Bundesverfassungsgericht nickt Bundeslockdown ab – Verfassungsrechtler Vosgerau kommentiert

Das Bundesverfassungsgericht hat mehrere Beschwerden gegen die Bundesnotbremse abgelehnt. Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau kommentiert den Beschluss: "Wir steuern auf chinesische Verhältnisse zu." Der erste Senat des BVerfG entwickle sich zum "Totengräber des freiheitlichen Verfassungsstaates".

IMAGO / Markus Heine

Am Dienstagmorgen präsentierte das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss zu zwei Verfassungsbeschwerden gegen die sogenannte Bundesnotbremse. „Durch gesetzliche Regelungen erfolgende Eingriffe in Grundrechte können lediglich dann gerechtfertigt sein, wenn der Gesetzgeber mit dem Gesetz verfassungsrechtlich legitime Zwecke verfolgt. Ob dies der Fall ist, unterliegt der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht“, schreibt Karlsruhe in der Begründung. Solche lägen mit dem Bezug auf den Schutz des Lebens vor. Den Kontaktbeschränkungen und der Ausgangssperre attestieren die Richter um den Vorsitzenden Stephan Harbarth nicht nur Verhältnismäßigkeit, sondern fast auch einen verfassungsrechtlichen Sachzwang: Aus dem Auftrag zum Schutze des Lebens leite sich die Verfassungsmäßigkeit, nein, sogar ein verfassungsmäßiger Zwang zur Notbremse ab. „Die angegriffenen Kontaktbeschränkungen waren als Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit sowie zur Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems auch im verfassungsrechtlichen Sinne erforderlich“, meint das Gericht. Auch die Inzidenz-Automatismen beruhten auf „tragfähiger Grundlage“.

Lesen Sie hier einen exklusiven Kommentar zum Beschluss von Verfassungsrechtler Dr. habil. Ulrich Vosgerau:


Die „Bundes-Notbremse“, also das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Notlage von nationaler Bedeutung vom 22. April 2021, war eine derzeit nicht mehr in Kraft befindliche, weil am 30. Juni 2021 ausgelaufene Neufassung des Infektionsschutzgesetzes, die der Bundestag als Reaktion auf den seinerzeit misslungenen „Oster-Lockdown“ erlassen hatte. In ihm wurden weitreichende Freiheitseinschränkungen, wie zum Beispiel die Beschränkung privater Zusammenkünfte, nächtliche Ausgangssperren, Schließung von Schulen, Freizeiteinrichtungen und Ladengeschäften einseitig von der Überschreitung eines sogenannten 7-Tages-Inzidenzwertes von über 100 „Neuinfektionen“ – in der Tat allerdings nur positiven Testungen, ohne jede Rücksicht darauf, ob jemand wirklich erkrankt ist und wenn ja, wie schwer – abhängig gemacht. Diese Rechtsfolgen ergaben sich unmittelbar aus dem Bundesgesetz, es war also keinerlei Prüfung der regional wirklich existierenden Gefahr durch die örtlich zuständigen Behörden vorgesehen, etwa im Hinblick auf die Fragen: Ist überhaupt jemand krank? Und: wie steht es mit der Belegung der Krankenhäuser und Intensivstationen?

Gegen die „Bundes-Notbremse“ wurden rund 900 Verfassungsbeschwerden erhoben, von denen über 700 – aus unterschiedlichen Gründen – bereits erledigt sein sollen. Das Bundesverfassungsgericht hat nun über eine Reihe der noch nicht erledigten Verfassungsbeschwerden endgültig entschieden und sie vollständig abgewiesen. Die „Bundes-Notbremse“ sei verfassungsgemäß.

Die Entscheidung überrascht insofern nicht, als die meisten dieser Verfassungsbeschwerden auch mit Anträgen im einstweiligen Rechtsschutz verbunden gewesen waren, die das Bundesverfassungsgericht bereits im Mai durchweg und geradezu brüsk abgewiesen hatte. Gleichzeitig überrascht die Entscheidung aber inhaltlich. Möglicherweise wird dieser einstimmig ergangene Beschluss später einmal – im Verein mit dem bekannten „Klimaschutz“-Beschluss ebenfalls des Ersten Senats – als Meilenstein der Chinesifizierung des deutschen Verfassungslebens gelten müssen.

Was die Entscheidung mit dem Klimaschutz-Beschluss gemeinsam hat, ist die im deutschen Verfassungsrecht bislang nicht anerkannte Prämisse: Wenn niemand genau weiß, ob eine Gefahr wirklich besteht und wie groß sie sein mag, es aber staatlich geförderte Interessenten gibt, die zwecks Durchsetzung gewisser gesellschaftlicher Veränderungen enorm große Gefahren an die Wand malen, dann können Grundrechte großflächig ausgesetzt werden. Nicht der Staat muss reale Gefahren beweisen, sondern der Bürger, der seine Grundrechte ausüben will, seine Ungefährlichkeit und zwar zu denjenigen Bedingungen, die der Staat jeweils festsetzt.

Die Verwaltungsgerichte werden faktisch ausgeschaltet

Die „Bundes-Notbremse“ bricht mit allen herkömmlichen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts. Denn normalerweise ist eine Entscheidung der vor Ort zuständigen Behörden nach den Umständen des Einzelfalles aufgrund eines Gesetzes erforderlich, sodass die Maßnahmen der jeweils wirklich bestehenden Gefährdungslage angepasst werden können; und gegen die Entscheidung der vor Ort zuständigen Behörden ist der Rechtsweg gegeben.

