Energie und Klima spalten Deutschland. André D. Thess schlägt einen Versöhnungsweg – inspiriert von der Tradition des Westfälischen Friedens – vor, der die Perspektive eröffnet, gleichzeitig CO2-Emissionen kostengünstig zu reduzieren und die Bürger von staatlichen Eingriffen zu entlasten.

Am Mittwoch, dem 23. Mai 1618 warfen wütende Protestanten unter Führung von Heinrich Matthias von Thurn die katholischen Statthalter Jaroslaw Borsita und Wilhelm Slavata sowie den Kanzleisekretär Philipp Fabricius aus dem 17 Meter hohen Fenster des Alten Prager Königspalastes. Ob die fliegenden Herren ihr Überleben einem Misthaufen, ihren dicken Mänteln oder der Jungfrau Maria verdanken, liegt im Dunkel der Geschichte verborgen.
Unstrittig ist hingegen, dass der Prager Fenstersturz den Dreißigjährigen Krieg einläutete – einen erbitterten Religionskrieg mit sechs Millionen Todesopfern. Erst 30 Jahre später, am 24. Oktober 1648, fand dieses traumatische Kapitel europäischer Geschichte mit der Unterzeichnung des Westfälischen Friedens in Münster und Osnabrück sein Ende.
Deutsche Politiker dürften vor diesem Hintergrund am 10. Juni 2023 erleichtert gewesen sein. Bei den Protesten von 13 000 Bürgern gegen das Gebäudeenergiegesetz in Erding ging es gesitteter zu als damals in Prag. Defenestrationen sind weder aus Erding noch aus Berlin überliefert. Ministerstürze auch nicht. Anders als bei den Protesten von Kernkraftgegnern in den 1980er-Jahren gegen die Aufbereitungsanlage Wackersdorf wurden in Erding weder Molotowcocktails geworfen noch Polizeiautos angezündet.
Ungeachtet der Tatsache, dass die heutigen Auseinandersetzungen um Energie- und Klimapolitik weitgehend gewaltfrei verlaufen, hatte der Hamburger Universitätspräsident Dieter Lenzen auf einer Online-Diskussionsveranstaltung schon im Oktober 2021 in meinem Beisein gesagt: »Die Energiewende hat das Potenzial zum Bürgerkrieg.«
Wie kann die Spaltung der deutschen Bevölkerung zu Energie- und Klimapolitik überwunden werden? Diese Analyse soll dazu beitragen, dass wir uns nicht erst im Jahr 2053 versöhnen.
Die Polarisierung des Volkes zu Energie und Klima ist allgegenwärtig. Ein Teil der Deutschen will Wind- und Solarenergie beschleunigt ausbauen, Kohlekraftwerke schneller stilllegen, Verbrennungsmotoren und Gasheizungen verbieten, Flugreisen rationieren, schwere Geländewagen (SUV) höher besteuern und Fleisch verteuern. Dies diene dem Ziel, möglichst bald das Ziel eines klimaneutralen Deutschlands zu erreichen.
Häufig belegen Klimaaktivisten Menschen, die ihre Meinung nicht teilen, mit politischen Kampfbegriffen wie »Klimaleugner« oder »Umweltsau« und unterstellen ihnen Verantwortungslosigkeit gegenüber künftigen Generationen. Die KI-Software ChatGPT, deren »Denkweise« ein Abbild des öffentlichen Meinungsgefüges ist, listet auf meine Frage nach der Systematik der Methoden der Klimawandelleugnung die stattliche Zahl von sechs Kategorien und fünfzehn Unterkategorien auf – ein Indiz für gesellschaftlichen Zwiespalt.
Ein anderer Teil der Deutschen sieht die Themen Klima und Energie ganz anders. Viele halten den Klimawandel zwar für real und sprechen sich im Grundsatz auch für eine langfristige Abkehr von fossilen Energieträgern aus. Doch widersprechen sie der These, es handle sich um das dringlichste Problem der Zivilisation. Sie verweisen darauf, dass in keinem Bericht des Weltklimarates IPCC von einer existenziellen Bedrohung für die Menschheit die Rede ist.
