Der Pflichttermin und schon welken die Kränze

Ohne den „antifaschistischen Schutzwall“ hätte die DDR als wichtiger Teil des Ostblocks nicht überlebt. Es ist wichtig, sich den 13. August 1961 in Erinnerung zu rufen, denn die Bedeutung dieses Datums droht von heutiger geschichtsvergessender Politik verweht zu werden.

imago images / United Archives International

Wie in jedem Jahr auch in diesem die übliche Gedenk-Folklore: Politiker legen mit ernstem Gesicht Kränze nieder und sprechen ernste Worte. In diesem Jahr ist es kein rundes Jubiläum, deswegen tritt das ganz große Orchester nicht an. Der Regierende Bürgermeister Müller und Kulturstaatsministerin Grütters legten an der Mauer-Gedenkstätte an der Bernauer Straße Kränze ab. In Berlin-Pankow erledigten zwei Linken-Politiker den Tagesordnungspunkt, der Pankower Bezirksbürgermeister Sören Benn, PDS seit 2000, und der Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung Pankow, Michael van der Meer, SED seit 1980 und während seines Wehrdienstes Zuträger für das MfS. Sie legten einen Kranz nieder am Grab von Peter Fechter, der als einer der ersten Mauertoten im Grenzstreifen qualvoll verblutete.

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Jährlich loben die Offiziellen die Bürgerrechtler der DDR-Opposition, die im Windschatten Gorbatschows die Möglichkeit bekamen, maßgeblich zum Sturz einer Regierung und eines ganzen Systems beizutragen. Das Lob bezieht sich ausdrücklich auf ihre damalige Rolle, denn etliche von ihnen sind heute wieder unbequem. Man unterstellt ihnen die Neurose des „Gegen-den-Strom-Schwimmens“, wenn ihnen heute wieder eine Regierungslinie nicht zusagt und sie Kritik üben. Die Stasi kann man nicht mehr auf sie ansetzen, aber die dauerprogressiven Kräfte in Politik und Medien tun ihr Möglichstes, sie öffentlich zu stigmatisieren und zwecks Umgehung inhaltlicher Diskussion in die rechte Ecke zu schieben.

13. August 1976. Der Mauerbau jährte sich zum 15. Mal. Ich war Gefreiter der Grenztruppen der DDR und bei den Rückwärtigen Diensten eingesetzt. Von Michendorf bei Potsdam aus versorgten wir die Grenzregimenter im Bereich GKM (Grenzkommando Mitte), zu denen beispielsweise die in Groß-Glienicke, Hennigsdorf, Babelsberg, Kleinmachnow und Oranienburg gehörten. Den IM in der Kompanie hatte ich schon identifizieren können, ohne zu wissen, dass man diese Leute „IM“ nannte. Damals hießen sie Spitzel.

Wer in der DDR für die Grenzsicherungsanlagen den Begriff „Mauer“ benutzte, machte sich der Anwendung von Westpropaganda verdächtig. Offiziell hieß es politisch „antifaschistischer Schutzwall“ und militärisch „Grenzsicherungsanlagen“. In Soldatenkreisen wurde vom „Kanten“, also dem Rand des DDR-Territoriums, gesprochen. Zur Feier des Tages lud der Kommandeur in seinen Beratungsraum. Neben einer Auswahl an älteren Offizieren und Berufsunteroffizieren waren einige Quoten-Wehrpflichtige wie ich dabei. Oberstleutnant S. hielt eine kurze Rede dem Anlass angemessenen politischen Inhalts, danach gab es Kaffee und Kuchen, später kam ein Weinbrand dazu. Es folgten die Erinnerungen der alten Genossen an ihre Erlebnisse vom 13. August 1961. Sie waren an verschiedenen Stellen bei der Abriegelung Westberlins eingesetzt, saßen als Beobachter auf Bäumen oder waren in bestimmten Grenzabschnitten als Aufpasser beim Bau dabei.

