ARD: Einmal Volksgerichtshof zur Unterhaltung

Was die ARD hier – noch hochgeputscht zu einer “Eurovision” mit Österreich und Schweiz ablieferte, war Volksgerichtshof als Schmierentheater: weil es der Seriosität, mit der solche Grenzfragen sehr wohl diskutiert gehören, nicht gerecht wurde.

Screenshot ARD

In einem fiktiven Gerichtsgefahren des Autors von Schirach wird über die Tat eines Bundeswehrpiloten entschieden, der ein mit einem mutmaßlichen Terroristen besetztes Flugzeug abgeschossen hat, weil es angeblich drohte, auf ein voll besetztes Stadion zu stürzen. Die Programmacher der ARD haben das ursprüngliche Bühnenstück zu einer Sensations-TV-Soap herabgewürdigt. Das Stück “Terror” in der ARD-Fassung passte sich publizistisch in die allgemeine Terrorhysterie ein. Was ein eigentlich nach dem Willen seines Autors und Juristen ein sehr tiefsinniges und für die Menschenwürde der Verfassung plädierendes Stück ist, wurde zu einem Schmierenstück herabgewürdigt. Nicht durch den Film an sich, sondern durch den medialen Umgang damit. Hat der Autor des Stücks deshalb bei der folgenden Diskussion gefehlt?

Wochenlang wurde die Sendung mit krawalliger Werbung von den Früh- bis zu den Spätnachrichten beworben. Frank Plasberg, der nach diesem fiktiven “Prozess”, mit dem intellektuell unauffälligen Franz-Josef Jung und einem ehemaligen Bundeswehrpiloten sein “Hart aber Fair” moderierte, verfehlte jeden Anspruch an Ernsthaftigkeit. Mit diesen beiden Diskutanten und einer unerträglich oberflächlich plappernden, zu keinem eigenen Standpunkt fähigen designierten Bischöfin hatte ein entsetzter Gerhart Rudolf Baum, der sich als der letzte Hüter der Menschenwürde wiederfand, einen schweren Stand. Beim peinlichen intellektuellen Niveau der anderen drang er nicht durch gegen einen Ex-Flieger, der sich in seiner Wurschtigkeit dazu verstieg, Artikel 1 unserer Verfassung in Frage zu stellen, weil “in unser komplizierter werdenden Welt nicht immer alles mit Gesetzen geregelt” werden könne und Artikel 1, die Menschenwürde doch nicht gottgegeben sei, man den mal ein bisschen der Zeit anpassen, das Grundgesetz ergänzen zu müsse. Fliegern sagt man in der Regel wegen der Erfahrung der Bewegung in der dritten Dimension Weitsicht nach – bei diesem Herrn reichte die gerade in Schussweite der Bordkanonen. Der Mann ist auf genau diese Verfassung vereidigt worden und ließ abgrundtiefe Blicke auf das zu, was anscheinend inzwischen Tornado- und Eurofighter-Piloten denken. So einem Menschen würde ich weder Gewalt über eine Schusswaffe, noch über ein Kampfflugzeug anvertrauen.

Peinliches Plasberg-Niveau

Weil diese Sendung so offensichtlich auf Krawall angelegt war, wurde dann eine 15-minütige “Abstimmung” abgehalten, die keiner seriösen Untersuchung standhält. Angeblich haben 86,9 Prozent “als Schöffen” für Freispruch des Piloten, 13,1 Prozent für Verurteilung gestimmt. Prozent von was? Wie viele Zuschauer oder Anrufer abgestimmt haben wie sich diese Menschen zusammensetzten, verschwieg die ARD geflissentlich. Vox Populi ist gleich Vox Rindvieh – das stammt von Franz-Josef Strauß und trifft hier zu. Hinter ihn ist die ARD um der Effekthascherei Willen zurück gefallen. Diese Umfrage war weder repräsentativ, noch wahrhaftig, sie war manipulativ. Ohne die geringste Kenntnis über Recht und Gesetz, über Begriffe wie Tatbestand, Nothilfe oder Notwehr – über den wirkliche Schöffen allerdings Kenntnisse haben und – das ist der wesentliche Unterschied – gemeinsam mit den Berufsrichtern vor der Urteilsabstimmung zu beraten, wurden hier Gefühle bedient.

