„Bekennerschreiben“ 2: Neue Fragen

Wer hat in Dortmund die Bomben gelegt? Das bleibt ungewiss. Sicher ist, die Sicherheitsbehörden haben noch gar nicht begonnen, aus der neuen Realität des Terrorismus im Alltag die Konsequenz des professionellen Umgangs mit und gegen ihn zu ziehen - aber die Bürger sollen sich daran gewöhnen.

© Maja Hitij/Getty Images

Mit dem gestrigen Satz von Karl Ernst Thomas de Maizière mag sich zufrieden geben, wer will: „… damit müssen wir wohl eine Zeit lang leben lernen.“
Es ist nichts anderes als eine Bankrott-Erklärung der Bundesregierung und ihres Sicherheitsapparats. Es heißt: Sorry, Leute, wir haben keine Ahnung.

Deutlich besser ist es, Georg Mascolo zuzuhören. Wenn es nicht der IS ist und auch nicht jemand auf der eher nach gelegt aussehenden Spur Richtung „Antifa“, fragt Mascolo einleuchtend: Wen haben wir dann noch im Land, der zu Terror-Anschlägen fähig ist und mit welchem Ziel?

Im Netz sind die Spekulationen Legion von Al Quaida bis zu extremen Gruppen innerhalb der Dortmunder Fanszene mit Schnittmengen zu Hooligans und tatsächlichen Extremisten.

Sie alle können im Windschatten des islamischen Terrors gut segeln, denn klar ist: Dieser Staat ist überfordert. Er hat die Kontrolle an den Grenzen im Sommer 2015 aufgegeben und in der Folge im Inneren die Kontrolle gänzlich verloren. Das darf man nicht den Beamten vorwerfen, die sicherlich an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit arbeiten. Aber zu viel ist zu viel. Und die Botschaft nach dem Attentat in Berlin ist doch: Der Täter konnte unbehelligt durch Deutschland reisen, obwohl seine Gefährlichkeit den Behörden bekannt war. Nach dem Attentat reiste er durch halb Europa, ehe er in Frankreich einem Polizisten auffiel. Der Mörder des Mädchen in Freiburg wurde in Griechenland nach einem infamen Mordversuch verurteilt – und nach Deutschland abgeschoben. Hierzulande gilt das Vorzeigen von Dokumenten als eine Art freiwilliger Gnadenakt des Reisenden. Mehrere Hunderttausend ungeklärter oder vorgetäuschter Illegaler ist eine Hypothek, vor der jeder Sicherheitsapparat in die Knie gehen muss.

Mascolo nannte gestern im ARD-Brennpunkt zum „schrecklichen Anschlag“ (einheitliche Formulierung in der ARD) einen weiteren bisher unbekannten Aspekt.
Danach gibt es die übliche IS-Mitteilung, einer ihrer „Soldaten“ habe den Anschlag verübt, bis dato nicht. Ein von uns befragter Sicherheitskundiger sagt dazu, das kann daran liegen, dass der IS keine indirekten Täterhinweise liefern will, solange Attentäter am Leben sind.

„Bekennerschreiben“ mit politischen Forderungen passen nicht zum IS-Muster. Zudem unterstreicht diese Quelle, dass es dem IS ja erklärtermaßen um den bedingungslosen Kampf gegen die „Ungläubigen“ geht, den man durch nichts besänftigen könne. Deshalb wird die Warterei auf ein „Bekennerschreiben“ möglicherweise vergeblich sein. Der IS droht nicht und fordert nicht, wie seinerzeit die RAF. Er tötet. Und seine Blutspur zieht sich durch die Welt. Ziele werden nach Opportunität ausgewählt, und Deutschland hat sich durch die bewußte Kontrollaufgabe verletzlich gemacht – eine Chance, die sich möglicherweise auch andere nicht entgehen lassen.

Eines ist sicher: Die Sicherheitsbehörden haben wohl noch gar nicht begonnen, aus der neuen Realität des Terrorismus als Alltag die Konsequenz zu ziehen nach professionellem Umgang mit und gegen ihn.

