Die Kindstötung in Viersen war womöglich kein Einzelfall

Über die Tatverdächtige berichten die Ermittler, dass es in der Berufslaufbahn der 25-Jährigen zu mehreren ähnlichen Auffälligkeiten gekommen war. Tötungen und Misshandlungen von Kindern sind leider nicht selten. In der Corona-Krise droht zusätzliche Gefahr.

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In einer Viersener Kita war ein zum Tatzeitpunkt zweijähriges Mädchen offensichtlich erstickt worden. Über die Tatverdächtige berichten die Ermittler, dass es in der Berufslaufbahn der 25-Jährigen zu mehreren ähnlichen Auffälligkeiten gekommen war. Ob es sich bei der Frau um eine Serientäterin handelt, muss noch ermittelt werden.

In der Kindertagesstätte Tönisvorst hatte es im Oktober 2019 bereits einen ähnlichen Erstickungsvorfall gegeben. Außerdem wird in weiteren Kitas, Krefeld und Kempten, ermittelt, ein erstes Tatgeschehen soll es bereits 2017 gegeben haben. Inzwischen sitzt die Tatverdächtige mit einem zweimaligen Mordvorwurf (1 x Versuch) in Untersuchungshaft. Wie konnten so einer „Erzieherin“ die jüngsten und schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft anvertraut werden, obwohl ihr keinerlei Mitgefühl, keinerlei Empathie, keinerlei Fähigkeiten zur Betreuung von Kindern schriftlich attestiert wurden? Ein Einzelfall? Ganz gewiss nicht!

Die Dunkelziffer an Misshandlungen in den Kindereinrichtungen darf keinesfalls unterschätzt werden. Je jünger ein Kind ist, desto gefährdeter ist es. Fachleute gehen davon aus, dass auf jeden festgestellten Todesfall ein weiterer unentdeckter hinzukommt. Auf diese Weise verschwinden in Deutschland jährlich Kinder in der Zahl mehrerer Schulklassen. Die Fallzahl für 2019 betrug 119 Kinder, die einem Tötungsdelikt zum Opfer gefallen sind, davon allein 93 Kinder unter sechs Jahren. Die Zahl der vollendeten Misshandlungen von Kindern betrug im gleichen Jahr 4.055 bekannte Opfer.

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Zur Wahrheit gehört aber auch: Kinder sind vor allem in den eigenen Familien gefährdet, die gerade durch die erteilten Corona-Einschränkungen für manche Kinder dramatische Folgen haben können. Erschreckend sind die Zahlen zum sexuellen Missbrauch (einschließlich Versuche), die erfassten Zahlen stiegen gegenüber 2018 um 9 Prozent auf 15.936 Fälle. Damit werden jeden Tag durchschnittlich 43 Kinder sexuell missbraucht. Das Dunkelfeld darf man sehr viel höher ansetzen. Eine besondere Bedeutung nimmt die Verbreitung von Kinderpornografie (+65 Prozent) ein, die selbst bei Jugendlichen untereinander (Cybermobbing) eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt.

Wie sieht es sonst in Deutschlands Kitas aus?

