Norbert Bolz: „Sie sehen sich in einem kulturellen Bürgerkrieg“

Der Kommunikationstheoretiker Norbert Bolz über die Angriffe auf TE, Endkampf-Journalismus – und die Hoffnung auf intelligente Linke.

TE: Professor Bolz, wie haben Sie die Angriffe auf „Tichys Einblick“ und seinen Herausgeber wegen eines satirisch gemeinten Satzes über eine SPD-Politikerin wahrgenommen?

Norbert Bolz: Soviel ich weiß, stammt der Text, um den es geht, nicht von Roland Tichy selbst. Wenn es sich wirklich um einen eklatanten Fehler handelt – was bei diesem satirischen Text eher nicht zutrifft – kann man es so skandalisieren, indem man den Herausgeber eines Magazins persönlich dafür haftbar macht. Aber in diesem Fall sieht wohl jeder denkende Mensch den Versuch, die Bemerkung über eine Politikerin als Vorwand zu benutzen, um ein Medium in die Knie zu zwingen, das regierungskritisch ist und offenbar ein weites Publikum findet.

Hat es Sie erstaunt, dass dieser eigentlich kleine Anlass zu diesem Mediensturm führt?

Die Reaktion hat Symbolcharakter. Sie wird von vielen – von mir übrigens auch – als Versuch wahrgenommen, jemand, den man ohnehin ablehnt, einen Denkzettel zu verpassen.

Ob nun gelungen oder missglückt – wenn es um Satire geht, bricht in Deutschland neuerdings öfter erbitterter Streit aus. Muss bestimmten Leuten vielleicht erklärt werden, was für eine Textsorte Satire ist?

Satire – oder wie es bei Grabbe heißt: „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ – wird in weiten Teilen der Medienöffentlichkeit mittlerweile nach Parteizugehörigkeit beurteilt. Es ist evident, dass auf der linken Seite jeder alles machen kann, während die gleichen Leute auf jede Satire der konservativen oder nichtlinken Seite mit Wut reagieren. Denken Sie daran, wie der Kabarettist Dieter Nuhr für seine Bemerkung über Greta Thunberg und Fridays For Future angegriffen wurde. Wenn man sich anhört, was Nuhr tatsächlich gesagt hat, dann kommt man als halbwegs normaler Mensch gar nicht mehr aus dem Staunen heraus. Dazu bräuchte er eigentlich gar nicht den Vorbehalt der Satire- oder Meinungsfreiheit. Das ist schon vom gesunden Menschenverstand gedeckt. Und auf der anderen Seite schlägt Jan Böhmermann alles, was es auf der publizistischen rechten Seite gibt, bis hin zu Gewaltaufrufen…

… beispielsweise, wenn etwa Böhmermann ins Spiel bringt, „irgendjemand sollte Dieter Nuhr die Fresse polieren“.

Ja, zum Beispiel. Das ist ein so offensichtliches Messen mit zweierlei Maß.

Jan Böhmermann hat gerade seine gesammelten Tweets als Buch herausgegeben. Erstaunlicherweise verkauft sich das Werk.

Dumm ist der Typ nicht. Auch der Titel seines Buchs ist geschickt gemacht. Ich glaube, das ist ein Buch von der Sorte, das Leute vor allem anderen schenken. Es funktioniert als eine Art Gesinnungstest: Damit steht man auf der richtigen Seite.

Andere Bücher scheinen als Gegenmodell zu funktionieren.

In der Tat, bei einem Bestsellerautor wie Thilo Sarrazin ist nach der Überzeugung dieser guten Leute jedes Wort nazi. Ich bin übrigens sehr spät ein Leser von ihm geworden. In seinem neuen Buch hab‘ ich nicht ein einziges Wort gefunden, das den sozialen Boykott rechtfertigen würde, der an dem Autor versucht wird.

Bemerkenswert fand ich, dass bei dem Ausschlussverfahren aus der SPD Sarrazin den SPD-Generalsekretär Klingbeil aufgefordert hatte, ihm doch einen Satz aus seinem Buch zu nennen, der dessen Vorwürfe belegt. Und Klingbeil konnte keinen Satz zitieren, sondern nur sein ganz allgemeines Urteil wiederholen, das Buch sei rassistisch.

