Seltene Erden aus der Steppe

Im Vordergrund stehen für das Regime in Astana der Aufbau einer starken Mittelklasse. Danach will sich die Regionalmacht der Demokratisierung widmen. Nasarbajew drückt das so aus: „Die Demokratie steht für uns nicht am Anfang des Weges, sondern am Ende.“

Almaty

ASTANA. Im eurasischen Raum wird Kasachstan zum Dreh- und Angelpunkt für die die deutsche und europäische Energie- und Rohstoffsicherheit. Der Steppenstaat ist derzeit mit 6,4 Millionen Tonnen nach Russland, Norwegen, Großbritannien und Nigeria der fünftgrößte Öllieferant: Jede vierte Tonne Rohöl in Deutschland kommt aus Kasachstan. Zugleich sind deutsche Unternehmen begehrte Partner für die Erschließung der zwischen dem Kaspischen Meer und dem Tian-Schan-Gebirge vermuteten gigantischen Rohstoffreserven des zentralasiatischen Landes. Die EU-Staaten sind für das 7.000 Kilometer entfernte Land vor seinen Anrainern Russland und China „unser größter Handels- und Investitionspartner“, erläutert Außenminister Jerlan Idrissov im Gespräch – und fügt hinzu: „Deutschland ist unser strategischer Partner in Europa.“

Mit dem vor vier Jahren in Berlin von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew unterzeichneten Kooperationsabkommen sichert sich Deutschland im Austausch „Rohstoffe gegen Technologie“ nicht nur exklusive Schürfrechte, sondern auch einen vielversprechenden neuen Markt für seine Maschinenexporte oder den Anlagenbau. Die seit 1991 unabhängige einstige sowjetische Teilrepublik, mit 2,7 Millionen Quadratkilometern acht Mal größer als Deutschland, besitzt die weltweit größten Uran-Vorräte, aber auch beachtliche Vorkommen an Erdgas, Eisenerz, Steinkohle, Titan, Chrom, Mangan, Wolfram, Vanadium, Nickel, Blei, Zink, Silber und Gold. Von wachsendem Interesse für die deutsche Wirtschaft sind die Seltenen Erden Kasachstans, das „Öl der Zukunft.“ 17 Mineralien mit magnetischen und elektrischen Eigenschaften zählen zu den Seltenen Erden, die beispielsweise für den Bau von Solarmodulen, Flachbildschirmen, Lasergeräten, Mobiltelefonen oder Computerfestplatten benötigt werden. Seit Kasachstan Nachbar China, der über 95 Prozent dieser begehrten Mineralien verfügt, die Ausfuhr der Seltenen Erden stark eingeschränkt hat, sind die Preise in die Höhe geschossen.

Trotz der Rohstoffpartnerschaft mit Kasachstan und ähnlichen Vereinbarungen mit der Mongolei sorgt sich die deutsche Industrie um Lieferengpässe. Denn Deutschland ist einer der größten Rohstoffverbraucher weltweit: Im Lauf seines Lebens verbraucht jeder Bürger 1.000 Tonnen Rohstoffe. Im Unterschied zu Kohle, Gips, Ton oder Sand bleibt die Bundesrepublik bei den für die Hochtechnologie unentbehrlichen metallischen Rohstoffen Kupfer, Platin, Kobalt und den Seltenen Erden komplett auf Importe angewiesen. Insofern erweist sich der 2012 geschlossene Rohstoffkontrakt als Segen: Die Aurum Deutschland AG kann derzeit fünf Tonnen kasachisches Gold verwerten und darf – sehr zum Verdruss der Chinesen – exklusiv in Gebirgen und Steppen neue Schürfstätten für Seltene Erden explorieren.

Stabilität und Pragmatismus

Das zentralasiatische Transformationsland mit seinen 17 Millionen Einwohnern (und  121 Nationalitäten) sucht seine politische und wirtschaftliche Stabilität mit einer pragmatischen Politik zu balancieren. Der neuntgrößte Staat der Erde, dessen Landfläche zu 5,4 Prozent dem äußersten Osteuropa zugerechnet wird, versteht sich trotz seiner engen Beziehungen zu Russland als Brücke zwischen der EU und China. „Wir lächeln in alle Richtungen“, beschreibt Außenminister Idrissow die heikle geopolitische Situation seines Staates: Mit Russland verbindet Kasachstan eine wechselvolle gemeinsame Tradition und die mit 7.000 Kilometern zweitlängste Landesgrenze der Welt. Der südliche Nachbar China hingegen ist den meisten Kasachen, gelinde gesagt, unheimlich. Das Reich der Mitte mit seinem Expansionsdrang und seinem Großprojekt der „Neuen Seidenstraße“ wird als Bedrohung empfunden. Als Nasarbajew im Februar 2016 eine Landreform durchsetzen wollte, die ausländischen Investoren über 25 Jahre das Recht auf Pachtbesitz zu sichern sollte, kam es zu Massenprotesten: „Nieder mit den Chinesen, Kasachstan den Kasachen!“ Das Gesetz wurde erstmal auf Eis gelegt. Für einen autokratisch geführten Staat ist ein solches Moratorium erstaunlich.

