Wenn „sichere Banken“ wanken – Deutschlands Genossenschaftssektor droht Vertrauenskrise

Sie galten als Fels in der Brandung. Nun reißen Deindustrialisierung, Wirtschaftsschwäche, Skandale, Fehlspekulationen und Betrug Risse ins Genossenschaftsmodell. Zweifelhafte Kredite etwa für Bordelle und Immobilienwetten belasten manche „Bank vor Ort“.

picture alliance / CHROMORANGE | MPfoto71

Sie galten als Inbegriff von Stabilität, Nähe und regionaler Verantwortung – jetzt erschüttern Verluste, Skandale und dubiose Geschäfte das Fundament der Genossenschaftsbanken. 700 Institute mit 15 Millionen Mitgliedern bilden seit Jahrzehnten eine Säule des deutschen Kreditwesens. Doch der einstige Garant für Bodenständigkeit steht unter Druck: Im System der Raiffeisen- und Volksbanken geraten kleinere Banken zusehend ins Wanken und Ausfälle häufen sich.

„Der letzte sichere Hafen bekommt Risse. Jetzt wackelt ausgerechnet das Rückgrat des deutschen Bankensystems. 2026 wird wirtschaftlich episch“, schreibt aktuell der bekannte Wirtschafts-Blogger Emanuel Böminghaus auf X zum Thema Genossenschaftsbanken. Es mag übertrieben sein. Aber zunehmend belastet die schwächelnde Konjunktur das Kerngeschäft. Besonders der Mittelstand, traditionell wichtigster Kunde, bremst bei Investitionen. Nur noch 63 Prozent der Unternehmen wollen laut einer Verbandsumfrage innerhalb der kommenden sechs Monate investieren. Die Pleitewelle im Mittelstand belastet auch die kreditgebenden Banken. Die Folge der Inverstitionszurückhaltung: Das Kreditvolumen schrumpft – und manche Institute suchen riskante Auswege, etwa über spekulative Investments, berichtet das Nachrichtenmagazin Focus.

Prominentestes Beispiel ist die Volksbank Dortmund-Nordwest: Sie verlor 280 Millionen Euro durch Fehlinvestitionen in Immobilien. Das Eigenkapital reichte nicht, der Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken (BVR) musste mit 134 Millionen Euro einspringen. Auch die Volksbank Düsseldorf-Neuss geriet in Turbulenzen – diesmal durch internen Betrug: Eine Mitarbeiterin soll etwa 100 Millionen Euro veruntreut haben. Der BVR-Sicherungsfonds, geschaffen zur „vorsorglichen Stabilisierung“, musste erneut eingreifen. Dieser Sicherungsfonds wird von allen Mitgliedsbanken getragen; Ausfälle belasten damit reihum. In der konsolidierten Jahresbilanz der genossenschaftlichen Finanzgruppe führten die Stützungsaktionen bereits 2024 zu einem Anstieg der Risikovorsorge um fast das Dreifache auf 4,87 Milliarden Euro. Das Vorsteuerergebnis sank dadurch um ein Viertel auf 10,8 Milliarden Euro. Bislang kann das eigene Netz also die Verluste auffangen. Doch es geht reihum.

Kauf von Bordellen, Kreditvergaben im Profi-Fußball

Noch drastischer zeigt sich die Krise im Fall der VR-Bank Bad Salzungen. Einst eine stabile Regionalbank, verspekulierte sie sich in abenteuerlichen Geschäften – vom Kauf und der Vermietung von Bordellhäusern in Oberhausen bis zu riskanten Kreditvergaben im Profifußball. Ermittlungen wegen Untreue und Misswirtschaft laufen seit Jahren. Ende 2023 griff die Finanzaufsicht hart durch: Der komplette Vorstand wurde abgesetzt, der Aufsichtsrat trat zurück. Zwei Sonderverwalter übernahmen die Kontrolle und entdeckten Verluste von insgesamt 280 Millionen Euro. Die Bank wurde zur Sanierung gezwungen – mit drastischem Stellenabbau und massiver Bilanzverkürzung.

In Bayern wiederum müssen Genossenschaftsbanken mehr als 100 Millionen Euro aufbringen, um den Beinahe-Kollaps der Agrargenossenschaft BayWa abzufedern, die sich mit globalen Investitionen in Windparks und Obstplantagen übernommen hat.

