Asylkrise: Weck die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit

Wer noch „Refugees welcome“ sagt, legt falsch Zeugnis wider seinen Nächsten ab, vor allem gegenüber den noch „Fernen“, die sich ganz etwas anders unter Willkommenskultur vorstellen als das, was sie erwartet.

Katholischer Sonntagsgottesdienst, am Eingang erhältlich war das Mitteilungsblatt einer hessischen Großstadt-Gemeinde. Auf der Titelseite steht ganz groß:

„REFUGEES WELCOME“

Kleingedruckt steht neben entsprechenden Bildern:

„Irakische Flüchtlingsfamilie aus tel Afar 2014″ und „Jüdische Flüchtlingsfamilie aus Bethlehem 6 v. Chr.“

Gar nicht mal besonders bibelfest fiel mir auf: Das Bild der „jüdischen Flüchtlingsfamilie“ auf dem Weg durch die Wüste passt nicht zum Text – auf deutsch- „Flüchtlinge willkommen“. Maria und Josef waren in Bethlehem noch keine Flüchtlinge, sondern unterwegs auf Grund staatsbürgerlicher Pflichten. Sie fanden in einem Stall Unterschlupf, weil die Herberge (alter Begriff für Gasthaus) wohl ausgebucht war. Die Flucht mit dem Jesus-Kinde erfolgte dann nach Morddrohungen nach Ägypten, übrigens nur im Matthäus-Evangelium. Ob und wie die „heilige Familie“ in Ägypten willkommen geheißen wurde, lässt der Evangelist offen. Die anderen Evangelisten berichten überhaupt nichts davon. Das Weihnachts-Evangelium nach Matthäus taugt also nicht so recht für das Flüchtlingsthema. Die merkwürdige Datierung – 6 v. Chr. – der Flucht der „jüdischen Flüchtlingsfamilie“ in dem christlichen Mitteilungsblatt fiel mir zunächst gar nicht auf. Vielmehr irritierte mich die englische Schreibweise für „Flüchtlinge willkommen“ in einem Mitteilungsblatt einer katholischen Kirchgemeinde.

In „Welt-online“ hatte ich vorher einen Artikel mit der Überschrift gelesen: Warum Flüchtlinge jetzt oft „Refugees“ heißen.“ Eine Zwischenüberschrift in dem Artikel lautet: „Die Formelsprache des linken Milieus“. Davor steht: „Denn Linke erkennt man daran, dass sie von Refugees statt von Flüchtlingen reden, und je linker, desto mehr sind sie zum Gebrauch dieses Ausdrucks verpflichtet.“

Bei „Flüchtlingen“ kommen deutschsprachige Menschen eher als bei „Refugees“ darauf, zu fragen: Sind das alles schutzbedürftige Flüchtlinge, die da kommen? Was erwarten sie? Von wo sind sie geflohen? Wann sind sie geflohen? Welchen Glaubens sind sie? Wie war ihr Fluchtweg? Wie haben sie ihn finanziert? Wer hat ihnen unterwegs weitergeholfen und wer hat sie aufgehalten? Sind diese Flüchtlinge mit den „jüdischen Flüchtlingen“ in einem der Evangelien des neuen Testaments überhaupt vergleichbar.

Selber Flüchtling!

Selber konnte ich, 1959 aus der ehemaligen DDR über das noch offene Berlin abgehauen, als anerkannter „politischer Flüchtling“ (mit C-Ausweis), aber eigentlich mehr „Wirtschaftsflüchtling“, die Segnungen eines höheren Stipendiums nach dem Lastenausgleichsgesetz bei meinem Studium der Betriebswirtschaftslehre nutzen. Nun frage ich mich – und wurde auch danach gefragt:

Bin ich nicht als ehemaliger Flüchtling mit ordentlicher staatlicher „Stütze“ besonders verpflichtet, Flüchtlinge zu unterstützen, also Flüchtlingshelfer zu sein? Das fragen sich sehr viele Menschen, die wie ich aus der damals im „Westen“ noch so genannten „Sowjetzone“ in die damals im Osten so genannte „BRD“ geflüchtet sind. Denen ist aber meistens bei aller begrüßenswerten Hilfsbereitschaft nicht bewusst, dass sie als Flüchtlingshelfer für die, die schon da sind, dank „moderner Kommunikation“, die die meisten Einwanderer besser beherrschen als wir älteren Deutschen, weitere „Fluchtbewegungen“ auslösen und damit zu Fluchthelfern werden.