Das, was die ARD hier – auch noch hochgeputscht zu einer “Eurovision” mit Österreich und der Schweiz abgeliefert hat, war der Volksgerichtshof als Schmierentheater: weil es der Seriosität, mit der solche Grenzfragen sehr wohl diskutiert gehören, nicht gerecht wurde. Weder die Menschenwürde aus Artikel eins, noch der zweifelhafte, dann in der “Urteilsbegründung an den Haaren herbeigezogene “Übergesetzliche Notstand” – wohl bekannt aus den Diskussionen im sogenannten “Deutschen Herbst”, wurden mit der erforderlichen Seriosität behandelt. Das war Verdummungsfernsehen unterster Schublade. Der Moderator machte mehrfach deutlich, wie wenig ernsthaft es ihm war – wenn sich ein Paar nach dem Besuch des Theaterstücks so stritt, dass es von Schirach um Schlichtung bat – das “sei doch gottvoll” amüsierte sich Plasberg. Er überraschte mit der Pointe, dass – wäre die Abstimmung anders ausgegangen – man ja auch eine andere Urteilsbegründung in Petto habe, die man auf der Homepage ansehen könne. Die Menschenwürde als Spielball der Unterhaltung. Was geht denn noch? Kommt demnächst die Lotterie “Todesstrafe oder nicht? – entscheiden Sie Live, in Farbe und Eurovision mit anschließender Hinrichtung? Dieses Niveau hat das öffentlich-rechtliche Fersehen inzwischen mühelos erreicht.

Menschenwürde auf dem Geschwätz-Basar

Worum ging es wirklich in dieser Sendung? Warum inszeniert man solch einen Mist? Artikel eins, die Menschenwürde und zwanzig, die Gewaltenteilung und das Demokratieprinzip unserer Verfassung, stehen unter dem sogenannten “Ewigkeitsgehalt” – sie dürfen nicht verändert werden. Bisher war das unstrittig, es galt alt Tabu – auch in der gesamten juristischen Bandbreite der Diskussion. Offensichtlich ging es hier um einen Tabubruch. Es ging in der gesamten Sendung darum, Artikel eins und die Menschenwürde sehr wohl anzutasten und das zu tun, was Pegida und andere Populisten längst versuchen: Eckpfeiler unserer demokratischen Werte anzutasten, um sie diskutierbar machen und zu schleifen. Die Konstellation der Diskussion war so einseitig, dass von vornherein klar war, dass hier ein ernsthafter Verfassungsrechtler Baum gegen einen tumben Ex-Verteidigungsminister, einen dampfplaudernden Ex-Offizier und eine völlig überforderte Plappertasche von zukünftiger Bischöfin als Fossil einer vergangenen Zeit erledigt werden sollte. Der Moderator verabschiedete Gerhart Baum mit den Worten “danke für Ihre Mahnungen”. Eine verräterischere Abwertung kann es nicht geben.

So, wie hier mit der Einstellung der Menschen den Werten des Grundgesetzes gegenüber gespielt wurde, hat es schon einmal in Deutschland angefangen, deshalb sollte gut überlegt werden, solchen manipulativen Populismen zu begegnen. Wehret den Anfängen! Die Menschenwürde wurde ab 1933 beseitigt, damit “Volkes Stimme” zu Gericht sitzen konnte. Der “Volksgerichtshof” hat so geurteilt, wie sich der “Verteidiger” des Piloten immer wieder eingelassen hat: Nach “gesundem Menschenverstand” und nicht nach Gesetzen und einer Verfassung. Genau aus dieser Erfahrung heraus heißt Artikel 1 “Die Würde des Menschen ist unantastbar.”

Verfassungsrechte sind nie gegeben, sie müssen täglich verteidigt und neu erstritten werden. Auch gegen Demagogen, gegen Terrorhysterie, gegen Offiziere, die bereits meinen, wir wären im Krieg und auch gegen Unterhaltungspopulisten.

Roland Appel ist einer Sozialliberalen, die 1982 die FDP verließen. Von 1990 bis 2000 war er Mitglied des Landtages von NRW und ab 1995 einer der beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen. Seit 2000 ist Appel Unternehmensberater.

Der Beitrag erschien zuerst auf rheinische-allgemeine.de.

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