Die globalen wirtschaftlichen Verwerfungen und die Weltfinanzkrise sind an diesem am weitesten entwickelten zentralasiatischen Staat nicht spurlos vorüber gegangen. Nach den Boom-Jahren und den sprudelnden Öl-Einnahmen hat Kasachstan entbehrungsreiche Jahre durchstehen müssen. Mit dem Preisverfall der Öl- und Gaspreise verlor das Land nach Angaben des stellvertretenden Außenministers Roman Vassilenko rund 100 Milliarden US-Dollar. Die bislang üppigen jährlichen Wachstumsraten von bis zu zehn Prozent stürzten auf den Nullpunkt. Löhne und Renten wurden drastisch gekürzt, die Inflation kletterte auf über 13 Prozent.

Mit Konjunkturpaketen und einem Griff in den Nationalfonds suchte die Regierung in Astana wirtschaftliche Impulse – vor allem beim Ausbau der Infrastruktur – zu setzen. Nachhaltig schwächte der Verfall des russischen Rubel die Wettbewerbsfähigkeit Kasachischer Firmen. Nachteilig wirkten sich zudem die westlichen Sanktionen gegenüber Russland aus: Zahlreiche russische Firmen in Kasachstan waren vom Lieferboykott betroffen und konnten den Markt ihres Gastlandes nicht mehr versorgen. Obendrein überschwemmte Russland in der Eurasischen Zollunion seit ihrer Gründung 2015 sein einstiges Bruderland mit Billigprodukten. Kasachstan sah sich gezwungen, die heimische Tenge-Währung um 50 Prozent im Verhältnis zum US-Dollar abzuwerten.

Deshalb könnte die kasachische Wirtschaft 2016 zum ersten Mal seit 1998 schrumpfen. Die Importe werden vermutlich weiter zurückgehen. Doch die staatlichen Stützungsmaßnahmen im Rahmen des Wirtschaftsprogramms „Nurly Shol“ verhinderten immerhin ein Abgleiten der GUS-Republik in die Rezession. Seit die Rohstoffpreise jedoch wieder anziehen und der Ölpreis über die 50 US-Dollar-Marke pro Barrel klettert, „ist die Stimmung deutlich besser“, behauptet Tulemis Shotanov, der stellvertretende Vorsitzende des kasachischen Unternehmerverbandes. „Unsere wirtschaftliche Lage ist nicht einfach, aber stabil“, beschreibt Vizeaußenminister Vassilenko die abwartende Haltung der Wirtschaft. Doch die Signale stehen auf Zuversicht: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird nach Schätzungen der EU und ganz ähnlichen Einschätzungen des IWF im kommenden Jahr wieder um 1,2 bis 1,5  und 2018 um 1,0 Prozent steigen. Danach könnte sich das jährliche Wachstum 2019 um 2,8 und im Jahr darauf um 3,5 Prozent erhöhen. Die Gründe für diese Wachstumsprognosen sind der Ausweitung des Ölfeldes in Tengis und der auf Touren kommenden Off-Shore-Produktion in Kaschagan geschuldet. Zugute kommen Kasachstan seine immer noch beachtlichen Devisenreserven und die Mittel im staatlichen Öl-Fonds von 94,1 Milliarden US-Dollar sowie die niedrige Staatsverschuldung. Die Löhne wurden bereits in zwei Etappen um 30 Prozent erhöht, um die Kaufkraft wieder anzukurbeln.

