Inflation galoppiert – doch die Bundesregierung beschwichtigt

Die Lieferengpässe verschärfen sich und die Zentralbanken drucken massiv Geld. Und die Bundesregierung? Die erwartet keine „nachhaltige Erhöhung der Teuerungsrate“.

IMAGO / Steinach

Die Preise steigen weiter auf breiter Front. Laut dem Statistischen Bundesamt erhöhten sich die Verkaufspreise im Großhandel um 11,3 Prozent im Juli. Die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise stiegen um 6,8 Prozent im Juni im Vergleich zum Vorjahresmonat. Auch die Endverbraucherpreise ziehen an – laut den offiziellen Angaben um 3,8 Prozent seit Juli 2020. Die Industrie will die Preise wegen extrem gestiegener Schiff-Frachtraten und hoher Rohstoffkosten anheben. Der Chef des Schraubenherstellers Würth kündigte etwa im Handelsblatt an, bis zu 15 Prozent aufschlagen zu wollen.

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Wer ein Auto kaufen möchte, muss laut einer Studie von Euler Hermes bald deutlich tiefer in die Tasche greifen. Die Autobauer seien wegen des Chipmangels und der hohen Autonachfrage in der Lage, erstmals seit 20 Jahren höhere Preise durchzusetzen. „3 bis 6 Prozent Preissteigerung sind europaweit deshalb aktuell drin, in Deutschland sogar zwischen 4 und über 10 Prozent – zumindest bis sich der Ausnahmezustand bei den Halbleitern wieder normalisiert. Dieser dürfte allerdings noch bis ins erste Halbjahr 2022 hinein andauern“, sagte der Deutschland-Chef Ron van het Hof. Der Gelackmeierte ist der Verbraucher, der bald 11.000 statt 10.000 Euro für einen Neuwagen hinblättern könnte.

Die Bundesregierung scheinen die Preisanstiege wenig bis gar nicht zu kümmern. Bislang hat kein Regierungsmitglied für ein Ende der ultralaxen Geldpolitik der EZB plädiert. Merkel und Co. wollen auch nicht von Lockdowns absehen, die die Lieferengpässe erst verursacht haben. Das Bundeswirtschaftsministerium redet den Ernst der Lage sogar klein. „Eine nachhaltige Erhöhung der Teuerungsrate ist aus heutiger Sicht nicht zu erwarten“, heißt es im Monatsbericht. „Denn aktuell sind keine Anzeichen einer Lohn-Preis-Spirale zu beobachten, die zu dauerhaft hoher Inflation führen kann.“

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Gunther Schnabl sieht das in einem Interview anders. Der Leipziger Ökonom hält es für sehr wahrscheinlich, dass die Teuerungsrate längerfristig im Bereich von 3,8 Prozent bleiben wird. Die EZB habe „mit dem Anheben ihres Inflationsziels und dem Signal, dass sie noch länger in großem Umfang Anleihen kaufen wird, die Inflationserwartungen angehoben“, erklärt der Professor. Die Eurostaaten signalisierten zudem mit dem Aussetzen der Schuldenregeln, dass sie ihre Staatsschulden weiter erhöhen wollten. Außerdem deuteten sich Corona- und Klimaregulierungen an, die die Kosten der Unternehmen erhöhen dürften. Und zuletzt seien eben auch Lohn-Preis-Spiralen möglich, weil die Gewerkschaften angesichts der Inflation höhere Löhne fordern dürften.

Auch die Lieferengpässe könnten das Angebot weiter verknappen und die Preise nach oben treiben. „Zwar sind die Auftragsbücher der Unternehmen prall gefüllt“, sagt etwa der ifo-Forscher Timo Wollmershäuser. „Aber Lieferengpässe bei wichtigen Vorprodukten stoppten eine Ausweitung der Produktion.“ Auch im dritten Quartal werde die Erholung „schwach“ bleiben, befürchtet das ifo-Institut in einer Mitteilung. In einer ifo-Umfrage vom Juli gaben zwei Drittel der Firmen an, dass ihnen Vorprodukte fehlten. Das war der höchste Wert seit der Wiedervereinigung. Im April waren es noch 45 Prozent gewesen.