„… damit müssen wir wohl eine Zeit lang leben lernen.“ Dieser Satz ist ein Skandal. Damit hat der Staat es aufgegeben, seine wichtigste Aufgabe zu erfüllen, und das ist, für die Innere Sicherheit zu sorgen. Die Selbstaufgabe dieser Regierung grenzt an jämmerliche Peinlichkeit. Sie wird nur noch verstärkt durch die Verharmlosungs- und Beschwichtigungsversuche. Nein, wir dürfen nicht weitermachen wie bisher und zuschauen und hinnehmen, wie immer noch häufiger gebombt, vergewaltigt und gestohlen wird. Nein, der Terror gehört nicht zum Alltag, dazu darf er nicht gehören. Deshalb muss die Bundesregierung sich selbst als erstes eingestehen, dass ihr Kontrollverzicht der eigentliche Fehler war, der Boden, auf dem das wächst, was jetzt die Menschen erleiden. Ist es denn so schwer, wenigstens jetzt zu handeln?

Eines ist unvorstellbar: Dass ein Bundeskanzler Helmut Schmidt angesichts der Bomben und Schüsse der RAF eine Bankrotterklärung abgegeben hätte. Der Kampf gegen den Terror mag lang, schmerzhaft und voller Irrtümer sein. Aber er muss geführt werden.

Die Selbstaufgabe dieser Regierung grenzt an jämmerliche Peinlichkeit.

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Kommentare ( 318 )

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Sören Hader
6 Jahre her

So, der Anschlag scheint aufgeklärt zu sein. Alles weitere findet sich in den Medien. Es war absehbar, dass man den Täter zeitnah ausfindig macht, wie bei fast jedem derartigen Anschlag. Und wenn sich das so bestätigen sollte, gab es keinen politischen Hintergrund. Vermutlich sich jetzt einige ziemlich enttäuscht. Aber es war schön, darüber zu streiten und für einige Tage in heller Aufregung gewesen zu sein. 🙂

Katharina
6 Jahre her

Ich antworte ihnen jetzt mal in der Art jüngerer Kollegen , dafür aber mit vollster Zustimmung „JEP „

Mohammed Müller-Meier
6 Jahre her

Uns sie glauben, das alles würde Frau Merkel beindrucken oder auch nur zu einem müden Grinsen veranlassen? Träumen Sie weiter.

Das einzige was Sie beindrucken könnte wäre wenn der Chef des Generalstabs im Parlament auftauchen würde und Ihr erklärt, das Sie wegen diverse Verstöße gegen das Grundgesetz und das deutsche Volk für abgesetzt erklärt wird.

Mohammed Müller-Meier
6 Jahre her

Das Sie sich das antun grenzt doch schon an Masochismus. Ich könnte das nicht. Neben Würgreiz spontanem Bluthochdruck und Herzflattern hätte ich sofort noch mindestens 20 andere Pobleme.

Nichtnaiv
6 Jahre her

Für meine Mitdiskutanten habe ich mir das angetan. Doch wie erwähnt, habe ich mir die anderen Websites erspart. Die Begründung haben Sie bereits angeführt 😉

Henryke
6 Jahre her

PS. Eine wichtige Ergänzung zum Thema „Hysterie bzw. unangemessene Übertreibung“: Ich erinnere mich immer wieder an den Passus in Stefan Zweigs „Die Welt von gestern“, wo er sinngemäß davon schreibt, daß kein Mensch im Frühsommer 1914 ahnte, welche gigantische Katastrophe sich in Europa anbahnte. Die Zustände in den Schützengräben bis Kriegsende sind hinlänglich bekannt; die weitere Entwicklung ebenso. B. Suttner war damals wohl eine Hysterikerin… „Suizid aus Angst vor Tod“ ist die Wahl des „weiter so“, die Wiederwahl der Verursacher und darin haben wir Deutschen reichlich Erfahrung… …bis zum bitteren Ende. Und dann hat es keiner gewollt, keiner gewußt und… Mehr

Marcel Börger
6 Jahre her
Antworten an  Henryke

Meine volle Zustimmung. Der „absehbare“ Gang der Dinge, ist eben nicht für alle absehbar, für viele nicht einmal erahnbar. Ich nannte es anderer Stelle den „völlig im Dunkeln tappenden Michel“, solange ihm keiner wie jemand aus der Tagesschau sagt, was läuft. 1914 gingen viele freudestrahlend in den Waffengang und dachten, in ein paar Monaten ist Frankreich erledigt, einer der üblichen Frieden wird irgendwo mal wieder unter den Monarchen ausgehandelt und spätestens zur Erntezeit ist man wieder zu Hause bei Mutti und den Lieben. Natürlich wußten besser informierte, daß es aufgrund der damals neuen Waffen ein fürchterliches Gemetzel werden würde, in… Mehr

Henryke
6 Jahre her
Antworten an  Marcel Börger

Das, was Viele heute immer noch als „Hysterie“ bezeichnen; das, was selbst uns in manchem Moment als UNDENKBAR erscheint- DAS wird Realität werden, Schritt für Schritt…
Jeder „regionale Einzelfall“ ist nur ein Test.
Und jeden einzelnen davon haben wir verloren.
Wir gehen dunklen Zeiten entgegen.

