Der Corona-Rat bleibt zahm – sein Bericht ist trotzdem vernichtend

Der Corona-Sachverständigenrat traut sich in vielen Fällen kein Urteil zu. Doch das wäre wichtig. Denn schon mit dem, was er sich traut, ist der Bericht eine Ohrfeige für die wirklichkeitsferne Corona-Politik der letzten drei Jahre. 

Das Medienecho will der Sachverständigenrat sofort relativieren. Heute Morgen war ein Vorabblick auf das Evaluierung-Papier zu den Coronamaßnahmen durch eine Zeitung schon bekannt geworden. Kritik an der Datenlage, Kritik an schweren und evidenzlosen Grundrechtseinschränkungen, Intransparenz in demokratisch fragwürdigen Entscheidungsprozessen, die mit demokratisch fragwürdigen Entscheidungen enden – das Urteil scheint vernichtend. 

Doch direkt zu Beginn der Präsentation des Berichts auf einer Pressekonferenz beteuert Virologin Helga Rübsamen-Schaeff: Das Papier sei „keine Abrechnung mit Politik“. Zu den Maßnahmen wollen die Wissenschaftler sich anscheinend gar nicht äußern. Zum Impfen und 2G trauen sich die Experten kein öffentliches Urteil zu. Zu oft können sie etwas auch schlicht nicht beurteilen: Selten hat man bei der Vorstellung eines „Expertenberichtes“ so oft Sätze wie „das weiß ich nicht“, „das kann ich nicht beurteilen“, oder „dazu liegen keine Erkenntnisse vor“ gehört. Der deutsche Daten-Blindflug endet vorerst in einer Bruchlandung des Sachverständigenrates. Handlungsanweisungen an die Politik, Kritik an Maßnahmen – Fehlanzeige. Zu vielem, so wirkt es, traut sich der Sachverständigenrat gar nicht, ein Urteil zu fällen. Auf der Pressekonferenz ist von Kritik so wenig zu spüren, dass ZDF-Hauptstadtkorrespondentin Andrea Maurer eilig nachschieben kann, das Gremium habe der Politik „kein schlechtes Zeugnis“ ausgestellt.  Das Gegenteil ist richtig: Selbst dieser Bericht ist eine Klatsche für die verantwortliche Politik. 

Die wenigen Daten, die es gibt, stützen die Regierung nicht. Lockdowns hätten kaum einen Effekt gehabt. Der Effekt von 2- und 3G sei allenfalls sehr begrenzt, urteilt der Sachverständigenrat. Und nichtmal die Maskenpflicht habe einen sicheren Effekt, weil viele die Maske nicht richtig tragen würden – insbesondere den Sinn der FFP2-Maskenpflicht bezweifeln die Experten, unter anderem Hendrik Streeck. Allgemein jedoch ist der Bericht ein Fragezeichen: Wir wissen vor allem, dass wir nie etwas gewusst haben. Was wir wissen: Die negativen Folgen der Maßnahmen sind klar belegt. Die Zunahme von Angststörungen, Depressionen und Einsamkeitsgefühlen wird auf der Pressekonferenz klar benannt. 

Kritik an der Arbeit des Rates kommt auch von einem seiner Mitglieder: Der Virologe Klaus Stöhr kritisiert die Zaghaftigkeit seiner Kollegen. „Ich hätte mir gewünscht, dass mehr konkrete Aussagen getroffen worden wären“, sagte Stöhr im ZDF-Interview. Man hätte auch „prägnanter formulieren können“: Daten würden beispielsweise darlegen, dass Schulschließungen ineffizient seien. Trotzdem habe sich der Expertenrat kein Urteil zu den Schulschließungen zugetraut. Stöhr trägt den Bericht in Teilen nicht mit. 

Es ist eine Enttäuschung, dass der Sachverständigenrat offenbar vor der eindeutigen Ausführung seiner wichtigen Aufgabe zurückscheut. Doch selbst der handzahme Bericht stellt am Ende eben doch fest: Die Maßnahmen waren weitgehend sinnlos, wurden undemokratisch, intransparent und ohne faktische Grundlage verhängt. Vom Inzidenzwert-Wahnsinn bis zu Ausgangssperren – die schwersten Grundrechtseinschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik waren überbordend, ungerechtfertigt, demokratieschädigend. Und sie trugen einen Geist in die Gesellschaft, der von selbst attestierter Alternativlosigkeit und dem Absolutheitsanspruchs des Corona-Imperativs geprägt war. Die Folge: Kritiker wurden verleumdet, attackiert und mundtot gemacht – was der Expertenrat klar und deutlich kritisiert. „Wer alternative Lösungsvorschläge und Denkansätze vorschlug, wurde nicht selten ohne ausreichenden Diskurs ins Abseits gestellt.“

Das müsste eigentlich ein politischer Skandal sein, wie ihn dieses Land in seiner Tragweite so noch nicht erlebt hat. 