Erinnert an das Verdammungsurteil eines sowjetischen Genossen: ‚Ich verurteile die Werke von Boris Pasternak – und würde diesen Schund nie lesen’. Sind Sie selbst schon einmal mit solchen Glaubenswahrheiten konfrontiert worden?

Mir ist das vor einiger Zeit passiert, in dem Talk im Hangar 7 im österreichischen Servus TV. Dort hatte sich ein Vertreter des Magazins „Falter“ erst über Populisten erregt, die immer sagen würden: ‚ich habe gehört, dass …’, dann aber weder Quelle noch ihre Behauptung wiederlegen können – und trotzdem bliebe immer etwas hängen. Unmittelbar danach versuchte er mich ins rechte Eck zu schieben und behauptete, ich würde in meinen Tweets radikales Gedankengut verbreiten. Ich hatte ihn gebeten, einen Tweet von mir zu zitieren, für den das zutrifft. Und er konnte mir nicht einen einzigen nennen. Er hatte also genau das betrieben, was er den angeblichen Populisten vorwarf.

Vielen Medien mit guter Haltung geht es schlecht. Der Spiegel-Ableger bento wurde gerade eingestellt, bei der Süddeutschen müssen 10 Prozent der Belegschaft gehen. Bewirkt möglicherweise der ökonomische Hebel, dass Redaktionen umdenken und weniger Erziehungsjournalismus liefern?

Das wäre eigentlich ein Grund für Hoffnung, wenn die Redaktionen aus Gründen der wirtschaftlichen Vernunft die Notbremse ziehen würden, um nicht immer tiefer in diese ideologische Konfrontation zu geraten. Aber vor allem die jüngeren Mitarbeiter in vielen Medien sehen sich in einer Art kulturellem Bürgerkrieg. Da spielen wirtschaftliche Überlegungen keine Rolle. Dazu kommen noch die Planspiele, ob nicht der Staat die so genannten systemrelevanten Medien mit Steuergeld retten sollte

Der Stern hat eine Ausgabe gerade von Aktivisten von Fridays For Future gestalten lassen. Wie deuten Sie das als Medientheoretiker? Machen sich Redaktionen jetzt überflüssig?

Ich finde das sagenhaft – aber auch ehrlicher, als es die meisten anderen sind. Die Stern-Redaktion sagt damit ganz offen: Wir verabschieden uns von der alten journalistischen Distanz, wir zeigen Haltung beziehungsweise den „werteorientierten Journalismus“, wie es der WDR-Redakteur Georg Restle einmal genannt hat. Nach dieser Logik ist ein Journalist nicht mehr Beobachter, sondern Partei im Endkampf gegen Rechts beziehungsweise für die Rettung der Welt.

In den USA findet mittlerweile die Etablierung neuer interessanter Medien statt, die die Korrektheit der meisten Etablierten durchbrechen – etwa „Persuasion“, gegründet von dem Linksliberalen Yascha Mounk. Gibt es solche Ansätze auch in Deutschland?

Darin liegt meine Hoffnung, dass es auch in Deutschland intelligente Linke gibt, etwa Nils Heisterhagen oder Bernd Stegemann, die sich öffentlich äußern, weil sie nichts mit dem Schwachsinn zu tun haben wollen, der im Namen der Linken verbreitet wird. Ich glaube nicht, dass es in Deutschland je eine Meinungsführerschaft der konservativen Publizistik geben wird. Aber es würde sich etwas ändern, wenn auch Linksliberale sich stärker als Alternative zu den Haltungskämpfern äußern.

Auf der Seite der orthodoxen Linken sehe ich keinen einzigen Autor, der interessant wäre. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass dieser intellektuelle Bürgerkrieg mit dieser nur noch um sich schlagenden Linken auf Dauer geführt werden kann.

