Der Raketeneinschlag in Polen entblößt die Schwächen der Nato

Der Raketeneinschlag im ostpolnischen Dorf Przewodów war wohl kein russischer Angriff. Die Regierungen in Warschau und Washington gehen von einer fehlgeleiteten ukrainischen Flugabwehrrakete aus. Wie dem auch sei – es hätte dazu nicht kommen dürfen, meint Wojciech Osiński, Berliner Korrespondent des Polnischen Rundfunks.

IMAGO / NurPhoto
US-Präsident Joe Biden beim Nato-Gipfel in Madrid, 30.06.2022

Nach einer mehrstündigen Krisensitzung des Nationalen Sicherheitsrats und einem intensiven Austausch mit anderen Nato-Bündnispartnern gab Polens Staatschef Andrzej Duda vorerst Entwarnung: Die S-300-Rakete, die am Dienstag in der Woiwodschaft Lublin einschlug, stammte vermutlich von der ukrainischen Luftabwehr. Damit war es kein russischer Angriff auf Polen und die Nato.

Fakt ist aber, dass es ohne den russischen Angriffskrieg und den Raketenbeschuss sowie das darauf folgende ukrainische Abwehrfeuer in grenznahen Gebieten niemals zu dem tödlichen Beschuss oder Unfall bei Hrubieszów gekommen wäre. Außerdem: Die Rakete hätte gar nicht erst dort landen dürfen. Sie hätte abgefangen und zerstört werden müssen – ganz unabhängig von wem sie stammt, der geringen Vorwarnzeit oder davon, ob sie in der Hauptstadt oder Provinz einschlägt. Das aber offenbart die Schwäche der Luftraumsicherung der Nato-Staaten: Warschau war vollkommen überrascht und hatte keinerlei eigene Schutzmaßnahmen gegen den Raketenbeschuss.

Auffallende Zurückhaltung der Erklärungen
Wer ist für den Raketeneinschlag in Polen verantwortlich?
Nun sagte ein Sprecher des Berliner Bundesverteidigungsministeriums, man stünde im Austausch mit der polnischen Regierung über ein verstärktes „Airpolicing“. Gemeinsam mit den anderen Nato-Ländern werde man prüfen, welche Auswirkungen dies auf die gemeinsame Luftraumüberwachung haben würde. Na ja, diese Überprüfung wäre nicht nur dringend geboten, sondern müsste tatsächlich realisiert werden. Den Luftstreitkräften und Luftabwehrsystemen wird im Nordatlantischen Bündnis eine große Bedeutung beigemessen. Zumindest auf dem Papier. Und „Airpolicing“ klingt etwas harmlos am Rande eines heißen Kriegsgebiets. Es geht um Luftraumverteidigung und Bevölkerungsschutz.

Der Raketeneinschlag in dem ostpolnischen Dorf Przewodów hat Defizite bei der Handlungsfähigkeit und dem Kräftedispositiv der Nato offengelegt, über die man aufgrund der gegenwärtigen Schockstarre noch hinter vorgehaltener Hand spricht. Allerdings können die Staaten diesem Problem jetzt auch nicht unbeschadet ausweichen, zumal eine eingehende Optimierung  der Luftraumüberwachung viele Monate, wenn nicht Jahre in Anspruch nähme. Natürlich muss sich die Luftabwehrstrategie des Bündnisses weiterhin vornehmlich auf kritische Infrastrukturen konzentrieren. Aber das reicht nicht. Die Bevölkerung muss geschützt werden.

Auch in der Bundeswehr klaffen derzeit unverändert „Fähigkeitslücken“ im Bereich der signalerfassenden Überwachung und Aufklärung des Luftraums, die dringend geschlossen werden müssten. Dies sei jedoch nach der Meinung von Experten nicht kurzfristig möglich. Dabei gehört die Entwicklung von hochempfindlichen Aufklärungsinstrumenten und rechenintensiven Auswerte-Algorithmen eigentlich zu den Kernbereichen der deutschen Industrie.

Offensichtlich ist nach dem Raketeneinschlag in Polen keine Aktivierung des Artikels 4 im Nordatlantikvertrag notwendig gewesen, der Beratungen der Nato-Staaten vorsieht, wenn einer von ihnen die Unversehrtheit seines Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die eigene Sicherheit bedroht sieht. Es bleibt zu hoffen, dass solche tragischen Ereignisse künftig erspart bleiben. Es wird aber  eine diplomatische Note notwendig sein, die dem Kreml keineswegs ein verkapptes Friedensangebot unterbreitet, sondern eher wieder vor Augen führt, was sie da eigentlich anrichten.