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In den betroffenen Branchen rechnet nicht jeder mit einer raschen Entspannung. Etwa sagte der Infineon-Vorstandsvorsitzende Reinhard Ploss im FAZ-Interview, dass sich die Chipknappheit „bis 2023“ hinziehen könnte. Ein Stahlgroßhändler berichtet in einer Email an einen Kunden, die TE vorliegt, von Preisen auf einem „historischen Niveau“ und einer Versorgungslage, die „extrem angespannt“ sei. „Im Herbst erwartet man eine noch schärfere Situation“, schreibt er und stellt eine Erholung „nicht vor dem zweiten oder dritten Quartal 2022“ in den Raum.

Dazu kommt die Zombifizierung, die wie ein Damoklesschwert über der gesamten Wirtschaft hängt. Die Corona-Hilfen dürften viele Unternehmen am Leben erhalten, die nicht mehr rentabel sind (TE berichtete). Zwar mussten bereits zahlreiche Selbstständige aufgeben – laut der Tagesschau hat sich die Zahl der Freiberufler, die Grundsicherung beantragten, in der Corona-Krise versechsfacht. Aber auf Unternehmensseite dürfte weiter ein massiver Insolvenzstau vorliegen. Laut dem Statistischen Bundesamt beantragten im Mai knapp 26 Prozent weniger Firmen Insolvenz als im Vorjahresmonat.

Ohnehin erklären kritische Professoren, dass die offiziellen Inflationsraten die wahre Teuerung unterschätzen (TE berichtete). Zuletzt hat die EZB massiv Geld in die Märkte gepumpt. Die Geldmenge M1 – also Sichtguthaben und Bargeld – stieg zwar seit einem halben Jahr etwas langsamer, aber die Jahreswachstumsrate war im Juni weiter zweistellig mit 11,7 Prozent. Die konsolidierte Bilanzsumme der Zentralbank verdoppelte sich nahezu seit Beginn der Corona-Krise.


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Kommentare ( 46 )

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J. Werner
2 Jahre her

Die Politikelite tangiert das weder im Land noch in der EU. Grund : die öffentlichen Haushalte entschulden sich wie durch Zauberhand zu Ungunsten der Ersparnis von Millionen Privaten. Politiker, Richter und EZB passen ihre Bezüge flexibel an die Inflation an. Summa summarum werden sie nicht ärmer, bekommen alles was sie wollen :Gesundung der Staatsfinanzen, Ökoplanwirtschaft, Zentralisierung nach Brüssel durch Aufhebung nationaler Systeme, Deindustrialisierung Deutschlands und durch Eliminierung der Zahlungsbilanzüberschüsse eine „gerechtere Umverteilung“ des „Wohlstands“ im der EU. Klimaretter und Eurozentristen jubilieren, und die Menschen sind zu 90 % plötzlich Habenichtse geworden. Dem Rest geht es leidlich. Die Transformationsgewinner streichen die… Mehr

Lutze
2 Jahre her

3,8 % sind Pillepalle. Wir haben im August 2019 den Werkvertrag für ein Fertighaus unterschrieben mit Festpreisgarantie. In der Zwischenzeit hat der Anbieter die Preise 4 Mal erhöht. Einmal um 6%, ein Mal um 8 %, zum 1.4.2021 um 8 % und zum 1.6.2021 um 11 %. Summasumarm in 2 Jahren um 33 %. Sind pro Jahr fast 14 %. Nix 3,8 %. Andere Hausanbieter haben Käufern mit Festpreis Garantie genötigt 30% mehr zu bezahlen oder kein Haus zu bekommen.

pbmuenchen
2 Jahre her

Nicht nur die Inflation, der Niedergang insgesamt. Aber bei den Akteuren war und ist nichts anderes zu erwarten gewesen. Eigentlich warten wir nur noch auf den finalen Todesstoß, ob den Laschet, Baerböck oder Scholz ausführt ist einerlei, aber vielleicht gelingt er sogar Merkel noch…

meckerfritze
2 Jahre her

Das schlimmste wird, wenn die gierigen Gewerkschaften höhere Löhne durchsetzen, das wird eine Todesspirale für die Wirtschaft. Gleichzeitig eine wirtschaftliche Depression mit hoher Inflation. Herzlichen Glückwunsch. Und dann knallen die Grünen noch den Klima Hammer drauf. Das war es dann ein für alle Mal mit dem Wohlstand.