Marcel Börger
6 Jahre her
Antworten an  Henryke

Nun, bei echten Verletzten und Toten kann man nicht mehr von „Hysterie“ reden, was umgangssprachlich eher eine übertriebene Angst ohne ausreichenden Anlaß meint. Wäre in dem derzeit politisch, pervertierten Sinne „Hysterie“ erst dann nicht mehr „nur Hysterie“ wenn jeder ganz persönlich, echter Bedrohung und unmittelbarer Todesgefahr ausgesetzt ist? Alle Anschlagsopfer 2016 bis hin zum Berliner Breitscheidplatz waren absolute „Zufallsopfer“. Es hätte also grundsätzlich jeden von uns treffen können. Damit ist die Bedrohung von jedem Einzelnen von uns absolut real, alltäglich und allgegenwärtig. Ansbach und der Zug bei Würzburg haben bewiesen, daß auch kleinere Städte ohne große Parallelgesellschaften unsicher sind, ebenso… Mehr

AlfredE
6 Jahre her

„Bekennerschreiben“ 3 ist aufgetaucht.

Drittes Bekennerschreiben von Rechtsextremisten: “wird von den Behörden sehr ernst genommen.”

Wann kommt Stegners Twitter-Tweet “ Die AfD und Pegida haben mit-gebombt“

Mohammed Müller-Meier
6 Jahre her

Würde ich jetzt so nicht sagen. Aber der deutsche kauft nun mal erst eine Bahnsteigkarte bevor er zur Revolution schreitet. das muss erst mal aus den Genen raus. Als interessierter Beobachter dieser äußert aufschlussreichen Diskussion um „hasenfurz und andere“ muß ich sagen, „hasenfurz“ führt für mich eindeutig nach Punkten.

Ralph Dihlmann
6 Jahre her

Die Logik verstehe ich nicht, Herr Goergen. Entweder die Sicherheitsbehörden sind momentan überfordert, dann müssen wir mit dem Terror wohl eine zeitlang leben, und De Maiziere konstatiert das Offensichtliche. Oder sie sind es nicht, dann kann man die Terrorgefahr also irgendwie, von heut auf morgen mit den vorhandenen Strukturen beseitigen. So ein Blödsinn
Der Fall Amri hat exemplarisch aufgezeigt an welchen Stellen unsere Behörden, deren Nationale und internationale Vernetzung enorme Schwachstellen haben. Weitergedacht gilt das auch für das gesamte Konzept unseres Wohlfahrtstaates. Diese Schwachstellen gab es auch schon lange vor der fatalen Grenzöffnung, man konnte sie nur besser kaschieren.

Matthias Thiermann
6 Jahre her

Zieht hier schon das Netzdurchsetzungsgesetz oder warum werden sogar hier argumentative Kommentare unterbunden? Gerne auch eine PM, meine Mail Adresse ist Ihnen schließlich bekannt.

Henryke
6 Jahre her

Ich stimme Ihnen zu; die Alternative ist für mich persönlich allerdings zur Zeit die einzige Möglichkeit, um die künftigen Regierung vor sich herzutreiben (funktioniert in den Niederlanden und Österreich auch). Als ehemalige CDU- Wählerin habe ich mich über ein Jahr lang von Seehofer veralbern lassen; meine Hoffnung auf den Berliner Kreis oder Konrads Erben hat sich nicht erfüllt. Machen wir uns nichts vor; mit dieser Vorsitzenden wird es keine „innerparteiliche Opposition und einen Wechsel der Parteipolitik“ geben. Mein „Wunsch“ zur BTW: Rot /Schwarz- damit ist die Amtsinhaberin politisch entmachtet und die Union kann einen roten Kanzler zumindest soweit in die… Mehr