Das wäre alles kein großes Problem, wenn es nicht Millionen wären, die zu uns nach Deutschland kommen wollen, auch weil aus keinem Land in Europa – wenn überhaupt – so laut wie aus Deutschland gerufen wird: „Refugees welcome“. Da die englische Sprache viel verbreiteter ist als die deutsche, ist die englische Schreibweise, von Pappschildern mit Smartphones und Handys fotografiert, nach draußen viel einladender als die deutsche Schreibweise. Die englische Schreibweise verhindert auch, dass sich der einzelne Mensch fragt: Sind mir persönlich die Flüchtlinge wirklich willkommen?

Oder genügt die Einstellung: Willkommen seid ihr mir zumindest in dieser großen Zahl nicht, aber wenn ihr schon da seid, muss ich „Nothelfer“ sein, vergleichbar der Situation bei und nach einer Naturkatastrophe. Eine Naturkatastrophe ist höchstens denen willkommen, die nicht direkt betroffen sind, aber von der Beseitigung der Schäden profitieren. Nothelfer kann der Mensch sowohl aus altruistischen als auch aus egoistischen Motiven sein. Das ist von außen oft schwer auseinander zu halten.

Sonne der Gerechtigkeit

Das meiste hier Beschriebene ging mir schon durch den Kopf, ehe das Eingangslied beim Gottesdienst angekündigt wurde. Es war das Lied „Sonne der Gerechtigkeit“. Es hat in der Fassung, die ich dann später nochmal im Internet gesucht habe, acht Strophen. Davon wurde in dem Gottesdienst nach der ersten Strophe die zweite übersprungen und die sechste Strophe angeboten:

Die zweite Strophe, die ausgelassen wurde, lautet:

Weck die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit, dass sie Deine Stimme hört, sich zu Deinem Wort bekehrt. Erbarme Dich, Herr.

Die sechste Strophe, die gesungen wurde, und auf die dann auch im Gottesdienst sowohl bei der Predigt als auch bei den Fürbitten indirekt Bezug genommen wurde:

Lass uns Deine Herrlichkeit sehen auch in dieser Zeit und mit unsrer kleinen Kraft üben gut Ritterschaft.

Wie es der Zufall wollte: Einige Zeit später in einem katholischen Gottesdienst in einem Dorf im Münsterland hörte ich wieder dieses Lied, wieder unter Auslassung der zweiten Strophe. Da wurde mir klar, dass es kein Zufall war, sondern gleichgerichtete Absicht, wenn nicht sogar von oben „angeregt“.

Im eingangs erwähnten Mitteilungsblatt steht weiter hinten:

Wohnungsuche

32 Jahre, Mann aus Eritrea, anerkannter Flüchtling, katholisch, spricht und versteht deutsch, zur Zeit wohnhaft in einer Flüchtlingsunterkunft in (X), sucht eine Einzimmerwohnung (möbliert oder unmöbliert) in (Y) oder Umgebung. Die Grundmiete in Höhe bis zu 372,60 € wird vom Amt übernommen.

Wenn den Gleichen, die auf die Formulierung „Refugees welcome“ so großen Wert legen und Bekenntnisse zur „Willkommenskultur“ fordern, das zu Gesicht bekommen, werden sie wahrscheinlich heftig kritisieren, dass da in einem katholischen Mitteilungsblatt nur für einen katholischen Einwanderer und nicht auch für solche anderen Glaubens eine menschenwürdige Bleibe gesucht wird. Der Rassismus-Vorwurf ist dann schnell bei der Hand, obwohl das in diesem Fall mit Rassismus überhaupt nichts zu tun hat.

