Steinmeier wird Bundespräsident

„Wer kämpft, kann verlieren; wer nicht kämpft, hat schon verloren“ ist durch den Kotau der Union vor der SPD bestätigt. Die kaum noch kampagnenfähige Union mutiert zum Juniorpartner der SPD. Man kann auch sagen: Die Selbstverzwergung geht weiter.

© Sean Gallup/Getty Images

Jetzt ist es raus: Frank-Walter Steinmeier wird der nächste Bundespräsident. Der Noch-Außenminister kann sich seiner Wahl sicher sein: CDU, CSU und SPD verfügen in der Bundesversammlung über 930 der 1.260 Stimmen. Auch wenn mancher Unionsmann nicht für Gabriels Mann stimmen wird, so darf der Kandidat auch auf Zustimmung aus dem Lager der Grünen rechnen. Gut möglich, dass sich auch die FDP durch eine entsprechende Stimmabgabe für eine „Ampel“ empfiehlt.

Und das ist die Lage:

1. Steinmeier „kann“ Präsident. Er ist bei der Bevölkerung weit über die SPD hinaus angesehen und beliebt, im Ausland respektiert. Das sind wichtige Voraussetzungen für den neuen „weltlichen Oberpriester“ im Schloss Bellevue, wie der Historiker Hans-Peter Schwarz das Präsidentenamt definiert hat.

2. Die großen Sieger heißen Sigmar Gabriel und SPD. Die Gespräche über einen gemeinsamen GroKo-Kandidaten waren von Gabriel nie ernst gemeint. Er wollte Steinmeier; deshalb droht er zwischenzeitlich mit einer rot-rot-grünen Kandidatin.

3. Jede Bundespräsidentenwahl – auch die am 12. Februar 2017 – ist eine parteipolitische Machtprobe. Die SPD rangiert im Bund bei 22 Prozent; in vielen Ländern liegt sie hinter Die Linke und AfD auf Platz 3 oder 4 – mit deutlich weniger als 20 Prozent. Aber die Bundespräsidentschaft wird ihr auf dem Tablett serviert – einem schwarzen mit weiß-blauem Rand.

4. Der strategische Vorteil der SPD mit Blick auf die Bundestagswahl liegt darin, dass mit der Wahl Steinmeiers keineswegs die Fortsetzung der GroKo angebahnt wird. Denn die SPD legt sich nicht fest: Sie nimmt die Unterstützung von CDU und CSU gnädig an – ohne jede Gegenleistung: „Ihr wählt unseren Kandidaten, weil er einfach der beste ist.“ Die Option Rot-Rot-Grün wird durch die Wahl Steinmeiers nicht verbaut. Die Präsidentschaft mit Hilfe der Union und das Kanzleramt mit Hilfe von Grünen und Linken? Darin mag mancher einen Widerspruch sehen; Gabriel sicher nicht.

5. Mit der Wahl Steinmeiers startet die SPD mit einem Etappensieg in das Wahljahr 2017. Überparteilichkeit hin, Überparteilichkeit her: Die Genossen werden „ihren“ Präsidenten in Szene zu setzen wissen, schon vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Steinmeier wird mitmachen; er weiß ja, wem er das neue Amt verdankt.

6. Der SPD gelingt – mit Hilfe der Union – zudem noch eine personelle Rochade. Für Steinmeier wird wohl Martin Schulz von Brüssel nach Berlin wechseln. Damit gewinnt die SPD einen ausgesprochen guten Wahlkämpfer für die Wahlschlacht 2017, vielleicht sogar einen Kanzlerkandidaten mit Amtsbonus.

7. Die großen Verlierer heißen Angela Merkel und CDU/CSU. Sie haben sich von Gabriel & Genossen über den Tisch ziehen lassen. Wie schon so oft seit 2013 fügt sich die CDU/CSU der SPD. Motto: Solange wir die Kanzlerin stellen, kommt es auf Inhalte nicht so an. Mindestlohn, Mietpreisbremse, Rente mit 63 – und jetzt eben Steinmeier.

8. Angela Merkel hat es offenbar versäumt, Norbert Lammert rechtzeitig die Kandidatur anzutragen. Der Bundestagspräsident wäre wohl angetreten, wenn er rechtzeitig gebeten worden wäre. Jedenfalls war das Verhalten der Kanzlerin in dieser Frage nicht glücklich – und schon gar nicht alternativlos. Dass es in ganz Deutschland keinen Mann und keine Frau geben soll, die Steinmeier das Wasser reichen können, glaubt wohl niemand.

9. Die CDU hat nichts riskiert. Diese Schwäche hat Gabriel geschickt genutzt. Vor allem fehlt der CDU/CSU der Mumm, mit einem eigenen Kandidaten oder einer eigenen Kandidatin anzutreten, und es im dritten Wahlgang darauf ankommen zu lassen. Hätte die SPD dann auf das „breite Linksbündnis“ gesetzt, hätten die Wähler wenigstens Klarheit gehabt, was sie nach der Bundestagswahl zu erwarten haben. Dass Merkel das Gabriel erspart, ist unverständlich.

10. Der Satz „Wer kämpft, kann verlieren; wer nicht kämpft, hat schon verloren“ ist durch den Kotau der CDU/CSU vor der SPD bestätigt worden. Die kaum noch kampagnenfähige CDU/CSU mutiert zum Juniorpartner der SPD. Man kann auch sagen: Die Selbstverzwergung geht weiter.

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