Clans: Ein Karneval der Kulturen kommt ohne sie aus, der Tatort aus Wien nicht

Es wird klar, dass der Eindruck, den die Kameraführung von Ioan Gavriels und die Kostüme von Christine Ludwig erwecken könnten, dass nämlich ausländische Clans nur schwarze Klamotten tragen, schwarze Autos fahren und in dunklen Kellerlöchern ihren finsteren Jobs nachgehen, Ammenmärchen sind.

© ARD Degeto/ORF/Felix Vratny
Weniger Mitleid geht kaum: Die Kriminaler Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) können sich despektierliche Kommentare angesichts der Leiche von Unterweltgröße Luka Datviani (Temiko Chichinadze) nicht verkneifen: „Da hat es ausnahmsweise mal den Richtigen erwischt.“ „Irgendwie schaut er kleiner aus, oder?“ Der Mafioso wurde vor einem Nachtclub des Clans erschossen, nach einem Streit mit seinem Bruder Beka (Lasha Bakradze), dem Geschäftsführer des Familienunternehmens.

Den Kommissaren vergeht die Lust aufs Scherzen angesichts der „Omerta“ (Sizilianisch für mafiöses Schweige-Gelübde) rund um diesen Mord allerdings schnell. Der verdächtige Bruder hat dank seiner zahlreichen treuen Angestellten ein bombenfestes Alibi, und auch die Abteilung Wirtschaftskriminalität im Wiener BKA in Gestalt von Ermittlerin Eva Brunner (Zeynep Buyrac) kann aus ihren schon zwei Jahre dauernden Ermittlungen nur beitragen, dass man über die Finanz- Drogen und Immobilienschiebereien im Bilde sei.

Den großen Schlag gegen das organisierte Verbrechen führe man „demnächst“, dank der Zulieferungen einer verdeckten Ermittlerin, die man habe einschleusen können (Mariam Hage als Azra Akush, alias Felic Özalan). Leider sei die junge Dame derzeit nur Türsteherin in einem Club der Mafia, somit also nicht nah genug dran, um besseres Material liefern zu können. Das, so meint Eisner, könne man ja ändern. Er kennt Azra aus Zeiten, in denen sie noch verwaist und haltlos im Drogensumpf Wiens steckte, aus dem er sie dann gezogen hat. „Puppi“, wie Azra ihren Gönner und väterlichen Freund von der Polizei nennt, macht dem ehrgeizigen Mädchen das Angebot, sie in der Clan-Hierarchie in eine Höhe aufsteigen zu lassen, wo sie mehr Kriminelles mitbekommt.

Obwohl Brunner nicht begeistert ist (dort sei es „zu gefährlich“ für die V-Frau), darf Eisner einige Leibwächter der Datvianis mit Bagatellklagen aus dem Verkehr ziehen und so freie Stellen in deren Leibgarde schaffen. Nun läuft Azra, um ihre Bewerbung als Bodyguard zu pushen, zur Höchstform auf, die Rezension von „n-tv“ überschlägt sich vor Begeisterung: „…ihre Bewegungen übergangslos weich, fließend und katzenhaft. In ihr brodelt ein Feuer, das ständig auszubrechen droht, während sie in anderen Szenen sehr zerbrechlich scheint – eine faszinierende Ambivalenz, sehr glaubhaft gespielt“. Für die „Welt“: „… stanzt Azra ihre Schritte in den Asphalt. Sie ist klein, hat mehr gespannte Muskelmasse im kleinen Zeh als Charlotte Lindholm wahrscheinlich im Oberarm. Azra braucht direkte, gewaltbereite Präsenz. Und eine gebrochene Körperlichkeit. Eine strahlende, stählerne Härte, hinter, unter der allerdings jene Abgründe spürbar bleiben, um die es eigentlich geht. Das alles liefert Mariam Hage. Sie schlägt einem die Azra um die Ohren. Das wird man so schnell nicht vergessen.“

Mariam Hage kann das, was Amila Bagriacik im Kieler Tatort-Team als kickboxende Kommissarin Mila Sahin nur mit amtlicher Zurückhaltung darf, nämlich den weiblichen Macho voll rauslassen. In welchem anderen Film kann eine Göre vor versammelter Mannschaft Messer-schwingende Mafia-Söhnchen (Irakli, gespielt von Vladimir Koneev) vermöbeln und im Schwitzkasten zum Jaulen bringen? Der unterschwellige Appetit einiger Zuschauer nach Rache und Vergeltung gegenüber einer frechen und scheinbar immer straflos bleibenden kriminellen Minderheit, so lässt sich vermuten, wird hier auf ganz unaufdringliche Weise befriedigt. Das Mädchen ist ja im Auftrage der Justiz unterwegs, da kann sie den Bösewichtern schon mal die Schulter brechen (Azras Methode, Gegner Nr. 2 auszuschalten). Von nun an lauscht das Auge des Gesetzes direkt neben dem Paten mit, und der Erkenntnisgewinn mag für den Laien mager erscheinen (Eine Bank in Tiflis schleust das Mafia-Geld ins SWIFT-System) – den Fachfrauen um Frau Brunner ist er eine teure Flasche Wein wert, die Kollege Eisner wegen des tollen Einfalls, Azra eine Etage höher zu platzieren, überreicht bekommt.

