Corona-Politik: Ignorierte Warnungen werfen Fragen auf

Schon 2013 lag der deutschen Regierung und dem Parlament eine umfangreiche Expertise für den Fall einer Pandemie vor. Ganz offensichtlich haben die Regierenden vorhandene Warnungen und Empfehlungen für den Fall einer Pandemie missachtet. Die Folge ist Verunsicherung.

imago images / Political-Moments
Bundeskanzlerin Merkel mit Innenminister Seehofer, Außenminister Maas und Finanzminister Scholz im Bundestag, 26.11.2020

Wenn die Bundestagsabgeordneten während der Adventszeit in ihren Wahlkreisen mit der Bevölkerung in Kontakt kommen, werden sie sich auf viele kritische Fragen einstellen müssen. Bei allem Grundverständnis für die Anti-Corona-Maßnahmen beginnt es immer dann eng zu werden, wenn die Bürger nach den ganz konkreten Wirkungen des sogenannten Lockdown-light fragen. Und das nicht selten mit dem Verweis auf messbare Fakten, die nüchtern betrachtet keinen Anlass für Weltuntergangsstimmung und Panik nahelegen. Spätestens dann bleibt als Erklärung nur noch der Hinweis auf einen drohenden Zusammenbruch unseres Gesundheitssystems in Folge nicht ausreichender Kapazität an Intensivbetten mit Beatmungsvorrichtungen. Nicht wesentlich informierter, dafür aber noch ratloser als zuvor, bleibt der verunsicherte Bürger zurück.

Dabei müsste das alles gar nicht sein. Denn schließlich haben schon am 3. Januar 2013 alle Parlamentarier im Bund sowie alle Ministerien – inklusive Kanzleramt, versteht sich – in der Post einen Bericht des Bundesinnenministeriums zur „Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012“ (Drucksache 1712051) vorgefunden. Konkreter Anlass für diese Unterrichtung war kurz und knapp der Hinweis auf eine wahrscheinlich in nächster Zeit bevorstehende „Pandemie durch Virus Modi-Sars“. Konkret sollte diese Analyse zur „Vorbereitung der Bekämpfung einer massenhaften Erkrankung auf einen neuartigen modifizierten Sars-Erreger“ dienen. Die fachliche Aufsicht obliege dem in Berlin ansässigen Robert-Koch-Institut.

Die missachtete Risikoanalyse
Die Warnungen wurden aber noch viel konkreter: Der Ausgangspunkt der Infektionen werde ein Fleischmarkt in Asien sein. In kurzer Zeit würde sich der Virus weltweit verbreiten und eine Pandemie auslösen. Die Symptome seien zu Beginn ein trockener Husten, begleitet von Fieber, Schüttelfrost und im Verlaufe zunehmende Atemnot. Besonders betroffen werde die Gruppe der älteren Menschen von 60 aufwärts sein. Als Reaktionen werden genannt: Quarantäne-Maßnahmen, strenge Hygienevorschriften, die Isolierung bestimmter Risikogruppen, eine allgemeine Verminderung von Kontaktmöglichkeiten bis hin zu Schulschließungen und letztlich einem umfassenden Lockdown. Ausdrücklich wird in der Studie betont, dass es auch zu einer Einschränkung von Grundrechten kommen könnte. Als Dauer der Pandemie nehmen die Autoren der Studie drei Jahre an. Die Zahl der zu erwartenden Toten allein in Deutschland wird auf 7,5 Millionen beziffert.

Das Entscheidende aber kommt zum Schluss: Sachlich wird festgestellt, dass das Gesundheitssystem der Bundesrepublik Deutschland auf eine solche Situation nicht vorbereitet sei, und falls keine Vorkehrungen getroffen würden, bereits nach kurzer Zeit vor dem Zusammenbruch stünde. Insbesondere wurde auf die Knappheit von Intensivbetten, Mängel der medizinischen Ausrüstungen, unzureichende Vorsorge bei Schutzbekleidung hingewiesen.