Sollten die Nato-Staaten – wie unlängst abermals von der Regierung in Kiew eingefordert – den Luftraum über der Ukraine schließen? Dies käme einer Kriegsbeteiligung gleich. Vielleicht sollten wir uns jedoch zunächst einmal um unseren eigenen Luftraum kümmern und die Bevölkerung vor herumfliegenden Raketen schützen.

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Kommentare ( 24 )

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Ante
1 Jahr her

Jeder sollte sich ehrlich machen. Auch die Putinversteher und Sympathisanten des russischen Eroberungskriegs. RU hat im Rahmen eines konventionellen Kriegs nicht die Spur einer Chance gegen die US-Streitkräfte. Der Nato fehlt es an der Qualität der US-Truppen in Europa. Die Nato braucht deutlichen Aufwuchs der Mannstärke sowie moderner Waffensysteme. Ausbildung ist auch in Europa innerhalb der Nato gut. Gnade den Russen Gott, sie überfallen einen Natostaat. Dann wird Kaliningrad als russisch besetztes Gebiet Geschichte sein genauso wie russische Truppen außerhalb Russlands. Nur die dümmsten Russen halten ihre Armee für imperial. Es gibt leider diesen Grad an Dummheit und Gier, aber… Mehr

LiKoDe
1 Jahr her

Mit der Ukraine als Nachbarn und solchen Regierungen wie die Selenskyjs hätten polnische Regierungen schon ab 2014 mit einer eigenen wirksamen Luftabwehr nach dem Vorbild des Iron Dome Israels besser da gestanden. Nachdem schnell klar war, dass es sich bei der Rakete um eine funkgesteuerte womöglich 40 Jahre alte 5W55K mit einer entsprechend kleinen Reichweite [75-100 km] gehandelt hat, musste man s o f o r t von einem „Versagen“ der ukrainischen Armee und der ukrainischen Regierung ausgehen. Denn das Territorium der Russischen Föderation ist über 600 km vom Einschlagsort in Polen entfernt, und selbst die neuesten Versionen der Rakete… Mehr

Bernd Schulze sen.
1 Jahr her

Schuld ist Russland, die haben ja den Krieg begonnen, stimmt so nicht ganz. Der Krieg tobte schon 8 Jahre lang und wurde vom Westen nur nicht beachten. Zudem wer sagt, daß es jetzt kein Krieg gegeben hätte. Dann hätte ihn aber die Ukraine einen von Zaun gebrochen und alle Anzeichen sprachen dafür. Nur Russland hat schneller gehandelt, bis der PP der Ukraine, Lugansk und Donezk mit Natowaffen kurz und klein bombardiert hätte. So wie bei den USA und Nato üblich.

Ralf Poehling
1 Jahr her

Auch wenn viele das nicht hören wollen: Die USA kippeln und schwächeln viel mehr, als es von hier aus aussieht. Die NATO ist von gestern und kommt mit den Bedrohungen von heute nicht nur kaum mehr klar, sie wird auch von einem Land angeführt, was nicht mehr das selbe ist. Ein enormer Militärapparat nützt überhaupt nichts, wenn die Aufklärung nicht funktioniert und das amerikanische Volk immer weniger dahintersteht. Das ist kein USA Bashing, einfach eine sachliche Analyse. So lange die USA intern nicht die Kurve bekommen, fallen sie als Führungsmacht aus. Wir müssen in der EU militärisch also auf eigenen… Mehr

Ralf Poehling
1 Jahr her
Antworten an  Ralf Poehling

Wenn die deutsche Armee und die polnische Armee gemeinsam den deutsch-polnischen Luftraum verteidigen, ist das dann eine europäische Armee? Wenn die NATO Länder gemeinsam ihr jeweiliges Territorium verteidigen, ist das dann eine transatlantische Armee?
Ich halte nichts von den Vereinigten Staaten von Europa.
Ich will ein europäisches Verteidigungsbündnis.

Thomas Hellerberger
1 Jahr her

Wenn man die Militärgeschichte der letzten 100 Jahre – also ungefähr den Zeitraum, seit es technisch einen Luftkrieg geben kann – anschaut, so erkennt man, daß jedweder Versuch, Luftangriffen rein defensiv zu begegnen, zum Scheitern verurteilt ist. Dabei spielt der Stand der Technik keine Rolle – zwischen Angriffs- und Verteidigungstechnologien gibt es stets den üblichen Hase-und-Igel-Wettlauf. Mal ist der eine im Vorteil, mal der andere. Im Zweiten Weltkrieg scheiterte Deutschland daran, die westalliierte Luftoffensive 1943 und 1944 zu brechen, was kriegsentscheidend war. Versucht wurde es ausschließlich defensiv, also mit Bodenflak und Jagdflugzeugen. Schon bald stellte sich heraus, daß Deutschland niemals… Mehr