Ist es nicht selbstverständlich, dass wir als Christen zuerst einmal unsere Glaubensbrüdern und Glaubensschwestern helfen, die in einigen islamisch dominierten Ländern förmlich ausgerottet werden, wenn sie nicht fliehen? Kann es sein, dass für die irgendwann kein Platz mehr in Deutschland ist, weil alle anderen Plätze weitgehend von Nicht-Christen belegt oder überbelegt sind? Dann in unseren Herbergen kein Platz mehr für sie ist? Das ging mir alles durch den Kopf, als ich die zweite Strophe des Liedes „Sonne der Gerechtigkeit“ im Gesangbuch las, nachdem sie nicht gesungen wurde.

Politisch unkorrekt!

Als Junge im katholischen Eichsfeld, das nicht selten als „einziges schwarzes Loch am A… der DDR“ diffamiert wurde, war ich acht Jahre lang Messdiener in einer Klosterkirche. Der Männerseelsorger des Eichsfeldes, Ernst Göller, war gewissermaßen zur Tarnung Seelsorger für die Nonnen im Bergkloster in Heiligenstadt. Mehrmals im Jahr, besonders an hohen Feiertagen, wenn die relativ kleine Klosterkirche sehr gut besucht war, schimpfte Göller in der Predigt – politisch völlig DDR-unkorrekt – ganz heftig auch über die Christenverfolgung in der DDR. Er nannte sie so beim Namen.

Als normaler Gemeindepfarrer hätte er sich das nicht leisten dürfen. Da hätte nicht nur die staatliche Gewalt mit seinen Ausführungsorganen „Horch und Greif“ etwas dagegen gehabt, sondern auch seine kirchliche Obrigkeit. Mit diesen Erfahrungen, die sich bei mir tief eingeprägten, habe ich Verständnis dafür, dass die Menschen in den „jungen“ Bundesländern tendenziell viel sensibler als wir in den „alten“ Bundesländern reagieren, wenn von Politikern und Medien zensurartig politisch korrektes Verhalten in Sprache und Taten verlangt wird. Das Auslassen der zweiten Strophe kam mir auf einmal wie Zensur vor: Weck die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit.

Kein falsch Zeugnis wider deinen Nächsten

Wer aus innerer Überzeugung sagt, dass die in alle Welt verbreitete „Willkommenskultur“ genau diese Aufnahmemöglichkeiten in Deutschland zerstören wird und deshalb ein Riesenfehler ist, musste bisher überall, in der Familie, im Freundeskreis, im beruflichen Umfeld zumindest mit Unverständnis, möglicherweise auch heftiger Ablehnung rechnen. Vor allem dann, wenn dahinter eine politische Orientierung rechts von links vermutet wurde oder bekannt war. Auch viele der Oberen der christlichen Kirche wettern gegen diejenigen, die, „Refugees welcome“ für Blendwerk wie Potemkinsche Dörfer halten.

Eine ältere Version des 8. Gebotes, die ich noch im Religionsunterricht gelernt habe, lautet: „Du sollst nicht falsch Zeugnis geben wider deinen Nächsten.“

Wer in der Asylkrise im November 2015 noch „Refugees welcome“ sagt oder schreibt, legt – wenn er nicht selber ein wirtschaftliches bzw. berufliches Interesse daran hat – falsch Zeugnis wider seinen Nächsten ab, vor allem gegenüber den noch „Fernen“, die sich ganz etwas anderes unter Willkommenskultur vorstellen als das, was sie dann in Deutschland und Europa erwartet.

Kann der leichtfertige Umgang mit dem Wort „willkommen“ auch auf den „Schlaf der Sicherheit“ der Christenmenschen zurückzuführen sein, von dem im Kirchenlied die Rede ist? Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann diese zweite Strophe des uralten Kirchenliedes „Sonne der Gerechtigkeit“ aufgeweckten Menschen bewusst gesungen wird und danach Predigten gehalten und Fürbitten gesprochen werden. Vielleicht schon Weihnachten 2015 in vollen Kirchen?

Dieter Schneider, Diplom-Kaufmann, Jahrgang 1941, ist ein auf den Markt für Schönheitsdienstleistungen spezialisierter Journalist und Publizist. In seinem Informationsdienst MARKTLÜCKE hat er über Jahrzehnte wie im vorausgegangenen Beitrag immer in Ich-Form seine Leser angesprochen. Dadurch war und ist bei ihm immer klar zu erkennen, was Information und was seine Meinung dazu ist.

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