Man kann nur mutmaßen, warum dieser frühe Alarmruf ungehört im Neujahrswind verwehte. Vielleicht lag es an einer gewissen Übermüdung der politisch Verantwortlichen im Nachgang der gerade überstandenen Banken-Krise und der Verdauung des von Angela Merkel quasi über Nacht verfügten und europaweit einzigartigen Ausstiegs aus der Kernkraft. Wie immer dem auch sei, geschehen ist nichts. Es stellen sich Fragen. Wer kannte diesen Bericht? Was wurde unternommen? Warum gab es keine öffentliche Debatte von Maßnahmen zu diesem frühen Zeitpunkt? Vor allem aber muss geklärt werden, wer letztlich die politische Verantwortung für diese beispiellose Ignoranz und Nachlässigkeit zu übernehmen hat. Wann kommt die Bundestagsdebatte? Wo bleiben die Fragen der Opposition?

Sieben Jahre später kam das bittere Erwachen. Kein Wunder, dass in der Anfangsphase eine heillose Verwirrung bestand. Während sehr schnell die prophezeiten gravierenden Mängel auftraten, tauchte Kanzlerin Merkel für längere Zeit erst einmal ab. Die öffentliche Regie lag in den Händen eines noch jungen Ministers namens Spahn. Besonders mangelte es an Intensivbetten und den – zuerst wegen Unwirksamkeit verschmähten und später zu Rettern aus der Misere verklärten – Masken. Das ganze Chaos wird allein dadurch deutlich, dass Deutschland noch Ende Februar 2020 8,4 Tonnen Schutzmaterial inklusive Masken nach China lieferte, um nur kurze Zeit später horrende überteuerte Masken auf dem Weltmarkt zusammenkaufte. Die Umstände dieser ad hoc-Aktion harren noch der Klärung – Mauscheleien und Insiderdeals unter Freunden nicht ausgeschlossen!

Der weitere Verlauf ist bekannt, so weit er bekannt sein konnte. So stellte sich schon schnell heraus, dass die Anzahl derer, bei denen die Krankheit ausbrach, und Gottseidank auch die der Sterbenden in einem deutlich niedrigeren Verhältnis zur Zahl der mit den positiv-getesteten Personen stand, als befürchtet. Dennoch galt die alle Restriktionen begründende Devise, die Überforderung des Gesundheitssystems müsse verhindert werden. Dafür nahm und nimmt man bis heute sogar einen erheblichen Einbruch des Wirtschaftswachstums und die existentielle Bedrohung ganzer Branchen in Kauf. Zur Kompensation und Abfederung der Schäden wurde die Verschuldung weiter in expansiver Weise nach oben getrieben. Dieser Prozess dauert bis heute an. Der Einsatz und die Wirkung eines in sehr kurzer Zeit entwickelten Impfstoffs muss abgewartet werden.

Die missachtete Risikoanalyse
Und wieder stellen sich wichtige Fragen: Warum wurde nicht mindestens ein Teil der Schuldensummen für die Modernisierung und den Ausbau der Intensivkapazitäten verwandt? Warum wurde entgegen der eigenen Argumentation die Zahl der für Corona-Patienten zur Verfügung stehenden Intensivbetten seit Juni ständig reduziert? Die Antwort, die finanzielle Situation bei Freihaltung von Kapazitäten sei für die Krankenhäuser unzumutbar, ist angesichts des behaupteten „Epidemischen Notstandes von nationaler Tragweite“ nicht akzeptabel. Dabei muss noch einmal daran erinnert werden, dass die Sterberate der an Covid 19-Erkrankten in Deutschland bei etwa 960 000 positiv-getesteten Personen mit ca. 15 000 angegeben wird. Dies entspricht 1,4 % der positiv-Getesteten (Quelle: RKI), wobei die Altersgruppe über 80 besonders stark betroffen ist.