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki erkennt diesen Skandal als den, der er ist. Er fordert, dass Gesundheitsminister Karl Lauterbach den Präsidenten des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, entlässt. „Es ist unausweichlich, dass Minister Lauterbach den RKI-Präsidenten Lothar Wieler als Verantwortlichen dieser Misere entlässt“, sagte Kubicki. Zudem forderte er, dass die politische Abhängigkeit des Robert Koch-Instituts vom Gesundheitsministerium strukturell gelöst werden müsse. Angesichts des Berichts rechnet er mit seinen Koalitionspartnern ab. „Mittlerweile ist klar, warum die Landesgesundheitsminister sowie die Kollegen von SPD und Grünen nicht auf die Vorlage des Evaluierungsberichts warten wollten. Die von ihnen propagierten Maßnahmen sind größtenteils wirkungslos oder sogar kontraproduktiv“, urteilt Kubicki. „Häufig waren sie undemokratisch zustandegekommen und zum Teil verfassungswidrig.“ Das Drängen auf evidenzbasiertes Handeln sei von unterschiedlichen Verantwortungsträgern ignoriert und „möglicherweise sogar hintertrieben“ worden. Kubicki fordert einen parlamentarischen Ausschuss, der diese jetzt vorliegenden Ergebnisse und Empfehlungen sorgfältig auswertet. 

Doch es steht zu befürchten, dass dieser Bericht weitgehend ohne Wirkung bleibt. Drei Jahre Maßnahmen waren weitgehende Luftnummern – vermutlich. Denn eine vernünftige Datenlage für die schwersten Grundrechtseinschränkungen der bundesdeutschen Geschichte gibt und gab es nicht. Trotzdem kamen die verantwortlichen Politiker mit ihrem Maßnahmen-Regime durch, das statt Fakten auf Angst aufbaute. Die Politik und ihre Institutionen haben Schaden genommen – das stellt auch der Bericht fest. Für die Gesundheit unserer Demokratie wäre spätestens jetzt eine vernünftige Aufarbeitung unverzichtbar. 

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Kommentare ( 86 )

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Aljoschu
1 Jahr her

Eine Aufarbeitung des Corona-Regimes wird es nicht geben – eine „vernünftige“ schon gar nicht. Es ist bereits alles von der ZDF-Tante gesagt: „kein schlechtes Zeugnis“ für die politischen Akteure! Dh alles richtig gemacht! Weiter in den Panikorchestern Berlin und den Ländern! Aus der Ära Merkel zu lernen, heißt „es gibt keine Roten Linien mehr“, weder des Rechts, noch der Wissenschaft geschweige denn des Gewissens.

Birgit
1 Jahr her

Dritter Versuch Aus dem Bericht: „Wer alternative Lösungsvorschläge und Denkansätze vorschlug, wurde nicht selten ohne ausreichenden Diskurs ins Abseits gestellt.“ Wenn wirklich neutrale Sachverständige … – noch während ihrer Arbeit zwecks Evaluierung – diesen FEHLER feststellen, hätte deren allererste Reaktion sein müssen: Alle Maschinen Stopp mit unserem Bericht …- bis auch die Antithese selbstverständlich mit am Ratstisch sitzt. Das passierte aber nicht. Warum nicht? Stattdessen hat man das (langjährig gewollte) Abseitsstellen der Kritiker einerseits ‚offiziell‘ bemängelt, hat andererseits aber selber – obwohl man ganz offensichtlich um diese Problematik weiß – durchgängig genauso unwissenschaftlich und/oder polit-ergeben weitergearbeitet … – und ist auf diese Art zu einer ’seichten‘… Mehr

gelernter Ossi
1 Jahr her

…und dieser ganze Unsinn wegen einer Erkältung? Ich fasse es immer noch nicht, dass nicht langsam jeder HOLZKOPF mitbekommen hat, dass hier etwas ganz anderes in Gange ist.

phiwein
1 Jahr her
Antworten an  gelernter Ossi

Leider gibt es in diesem Land sehr, sehr viele – ich schätze 2/3 -, die überhaupt nicht begriffen haben, worum es wirklich geht. Diese Gruppe ist extrem naiv und vertraut der Politik ohne Nachfrage. Diese Gruppe begreift auch nicht, dass Politik, Justiz und weitere Handlanger Hand in Hand arbeiten – meist mit verteilten Rollen.

