Maischberger holt das echte Leben in die Talkshow

Sandra Maischberger lädt eine Metzgereimeisterin und eine Empfängerin von Hartz IV in ihre Talkshow ein. Und tut dem Format damit einen großen Gefallen. Denn plötzlich nähert sich das Politritual dem echten Leben.

Screenprint: ARD / Maischberger

Zehn Minuten vor Mitternacht ändert sich bei Sandra Maischberger die Show. Der routiniert ritualisierte Austausch von Politfloskeln am Journalisten-Tisch endet. Dafür rücken Nora Seitz und Susanne Hansen ins Geschehen. Die Redaktion hat sie als Antipoden in der Debatte um das „Bürgergeld“ engagiert. Doch diese Idee verblasst recht schnell – was der Sendung gut tut. Denn statt des üblichen Politzirkusses findet plötzlich das echte Leben im Fernsehen statt. Wenn auch erst kurz vor Mitternacht und auch da nur für eine Viertelstunde.

Nora Seitz leitet eine Fleischerei in Chemnitz. Jeder kann sich vorstellen, wie ein ARD-Tatort den Betrieb inszenieren würde: Ein übergewichtiger Mann in blutverschmierter Schürze schlurft über einen vergammelten Hof und putzt sich die Nase am Ärmel. In Seitz‘ Fleischereibetrieb arbeiten sieben Leute. Alles Frauen. Das echte Leben unterscheidet sich diametral von dem, das die ARD sonst so inszeniert.

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1932 gründeten Seitz‘ Ureltern den Betrieb. Sie leitet ihn in vierter Generation. Sie ist bei Maischberger, um die Gegenargumente zu Susanne Hansen zu vertreten, die Hartz IV empfängt und eine Initiative gegen Armut mitanführt. Doch Seitz, die sich lokal auch in der CDU engagiert, ist gar nicht daran interessiert, die Gegenargumente zum „Bürgergeld“ zu vertreten. Sie will von der Situation in ihrem Fleischereibetrieb erzählen. Denn der 90 Jahre alte Familienbetrieb ist in Gefahr – in Existenzangst.

Seitz sieht nicht in Hansen ihre Gegnerin. Sie hat ganz andere Probleme. Da ist die galoppierende Inflation, die Preise, die ihr im Einkauf davonlaufen. Die sie weitergeben muss im Verkauf, was kaum geht, weil die Kunden sich das eben auch kaum noch leisten können. Vor den beiden Frauen war Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) in der Show und musste einräumen, dass kaum noch Bio gekauft würde, weil die Leute schauten, dass sie sich irgendwas leisten könnten.

Der eigentliche Gegner ist für Seitz die Industrie: „Im Moment treiben wir das Handwerk an die Wand.“ Das Handwerk werde gegen die Industrie ausgespielt, könne deren Preiskampf nicht mithalten. Der Staat sorge für zusätzlichen Frust, treibe die Industrialisierung weiter voran – und verspreche Hilfen gegen die Inflation, lasse aber offen, wann wie viel komme. Das sorge für große Unsicherheiten in der Kalkulation. Umgekehrt dürfte sich Seitz ein solches Verhalten nicht leisten: Zwei mal eine Mahnung der Krankenkasse nicht bezahlt und das Konto ist gesperrt.

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Hansen berichtet selbst von Not. Die Autorin ist durch ein tragisch unglückliches Timing in die Armutsspirale gerutscht: Sie trennt sich von ihrem Mann, dann wird zuerst der arbeitslos und fällt als Geldgeber für die Kinder aus, dann kommt Corona und die Pandemiepolitik macht ihr das Geschäft kaputt. Auf einem Schlag sind ihr alle Lebensgrundlagen entzogen, ist Hansen mit dem Vorhaben gescheitert, nach der Trennung auf eigenen Füßen zu stehen. Sie stockt auf. Aber von den Mehreinnahmen bleibt ihr nichts, weil durch Arbeit Mehrausgaben entstehen und diese den Zuverdienst auffressen.

Hansen engagiert sich in einer Initiative, die sie auf Twitter unter dem Hashtag „#IchBinArmutsbetroffen“ gefunden hat. Dort habe sie ähnliche Schicksale erfahren wie ihres: Menschen, die durch Krankheiten in Armut gerutscht seien oder durch Unfälle. Viele hätten ihre Würde verloren in einer Situation, in der sie kaum wüssten, wie sie bis zum Monatsende genug zu essen bekommen würden. Das gelte genauso für Mitstreiter, die in Teilzeit arbeiteten. Die Erhöhung des Regelsatzes auf 502 Euro sei dabei nicht einmal ein voller Inflationsausgleich.

