Bundesverfassungsgericht stoppt das Ja des Bundestags zur EU-Schuldenunion

Sensation in Karlsruhe: Die Verfassungsrichter verhindern vorerst, dass der Bundespräsident unterschreibt, was eine Bundestagsmehrheit aus Union, SPD, FDP und Grüne gerade beschlossen hatte: nämlich die teilweise Abtretung des Budgetrechts an Brüssel.

IMAGO / U. J. Alexander

Unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung hat gestern Vormittag der Bundestag mit einer Mehrheit von fast drei Viertel der abstimmenden Abgeordneten sein vornehmstes Recht, die uneingeschränkte Ausübung seiner Budgethoheit, an die EU-Ebene abgetreten. Mit der Zustimmung zum „Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetz (ERatG)“ reicht eine übergroße Parlamentsmehrheit leichtfertig und endgültig die Hand für die europäische Schuldenunion. Obwohl die europäischen Verträge eine Kreditaufnahme der EU ausschließen, hat jetzt also das euphemistisch „Next Generation EU“ genannte Corona-Wiederaufbaupaket auch den parlamentarischen Segen aus Deutschland. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht seinen Segen verweigert.

Die Abgeordneten haben also genehmigt, dass die EU-Kommission Kredite in einem Volumen von 750 Milliarden Euro aufnehmen und dreistellige Milliardensummen vorwiegend als verlorene Zuschüsse an die südeuropäischen Schuldenländer transferieren kann. Ob diese riesigen Summen die Wirtschaftskraft Italiens oder Spaniens stärken, beides Länder, die tatsächlich stark von der Pandemie getroffen wurden? Wer wird das kontrollieren? Eine EU-Bürokratie, die zuletzt bei der Corona-Impfstofforder ihre Leistungsfähigkeit bewiesen hat?

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Deutschland haftet künftig für Entscheidungen, die supranationale Ebenen treffen. Die europäische Schuldenunion ist Fakt. Die EU hat im Windschatten der Corona-Pandemie die Axt an die Souveränität ihrer Mitgliedstaaten gelegt. Im seinem wegweisenden Maastricht-Urteil hatte das Bundesverfassungsgericht 1993 Souveränitätspflöcke eingeschlagen, die einer „Ausdehnung der Aufgaben und Befugnisse der europäischen Gemeinschaften vom demokratischen Prinzip her Grenzen setzten“. Dem Deutschen Bundestag müssten Aufgaben und Befugnisse von substantiellem Gewicht verbleiben, so die Verfassungsrichter damals. Wenn nicht das Budgetrecht zu den substanziellen Rechten eines nationalen Parlaments gehört, was dann?

Heute Nachmittag nun hat das Karlsruher Bundesverfassungsgericht überraschend einen Eilantrag des „Bündnisses Bürgerwille“ („Bündnis Bürgerwille“ will Ratifizierung des EU-„Wiederaufbausfonds“ verhindern (tichyseinblick.de) ) positiv beschieden. Das BVerfG untersagt damit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, das Gesetz mit seiner Unterschrift auszufertigen und damit die deutsche Ratifizierung völkerrechtswirksam werden zu lassen. Eine Begründung liegt noch nicht vor. Zumindest die Karlsruher Richter scheinen noch das Rückgrat zu besitzen, substanzielle Souveränitätsrechte des Nationalstaats vor einem EU-Superstaat schützen zu wollen. Bundestag und Bundesrat dürfen sich zurecht von den Karlsruher Hütern der Verfassung gedemütigt fühlen.

Geschlossen für die Schuldenunion stimmten die SPD-Abgeordneten und die Grünen. In der mitgliederstarken Unionsfraktion hatten gerade einmal 8 Abgeordnete das Rückgrat, gegen dieses Gesetz zu stimmen. In der FDP sagten nur 4 Abgeordnete Nein! Allein die AfD-Fraktion lehnte den Eigenmittelbeschluss geschlossen ab, während die Linke sich fast geschlossen enthielt. Hier ist das genaue Ergebnis der namentlichen Abstimmung (Deutscher Bundestag – Namentliche Abstimmungen).

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Kommentare ( 183 )

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moorwald
3 Jahre her

Die CDU wurd durch Merkel heruntergewirtschaftet. Die FDP hat das ganz von allein geschafft mit diesem traurigen Vorsitzenden. Beide sind entkernt. Kubicki beschwört noch Ideale, die sich längst verflüchtigt haben. Liberalismus und Konservativismus haben keine Stimme mehr. Aber auch so ein richtiger Sozialismus ist nicht zu sehen. Nun werden ja Strömungen und Epochen immer erst hinterher auf den Begriff gebracht. Solange man mittendrin steckt, muß man sich mit allerlei Mosaiksteinchen begnügen, die sich noch nicht zu einem Ganzen fügen. Die Zukunft war selten offener als jetzt. Andererseits ist politisch nichts wirklich neu. So schadet es nichts, mal nachzusehen, wie frühere… Mehr

Jo_01
3 Jahre her

Der Kollege Kubicki von der FDP hat für die Aufgabe des Budgetrechts des Bundestages gestimmt und sieht dieses – unter Bruch des Maastricht-Vertrages – bei den Bürokraten in Brüssel besser aufgehoben, als bei den vom deutschen Steuerzahler gewählten Abgeordneten.
Warum hat Hr. Opitz in seinem Interview den Hr. Kubicki nicht die Frage nach seinen Beweggründen zu seiner dem deutschen Steuerzahler Hohn sprechenden Abstimmung gestellt?