Querdenker73
1 Jahr her

War doch klar! Wer das diesbezügliche Geschwafel im ÖRR hörte, kam selbst zu dem Schluss, dass es die Ukraine gewesen sein muss! Klasse war noch der alles abschließende Abschluss: Wer es auch immer war,-Putin ist schuld (DLF)! Vielleicht kam die Rakete ja sogar aus den friedensfördernden Lieferungen Europas oder Deutschlands? Wie dem auch sei: Die menschlichen Opfer spielen in keinem Kommentar auch nur die geringste Rolle. Wo bleibt hier der erläuternde Kommentar des Herrn Hofreiter? Oder hat der sich etwa schon freiwillig an die Front gemeldet?

Emmanuel Precht
1 Jahr her

Fakt ist das es kein russischer Angriff auf Polen und die Nato war, sondern ein Angriff der Ukraine auf das NATO-Land Polen, die Ukraine hat schließendlich die Möglichkeit der Selbstzerstörung der S-300 nicht genutzt. Man stelle sich einmal vor, der polnische Fotograf, der zufällig diese Raketenreste ins Bild bannte, hätte dies nicht getan. Wer den nächsten Friedensnobelpreis bekommen sollte? Der polnische Fotograf der Raketenüberreste.
Wohlan…

Last edited 1 Jahr her by Emmanuel Precht
littlepaullittle
1 Jahr her

„Auch in der Bundeswehr klaffen derzeit unverändert „Fähigkeitslücken“…“
In „der Bundeswehr“ ?
Sollte das nicht zu allererst „In der Regierung“ heissen ?
Insbesondere von Bundestagsabgeordnetinnen, die sich nicht an „Seit 5:45 wird jetzt zurueckgeschossen.“ erinnern und gerne den Krieg anhetzen.
Unsere Regierungen haben die Bundewehr zu dem gemacht, was sie heute ist:
Marode, defekt aber gegendert.
Klingt wie die Deutsche Bahn …..

Cimice
1 Jahr her

Die offizielle Lesart ist jetzt, dass es sich um eine fehlgeleitete Flugabwehrrakete der Ukrainischen Armee handelt. (Ursprünglich waren es „zwei(!) russische(!) Angriffsraketen“. ZWEI Irrläufer sind aber eher unwahrscheinlich, vermutlich deswegen ist es jetzt nur noch eine.) – Tatsache ist – aus technischen Gründen – dass die Rakete(n) von ukrainischem Gebiet abgefeuert wurde(n), weit entfernt von Russischen Kräften, das liegt an der begrenzten Reichweite von 150 bis Max. 200 km. Warum die Rakete(n) in relativ flachem Winkel anstatt steil nach oben abgefeuert wurden wirft Fragen auf. Auch hier wieder die Technik: Hätte die Rakete ihr Zielobjekt verfehlt, wäre sie bis zur… Mehr

Teiresias
1 Jahr her
Antworten an  Cimice

Es sind wohl immer noch 2 Raketen, eine davon tötete 2 Menschen, und von dieser einen wird jetzt ausschließlich geredet.

Die andere Rakete hat es zwar immer noch gegeben, sie wird aber nicht mehr erwähnt – mutmaßlich, weil nicht passend zum Narrativ „fehlgeleitet“.

AnSi
1 Jahr her

Meiner Meinung nach war das wieder ein hinterlistiger Akt der USA gemeinsam mit der Ukraine. Die wollen einfach ganz Europa in ihr dreckiges Spiel hineinziehen. Es mag ja sein, dass Putin diesen Krieg mit Waffen begonnen hat, hinter den Kulissen tobt er aber schon seit 2014 und es waren damals nicht die Russen, die angefangen haben. Es wird Zeit, dass die Ermittlungen zu Biden und seinem Sohn intensiviert werden. Wie tief steckt Selensky da mit drin? Ist schon mal jemand dieser Spur gefolgt?

Belinea
1 Jahr her
Antworten an  AnSi

Die Marionette aus Kiew ist kreuzgefährlich ! Wer bisschen was von Psychologie versteht, erkennt was der Mann ist. Ein Psychopath! Die schräg in die Kamera, nach unten gesprochen, Propaganda- Sprüche sagen alles! Selensky ist für eine friedliche Lösung des Konfliktes, der vollkommen falsche Mann und das wissen auch Biden , sein Sohn, und die Nato. Leider erfahren wir zu wenig, was die Ukrainer wirklich über ihn denken.
In meiner Umgebung, sind fast nur komplette Fam. da.! Also auch die Männer. Verständlich, denn wer hat schon Lust auf die Front. und vor allem für WAS?