Renten: Das Mantra der Zukunftsfähigkeit

Die Renten werden durch Zuwanderung nicht sicherer.

Es gibt Dinge, die scheinen einfach als Wahrheit gesetzt. So wie ein päpstliches Dogma. Irgendeiner sagt, dieses oder jenes sei so und so – und alle wiederholen das ohne nachzufragen, weshalb und warum das so sei. Eines dieser gleich einem Mantra vorgetragenen Dogmen, die seit geraumer Zeit in Deutschland ständig und unhinterfragt verbreitet werden, ist jenes von der Zuwanderung, die wir bräuchten, weil andernfalls unser Land keine Zukunft habe.

Nun aber angenommen, ich würde dieses Dogma nicht gelten lassen wollen. Angenommen, ich würde es wagen die Frage zu stellen, weshalb Deutschland ohne Zuwanderung keine Zukunft hat?

Ohne Zuwanderung keine Zukunft?

Als Antwort auf diese Frage fällt mir – ohne weiter nachdenken zu müssen – das ständige Argument der Sozialverbände sowie der Arbeits- und Sozialpolitiker ein, wonach unser Sozialsystem ohne eine ausreichende Zahl von Einzahlern zusammenbräche. Auf den ersten Blick will das als nachvollziehbar erscheinen. Aber – schauen wir doch einmal etwas genauer auf diese Aussage. Denn tatsächlich kann sie nur dann richtig sein, wenn man davon ausgeht, jenes, was wir als „unser Sozialsystem“ bezeichnen, auf alle Ewigkeit in genau dieser bestehenden Form erhalten zu wollen.

Dieses Mantra bedeutet, dass das umlagefinanzierte Rentensystem, von dem Ludwig Erhard wusste, dass es irgendwann im einundzwanzigsten Jahrhundert nicht mehr funktionieren würde, weiterhin über genügend Einzahler verfügt, um die ständig steigenden Unterhaltskosten für jene aus dem Produktivprozess ausgeschiedenen Personenkreise abdecken zu können, welchen man zu Zeiten ihrer eigenen Berufstätigkeit vorgegaukelt hat, sie würden mit den Sozialabzügen auf ihrem Gehaltszettel eine Vorsorge für die eigene Zukunft betreiben. Tatsächlich war das natürlich zu keinem Zeitpunkt so.

Tatsächlich wurden ihre Einzahlungen sofort dafür verwendet, zeitgleich Rentner, Kranke, Sozialhilfeabhängige, Arbeitslose undsoweiter derart auszustaffieren, dass sie nicht auf revolutionäre Gedanken kommen. Die Tatsache, dass bei diesem System partiell getrennt wurde in Rentenzahlung und vorgebliche Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit und anderes, war letztlich nur Ablenkung. Denn sobald die Einnahmen irgendwo nicht reichten, musste ohnehin das Steuersäckel einspringen, was zu einer beständigen Erhöhung der Staatsschulden führte, weshalb man auf diese Sozialversicherungsabgaben auch gänzlich hätte verzichten und sie gleich auf die Steuerabgaben aufschlagen können.

Das allerdings hätte beim Steuerzahler vermutlich Unmut erzeugt – und die Versuchung, einen Teil der Einnahmen über die Verlagerung auf den Arbeitgeber zu generieren, hätte auch nicht funktioniert. Wobei man letzteren auch einfach auf den Lohn hätte aufschlagen und beim Arbeitnehmer einziehen können – was aber vermutlich dann doch zu viel Unmut angesichts der Ausgabenpolitik des Staates hätte nach sich ziehen können.

Sollte es bei dem bestehenden System tatsächlich einmal zu Überschüssen kommen, wie es einst bei den Pensionsrücklagen für die Beamten geschehen sein soll, so fanden sich schnell Wege, sich diese Überschüsse „auszuleihen“, um sie irgendwann – bei „besserer Wirtschaftslage“ – wieder zurückzugeben. Dieses „irgendwann“ – es ahnte jeder und dennoch wagte es niemand auszusprechen – ist selbstverständlich jener berühmte Sankt-Nimmerleinstag, welcher in der Perspektive angewandter Politik gänzlich sinnbefreit immer dann greift, wenn es sich um Zusagen einer Vorgängerregierung handelt, für die man selbst sich gänzlich unverantwortlich wähnt, oder jene Situation, bei welcher man die Korrektur eigener Entscheidungen auf eben eine beliebige künftige Regierung schiebt, auf deren Zusammensetzung der Politiker heute keinerlei Einfluss hat und welche künftig ebenfalls genau deshalb feststellen wird, dass sie sich die entsprechenden Zusagen einer Vorgängerregierung nicht zu Eigen machen kann.