Branchenkenner sehen dahinter mehr als Einzelfälle. „Der Genossenschaftssektor leidet an struktureller Selbstzufriedenheit“, urteilt ein Berliner Finanzexperte. Frühwarnsysteme hätten versagt, zu stark vertraue man auf die Solidarität des Sicherungsfonds. Dieser funktioniere zwar, schaffe aber ein gefährliches Sicherheitsgefühl – ein klassischer Moral Hazard.

Der Bundesverband BVR reagiert inzwischen mit Reformplänen: stärkere Eingriffsrechte, erweiterte Kontrollmechanismen und verpflichtende Risikoanalysen. Doch ob das reicht, ist fraglich. Das einst unerschütterliche Vertrauen in die „Bank vor Ort“ könnte angeschlagen sein. Und während die Verantwortlichen über Reformen diskutieren, wächst unter Sparern und Mitgliedern die Angst, dass die Genossenschaftsbanken ihre Unschuld längst verloren haben. Was in Zeiten der laufenden Konjunktur weggesteckt werden konnte, bricht jetzt gnadenlos auf. Systemische Risiken entstehen, wenn beispielsweise rund um die Automobilstandorte die Arbeitslosigkeit steigt – und Immobilienkredite nicht mehr zurückbezahlt werden können.

Gerade die Volksbanken leiden dann unter dem, was man „Klumpenrisiko“ nennt: zu viele faule Kredite in einer Region. Die regionale Verwurzelung, bislang eine Stärke, kann für die Banken in den betroffenen Regionen gefährlich werden. Einst blühende Regionen wie Stuttgart, Ingolstadt, Wolfsburg, Braunschweig geraten in den Abwärtsstrudel. Dazu kommt das Heizungsgesetz, das schrittweise in größeren Städten Wirkung entfaltet: Es setzt Immobilienbesitzer unter massiven Druck – und in der Folge auch die Banken. Viele bislang „sichere“ Immobilien werden entwertet. Es ist längst eine giftige Mischung entstanden, die brutale Deindustrialisierung setzt sich über Arbeitslosigkeit und Immobilienkrise in die Bankbilanzen fort.

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Kommentare ( 32 )

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alter weisser Mann
5 Stunden her

Im Grunde hört man etwa jedes zweite Jahr von einer Volks-Raiffeisenbank, die sich mehr oder weniger heftig elegant in die Kurve legt.
Lerneffekt der nächsten Vorstände in der Reihe = NULL, man überblickt solche Geschäfte doch ganz klar besser als der gescheiterte Kollege.

Aufgewachter
5 Stunden her

Das Thema könnte man 1:1 auf die Sparkassen übertragen, allerdings bin ich der festen Überzeugung das unser Bankenwesen inkl. VR Banken und Sparkassen unserem Land deutlich besser hilft als wenn sich eine handvoll Großbanken den Kuchen aufteilen würden.
VR Banken und Sparkassen sind definitiv ein Dorn im Auge der EU mit ihrer Regulierungswut, weil sie schwerer zu kontrollieren und unabhängiger in ihren Entscheidungen sind.
Ich hoffe unser Bankenwesen bleibt uns noch sehr lange erhalten.

Last edited 5 Stunden her by Aufgewachter
alter weisser Mann
5 Stunden her
Antworten an  Aufgewachter

„VR Banken und Sparkassen sind definitiv ein Dorn im Auge der EU mit ihrer Regulierungswut, weil sie schwerer zu kontrollieren und unabhängiger in ihren Entscheidungen sind.“
Von was träumen Sie sonst noch? Letztlich sorgen da spätestens die eigenen Verbände für entsprechende Eichung und Durchsetzung der EU-Regeln, wenn der Vorstand das nicht um seines Überlebens willen tut..