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Kommentare ( 127 )

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bfwied
3 Jahre her

„Intellektueller Bürgerkrieg“ – ich denke, dass das ein Versprecher ist! Mit intellektuell hat das nicht das Geringste zu tun, mit intelligent ganz sicher auch nicht, und auch nicht mit Anstand, sondern ausschließlich mit Dummheit des Hexenwahns zw. 1550 und 1650 und Propaganda.
Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass es in absehbarer Zukunft keine konservative, d. h. Meinungsführerschaft der Vernunft geben wird, weil die Dummheit mit ihrer Unlogik, ihren Brüchen, ihrer Willkür, ihrem Glauben immer brutal vorgeht, ganz anders als die Intelligenz. Intelligenz ist der Gewalt der Dummheit immer ausgeliefert.

rolf
3 Jahre her

„intelligente Linke“ … ( ein krasser Widerspruch! ).
Schon Gauss hat mit seiner Normalverteilung klargestellt, dass es eine „Linke“ Seite und eine „Rechte“ Seite gibt!

Detlev Schmidet
3 Jahre her

Lieber Norbert Bolz. Man sollte niemals nie sagen. In wenigen Jahrzehnten wird sich Deutschlands Antlitz dermaßen verändert habe das ich grunsätzlich vieles für möglich halte. Da ist eine konservative Meinungsführerschaft der dann überwiegend orthodoxen und gläubigen Einwohner des Landes noch das eher weniger unwahrschweinliche.

Kassandra
3 Jahre her
Antworten an  Detlev Schmidet

Den nicht zu umgehenden „Wandel“ dahin haben viel zu wenige Menschen auf dem Schirm. Damit ist dann die ganze Aufklärung mit ihren Errungenschaften innerhalb kürzester Zeit, forciert durch Merkels Grenzöffnung und die täglichen ungezählten Einreisen, für die hier gebliebenen Europäer perdu.

Wolf Koebele
3 Jahre her

Ich werde auf Werbung für die SZ im Bayerischen Rundfunk aufmerksam gemacht (BR2 vor halb acht in der Früh), worin sich die SZ ihres vorzüglichen Mutes rühmt. Da ich ÖR nicht empfange, könnte bitte jemand diesem Hinweis nachgehen? Womöglich tut das die SZ sogar mit Steuer- bzw. GEZ-Geldern? Würde der BR eine Werbung akzeptieren, in der sich einer seines Mutes deshalb rühmt, weil er widerspricht, weil er selber recherchiert, weil er selber denkt? Eher nicht, da verzichtet ein ÖR lieber auf die Einnahmen.

Gruenauerin
3 Jahre her

Medial sind wir schon lange in der DDR angekommen. Der kleine Unterschied ist, dass man noch ein paar alternative Medien hat, die die Funktion des Blitzableiters spielen dürfen und außerdem als warnendes Beispiel hingestellt werden können. In dieser Beziehung hat man von der DDR gelernt. Zur Not kann man auch noch mitlesen und damit eruieren, wer nichts mit Merkel und Co. am Hut hat. Das geht am besten bei den Medien, bei denen man sich anmelden muss. Aber, wer lässt sich schon einschüchtern?

kasimir
3 Jahre her
Antworten an  Gruenauerin

@Liebe Gruenauerin: Ja, das stimmt. Aber was derzeit in Deutschland in den Medien abgeht, finde ich viel heuchlerischer! Habe selbst meine Kindheit (bis zur Ausreise) in der DDR verbracht und es wurde immer nur eine Meinung akzeptiert („die Partei hat immer recht“). Jetzt generieren sich die Medien langsam zum Staatsfunk, es gibt wieder nur eine zulässige Meinung. Der Unterschied zur DDR ist jedoch, daß die Presse und öffentlich-rechtlichen Fernsehsender so tun, als gäbe es noch eine Meinungsfreiheit in Deutschland. Dabei weiß jeder daß, wenn er eine abweichende Meinung vertritt, sei sie auch noch so wahr, mit Konsequenzen rechnen muß. Das… Mehr

Gruenauerin
3 Jahre her
Antworten an  kasimir

Danke für Ihre Ergänzung. Ich gebe Ihnen im vollen Umfang recht. Ich persönlich finde es hier auch viel schlimmer als es je im Osten war, zumindest in meiner individuellen Sichtweise. Ich frage mich manches Mal, warum ich überhaupt zur Montagsdemo gegangen bin. Übrigens, Freundschaften, die aufgekündigt werden, nur weil man eine andere Meinung vertritt, sind keine wirklichen Freundschaften. Das mag am Anfang weh tun, aber auf solche Freunde kann man gut und gern verzichten – Schönwetterfreunde.