Nachdem der große Durchbruch trotzdem ausbleibt, Brunner langsam kalte Füße bekommt und ihren Einsatz abbrechen möchte, will Azra aufs Ganze gehen und die Protzvilla von Beka Datviani selbst durchsuchen. Der habe seine Kriegskasse in einem Obschak (Russenmafia-Bezeichnung für Geldversteck) gebunkert, der Schlüssel müsse irgendwo in seinem Arbeitszimmer sein. Mit einem Mikro im Ohr und per Nachtsicht-Fernglas von Eisner überwacht, macht sich die Leibwächterin im Schloss der Georgier auf die Suche, kommt aber anschließend nicht zum verabredeten Treffpunkt, sondern bleibt verschwunden.

Eisner, der die Sache auch hinter dem Rücken seiner treuen Partnerin Bibi Fellner und gegen alle Regeln durchgezogen hat, ist am Boden zerstört. Die Wiener Polizei wird in Alarmzustand versetzt, um die Verschwundene zu finden. Selbst ein legales Geschäftstreffen der Patentochter Tinatin Datviani (Mariam Avaliani) lässt man aus lauter Verzweiflung schwerbewaffnet von der Sondereinheit WEGA (Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung) stürmen, weil man glaubt, Azra dort zu finden. Papa Beka ist nicht begeistert und taucht stante pede und eiskalt bei Eisner auf, um sich zu beschweren. Fast ist es da der Polizist, der gesteht, nicht der Kriminelle.

Zitat „t-online“: „gefährlich groß gewordener Datviani-Clan“

Spätestens hier wird klar, dass der Eindruck, den die Kameraführung von Ioan Gavriels und die Kostüme von Christine Ludwig erwecken könnten, dass nämlich ausländische Clans nur schwarze Klamotten tragen, schwarze Autos fahren und in dunklen Kellerlöchern ihren finsteren Jobs nachgehen, Ammenmärchen sind. „De sand ned deppert“: und sie haben sich schon „tief bei uns eingegraben … festigen ihre Stellung, bis sie unangreifbar sind“ (Oberst Ernst „Ernstl“ Rauter, gespielt von Hubert Kramar). Außerdem sind sie selbstbewusst, viel selbstbewusster als die zwar auf der richtigen Seite stehenden, aber eben „sesselpupsenden“ Polizisten (Azra über ihre Partner bei der Behörde).

Mario Thurnes hat ja bereits bei TE folgerichtig dafür plädiert, den Remmo-Clan mit Putin verhandeln zu lassen.

Am besten zeigt der Tatort die Überforderung der biederen – in diesem Falle österreichischen – Polizei mit dem abgebrühteren, in seiner Instinkthaftigkeit überlegenen Gegenüber während des Verhörs von Wassili Ponomariatscheff (Jevgenij Sitochin), den Eisner und Fellner dazu bringen möchten, Verstecke in denen Azra gefangen gehalten werden könnte, auszuplaudern. Eisner setzt kompliziert an: „Wir verstehen Ihre Loyalität, die Staatsanwaltschaft kann Ihnen aber vollständigen Zeugenschutz geben und es wird sich positiv auf das Strafmass auswirken“, und wird von Ponomariatscheff ganz platt darauf aufmerksam gemacht, dass er „ es riechen kann, dass Sie etwas von mir brauchen, denn sonst hätten sie nicht so schön gelernt, meinen Namen korrekt auszusprechen … und zu ihm zu kommen … ihm damit also Respekt zu erweisen …“ ,und weil das so sei, sei klar, dass sie wohl Angst um eine der Ihren hätten. Dass Eisner dann brachial Druck auf Ponomariatscheff ausübt, und – mit Erfolg – droht, ihn als Verräter bei seinen Clankollegen hinzustellen, kann den Eindruck nicht entkräften, dass hier Verbrecher die feineren und wirksameren Hebel zu ziehen verstehen.

Bei der Südwest-Presse reduziert man die in diesem Tatort wie auch vielen ähnlichen Streifen die schlecht überspielte Bankrotterklärung angesichts ausländischer OK-Banden (von Daniela Westermayer und Martin Weber) auf eine Räuber und Schande-G‘schicht: „Der Wiener Pfingstmontag-Krimi thematisiert zwar auch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge und Gefahren der organisierten Clankriminalität – ein kriminelles Krebsgeschwür, das es in Wien genauso gibt wie in Berlin oder dem Ruhrgebiet. Aber er macht kein soziologisches Seminar daraus, sondern konzentriert sich lieber darauf, eine spannende Geschichte rund um fiese Gangster und überforderte Polizisten am Rande des Nervenzusammenbruchs zu erzählen …“

Plötzlich taucht die verschwundene Azra wieder in der Gewalt des von ihr gezüchtigten Mafia-Söhnchens Irakli Datviani auf, der sie beim Schnüffeln offenbar ertappt und überwältigt hatte. Bevor er sie auf Geheiß von Papa „aufräumt“, wird sie von ihrem Ziehvater Eisner und Kollegin Bibi dank moderner Fahrzeugs-Ortungstechnik gerettet und beide Datvianis fahren ein. Jedoch kann sich das Wiener Kommissars-Gespann nicht lange an dem vermeintlichen Sieg über das Verbrechen erfreuen. Azra hatte, wie sie gesteht, die Sache von Anfang an aus Rache für ihren von dem Clan ermordeten Bruder geplant; vom Mord an Luka Datviani bis zur Fälschung der Beweise gegen dessen Bruder und sogar dem Einstieg in die Szene der verdeckten Ermittler, alles war einem Ziel gewidmet: Vergeltung. Nach kurzer Beratung beschließt das nun wirklich wie ein altes, müdes Ehepaar wirkende Tatort-Team Wien, die Handschellen zu zücken und schweren Herzens zur Verhaftung ihrer ehemaligen Schutzbefohlenen und Kronzeugin zu schreiten.

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