Selbst in Kindertagesstätten kann viel an Brutalität im Verborgenen gedeihen. Wie sollen sich die Jüngsten zu einem psychisch und physisch gesunden und belastbaren Zeitgenossen entwickeln, wenn sie in solchen Einrichtungen misshandelt werden? Im Land Brandenburg durfte eine vorbestrafte Leiterin der Kita ihr Werk der Zerstörung weiter betreiben, obwohl sie vor 15 Monaten durch ein Gericht rechtskräftig wegen Körperverletzung und Nötigung zu 5400 Euro Geldstrafe verurteilt wurde. Es soll Schläge ins Gesicht, Zwangsernährung und stundenlange Strafen im Schrank oder in der prallen Sonne gegeben haben. Vom Urteil erfuhren die Eltern erst nach mehrfachen Nachfragen bei den Ämtern. Dies ist ein Skandal in mehrfacher Hinsicht. Einem an einem Down-Syndrom leidenden Jungen wurden keine Windeln gewechselt, stattdessen kam das Kind mit einer geschwollenen Wange nach Hause. Als die Kita-Leiterin, eine umgeschulte Anlagentechnikerin, daraufhin angesprochen wurde, sei sie ausfällig geworden. Ein Kind wollte nach den Aussagen einer Mutter nicht essen, sodass die Leiterin diesem ein belegtes Brot in den Mund gedrückt habe. Immer wieder häuften sich Beschwerden der Eltern bei den Behörden, bevor die Kita geschlossen und dem Trägerverein die Betriebserlaubnis entzogen wurde. Wieviel Leid wäre Kindern erspart geblieben, wenn die Verantwortlichen zeitnah und konsequent gehandelt sowie kontrolliert hätten? Wenn danach im zuständigen Barnimer Landratsamt die Mitarbeiterinnen der Dezernentin für Jugend, Gesundheit und Soziales zu Hochform auflaufen, dürfte das vor allem mit ihrem Selbstschutz zu tun haben. Die zweite Panne erfolgte sogleich, als im Barnimer Zentrum, Eberswalde, ein fünfjähriges unterernährtes Mädchen befreit wurde, das die Familie zwei Jahre lang gefangen gehalten hatte. Bis dahin war es den Eltern immer wieder gelungen, das Landratsamt abzuwimmeln. Der Vorfall war den Behörden somit seit 2017 bekannt. Die Mitarbeiter hatten in unverantwortlicher Art und Weise darauf verzichtet, die Polizei und Staatsanwaltschaft zu informieren. Für das Mädchen wurde damit das Überleben zum Zufall. Die Polizei will jetzt prüfen, ob eine Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht oder eine Misshandlung Schutzbefohlener vorliegt. Zu einem möglichen Tatvorwurf gegen das zuständige Jugendamt äußert man sich hingegen nicht. Warum ich diesen Fall erwähne? Es kann kein Zufall sein, dass immer wieder dieselben Behörden mit denselben Verantwortlichen auffallen, wie hier bei den zwei vorangegangenen Beispielen. Untätigkeit bedeutet für Kinder Lebensgefahr.

Ähnliches passierte in Stuttgart: Dort mussten Kinder zur Strafe den Toilettenboden ablecken. Wurde nicht aufgegessen, gab es einen Schlag mit dem Kissen ins Gesicht. Außerdem wurden die Kinder durch die Leiterin und einem Azubi aufgefordert sich gegenseitig Zungenküsse zu verabreichen. Als sich die Misshandlungsvorwürfe erhärteten, leitete das zuständige Rathaus sofort ein Entlassungsverfahren aus dem Dienst ein und zeigte die Erkenntnisse bei der Staatsanwaltschaft an.

Elisabeth Ballmann, 50-jährige Pädagogin, leitet ein privates Fortbildungsinstitut in München und war deshalb in mehr als 500 Kitas. Sie berichtet, dass psychische Gewalt »in fast jeder Kita, fast jeden Tag vorkommt. Seelische Misshandlungen zum Beispiel durch Demütigen, Anschreien oder Isolieren, sind alles andere als selten. Leitsätze wie »Wie kann man nur so dumm sein?«, »Mach nicht immer so ein Theater!« oder: »Bist du so dumm oder tust du nur so?« sorgen für eine negative Konditionierung. Das Ergebnis können lebenslange Selbstzweifel, gestörte Selbstwertgefühle und Minderwertigkeitskomplexe sein. Andere typische Verhaltensauffälligkeiten sind ein versteinerter Gesichtsausdruck und die Unfähigkeit sich zu freuen, starke Zurückgezogenheit, Schlafstörungen, wenig Lust auf körperliche Bewegung, Unruhe, aufbrausendes Verhalten bis hin zu dünnhäutigen Aggressionen und Essensverweigerung. Kinder, die in der Kita Opfer sind, laufen erhöhte Gefahr, diese Rolle ein Leben lang einzunehmen. Achten Sie darauf, wenn Ihr Kind nicht gern in seine Einrichtung geht. Ein Grund dafür könnten Misshandlungen durch die Erzieher sein. Das ändert nichts an der Tätigkeit vieler aufopferungsvoller Mitarbeiter, die in den überfüllten Gruppen eine hervorragende pädagogische Arbeit leisten.