So verschieden die Erlebnisberichte waren, in einem doch gleich – in der diebischen Freude darüber, wie es damals gelungen war, den Klassenfeind zu überrumpeln. Die Augen leuchteten wie bei Kindern zur Weihnachtszeit. Schwer vorstellbar, was in ihnen vorging, als sich 1989 herausstellte, dass ein großer Teil ihrer Biografien vergebens war. Aber auch auf der anderen Seite der Mauer wurde der Blick vorerst leer. Für Westlinke und Grüne war die Hoffnung auf ein sozialistisches und damit besseres Deutschland zunächst dahin. Der ostdeutsche Plebs auf der Straße hatte ihre Illusionen zerstört. Zu gern hätten damals SPD und Grüne die DDR als das bessere Deutschland prosperieren sehen.

Zur Verfälschung des Charakters von Grenzen
Grenzenloser Revisionismus
Was in den Politikerreden zum 13. August heutzutage fehlt, ist jeglicher Bezug darauf, warum die DDR scheiterte. Diese fehlende Aufarbeitung von Vergangenheit führt heute zu neuen Sozialismusphantasien. „Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter“, titelten die Grünen im Wahlkampf 1990. Heute bekennen sie sich offen zur Abschaffung des Kapitalismus. Die Linke steht ohnehin dazu, die SPD will es auch, ziert sich aber noch. Die im April 1989 eingestellte Arbeit der gemeinsamen Grundwertekommission SED-SPD könnte wieder aufgenommen werden, die ideologischen Differenzen dürften überbrückbar sein. Die SPD-Vorsitzenden von heute vergessen ihre von den Kommunisten verfolgten Parteigenossen und empfehlen einen solchen Weg, zunächst nur als Koalition. Eine SED 2.0 aber wäre wirkmächtiger als zwei parallel schrumpfende linke Parteien.

Linksgedrehte Wessis marschieren heute unbehelligt im FDJ-Hemd durch Thüringen. Sie wollen den vermeintlich rechten Ossis mit Realsozialismus-Erfahrung den Weg zum Sozialismus zeigen. Eine besondere Form von Humor oder schon das Wetterleuchten einer neuen alten Zeit? Die SED-Nachfolger nehmen inzwischen wichtige Rollen in der Politik ein. Eine Linksextremistin erhält einen Sitz in einem Landesverfassungsgericht. Die CDU hat eigene Erfahrungen als Blockpartei und erkennt regional die führende Rolle der Ex-SED wieder an.

Geschichte wiederholt sich nicht. Dennoch ist die Restauration des Realsozialismus auf deutschem Boden denkbar. Ob es dann ein linker oder ökologischer Sozialismus oder ein linksökologischer Klimasozialismus sein wird, ist in seiner Wirkung gleich. Wer sich vorbereiten möchte, dem sei Rolf Henrichs Buch von 1989 empfohlen:
„Der vormundschaftliche Staat – Vom Versagen des real existierenden Sozialismus“.

Wie jedes Jahr am 13. August sind die offiziellen Worte schnell verhallt. Die Kränze verwelken in diesen Tagen besonders schnell.

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Kommentare ( 19 )

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Harry Charles
3 Jahre her

Gute Analyse, genau so ist es! Und in unseren Schulen werden die Kinderchen im Interesse dieses globalisierten Finanzkapitalismus einer rotgrünen Gehirnwäsche unterzogen.

Maja Schneider
3 Jahre her

Die jetzige Politikergarde, teilweise durchsetzt von SED-Granden, hat überhaupt kein Interesse daran, an den 13. August zu erinnern, der linke Geist duldet das nicht mehr. Herr Knabe, ehemaliger Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen und in in Fachkreisen höchst geachtet, musste gehen, weil er begonnen begonnen hatte, die Geschichte der DDR anhand von Fakten und Quellen sowie Zeitzeugen immer weiter aufzuarbeiten, und das soll nun nicht mehr sein.