Dozoern
3 Jahre her
Antworten an  Jo_01

Kubicki steht voll hinter dem Ziel von GrossEuropa. Deshalb hat er wie die Mehrzahl der FDP-Abgeordneten dafür gestimmt. Er ist Teil der „Blockflöten“, die helfen die Leute hinters Licht zu führen. Sagt ein langjähriger FDP-Wähler.

Fsc
3 Jahre her

Hat Merkel die Richter schon ersetzen lassen???

Es ist eine nie dagewesene Ungeheuerlichkeit, UNSERE STEUERGELDER an einen durch NICHTS demokratisch legitimierten bürokratischen Selbstbereicherungs-Moloch zu überantworten!

Laut Bundespräsident a. D. Roman Herzog stammte bereits 2007 80% unserer Gesetzgebung aus Brüssel.
OHNE JEGLICHE DEMOKRATISCHE BETEILIGUNG DER BÜRGER!

Wir wurden nicht mal gefragt, ob wir den €uro und die EU überhaupt wollen!

UND DANN WUNDERN DIE SICH NOCH, DAẞ DIE BÜRGER DAS VERTRAUEN IN DIE DEMOKRATIE VERLIEREN…

Demokratie hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt!

Proll27
3 Jahre her

Die FDP ist für mich in Zukunft nicht mehr wählbar.

Jo_01
3 Jahre her
Antworten an  Proll27

Bisher war sie es aber offensichtlich?
Na dann…

H. Hoffmeister
3 Jahre her

Herr Metzger,
ich befürchte, dass das BVerfG nur aus formalen Gründen gestoppt hat und es sich um eine Imitation von Handlungswillen handelt. Vermutlich wird dem Gesetzgeber eine Lappalie vorgehalten, deren Beseitigung dann zum gewünschten Ergebnis führt. In der Sache wird sich das BVerfG nicht mit Merkel und Konsorten anlegen.

aelterer Herr
3 Jahre her

Schaut man auf die im BVerfGG festgelegten Verfahrensvorgänge stellt man sofort fest, dass diese Anordnung mitnichten als Ohrfeige für den Bundestag zu sehen ist. Sie sagt nämlich nichts, aber auch rein gar nichts über das zu treffende Urteil in der Sache aus

josefine
3 Jahre her

Die Bürger sind in keiner Weise darüber aufgeklärt,was die Unterschrift unter dieses Gesetz bedeutet.
Hier muss eine breit angelegte Kampagne in den Medien alle Wähler aufklären, danach können Sie entscheiden, welche Wahl sie treffen wollen. So wird mal eben die Budgethoheit unseres Landes an den Koloss EU verschenkt, zu dessen Stärken die Organisation nur wenig bedeutet (siehe Impfungen).
Die Budgethoheit eines Landes, hergegeben für weniger als ein Linsengericht.
Von der FDP hätte ich ein anderes Abstimmungsverhalten erwartet.

Franz Grossmann
3 Jahre her

Sehr geehrter Herr Metzger, Sie freuen sich wahrscheinlich zu früh, wie wir alle. Merkel hat ihren CDU-Spezi Stephan Harbarth, der früher allen Merkel Manövern im Bundestag zugestimmt hat, an die Spitze des BVG gestellt. Der wird garantiert nach einigen Scheingefechten das Gesetz passieren lassen.

Alt-Badener
3 Jahre her

Die Verfassungsrichter verhindern VORERST, ja VORERST ist das entscheidende Wort. Wer glaubt, dass dieser Wahnsinn tatsächlich von diesem Gericht gestoppt wird, dem ist wahrlich nicht mehr zu helfen. Machen wir uns doch nichts vor, diese sogenannten Verfassungsrichter sind doch, wir alle wissen das, nur die Spießgesellen der handelnden Politstrolche, schließlich stammen sie allesamt aus deren Reihen oder deren Umfeld, sind von den Politstrolchen in ihre Ämter gehievt worden. Was jetzt läuft ist so ein kleines Show-Pflästerchen von angeblicher Rechtsstaatlichkeit. Dieses Schuldenpaket bekommt seinen Segen, aus, Punkt, fertig. Es zu verhindern wäre doch purer Nationalismus, das muss verhindert werden. Schließlich ist… Mehr

LKR die Eurokritiker
3 Jahre her

Danke für diese Aufklärung! Herr Metzger, Sie sollten erwähnen, daß der Initiator der zugrundeliegenden Verfassungsklage Bernd Lucke gewesen ist, der Gründer der „Ur-AfD“ und von vielen als „Rechtsradikaler“ beschimpft.
Auch sollten Sie darüber aufklären, daß es eine liberal-konservative Wahlalternative gibt, in der Lucke ebenfalls eine Rolle spielt, wenn auch nicht mehr als Inhaber einer Parteifunktion: die Liberal-Konservativen Reformer (LKR). Noch ist sie eine Kleinstpartei, aber auch Macron hat es aus dem „Nichts“ heraus geschafft.
Für bürgerliche Demokraten, die Vernunft statt Ideologie bevorzugen, gibt es keine wirkliche Alternative (www.lkr.de) – abgesehen von Resignation oder Auswanderung!