Mobbing! Ursachen, Schutz und Abhilfe
Auszug aus dem Kapitel 1.1 „Der Zusammenhang von Mobbing und Gesellschaft, Seiten 12 bis 27

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Kommentare ( 27 )

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DDD
3 Jahre her

@Jule Krause genau wegen dieser verweichlichten Einstellung sind wir mit unserem Nachwuchs da wo wir heute sind. Natürlich muss man sein Kind ordentlich erziehen, und wenn ein Kind bewusst einem auf der Nase herumtanzen will, müssen da auch mal körperliche Grenzen gezogen werden, weil sie es oft anders einfach nicht verstehen wollen. Dass man nicht mit voller Kraft ins Gesicht schlägt, versteht sich von selbst. Aber eine kleine erzieherische Backpfeife ist absolut im Rahmen des Notwendigen. @Altchemnitzer Genau diese herabsetzende Einstellung bei dir und vielen anderen ist es, die viele Leute erst zu solchen Taten motivieren. Wieso ist das Leben… Mehr

Albert Pflueger
3 Jahre her

Die einzige Erzieherin, von der derartige Sprüche seitens meiner Tochter berichtet wurden, war selbst ziemlich dämlich. Solche sind nicht in der Lage, Kindern Gründe für ihre Regeln zu verdeutlichen und behelfen sich damit, sie bloßzustellen, dem Spott der anderen auszusetzen und sie zu demütigen.

Keineswegs sind solche Methoden erforderlich, um sinnvoll Grenzen zu setzen. Dazu reicht eine freundliche, aber deutliche Ansprache ohne Herabsetzung aus.

Albert Pflueger
3 Jahre her

Es ist äußerst wichtig, daß die Eltern ihren Kindern glauben, wenn die Geschichten erzählen, die man für „unglaublich“ hält. Man muß andere Kinder befragen, mit anderen Eltern sprechen, auf keinen Fall weghören und die Sache übergehen. Schwierig wird es dadurch, daß manche Kinder sehr stark unter der Trennung von der Mutter leiden und beim“Abgeben“ Zeter und Mordio schreien, auch dann, wenn an der Kita nichts auszusetzen ist. Das verunsichert einen sehr, aber einen Rest von Wachsamkeit sollte man sich dennoch nicht abgewöhnen. Leider gibt es bei Erziehern genauso dafür ungeeignete Leute wie in jedem anderen Beruf. Sehr wichtig ist es,… Mehr

elly
3 Jahre her

„Arbeitszeugnisse sind Makulatur“ so schrieb SPON richtig. Das Problem ist heute, es wird sich auf Bildungsabschlüsse, Zertifikate und Zeugnisse verlassen. Die Probezeit wird nicht genutzt. In der Wirtschaft ist das egal, in sozialen & medizinischen Berufen verheerend. Wohlwollende Zeugnisse sind das Ergebnis von Gerichtsurteilen.
Es gehört auch Mut dazu, Arbeitnehmer/Innen nach der Probezeit nicht zu übernehmen oder während der Probezeit zu entlassen – gerade in den Mangelberufen.
So kommt es immer wieder zu Misshandlungen in KiTas und auch in Pflegeheimen.

Jule Krause
3 Jahre her

Sorry, aber ich finde es sehr abwertend, zu einem Kind „Wie kann man nur so dumm sein?“ zu sagen. Das ist eine Beschimpfung, die Kinder bei häufigem Hören sicher dazu bringt, sich für eben dumm zu halten. Und das ist doch schlimm, oder nicht?

Gabriele Kremmel
3 Jahre her

Welchen Lerneffekt soll jetzt bitte eine herabsetzende Beleidigung haben? Ein Lerneffekt entsteht, wenn man dem Kind sagt, wie es etwas richtig macht. Die zitierten Beschimpfungen sind nichts weiter als eben Beschimpfungen. Gebraucht von jemand, der pädagogisch nichts kann und/oder sich offensichtlich nicht im Griff hat.

donpedro
3 Jahre her

tichys einblick war dabei und klaert auf! tichys einblick, die BILD fuer alle die intelektuell sein wollen. nein, wir fragen nicht, was in der seele der vermutlichen taeterin an entsetzen im leben aufgebaut wurde, dass sie evuentuell taeterin werden konnte oder musste. wir fragen nur nach dem schauder einer kriminellen handlung. und wir bringen berichte, zahlen und figuren. dass eventuell die menschliche kaelte einer gesellschaft beteiligt sein kann, hinterfragen wir nicht. ich lebe seit 25 jahren in lateinamerika, habe sechs kinder und frage verstoeert, warum deutsche kinder sooft quengeln und bruellen und sich auf den boden werfen um ziele zu… Mehr