Ulrich Bohl
3 Jahre her

Die Kommunisten haben im Osten ein System installiert, das von weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt wurde. Die damals täglich steigenden Flüchtlingszahlen sind eindeutiger Beleg dafür. Um diesen Exodus zu ver- hindern wurde anstatt die Politik zu ändern die Mauer errichtet und damit auch die permanente Krise um Berlin weitgehend beendet. Die Zwangsherr- schaft wurde festgeschrieben. Die jährlich zum 13. August auch von west- deutschen Politikern vergossenen Krokodilstränen sowie Poltikern aus dem linken Parteienspektrum wirken nicht so recht glaubhaft. Man wußte daß etwas geschehen wird. Der BND hatte am 11.8.1961 von seiner Quelle Norman ein Fernschreiben erhalten in dem mitgeteilt wurde… Mehr

Eberhard 52
3 Jahre her
Antworten an  Ulrich Bohl

Man kann irgendwovon wegwollen, oder irgendwohin hinwollen. Nach außen fast dasselbe.
Angedrohtes Schindern bis es besser wird oder gleich ohne Aufwand ins „Schlaraffenland“

Joerg.F
3 Jahre her

Twitter hat mich heute am Tag des Mauerbaus wegen freier Meinungsäußerung gesperrt. Und all denen, die noch immer behaupten, dass das was wir hier und heute im Land erleben sei nicht mit der DDR zu vergleichen sei gesagt, die die heute gehorsam löschen werden morgen gehorsam schießen. Das ist die einzig logische Konsequenz. Wer einmal angefangen hat die Reihen zu säubern der wird nicht aufhören solange der Endsieg nicht errungen ist. Da sind die Machthaber von heute nicht die Ersten, die das versuchen.

Donostia
3 Jahre her
Antworten an  Joerg.F

Da haben Sie Recht. Die Dosis wird von Tag zu Tag erhöht , so dass es Ottonormalsterblicher gar nicht merkt. Wenn es dann die Masse merkt ist es wahrscheinlich zu spät. Erst wenn dann der wirtschaftliche Niedergang unerträglich wird, geht das Volk auf die Straße. Auch 89 war es aus meiner Sicht nicht unbedingt der Freiheitswille der zur Revolution führte. Es war eher die total schlechte wirtschaftliche Lage die das Volk auf die Straße trieb. So denke ich zumindest, dass muss nicht unbedingt stimmen. Kann das auch nicht bestätigen, da ich im Westen groß geworden bin. Wie sehen das betroffene… Mehr

Thorsten
3 Jahre her

Die FDP hat oft genug bewiesen, dass sie unfähig ist. Ob Bankenkrise, Eurorettung, Atomausstieg, EEG oder Migration.

Lambsdorff und Genscher werden genauso in ihren Gräbern rotieren wie Schmidt und Adenauer …

Thorsten
3 Jahre her

Die Restauration des Realsozialismus wird im sinkenden Lebensstandard scheitern. Das eigentliche Problem ist der mühsame Erkenntnisprozess das Sozialismus nicht funktioniert.

Die DDR hat nur mit Hilfe des Westens, wie „Freßpakete“ und Westgeld überlebt. Es waren ca. 10% der Wirtschaftsleistung- kann man auch „Haushaltsdefizit“ nennen.

theaterdonner
3 Jahre her
Antworten an  Thorsten

„Die Restauration des Realsozialismus wird im sinkenden Lebensstandard scheitern.“ Ich fürchte, das stimmt leider nicht. Das Hauptproblem des „real existierenden Sozialismus“ im Ostblock war die unmittelbare Vergleichbarkeit des Lebensstandards (und der Lebensbedingungen) seiner Bürger mit denen des Konkurrenzmodells, was im Fall der Bundesrepublik und der DDR ganz besonders offensichtlich nachzuvollziehen war, da die Menschen neben allem anderen die gleiche Sprache sprachen und zu einem erheblichen Teil auch noch familiär verbunden waren und dadurch in ständigem, wenn auch eingeschränktem Kontakt standen. Wenn man es allerdings schafft, alle Nachbarn gleichzuschalten und Unterschiede so lange zu nivellieren, bis sie verschwunden sind, dann greift… Mehr

Eberhard 52
3 Jahre her
Antworten an  Thorsten

Freier Wettbewerb und Commecon Liste?
So etwas ähnliches passiert gerade mit Nordstream 2.
Solange der Begriff Produktionskapital nicht auftaucht, sind das alles nur Blendgranaten, keine scharfe Munition.