Das größte Problem an der Lage ist: Seitz‘ Mitarbeiterin geht 40 Stunden die Woche arbeiten. In dem harten Job, den der Tatort mit dem speckigen Mann in blutverschmierter Schürze darstellen würde. Dieser Mitarbeiterin bleiben gerade mal 1.400 Euro netto, von denen sie dann noch Miete und Strom bezahlen muss. „Da wird der Abstand nicht mehr gewahrt“, sagt Seitz. So würden die Mitarbeiterinnen schon genau rechnen, ob es sich für sie lohne, weiter zu arbeiten.

Wie konnte es soweit kommen? „Man hat das Gefühl, die Politik kennt ihre Bürger nicht“, sagt Seitz. Und auch Hansen spielt nicht die Antipodin, sondern ist mit der Unternehmerin einer Meinung: „Die Politik ist nicht in der Lage gewesen, die richtigen Weichen zu stellen.“ Statt eine Situation zu schaffen, in der Arbeitnehmer gut leben könnten, würden sie nun mit künftigen Empfängern von Bürgergeld in Konfrontation gebracht.

An dem Gespräch zwischen Seitz und Hansen ist fast alles gut. Es wäre lediglich zu wünschen, dass es einen besseren Sendeplatz bekommt als kurz vor Mitternacht, mehr Zeit und mehr Aufarbeitung, etwa was am Arbeitsmarkt so schiefgegangen ist, dass eine Fleischerin kaum mehr verdient als eine Langzeitarbeitslose.


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Kommentare ( 53 )

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53 Comments
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Boris G
1 Jahr her

„Wie konnte es soweit kommen?“ – Die politisch-mediale Elite hat ganz andere Sorgen als eine strauchelnde Fleischerin oder eine durch Scheidung Verarmte. Zwei Billionen für die Rettung des Weltklimas, zwei Billionen für die Versorgung von Armutsmigranten aus der ganzen Welt, zwei Billionen für die Euro-Rettung – da müssen halt die Ruderer im Bauch der Galeere den Gürtel enger schnallen, wenn die Schlagzahl so gar noch erhöht werden soll, um Russland in die Knie zu zwingen.

Mikmi
1 Jahr her
Antworten an  Boris G

 Zwei Billionen für die vielen neuen Planstellen, dass will ja auch alles Verwaltet werden. Wenn Hr. Trump 750 Dollar im Jahr Steuern zahlt, ja dann muss sich bei uns auch was tun.

Mikmi
1 Jahr her
Antworten an  Mikmi

Jeder ist seines Glückes Schmied, wer für einen Mindestlohn putzen geht, oder doch lieber mehr verdient zB. als Vorarbeiter oder sich selbstständig macht. Sicher muss man sich dafür bewegen, nur 10 Jahre vor der Rente rumjammern, man hat sein Leben lang gearbeitet, sorry das akzeptiere ich nicht.
Und jeder, der mal arbeitslos war, wird etwas demütiger und Corona hat auch so mach einen in den Ruin getrieben.
Ich komme aus dem Dienstleistungsgewerbe, wenn jemand nicht will, da hilft auch keine Förderung oder gut zureden.

Peter Gramm
1 Jahr her

Frau Maischberger fragt Leute was sie verdienen, was im Monat übrig bleibt fragt dies oder das. Sie sollte doch mal selbst offenlegen was sie jeden Monat an Zwangsgebühren einstreicht ohne rot zu werden. Erst dann hätte eine solche Diskussion Sinn. Hier wurden die Armen gegen die Ärmsten ausgespsielt. Oberschäbig und niveaulos.

verblichene Rose
1 Jahr her
Antworten an  Peter Gramm

Nun, ich habe täglich deutlich wertvollere Unterhaltungen mit meinen doch sehr fremden Kunden.
Aber es baut sich immer wieder auf, dass das URVERTRAUEN nicht weiter gehalten werden kann.
Und deshalb muss ich sagen, dass es mich sehr anstrengt, dieses Urvertrauen aufrecht zu erhalten.
Ich habe daher Verständnis dafür, dass einige Mitbürger leiden.
Kein Verständnis habe ich dafür, das einfach so hin zu nehmen.
Blöd ist nur, dass ich nicht verstehen kann, warum jemand lieber leidet…!

mediainfo
1 Jahr her

Jeder kann sich vorstellen, wie ein ARD-Tatort den Betrieb inszenieren würde: Ein übergewichtiger Mann in blutverschmierter Schürze schlurft über einen vergammelten Hof und putzt sich die Nase am Ärmel.