Als Argument gegen die im Vergleich zu den Kosten des Lockdowns wesentlich geringere Aufwendung für den Aufbau einer stabilen Anzahl von Intensivkapazitäten wird häufig vorgebracht, dass derartige Überkapazitäten in „Normalzeiten“ als überflüssige Ausgabe von der Bevölkerung gerügt werde. Dem stehen allerdings die übereinstimmenden Warnungen der internationalen Forschergemeinde entgegen, dass gerade vor dem Hintergrund des dramatischen Klimawandels mit dem Auftauchen weiterer Pandemien mit noch unbekannten Erregern zu rechnen sei. Auch könnte durch eine international angelegte kommerzielle Verwertung eine schnelle Amortisation der Kosten erreicht werden. Dazu bedürfte es allerdings unternehmerischer Aktivitäten mit Kreativität und Empathie. Zweifel sind angesichts der vielen gescheiterten öffentlichen Vorhaben (Jahrhundertbeispiel: der Flughafen Berlin International) angebracht.

Bleibt schließlich die Frage, was mit der bewusst niedrig gehaltenen Zahl von Intensivbetten bezweckt wird? Hier kann man freilich nur spekulieren. Soll vielleicht der Druck und die Verängstigung der Bevölkerung künstlich aufrechterhalten werden, um den Wunsch nach Stabilität der Machtverhältnisse zum Hauptmotiv der Bevölkerung werden zu lassen. Vielleicht könnte man mit Corona sogar eine Verschiebung der Bundestagswahl 2021 begründen? Eigentlich müssten sich solche Überlegungen schon aus Gründen des politischen Anstands verbieten! Doch andererseits, was zählt so ein altmodisches Wort wie Anstand heute überhaupt noch?

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Kommentare ( 61 )

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Atheist46
3 Jahre her

Nö, nicht mit dem Holzhammer; das Problem wird mit unserem Steuergeld zugesch…

Gerro Medicus
3 Jahre her

Korrektur:
„Und ist es nicht so, dass durch das Ignorieren von möglichen Vorkehrungen im Gesundheitssystem ein wesentlicher Alarmgrund weggefallen wäre, man nicht den Bürgern mit Triage hätte Angst machen können?“
Muss heißen:
Und ist es nicht so, dass durch das Ignorieren von möglichen Vorkehrungen im Gesundheitssystem ein wesentlicher Alarmgrund GESCHAFFEN wurde, man NUR DAMIT den Bürgern mit Triage hätte genügend Angst machen können?

Gerro Medicus
3 Jahre her

Was der Autor hier als Alarmruf bezeichnet, liest sich eher wie ein Drehbuch/Plot für die P(l)andemie, die politisch genutzt wird, Machtbefugnisse auszuweiten und gegen die Bürger gerichtete Gesetze durchzupeitschen, die unter normalen Umständen nie zustandegekommen wären. ZU identisch sind die Annahmen in diesem Plot mit den dann tatsächlich eingetretenen Situationen. Aus dem Plot ein Komplott?? Und ist es nicht so, dass durch das Ignorieren von möglichen Vorkehrungen im Gesundheitssystem ein wesentlicher Alarmgrund weggefallen wäre, man nicht den Bürgern mit Triage hätte Angst machen können? Zu den möglichen Gründen: Die EU will sich damit vor dem Zusammenbruch bewahren, Merkel will damit… Mehr

Entenhuegel
3 Jahre her
Antworten an  Gerro Medicus

Zum Stichwort P(l)andemie siehe auch das Buch von Bruce Fife.