Der Umgang mit dem sogenannten „Soli“, der ausschließlich dem Aufbau Ost dienen und in Bälde abgeschafft werden sollte, ist ein perfektes Beispiel für dieses Vorgehen. Warum auch nicht: Irgend etwas, mit dem der Bürger zwangssolidarisch sein soll, wird sich immer finden. War es dereinst der dank sozialistischer Staatswirtschaft marode Osten der Republik, so dachte man nun daran, damit die nach 25 Jahren Einheit nicht minder marode Infrastruktur der Westbundesstaaten zur Solidaraufgabe zu machen, um dann 2015 feststellen zu können, dass die Solidarität mit den Kriegs- und Elendsflüchtlingen dieser Welt eine kollektive Aufgabe sei. Der „Soli“ als Zusatzzwangsabgabe zur Ausbesserung von Politikerversagen hat damit Ewigkeitswert.

Ein Blick auf die Rente

Doch wenden wir uns wieder dem Mantra der Zukunftsfähigkeit zu und schauen auf die Rentenversicherung. Diese wird zwecks Absicherung von Wählerzustimmung und Abfederung der Kostensteigerung beständig aufgestockt. So stieg sie in den alten Bundesländern zwischen 1995 und 2015 um insgesamt 21,09 Prozentpunkte und in den neuen Bundesländern um 41,27 Prozentpunkte. Da hierbei Zeitpunkt, Zins und Zinseszins zu berücksichtigen ist, bekommt ein Rentner, der 1995 genau 1.000 Euro erhalten hätte, heute im Westen 1.207,33 Euro und im Osten 1.463,48 Euro.

Gleichzeitig stieg die Anzahl der Rentner in diesem Zeitraum von rund 21 Millionen auf etwas über 25 Millionen – was einer Steigerung von fast zwanzig Prozent entspricht. Im Januar 2015 meldete das Bundesamt 42,74 Millionen Erwerbstätige – womit rechnerisch für jeden Rentner 1,7 Erwerbtätige einzahlen mussten. Mit anderen Worten: Jeder Prozentpunkt, um den die Rente steigt, müsste bei umlagebedingtem Kostendeckungsziel den Anteil der Rentenversicherungszahlungen des Arbeitnehmers um 0,55 % steigen lassen.

Die durchschnittliche Realrente liegt aktuell im Westen der Republik bei 1.133 € und im Osten bei 928 €. Setzen wir der Einfachheit halber den Schlüssel 3 zu 1 im Verhältnis der Bevölkerung West-Ost voraus, so ergibt sich bei 42,74 Millionen Erwerbstätigen pro Arbeitnehmer ein Betrag in Höhe von 1.082 €, der monatlich allein für die Finanzierung des gegenwärtigen Rentnerbestandes vom Lohn abgezogen werden müsste. Dabei sind – siehe oben – die nicht mehr vorhandenen Rücklagen für jene rund 1,13 Millionen Pensionäre des Jahres 2015 nicht berücksichtigt.

Und nun schauen Sie, lieber Leser, einmal auf Ihren Lohnzettel und vergleichen Sie. Sollten Sie tatsächlich auf jene 1.082 € Rentenabzug kommen, die Sie als Arbeitnehmer zur Absicherung der monatlichen Rentenausgaben zu leisten hätten, dann können Sie sich gratulieren – denn dann liegt ihr monatliches Bruttoeinkommen immerhin bei 5.785 Euro. Das Gros der Arbeitnehmer allerdings verdient deutlich weniger – und insofern ist die im Volksmund gern als „Rentenversicherung“ bezeichnete Monatsumlage schon heute ein Zuschussgeschäft, das nur durch den Griff in die Steuerkassen finanziert werden kann. Daher darf man dann auch mit Fug und Recht feststellen, dass beispielsweise die Rente mit 63 nicht vom Nutznießer derselben, sondern von jenen bezahlt wird, die auf dieses Rentengeschenk verzichten und verzichten werden oder verzichten werden müssen, weil die geplünderten öffentlichen Haushalte irgendwann nichts mehr hergeben.

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