Kampfkater1969
7 Stunden her

Ich muss vorausschicken, dass ich ein VR-Gewächs bin. Meine Frage ist aber, ist es richtig mit dem Finger auf die VR-Banken zu zeigen? Diese Banken haben Rechenzentrum geschaffen, modernst und effektiv, wovon andere nur träumen. Inzwischen nehmen auch immer mehr NICHT-VR-Banken die IT-Dienstleistungen der Atruvia AG in Anspruch. Wir waren den Sparkassen immer um Jahre voraus. Wie dem auch sei, wer von einer Krise bei den VR-Banken spricht, verkennt in meinen Augen die Lage. Solche Krisen suchen auch andere Banken heim. So kann man als Beispiel die Deutsche Bank unter Ackermann anführen, die Dresdner Bank, die mit der Commerzbank fusionierte,… Mehr

verblichene Rose
7 Stunden her

Ist es nicht überhaupt ein Wunder, daß sich solche „Bankhäuser“ so lange halten konnten? Immerhin macht auch dort der digitale Fortschritt nicht halt und wer heute ein Konto hat, der macht ohnehin schon 3/4 des Service selber, wobei zuletzt die Gebühren trotzdem nur eine Richtung kannten, nämlich nach oben. Dennoch glaubten und glauben nicht wenige Schlipsträger, daß es immer so weiter geht mit den ruhigen, aber sehr gut bezahlten Jobs. Wenn aber bereits 280Millionen Euro eine Schieflage bedeuten, ist wohl gerade in diesem Wirtschaftszweig alles ziemlich auf Kante genäht, oder? Warum sollte ich deswegen beunruhigt sein, oder gar Mitleid haben?

roffmann
9 Stunden her

Zu Expansionszeiten wurde bei den Bauernbanken jeder aus der eigenen Verwandtschaft eingestellt , der einen Bleistift halten konnte. Daran sind sie dann erkrankt .

Last edited 9 Stunden her by roffmann
Charivari
9 Stunden her

Mir hat die Volksbank, bei der ich Kundin war, 2016 trotz Sicherheiten keinen Zwischenkredit gewährt, weil ich mich scheiden ließ und sie an alleinstehende Frauen grundsätzlich keine Kredite vergeben……

Siggi
10 Stunden her

Die Handlanger des Linksextremismus schaffen Fakten. Erst wurden Millionen von Inkompatiblen ins Land geholt, dann die Energiewirtschaft nahezu zerstört, dann die Wirtschaft und nun sind die Banken dran. Und die Altparteien haben nichts besseres zu tun, als das mit allen Mitteln und unserem Geld zu unterstützen. Deshalb muss jetzt Schluss sein, mit dieser Politik gegen das eigene Volk und gegen das eigene Land. Jede Maßnahme gegen diese Verbrecher ist durch den Artikel 20 Abs. 4 des GG gedeckt. Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz (GG) garantiert das Widerstandsrecht: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht… Mehr

Last edited 10 Stunden her by Siggi
Nibelung
11 Stunden her

Das sind teilweise Typen von der ganz üblen Sorte und sind allenfalls Schönwetter-Begleiter wenn es mal gut läuft oder eine gute Bürgschaft mit besten Sicherheiten vorliegt und von Risiko haben sie noch nie etwas gehört und allenfalls sich am Gut anderer bemächtigt haben, wenn es was zu holen gab und sich dann am Aufschlag bereichert haben und wahrlich nichts mit fachlicher Begleitung zu tun hat, von dem sie in in vielen Fällen ehedem nichts verstehen. Anderen haben sie dann vorgeworfen seinen Verpflichtungen nicht nachzukommen, ohne vorher zu fragen, warum es so ist und jedem Anfänger eine Chance geben, während sie… Mehr

Michael W.
11 Stunden her

Die Volksbanken waren schon immer ein komischer Verein. Das ist keine geschlossene Kette wie Aldi mit seinen Filialen, sondern eher wie Edeka. Das sind keine Filialen, sondern jeweils eigene Banken. Schon früher flogen die reihenweise mit faulen Krediten (vor allem bei Imobilien) auf, weil deren Direktoren auch mal ganz oben mitspielen wollten.

Kuestensegler
12 Stunden her

Was macht die VR-Bank Bad Salzungen im gut 300 km entfernten Oberhausen? Das hat nichts mit Risikostreuung zu tun, sondern mit Großmannsucht. Wie auch bei manchen Sparkassen führt die Missachtung des Regionalprinzips häufig zu überraschenden Kreditausfällen, weil die Kenntnisse über die Verhältnisse vor Ort fehlen – ebenso wie das Wissen um den Marktwert einer Fußballmannschaft.