Durch die unmittelbar durch ein Gesetz und allein aufgrund eines „Inzidenzwertes“ herbeigeführten Freiheitseinschränkungen – wobei ja ein hinreichend hoher Inzidenzwert von Behörden, die durchgreifende Freiheitseinschränkungen durchsetzen wollen, auch „herbeigetestet“ werden kann – wird demgegenüber nicht nur mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz gebrochen, sondern auch mit der Rechtsweggarantie. Denn die Verwaltungsgerichte werden faktisch ausgeschaltet, wenn die Rechtsfolge sich bereits unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und keine behördliche Abwägung mehr möglich ist.

Nicht entschieden wurde heute über die Verfassungsbeschwerde unter anderem des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Florian Post, in der diese rechtsstaatliche Problematik am besten auf den Punkt gebracht worden ist. Nach den heutigen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts dürfte sie aber weitgehend aussichtslos sein.

Der Erste Senat, also der Harbarth-Senat des Bundesverfassungsgerichts, entwickelt sich – ohne dass hiergegen bislang ein Aufstand der Staatsrechtslehre erkennbar würde – zum Totengräber des freiheitlichen Verfassungsstaates. Die Wiedereinführung der „Bundes-Notbremse“ wird in der Politik bereits gefordert. Wir steuern auf chinesische Verhältnisse zu. Vermutlich ist das alles nur eine Übung: Der „Ernstfall“ kommt dann im Verlaufe der nächsten zehn Jahre in Gestalt des „Klimaschutzes“. Auch hier hat der Erste Senat ja bereits den Grundstein gelegt.

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Kommentare ( 212 )

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teanopos
2 Jahre her

Ein Ermächtigungsgesetz. Mit und unter dem „Schutz des Lebens“ lässt sich alles legitimieren. ### Selbst als einfacher Bürger bin ich nur noch sprachlos welch geistig armes, linkisches Niveau sich an den höchsten Schaltstellen dieser Republik unter und mit Merkel breit gemacht hat. Harbarth besticht nicht nur hier durch die selbe linkische Einfältigkeit und Naivität wie bspw. ein Heiko Maas. Man betrachte dazu Interviews von ihm. oder ist es doch linkes Kalkül? Gestalten, die in Ihrem Bauchladen immer wieder auf überraschend naive Weise vermeintlich Gutes bei funkelden Augen werbend vor sich her tragen, in Inhalt und Wirkung aber nur durch angereichertes… Mehr

Last edited 2 Jahre her by teanopos
ISC
2 Jahre her

Es packt einen das nackte Entsetzen und tiefe Ratlosigkeit

Old-Man
2 Jahre her

Eine maßgebliche Totengräberin unseres auf dem Grundgesetz basierenden Staatswesens war doch Frau Merkel, hat sie doch unerlässlich auf diesen Zustand unseres Rechtssystems hingearbeitet, zuletzt mit der Benennung dieses Richters. Dass der Willkür Tür und Tor geöffnet wurde, ist ein Verdienst einer Institution, angeführt von einem „Merkelmann“, die ja eigentlich solches Gebaren im Keim ersticken soll. Nun hat das „neue“ Bündnis aus Dummheit, Unvernunft und Arroganz alle Mittel und Möglichkeiten in der Hand den Staat so zu „transformieren“, das jedem, der noch bei Sinnen ist, leider Angst und Bange werden muss. Ich versuche etwas zu verstehen, was bei klarem Verstand immer… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Old-Man
Christian K.
2 Jahre her

Der politischen Willkür ist damit Tür und Tor geöffnet. Nur wie lange wird es noch gehen bis das Land nicht mehr funktionsfähig ist. Wage mal die Prognose das wir recht schnell Berliner Verhältnisse bekommen werden, von A wie Asylanten en masse über Enteignung nach belieben bis zu Z wie zerstören der bürgelichen Gesellschaft. Am 26.09.21 waren Wahlen. Bundeskanzler soll Wirecard Cum-Cum, Cum-Ex Scholz werden. Höchste Diplomatin eine Sprachbehinderte Hochstaplerin und die Verräter der FDP bekommen zum Dank ein paar Ministerien. Sieferle schrieb zurecht „Finis Germania“. Triagen wird es zunächst bei der Stromversorgung und den Lebensmitteln geben. Wohnraum ist bereits unter… Mehr

SchlomoGoldzahn
2 Jahre her

Vermutlich sollten große Demonstrationen nicht nur im Berliner RegViertel ihre Präsenz zeigen, sondern auch in Karlsruhe.
Mit diesem Senat wurde der deutsche Rechtsstaat hinweggefegt.
Eine allgemeine Impfpflicht wird wohl auch kein Problem mehr sein.
Kann mir schon eher vorstellen, dass falls die Impfpflicht nicht durch den Bundestag kommen würde (natürlich wird sie das, aber mal nur rein hypothetisch), dann würde diese wahrscheinlich durch das BVerfG verordnet werden, da sie ja dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit innewohnt.

Roland Mueller
2 Jahre her

Dass die Beschwerdeführer mit Absicht nicht zu Wort gekommen sind, also ihnen schlicht die mündliche Verhandlung verweigert wurde, spricht Bände.

jopa
2 Jahre her

Hat jemand allen Ernstes etwas anderes erwartet? Klatschhasen und Wackeldackel, wohin das Auge reicht. Gute Nacht Genossen und Dummheit siegt..

vojo333
2 Jahre her

Das ist psychologische Kriegsführung und Harbarth steht mit an voderster Front.

Last edited 2 Jahre her by vojo333
moorwald
2 Jahre her

Die Ethikrat-Vorsitzende bringt Einschränkungen auch für Geimpfte in die Diskussion ein.
Wäre nicht mehr als recht – oder auch: selber schuld

Werner Brunner
2 Jahre her

Was erwarten denn die Leute von diesem Gericht ?
Es ist besetzt mit ehemaligen folgsamen Parteimitgliedern …..
Neutralität etc…… ?
Ich lach mich tot !