Melusine
3 Jahre her

„dass gerade vor dem Hintergrund des dramatischen Klimawandels mit dem Auftauchen weiterer Pandemien mit noch unbekannten Erregern zu rechnen sei.“
Bitte nicht auch noch den „Klimawandel“ hier anhängen. Strategisch höcht unkluges Reden. Man besorgt damit nur das Geschäft der Gegenseite. Es ist absehbar, dass wir das Virus überleben, dann aber das Spiel mit Gängelung des Bürgers, Verletzung von Grundrechten, Ruinierung der Wirtschaft – unter neu-alter „Begründung“ weitergeht: Klimakatastrophe kommt (einen Vorgeschmack davon haben wir ja schon gekostet).

Schlaubauer
3 Jahre her

Die Grundlage der der Pandemie ist und bleibt ein Bundestagsbeschluss! Es gibt weder die notwendigen Kranken noch Tote in ausreichender Zahl. Noch Fragen?

HaSal
3 Jahre her

1.im Januar hatte Dr. Wimmer bei ILLNER auf die Gefährlichkeit des Virus hingewiesen. Da hat Minister Spahn ihn der Panikmache beschuldigt.
2.Gestern bei ILLNER sagt Rangar Y.: ca. 80% der Bürger sein Beamte, bzw. staatlich abgesichert. DAS erklärt vielleicht, warum 70% der Befragten mit der Corona-Politik zufrieden sind!!!!!
3.Ständig werden neue Zahlen als „Richtlinie“ erfunden und wenn sie erreicht sind, kommt eine neue Zahl.
Natürlich beachte ich mit 73 „AHA“, aber das allen glauben, fällt mir schwer!

Entenhuegel
3 Jahre her
Antworten an  HaSal

Zu 2.: Yogheswear ist auch so ein staatlich vollalimentierter Schwätzer, der sich im Elfenbeinturm des ÖR umschaut und deswegen nur „Abgesicherte“ sieht. In die Brennpunkte der Republik, die Gewerbegebiete und Handwerksbetriebe etc. wirft so etwas nie einen Blick…
Und all die, die sich staatlich abgesichert und sicher fühlen, erleben ein böses Erwachen, wenn der große „Reset“ kommt und die Blase der illusionären Sicherheit platzt…

HGV
3 Jahre her

Die Club Med Staaten haben wahrscheinlich weltweit die härtesten Maßnahmen getroffen und haben (neben den Belgiern) die höchsten Infektions- und Todesraten. Niemand hat bis heute eine Analyse dessen gefertigt, um herauszubekommen, warum das so ist. Warum läuft das in Schweden anders? Warum kommen die asiatischen Staaten so viel besser damit klar und warum ist Afrika mit einer wesentlich schlechteren Gesundheitsversorgung noch nicht entvölkert?

akimo
3 Jahre her

Woher wußte man das alles en Detail? Deswegen klingt alles wie das Abspulen eines Regieplans, inklusive genaue Modifikation des Virus, der sich dann genauso verhielt, wie er ’sollte? Bitte beantworten Sie DIESE Frage.

swengoessouth
3 Jahre her

Seit Anfang Oktober sind 3100 Intesivplätze abgebaut worden (Quelle: Divi Intensivverzeichnis). Warum?

Gerro Medicus
3 Jahre her
Antworten an  swengoessouth

Damit man die Bürger auch weiterhin mit der Triage drohen und ihnen Angst machen kann!

Montesquieu
3 Jahre her

Das hypothetische Risikoszenario 2012 mag eigenartige Parallelen zu SARS-cov2 aufweisen, aber im Wesentlichen sind die Szenarien nicht vergleichbar.
Für das deutsche Gesundheitswesen bestand nie die Gefahr einer Überlastung. Ganz im Gegenteil haben wir 2020 eher eine Unterlastung. Viele tausend im Panikmodus überteuert gehamsterten Beatmungsgeräte liegen auf Halde, die Intensivkapazitäten sind Jahreszeit bezogen nicht überdurchschnittlich belastet.
Der Artikel teilt leider ein kontrafaktisches Narrativ, wenn er kritisiert, dass nicht noch mehr panikgetriebener Aktionismus betrieben wurde. Danke, es ist auch so schon irre genug.