Rob Roy
1 Jahr her

Der Bericht listet auf, warum die Maßnahmen wie Maskenpflicht und Lockdown quasi wirkungslos waren. Daraufhin wird dem Bürgen von den „Corona-Experten“ vorgeworfen, er sei ja schuld. Der Bürger habe den Lockdown unterlaufen und die Maske nicht richtig aufgesetzt. Unfassbar wie das nachweisliche Versagen der Politik uns in die Schuhe geschoben werden soll.

Rob Roy
1 Jahr her

Es ist völlig wurscht, ob der Corona-Bericht der Regierung und ihren Maßnahmen ein vernichtendes Zeugnis ausstellt. Man wird ihn einfach ignorieren und mit neuen alten Maßnahmen weitermachen. Nicht wegen irgendwelcher Viren, sondern weil man damit öffentlichen Protest schon unterbinden kann und auch sonst das Volk gefügsam machen kann.

Kassandra
1 Jahr her

Ulrike Guerot bei Servus-TV: https://twitter.com/mz_storymakers/status/1542957484146573313?cxt=HHwWgoCyoYXq1-kqAAAA
So lange sich die Masse von gefälligen „Räten“ und vorgesetzten „Experten“ mitziehen lässt, führen sie uns weiter ins Elend.

Jasmin
1 Jahr her
Antworten an  Kassandra

Ich habe letztens im DLF gehört, dass es mittlerweile 160 Räte gibt, die die Politiker beraten. 160! Wer die wohl unter welchen Voraussetzungen auswählt. Wir leben längst in einer Sowjetunion Deutschland, klammheimlich von linksgrünen installiert.

Joerg Gerhard
1 Jahr her

Was erwarten Sie denn? Dieser Rat und dessen Bericht sind, a la Ethikrat, dazu da die Maßnahmen, Organisationen, Berufsstand und Personen reinzuwaschen, sonst gar nichts. Man beruft dazu noch ein paar moderate Kritiker wie Stoehr und Streeck als Feigenblatt und erhöht diesen Effekt dadurch noch. Neben den Boesen und Korrupten gibt es dsbzgl. bei den Entscheidern und Beratern nur noch zwangsneurotisch Gestoerte, ebenso wie es 90% der Bevölkerung ja jetzt sind, und die müssen sich und jenen einreden, dass alles gut so war und ist, sonst bricht alles zusammen. Der erste Satz in der Tagesschau gestern zu diesem Bericht war… Mehr

SB
1 Jahr her

Wollte mir aus diesem Anlaß gerade das berühmt-berüchtigte Strategiepapier des BMI vom März 2020 („Wie wir Covid 19 unter Kontrolle bekommen“) nochmal ansehen. Sie wissen schon, jenes Machwerk, das in uns die „Urangst vor dem Ersticken“ wecken und den Enkelkindern einreden sollte, sie würden ihre Großeltern töten, wenn sie sich nicht penibel an die Maßnahmen halten… Auf der Seite des BMI ist das Papier längst nicht mehr auffindbar; dafür schob sich, als ich die Seite lud, ein Popup ins Bild mit dem Titel „Willkommen in Deutschland – Ласкаво просимо до Німеччини“ 🙂 . Vom Evaluationspapier jedenfalls bin ich maßlos enttäuscht,… Mehr

Kassandra
1 Jahr her
Antworten an  SB

Ist es alleine der ebenfalls im „Sachverständigenrat“ sitzende Prof. Klaus Stöhr, der das Gutachten nicht mitträgt? https://corona-faktencheck.podigee.io/18-das-umstrittene-corona-gutachten

November Man
1 Jahr her

Das Gerede dieses Sachverständigenrats kommt bei mir rüber wie Bandenwerbung.

November Man
1 Jahr her

Ein Urteil ist gefallen, die Rechnung für die unnötige Pandemie liegt vor, die Normalbürger werden bezahlen, das Geld aus unserem Gesundheitssystem ist bei Biontech und anderen Profiteuren für nutzlose, unwirksamen Maßnahmen, wie nicht wirksame Impfungen, gelandet. Auf die 57 Millionen „Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung“ kommen im kommenden Jahr höhere Beiträge zu. Der durchschnittliche Zusatzbeitrag solle um 0,3 Prozentpunkte steigen, kündigte Bundesgesundheitsminister Lauterbach an. Jetzt insgesamt 16,2 Prozent vom Bruttolohn Zusammen mit dem allgemeinen Beitragssatz von derzeit 14,6 Prozent müssten dann 16,2 Prozent vom Bruttolohn für die Krankenversicherung abgeführt werden. Dies bringe voraussichtlich zwischen 4,8 und 5 Milliarden Euro ein. Die… Mehr

Haedenkamp
1 Jahr her
Antworten an  November Man

Der größte Raubzug der Menschheitsgeschichte (weltweit). Dagegen war die Bankenrettung eine Kleinigkeit.