Harry Charles
3 Jahre her

DIEBISCHE FREUDE? Wenn man sich einmauert? Sonderbare Logik. Ich (Wessi) war im Jahr 2000 zum ersten Mal auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Ich bin spätabends angereist, als man das Straßenbild noch nicht so sehen konnte. Als ich morgens wach wurde und durch die Straßen ging war das ein Schock fürs Leben. Früher selbst ein gemäßigter Linker (SPD), der allerdings eine lang andauernde konservative Transformation durchlaufen hatte wurde mein Hass auf den Sozialismus in diesem Moment besiegelt. Da begriff ich: diese Ideologie ist (trotz Vorhandensein aller Rohstoffe in Russland!) nicht in der Lage, ein funktionierendes Gemeinwesen mit einigermaßen prosperierender Wirtschaft… Mehr

Eberhard 52
3 Jahre her
Antworten an  Harry Charles

Meinst Du diese „Notabschaltung Corona“ ist Zufall?
Damals wurde alles weltmarktfähige der DDR entzogen. Zu DDR Preisen einkaufen im Osten, im Westen zu Weltmarktpreisen verhökert. Per Koffertransport. Heute hat man deutlich größere Transporteinheiten.

Alexander Seilkopf
3 Jahre her
Antworten an  Harry Charles

Ich denke Sie haben recht mit Ihren Äußerungen. Nur hst man gesehen, was in Thüringen zur MP-Wahl passiert ist. Eine demokratische Wahl wurde rückgängig gemacht! Zwar hat die neue dynamische Partei laut protestiert, doch leider nicht mehr. Es war heiße Luft und wurde ein laues Lüftchen. Leider. Ich setzte meine Hoffnung auch auf die Wahlen, doch denke ich, dass die Wahlen, sollten sie tatsächlich so ausfallen, ebenfalls rückgängig gemacht werden oder es kommt zu dem ersten Neu-SED-Bündniss aus SPD/Grüne/Linke/CDU mit der Aussage, der Wähler wünscht sich eine bunte Mehrheit der Parteien… Ich war zum Mauerfall 10 Jahre alt und ging… Mehr

h.milde
3 Jahre her

Na daran wird sich die # auch gerne erinnern, und ein Schlücken „Rot“käpchen verschmitzt lächelnd hinter die Lefzen laufen lassen, und denken „Mission almost accomplished, lieber Erich“

StefanB
3 Jahre her

Man kann sich gut vorstellen, mit welchem Wider- und Unwillen sich das Sozialisten- und Kommunisten** an die Mauergedenkstellen quält, um den Schein des Bedauerns ihrer oder ihrer politischen Vorgänger Taten aufrechtzuerhalten. Und man kann sich gut vorstellen, was sie nicht mehr tun werden, wenn sie es Dank der „Köterrasse“ geschafft haben, den dritten deutschen Sozialismus auf deutschem Boden zu installieren.

Eberhard 52
3 Jahre her
Antworten an  StefanB

Sichte doch mal Deine Leseweisheiten auf den Zusammenhang
Sozialismus und Produktionskapital. Ersteres sehr viel, zweiteres nichts. Liege ich richtig?

Die Köterrasse trägt den vom Gesundheitsninister verordneten Maulkorb.
Die Nichtköter treffen sich wieder auf Demos. 29.8.20 Berlin, Trump ist eingeladen.

Pippi L
3 Jahre her

Die Geschichte wird sich zwar nicht genau so wiederholen, aber so ähnlich vielleicht. Die Arbeit der damaligen IM’s erledigen dann vielleicht die technischen Möglichkeiten von heute. Das Ausspionieren von Telefon, Handy und TV lässt sich viel effizienter und mit viel weniger IM’s bewerkstelligen als damals und Berufsverbote und Entlassungen haben wir ja schon wieder. Nicht auszudenken, was in der DDR noch alles passiert wäre, hätten sie damals die Möglichkeiten von heute gehabt. Es ist mir unbegreiflich, daß die Mehrheit im Land diese Gefahr überhaupt nicht wahr nimmt. Bei meiner täglichen Radtour sehe ich die Menschen in unserem Viertel mit gut… Mehr

Eberhard 52
3 Jahre her
Antworten an  Pippi L

Opa und Enkel
IM“s waren die Väter, die Opas hatten ihre Blockwarte.