3 Jahre her
Antworten an  donpedro

Ihren Beitrag nenne ich Paradigmenwechsel und Relativierung der Tat. Es gibt Millionen von jungen Menschen, die trotz einer schweren Kindheit und falscher Erziehung nicht zu Kindesmördern geworden sind. Ist das lobenswert? Nein, es ist normal. Ihre aussagen und der Gleichdenkenden führen zu einem Rechtsverständnis, leider weit verbreitet, denn ich Täterjustiz nenne. Die laschen Urteile für Gewaltverbrechen sind die Folge. Für Kindesmörder- und Kinderschänder wird das Urteil nicht im Gericht, sondern wie in diesen Fall, im Frauengefängnis gesprochen.

Gudrun Wolfrath
3 Jahre her
Antworten an  donpedro

„… dass sie evuentuell taeterin werden konnte oder musste.“
Niemand muss zum Täter bzw. zur Täterin werden, unabhängig von der Kindheit. Sie machen es sich hier zu einfach.

WB
3 Jahre her

Kinder müssen auf gar nichts hingewiesen werden. Wenn man sich im Fernsehen anschaut wie Hunde uns andere Tiere erzogen werden, könnte man es mit Kindern auch so machen. Kinder zu strafen ist der falsche Weg. Kindern kann man sehr gut erklären, warum etwas falsch ist und das man es besser machen kann. Wenn Sie für jedes mal, wenn sie etwas richtig oder gut machen, gelobt werden und in Arm genommen werden, geht Erziehung viel Einfacher. Bei dieser Art lernen Kinder sehr schnell was erwünscht oder unerwünscht ist, (bei Unerwünschten bekommen sie keine Beachtung). Jedes Kind braucht Anerkennung und Liebe vor… Mehr

Karl Schmidt
3 Jahre her

Entschuldigung, aber man kann doch nicht von einer Tötung über den sexuellen Missbrauch, den Sadismus zum Kontrollverlust bei Verärgerung kommen. Das sind ganz andere Kategorien und es gehört auch zur Erfahrungswelt von Kindern, dass sie mit dem eigenen Ärger, der eigenen Enttäuschung ebenso umgehen lernen müssen wie mit der von anderen. Es geht nicht darum, Mimosen zu kreieren, die normale menschliche Verhaltensweisen nicht begreifen und einordnen können. Es geht um Leute, die Freude am Erniedrigen haben, an der Unterwerfung anderer. Das kann eigentlich in einem aufmerksamen Umfeld, das nicht auf Vertrauen gepolt ist (wie es derzeit allerdings von Linken als… Mehr

Wolfram_von_Wolkenkuckucksheim
3 Jahre her

„Wie kann man nur so dumm sein?“ – Es ist ja das eine, ob man sowas vereinzelt zu hören bekommt oder dauernd. Zudem ist es nur als Beispiel für eine Demütigung genannt. Und Menschen zu demütigen, insbesondere Kinder, ist einfach unmöglich. Ich hatte eine eher durchwachsene Kindheit und vor allem Jugend. Ich kann mich kaum an aufbauende Worte in meiner Jugend erinnern. Sicherlich haben andere schlimmeres erlebt. Ich habe schon oft darüber nachgedacht, wie wäre, hätte man mich wertschätzender behandelt. Ich habe immerhin erfolgreich Informatik studiert, konnte mit 12 Jahren schon programmieren, mein Verhalten wurde aber pathologisiert, ich sei „computerspielsüchtig“.… Mehr

kasimir
3 Jahre her

Lieber Wolfram_von_Wolkenkuckucksheim: Das klingt traurig, was Sie in Ihrer Kindheit erlebt haben. Aber Sie können doch trotzdem auch sich selbst stolz sein, daß Sie etwas aus Ihrem Leben gemacht haben!
Ja, das stimmt: in der Kindheit wird der Grundstein gelegt. Aus Kindern, die in ihren ersten Lebensjahren viel Aufmerksamkeit und Zuneigung erfahren, werden meist glückliche und selbstbewußte Menschen….