Der Berufsethos von Reporter Lowell Bergman

Die vergangene Woche markierte einen neuen Höhepunkt an Medien- und Politikverdrossenheit. Menschen, die allwöchentlich die Medien anschweigend in Dresden demonstrieren, wissen spätestens jetzt, warum sie sich von den Medien abgewendet haben und ihnen kein einziges Wort mehr glauben. Man muss ihre Ansichten nicht teilen – aber wer für sie sprach war ein Undercover-Journalist, der anderen Journalisten ein Interview gab, und dabei bösesten Rassismus äußerte. Der Gipfel der flächendeckenden Beschimpfung ist ein irokesiger IT-ler, über den in der Branche oft gelacht wird, den man aber in den ÖR-Talkshows gerne als prophet of a new age durchreicht – und der sich berufen fühlt, jeden Menschen unter Generalverdacht zu stellen, ein Nazi zu sein. Ist das der Ethos der Medien?

Jedenfalls ein guter Zeitpunkt, um sich mit Lowell Bergman zu beschäftigen. Der Sonntagsheld. Lowell Bergman ist ein real existierender amerikanischer Reporter und TV-Produzent, der für ABC- und CBS-News gearbeitet hat. Für CBS-News war Lowell Bergman 14 Jahre lang tätig und verantwortete in dieser Zeit das bekannte investigative amerikanische Nachrichtenmagazin „60 Minutes„. Eine seiner Enthüllungsgeschichten ist auch Gegenstand des Films „The Insider“.

„The Insider“ behandelt den Fall Brown & Williamson, ein Tabakkonzern aus den Vereinigten Staaten. In der Forschungsabteilung arbeitet Dr. Jeffrey Wigand, ein Chemiker. Im Laufe seiner Tätigkeit für Brown & Williamson wachsen immer mehr Zweifel in ihm heran, was die Beigabe von abhängigmachenden sowie krebserzeugenden Zusatzstoffen im Tabak anbelangt. Lowell Bergman ist eigentlich auf der Suche nach einem Spezialisten, der ihm im Rahmen einer Recherche einen großen Stoß an Papieren verständlich zu erklären bereit ist. Ein Bekannter nennt Jeffrey Wigands Namen, der in Zwischenzeit wegen seiner geäußerten Bedenken von Brown & Williamson entlassen wurde. Wigand weigert sich zunächst mit Bergman zu sprechen. Nach einem ersten Treffen öffnet sich Wigand und offenbart Stück für Stück, dass dem Tabak Cumarin und Ammoniak zugemischt wird, was zu einer erhöhten Abhängigkeit führt und Krebs verursacht. Das alles geschehe mit dem Wissen der „sieben Zwerge“, den Chefs von Big Tobacco, wie die amerikanischen Tabakriesen genannt werden.

Wigand verstößt gegen ein Schweigeabkommen mit seinem ehemaligen Arbeitgeber. Einschüchterungsversuche und Drohungen gegenüber ihm und seiner Familie bestärken ihn nur noch mehr darin mit Lowell Bergman und „60 Minutes“ zu sprechen. Lowell unterstützt Wigand dabei nach allem, was in seinen Möglichkeiten steht: Er berät ihn über alle Risiken, er kümmert sich um einen privaten Sicherheitsdienst, der Wigand und dessen Familie vor weiteren Einschüchterungsversuchen wie nächtlicher Besuche Fremder oder der Positionierung von Pistolenkugeln im Briefkasten abschirmt. Das Interview findet statt. Lowell Bergman und Mike Wallace, sein Partner bei „60 Minutes“, sowie das Team sind hellauf begeistert von der Brisanz des Materials und vom Mut des Jeffrey Wigand.

In einer Konferenz mit der CBS-Geschäftsleitung wird ihnen dann eröffnet, dass die Ausstrahlung eine „unlautere Einmischung“ darstellen würde und eine potentielle Haftungsklage nach sich ziehen könnte. Es gäbe Gerüchte, dass Jeffrey Wigand Versprechungen im Gegenzug für das Interview gemacht worden wären; die Geschäftsführung bezweifelt plötzlich gar dessen Glaubwürdigkeit. Weist die CBS-Führung also an, den Beitrag nicht zu senden? Plötzlich tauchen immer mehr Informationen zu Wigand auf. Der Beitrag soll geändert werden. Als Bergman lautstark protestiert, droht ihm sein Vorgesetzter an, dann eben einen anderen Producer einzusetzen, falls dieser sich nicht einverstanden erklären sollte. Also eine alternative Version, was spricht denn schon dagegen.