Silverager
2 Jahre her
Antworten an  meckerfritze

Richtig. Die „gierigen Gewerkschaften“ sollen lieber mit aller Kraft vermeiden, dass die Löhne und Gehälter steigen.
Die Arbeiter und Angestellten sollen hingegen zusehen, wie ihr verfügbares Einkommen durch die hohe Inflation weiter und weiter schrumpft, damit der Gewinn durch die Preiserhöhungen den Firmeninhabern zugute kommt.
Sie sind ein wahrer Liberaler.

Martin Mueller
2 Jahre her

Politiker ohne Verantwortungssinn und ohne Format stolpern sehenden Auges in die Krise. Und in der Krise zeigt sich auch die Klasse eines Politikers ganz besonders.

Mittelmäßige Politiker, die ihr Fähnchen in den Wind halten und unfähig sind, einen falschen Kurs zu korrigieren, regieren uns schon seit geraumer Zeit.

Es wird also auch beim Euro zum Knall kommen…

Wuehlmaus
2 Jahre her

Angebot und Nachfrage regeln den Preis. Dieses Prinzip scheint den Sozialisten nicht bekannt zu sein. Die SPD möchte die Mieten sichern und Wohnungen schaffen, sorgt aber mit dafür, dass Illegale reinströmen ins Land. Die CDU erhöht die Steuern auf fast jedes Produkt, wundert sich aber, dass die Preise steigen.

PLP
2 Jahre her

Die Zombifizierung unrentabler und offensichtlich insolventer Unternehmen ist ja „nur“ eine sinnbefreite Steuergeldverschwendung um eine dilletantische Wirtschaftspolitik zu vertuschen. Ein entscheidender Aspekt in Bezug auf gesunde Unternehmen wird dabei überhaupt nicht beachtet: Solange Betriebe mit Corona-Kurzarbeitergeld und niedrigerer Produktion mehr Gewinne als mit höherer Produktion und ohne Kurzarbeitergeld machen, wird sich an bestehenden Lieferengpässen bei verarbeiteten Produkten, den daraus resultierenden Preisanpassungen (siehe das simple Spielchen von „Angebot und Nachfrage“) und der Hebelwirkung liquider Unternehmen, mit ihren eigenen vollen Lägern regelrechte Warentermingeschäfte zu tätigen (weil der Markt es einfach zulässt), wird sich an der aktuellen Entwicklung herzlich wenig ändern. Das ändert… Mehr

Jerry
2 Jahre her
Antworten an  PLP

Und einer der „Bazooka Boys“ wird der nächste Kanzler! Ich kann den Wumms schon spüren…

GP
2 Jahre her

Das Drucken von Geldscheinen als Lösung wirtschaftlicher Probleme hat noch nie funktioniert und wird auch nie funktionieren. Das ist wie süßes Gift, anfangs hilft es, am Ende bringt es einen um, man kann nicht mehr ohne. Egal wer ab Oktober in das Kanzleramt einzieht, er erbt eine Ruine hinter schöner Fassade…..

Jerry
2 Jahre her
Antworten an  GP

Selbst die Fassade ist nicht mehr schön!

Jerry
2 Jahre her

In zwei Jahren sagt man uns dann: „Wir haben die Lage falsch eingeschätzt“. Oder: „Ist mir egal ob ich Schuld bin, jetzt ist sie halt da“…

GP
2 Jahre her

Die Inflation kommt wie die Taliban, keiner hat sie erwartet und plötzlich ist sie da. Wie hätte die Kanzlerin und ihre Entourage dass auch wissen können, sie sind daran völlig unschuldig, so wie beim Erscheinen der Taliban, ist man sich keiner Schuld bewusst. Schuld ist eh die AfD, die GEZ Medien werden das passende Narrativ schon liefern, ist ja ihr Beruf…..