Boris G
3 Jahre her

Leider zieht es weder in die Politik noch in den Journalismus die Klügsten eines Jahrgangs. Wenn überhaupt wird mit einem mäßigen Abitur (früher guter Realschulabschluss) einige Semester Geistes-„wissenschaft“ studiert und dann irgendein Einkommen außerhalb des zu anspruchsvollen Wissenschaftsbetriebs gesucht. Viele sind emotional instabil und vagabundieren.

Kassandra
3 Jahre her
Antworten an  Boris G

Nun ja. Kopfnoten sind großteils abgeschafft. Und wer weiß noch, was Primär- oder Sekundärtugenden sind?

Robert S.
3 Jahre her
Antworten an  Boris G

Ich befürchte, dass ist das Hauptproblem – wahrscheinlich noch dadurch verschärft, dass die Qualität der Bildung mutmaßlich allgemein nachgelassen hat.
Und dann dürften wir auch noch einen Braindrain haben, weil der Pillenknick vor allem von den intelligenteren, gebildeteren vollzogen wurde.
Medial jedenfalls ist Deutschland verdummt und es geht weiter.

StefanB
3 Jahre her

Ob der „Linksliberale“ Yascha Mounk wirklich so intelligent ist, wo er noch im Jahr 2019 von „Wir“ spricht, wenn es um ein „historisches einzigartiges Experiment“ geht, eine „monoethnische, monokulturelle Demokratie in eine multiethnische zu verwandeln?*
Ich habe da so meine Zweifel.

*https://youtu.be/GGsZXi-wib0

RHU
3 Jahre her
Antworten an  StefanB

Als ich den Namen Yasha Mounk im Zusammenhang mit „… in den USA findet mittlerweile die Etablierung neuer interessanter Medien statt, die die Korrektheit der meisten Etablierten durchbrechen – etwa „Persuasion …“ las, glaubte ich auch an einen schlechten Scherz des Herrn Wendt. Ich hoffe, es war wirklich einer. Auch der der Titel der Postille klingt nicht sonderlich vertrauenerweckend. Kreidefressende rote Wölfe gibt es schon genug.

Uwe Jacobs
3 Jahre her

Ja. genau so ist es!

Karli
3 Jahre her

Der kulturelle Bürgerkrieg schwelt schon lange und hat mindestens seit dem Mohrenkopf-Gedöns so richtig angefangen. Nun sollen Straßen umbenannt und alles und jedes auf Genderkonformität überprüft werden. Erinnern wir uns an den Hype um die Gomringer-Verse? Ich glaube, mir wird übel.

Kassandra
3 Jahre her
Antworten an  Karli

Es werden auch diesmal nicht all zu viele sein, die die Richtung vorgeben.

Sophie Scholl erkannte damals schon:
„Der größte Schaden entsteht durch die schweigende Mehrheit, die nur überleben will, sich fügt und alles mitmacht.“

birgitschlattmann
3 Jahre her
Antworten an  Kassandra

Die Mehrheit, die letztendlich ihr eigenes Überleben gefährdet.Und das Leben der Menschen, die den Mut des Widerstandes in sich tragen, und unter großer Gefahr diesen zum Ausdruck bringen…..Was bleibt?

RUEDI
3 Jahre her

Dass Norbert Bolz und selbst Tichy aus den von den Bürgern per Zwangsabgabe finanzierten ÖR-Medien schon lange praktisch ausgeschlossen sind -spricht doch für sich. Dass Servus TV , ein privatfinanzierter ausländischer Sender, noch nicht völlig gleichgeschaltet ist , das die Ausnahme. Nennen Sie es beim Namen: Es ist die Herrschaft des POLITISCH- IDEOLOGISCH-MEDIALEN KOMPLEXES – einfach leicht zu merken unter PIMK. – Früher nannte man das Zentralorgane der SED, unter Führung der Partei der Arbeiterklasse und jeder Journalist wusste genau, auf welcher Seite er im Klassenkampf stehen musste. Wir sind wieder soweit. 1989 in der DDR- Da haben sich die… Mehr