So wie in der Zwischenzeit Wigands Leben Schritt für Schritt auseinander bricht, so gerät auch das berufliche Leben von Bergman aus den Fugen. Er findet heraus, dass hinter der Entscheidung der CBS-Geschäftsführung knallharte finanzielle Interessen der einzelnen Geschäftsführer stehen. Er fragt: „Sagt Wigand die Wahrheit? Ja. Ist das einen Bericht wert? Ja. Senden wir das? Natürlich nicht. Warum nicht? Etwa, weil er nicht die Wahrheit sagt? Nein, sondern weil er die Wahrheit sagt. Darum gehen wir nicht auf Sendung. Und je mehr er die Wahrheit sagt, desto schlimmer wird es.“ Er fragt seinen Vorgesetzten: „Bist Du ein Geschäftsmann – oder ein Nachrichtenmann. Das Fundament, auf dem wir stehen, ist in Gefahr.“

Wigand wird fallengelassen, ein zahnloser, aussagefreier Beitrag unter der Leitung seines Partner Mike Wallace gesendet. Lowell Bergman steht allein. Es kommt zum Streit, der Vorgesetzte fragt, wen das schon interessiere, in 15 Minuten sei doch eh alles vergessen. „Nein“, korrigiert ihn Mike Wallace, „das ist Ruhm. Ruhm hat eine Halbwertzeit von 15 Minuten. Schande hingegen dauert länger.“

Ein Privatdetektiv, engagiert von Brown & Williamson, erstellt ein Dossier, das den Informanten gezielt diskreditieren soll. Aus einem geplatzten Scheck in Höhe von 39 Dollar wird Scheckbetrug; er wird als Säufer und als Schwätzer dargestellt. Seine Glaubwürdigkeit soll komplett zerstört werden. Damit wird er als Zeuge wertlos.

Dies sei die „alte Strategie“, so Bergman. „Ruiniere seinen Ruf und niemand wird mehr hören wollen, was er sagt.“

Lowell Bergman ist entsetzt über das was passiert. Er bittet das Wall Street Journal mit der geplanten Veröffentlichung dieses Dossiers zu warten, bis unabhängige Recherchen abgeschlossen sind. Es sickert bei seinen Vorgesetzten durch, dass Bergman auf eigene Faust agiert. Auf die Associated Press angesprochen entgegnet er: „Ich lüge nicht für euch – und ich schweige nicht für euch.“ Woraufhin er beurlaubt wird.

Er entschließt sich die Story an die New York Times zu geben, die sie auf Seite 1 bringt. Daraufhin kann auch das Interview in voller Länge gesendet werden.

Eigentlich als Sieger aus diesem Kampf hervorgegangen, kündigt Bergman im Anschluss seinen Job bei CBS-News. Zuviel ist geschehen. „Was hier zerbrochen wurde, kann man nicht wieder zusammensetzen.“

So und nicht anders verhält es sich in dieser Zeit für eine beträchtliche Anzahl an Menschen. „Ruiniere seinen Ruf und niemand wird mehr hören wollen, was er sagt.“ Ist das die Methode der Wahl, um diejenigen zum Schweigen zu bringen, deren Meinung man nicht hören will? Wenn es nicht gelingt zu einer sachlichen Information um der nüchternen Information willen zurückzukehren, geht etwas zu Bruch, das man nicht mehr wird zusammensetzen können. Statt zu berichten wird gerichtet, ohne dagewesen zu sein. Man kann anderer Meinung sein. Aber fair berichten statt richten.

Aus mir unerklärlichen Gründen wird hier von vornherein durch die Medien und die Politik ein verbales Tschernobyl initiiert, eine Art verseuchte Bannmeile um eine Reihe Menschen, damit sich ihnen keine weiteren nähern sollen. Es werden keine Antworten gesucht, es ist kein Wille zur Aufklärung, zu einem Dialog zu erkennen. Weiterhin wird die reflexartige „alte Strategie“ gefahren. Zur Denunziation aufgerufen. Warum? Ist das der Ethos von Reportern?

Der hohe Anspruch, den Lowell Bergman an sich selbst und seine Arbeit richtet, die Kraft, mit der er sich dafür einsetzt, dass die Information das Publikum erreicht, dass dafür Unwahrheit keine Verbreitung findet, das macht ihn zum dieswöchigen Sonntagshelden.

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