Schaufenster EXPO 2017

Mit einem Bekenntnis zu den erneuerbaren Energien richtet Kasachstan 10. Juni bis 10, September kommenden Jahres die erste Weltausstellung in Zentralasien aus. In der Retorten-Hauptstadt Astana, die im Norden vor gerademal zwei Jahrzehnten mit Milliarden-Aufwand aus den Öl-Gewinnen aus der Steppe gestampft wurde, werden 104 Länder und zehn internationale Institutionen 93 Tage lang unter dem Motto „Future Energy“ ihre Beiträge und Innovationen präsentieren. Mindestens 1,5 Milliarden US-Dollar lässt sich das Schwellenland Kasachstan sein Prestigeprojekt EXPO 2017 kosten. Das weithin sichtbare Wahrzeichen auf dem 174 Hektar großen Areal ist eine 50 Meter hohe Glaskugel, die den „letzten Tropfen Öl“ symbolisiert. „Wir bereiten uns auf die Zukunft ohne Öl vor“, sagt EXPO-Chef Akhmetzhan Yessimov: „Bis 2050 wird Kasachstan 50 Prozent seines Bedarfs aus grünen Energien beziehen.“ Alles laufe „nach Plan“, gibt sich der frühere Minister und Bürgermeister der Wirtschaftsmetropole Almaty zuversichtlich und deutet auf die Baukräne und fast fertigen Ausstellungs-Pavillons vor seinem Bürofenster. Man werde nicht die „Fehler der Deutschen“ machen, versichert der Vertraute von Staatschef Nasarbajew. Im Unterschied zur EXPO 2000 in Hannover mit ihrem verrotteten Gelände sollen alle Pavillons erhalten bleiben und für Kongresse, Messen oder ein internationales Finanzzentrum zur Verfügung stehen. „Das wird hier wie in Dubai“, sagt Yessimov stolz, „wir bauen einen komplett neuen Stadtteil mit Wohnungen, Restaurants, Einkaufszentren und Hotels.“

Deutschland wird neben Russland und China den größten Pavillon auf der EXPO 2017 beziehen. Auf 1.700 Quadratmetern soll den Besuchern die Energiewende „Made in Germany“ vermittelt werden. In der 15 Meter hohen Halle werden gerade die Böden von Zementresten befreit, so dass noch im November die ersten Aussteller, darunter alle 16 Bundesländer, einziehen können. „Der deutsche Pavillon“, erläutert EXPO-Kommissar Dietmar Schmitz aus dem federführenden Bundeswirtschaftsministerium, „bildet die Leistungsfähigkeit und Lösungskompetenz Deutschlands im Bereich der zukünftigen Energieversorgung unseres Planeten ab.“ Seinem Ziel, eines noch fernen Tages zu den 30 entwickelsten Nationen der Welt zu zählen, hofft Kasachstan mit der EXPO 2017 ein Stück näher zu kommen. „Mit der grünen Energie“, schwärmt EXPO-Chef Yessimov, „wollen wir zu einem Schaufenster für die Welt werden.“

Demokratie am Ende des Weges

Im Dezember 2015 unterzeichnete die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini in Astana das „Rahmenabkommen über die erweiterte Partnerschaft  und Kooperation“ der Europäischen Union mit Kasachstan. Diese Vereinbarung entspricht zwar keiner Assoziierung, geht aber nach Einschätzung des kasachischen Vizeaußenministers Sergej Volkov „weit über die Abkommen der EU mit anderen Staaten des postsowjetischen Raums hinaus.“ Zoll- und Finanzsysteme werden angepasst, über Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte soll es zum Dialog kommen. Mit Russland habe es über das Partnerschaftsabkommen „keinerlei Konsultationen“ gegeben, versichert Volkov, Moskau habe sich „nicht eingemischt.“

Das liegt wohl an Wladimir Putins Wertschätzung für Kasachstans Präsidenten Nasarbajew. Der 76-jährige lenkt das Land seit über 25 Jahren mit harter Hand und will es wohl weiter regieren. Nasarbajew, so der russische Staatschef anerkennend, habe zwischen dem Kaspischen Meer im Westen und dem Altai-Gebirge im Osten „einen Staat aufgebaut, wo es vorher nie einen gab.“ Das klang zunächst nach einem Affront: Kasachstan eine Landmenge ohne eigene Staatlichkeit? Denn nach dem freiwilligen Verzicht auf die seit Sowjetzeiten in Kasachstan gelagerten Atomwaffen-Arsenale löste die russische Landnahme der Krim einen tiefen Schock aus.

Nasarbajew versteht sich inzwischen als Mittler zwischen Putin und dem Westen – etwa im Ukraine-Konflikt. Um sein Land innenpolitisch stabil zu halten, erwägt der Präsident eine Verfassungsreform, die die Rechte des Staatsoberhauptes zu Gunsten des Parlaments schwächt. Das sieht nach einer Regelung für den Übergang aus und soll es wohl auch sein. Im Vordergrund stehen für das Regime in Astana jedoch die Förderung der Wirtschaft und der Aufbau einer starken Mittelklasse. Danach will sich die aufstrebende Regionalmacht der Demokratisierung der Gesellschaft widmen. Das Glas ist bislang also nur halb voll.  Nasarbajew drückt das so aus: „Die Demokratie steht für uns nicht am Anfang des Weges,  sondern am Ende.“

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