nur hinhören.
Bei Sabaton ist eher die „Gefahr“, dass Jugendliche was über ihre eigene Geschichte lernen und sowas wie Nationalgefühl entwickeln.
Man muss gar nicht so weit gehen, den Metal ins Christliche zu deuten. Es geht meist um Ehre, Mut, Rechtschaffenheit, einen starken Willen, aber auch Güte, Liebe, Mitleid und Vergebung. Es geht um Ehrung der Toten, das Einstehen für sein Volk/Gruppe/Familie und um eine starkes Rückgrat. In vielen Liedern wird der Teufel/Dämonen besungen. Das Böse bekommt ein Gesicht. Es wird in einer unglaublichen Stärke dargestellt und wirkt deshalb auch so gut. All das ist auch im christlichen Glauben verankert und harmoniert deshalb mit vielen Aussagen in Metal-Songs. Insofern glaube ich, dass Metaller deshalb so gechillt sind, weil sie durch das… Mehr
C.S. Lewis hatte in seinem Schlafzimmer das berühmte Fotonegativ (was in Wirklichkeit das Positiv ist) von Jesus Gesicht vom Turiner Grabtuch an der Wand.
Tip für anspruchvolle Hörer: The Neal Morse Band! Die Texte sind zwar sehr jesusmäßig, dafür entschädigt die musikalische Qualität aber für jede textliche Schwiemeligkeit. Außerdem ist’s in Englisch, welches man ja nicht unbedingt simultan übersetzen muß. Um auf den Geschmack zu kommen: auf YouTube mal nach „Morsefest“ suchen!
Mel Gibsons „The Passion of the Christ“ von 2004 hatte eine weltweite Wirkung und wurde von den Anti Christen entsprechend bekämpft.
Dieses Jahr sollen die Dreharbeiten zu der Fortsetzung, die Auferstehung, beginnen.
Laut Gibson soll es ein Monumentalwerk werden, das auch die Geschichte der Apostel beinhaltet.
Wir brauchen wieder mehr WASP statt Woke. Viel mehr. Dringend.
Der Ritterschuh ist doch was für Whimps. Willste harten, christlichen Metal hören, dann leg TOURNIQUET auf. (um mal eine von vielen, allerdings auch eine ganze besondere -weil besonders gute- christliche Metal-Band zu nennen)
Danke für diesen Artikel! Aber gleich eine Korrektur: Heavy Metal ist kein Pop und damit keine Popkultur. Im Gegenteil: Metal ist quasi so etwas wie die immer noch praktizierte ursprüngliche Kultur derer, die die Römer damals Germanen nannten. Also aller Volksstämme, die sich nördlich der Alpen herumtrieben. Also alles von Skandinavien runter über Deutschland und die Britischen Inseln, mit Ausschlenkern nach West- , Ost- und ein wenig Südeuropa. Funktioniert auch bei dem europäischen Teil der Amis wunderbar. Darum ist das als Musikrichtung auch nicht kaputt zu kriegen und immer irgendwie in irgendeiner Art präsent. Die tragen nicht ohne Grund alle… Mehr
„Heavy Metal ist kein Pop und damit keine Popkultur. Im Gegenteil: Metal ist quasi so etwas wie die immer noch praktizierte ursprüngliche Kultur derer, die die Römer damals Germanen nannten.“ Also Volksstämme, die die Römer von den Bäumen geholt haben.
Elmar …wenn man keine Ahnung hat, dann sollte man einfach schweigen und schon garnicht schreiben.
also mehr Richard Wagner?
Wieso kleben eigentlich alle immer so an Wagner, wenn es um klassische Musik geht? Da gibt es doch auch noch andere.
Mir persönlich gefällt Beethoven eigentlich mehr, weil es da nicht immer so schwermütig zur Sache geht.
Den gleichen falschen Unsinn hat Hitler damals auch erzählt und bestand darauf, dass sich die Wehrmacht nicht an den eigenen germanischen Wurzeln, sondern an den damaligen römischen Legionen des alten Roms orientierte. Also an genau den römischen Legionen, die die alten Germanen damals erfolgreich aus unserem Land vertrieben hatten… 😉 Hitler hatte ein großes Maul, aber weder militärisch noch historisch irgendwas auf der Pfanne. Darum war Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg auch komplett zerbombt und zweigeteilt. Das sollte uns nicht noch mal passieren. Man verteidigt sein eigenes Land nicht auf Basis eine fremden Kultur, sondern auf Basis der eigenen! Ich… Mehr
Interessant, so habe ich die Metaller noch nie gesehen; bin selbst kein Fan handgemachter Musik. Aber Hand aufs Herz, gilt das im Artikel und auch in Ihrem Kommentar gesagte nicht für jede Musik, die tieferen Sinn vermittelt? Denken Sie an VNV Nation, einem Vorreiter des aus dem EBM, Techno, Industrial, und Synth Pop entstandenen Futurepop. Seit bald 30 Jahren dabei, und immer wieder kommt Ronan Harris zu ganz und gar nicht „poppigen“ Fragen des Seins zurück. Oder an Die Lakaien, wenn Sie es gothiger/experimenteller mögen. Oder Wolfsheim, wenn es synthiger sein soll. Oder Dernière Volonté, wenn martialischere Elektroklänge Ihr Ding… Mehr
Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Ich persönlich habe es weniger mit Elektroklängen, weil mir da die die analoge Unschärfe einer schwingenden Gitarrenseite auf einem Korpus aus natürlich gewachsenem Holz fehlt. Ein Synthesizer ist in der Tonbildung einfach zu modern und zu präzise für meine Ohren. Kombiniert funktioniert das bei mir aber durchaus. Lässt man die (verzerrten) Gitarren jedoch weg, klingt es für mich zu leblos und zu glatt. Aber das darf natürlich jeder so sehen wie er oder sie möchte. Wo ich noch dabei bin, wären die alten Sachen von früher, wie Tangerine Dream zum Beispiel. Einfach weil das wegen der… Mehr
Schauen Sie sich mal Aufnahmen vom letzten Wacken an. Pop und Kommerz in Reinform. Das Publikum ist auch nicht mehr wirklich „true“.
Ich bin seit 40 Jahren Metaller und schaue Wacken jedes Jahr im Livestream. Was Sie da schreiben kann ich nicht im Ansatz bestätigen.
Dass Metal heute musikalisch in der Bandbreite etwas umfassender und geschliffener ist als früher, stimmt wohl. Aber wer meint, das wäre das selbe wie Lady Gaga, Justin Bieber oder Taylor Swift, hat mit Sicherheit irgendwas falsch verstanden.
Und die alten ungeschliffenen Acts von früher spielen auf Wacken ja immer noch neben den modernen und etwas polierteren. Die spielen ja auf etlichen Bühnen zeitgleich. Man muss sich nur das raussuchen, was einen interessiert.