Danke, ich hab mich amüsiert. Es ist genau so: So erwartbar, so klischeehaft, so absichtsvoll, so abgedroschen. Darum öden viele ÖRR-Erzeugnisse nur an.

RauerMan
1 Jahr her

Die Diskussion um das Bürgergeld wird verschärft durch das kontraproduktive Geldverteilen an Leute aus allen Herren Ländern, die unkontrolliert einreisen, nicht nach Recht und Gesetz anerkannt sind und wie Deutsche behandelt werden.
Und das Schlimmste ist, daß unsere Regierenden das nicht nur zulassen,sondern auch noch befördern.
Das geht vor die Wand.

Schwabenwilli
1 Jahr her

Reine Alibi Veranstaltung und als Gipfel noch eine Autorin von einer linken Wochenzeitung.

Til
1 Jahr her

Das echte Leben? Die Hartz-4-Empfängerin, Susanne Hansen, ist eine studierte, eloquente Autorin. So eine Frau käme, wenn sie müsste, auch ohne Hartz-4 klar. Die „Stütze“ erlaubt ihr vielmehr, sich neben der offenbar wenig einträglichen Tätigkeit als freie Autorin, einer ehrenamtlichen Tätigkeit zu widmen.

Wolfgang Schuckmann
1 Jahr her

Es war ein heißes Pflaster, diese “ Sendung“ . Öchdemir habe ich mir noch angetan. Danach habe ich abgeschaltet. So geht’s einem, wenn man durch die Sender zappt. Und oh Wunder, der LW- Minster hat Frau Maischberger einiges mitgegeben in Sachen Demokratie- Verwaltungsabläufe. Er hat immer wieder demonstriert, was man sich mit dem Moloch Brüssel selbst angetan hat. Wer jemals glaubte, es gäbe vernünftige Hilfe für die Bürger im Geschiebe von Finanz u. Politik , der, wenn er es nicht schon vorher wusste, kann seine Hoffnungen begraben. Aber was mich am Allermeisten beeindruckt hat, wenn ein Grüner das uberhaupt fertig… Mehr

M.Einung
1 Jahr her

Ich habe die Sendung nicht gesehen, aber interessant würde es, wenn in solch einer Sendung auch mal jemand säße, der z.B. der Frau Susanne Hansen, ganz konkrete Arbeitsangebote, in ihrer Nähe machen würde.
Dazu müßte man auch vorher recherchieren, wie alt die Kinder sind, kann der Vater sie betreuen usw.
Ob sie dann dazu auch bereit wäre, als Verkäuferin, Postbotin usw. zu arbeiten oder ob sie meint, die Sozialgemeinschaft müsse ihr einen „standesgemäßen“ Job anbieten, ansosten hätte sie ein Recht auf „Unterhalt“ vom Steuerzahler?
Die Reaktion wäre schon interessant.

Ulrich
1 Jahr her

„Echtes Leben“? Wohl nicht mit Schumacher, Schneider und Delling. 3 Journalisten aus der Blase als Verteidiger der Politik. Mit Özdemir zusammen ist damit das „korrekte“ Übergewicht gegen die Fleischerin und die Hartz-IV-Empfängerin hergestellt. Beim Blick auf die Telnehmerliste war klar, dass ich mir die Sendung weder zur Nacht noch über die Mediathek antuen werde. Dank an Herrn Thurnes für die Zusammenfassung!

friedrich - wilhelm
1 Jahr her

……es ist schon so mit dem einkommen: im ergebnis unterscheidet es nicht zwischen kleinunternemern und arbeitnehmern. ich habe mein lebttag gepredigt wer ausbildet hat auch keine facharbeiterprobleme und wer gut zahlt behält seine facharbeiter lange im betrieb! viele von denen können bei mir das vierzigste und füntzigste jahr betriebszugehörigkeit feiern! wir zahlen auch noch jedem weihnachtsgeld und das dreizehnte monatsgehalt!
all the best von den inseln unter dem wind!

Last edited 1 Jahr her by friedrich - wilhelm
Babylon
1 Jahr her
Antworten an  friedrich - wilhelm

War einmal so und zwar als Normalität, nicht als Ausnahme. Seitdem der allgemeine Irrsinn Platz gegriffen hat, ist dieser zur „Norm“ geworden.

friedrich - wilhelm
1 Jahr her
Antworten an  friedrich - wilhelm

……die unternehmen stehen schon einige zeit nicht mehr in dumm -land. sie haben jedoch die erfahrenen fachkräfte mit genommen! natürlich mit den entsprechenden wohltaten für sie und ihre framilien versehen!