Auch lehnen sie es ab, Milliarden an Steuergeldern in »Große Transformationen« zu investieren, weil diese Gelder nach ihrer Meinung besser in Bildung und Infrastruktur angelegt sind – einschließlich Klimaanpassungsmaßnahmen wie der Begrünung von Städten oder der Installation von Klimaanlagen in Gebäuden.
Diese Gruppe möchte sich ihren Lebensstil nicht vom Staat vorschreiben lassen. Sie will unbehelligt Fleisch essen, SUV fahren und nach Bali in den Urlaub fliegen. Die Bürger argumentieren, dass Deutschland weniger als zwei Prozent des weltweiten Ausstoßes von CO2 verantwortet und China fast jede Woche ein neues Kohlekraftwerk in Betrieb nimmt.
Manche halten den menschengemachten Klimawandel gar für Spinnerei oder Propaganda. Obwohl ich diese Auffassung nicht teile, halte ich es im Rahmen von Meinungs- und Religionsfreiheit für legitim, solche Meinungen zu vertreten und öffentlich zu äußern.
Einige Klimaschutzkritiker behaupten, Klimapolitik sei in Wirklichkeit ein Vehikel für den Weg in ein totalitäres System oder eine Gelehrtendiktatur. Sie sehen eine Analogie zwischen dem Missbrauch der Wissenschaft während der Coronapandemie für die Rechtfertigung schwerwiegender Eingriffe in Freiheitsrechte einerseits und der Instrumentalisierung von Klima- und Energieforschung für Freiheitsbeschränkungen im Namen des Klimaschutzes andererseits. Nach meiner Wahrnehmung vertieft sich die gesellschaftliche Spaltung in den Jahren seit der Coronapandemie, anstatt abzunehmen.
Gibt es einen Weg, diese Spaltung zu überwinden?
Viele Befürworter meinen, die Energiewende sei nur schlecht organisiert. Man hätte sie nicht beherzt angepackt. »Wir brauchen jetzt eine »Energiewende 2.0!« Organisiert von klugen Wissenschaftlern, unideologischen Politikern und visionären Unternehmern. Mitgetragen von einer einsichtigen Bevölkerung. Oft zu hören ist auch die These, man müsse den Menschen »da draußen« Klimaschutz und Energiewende nur besser erklären. Auf meine Frage nach seinem Rezept gegen die Spaltung der Bevölkerung antwortete der Vater des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Hans-Josef Fell im August 2024, er würde eine großangelegte Informationskampagne befürworten, mit der man der Bevölkerung die Gefahr des Klimawandels und die Chancen der Energiewende umfassend erklärt.
Zahlreiche Kritiker meinen hingegen, die deutsche Energiewende sei gescheitert. Ein Neustart in Form einer staatlich organisierten »Energiewende 2.0« sei ähnlich erfolgversprechend wie der »Sozialismus 2.0«. Sie plädieren hingegen für ein »Ende der Klimaplanwirtschaft«, einen Stopp des Baus von Windkraftanlagen, für die Abschaffung von Subventionen für erneuerbare Energien, für die Weiternutzung fossiler Energieträger und für den Wiedereinstieg in die Nutzung der Kernenergie.
Es scheint schwierig, zwischen diesen unversöhnlichen Fraktionen Frieden zu schließen. Doch ist es wirklich unmöglich? Ich bin überzeugt: Wir Deutschen müssen weder auf Wind- und Sonnenenergie noch auf Schweinshaxen, SUV und Urlaubsflüge verzichten. Wie soll das funktionieren?
Ich habe mich (…) von zwei Erfolgskapiteln deutscher Geschichte leiten lassen. Von der Versöhnung verfeindeter Religionen im Westfälischen Frieden von 1648 und vom Wirtschaftswunder der alten Bundesrepublik, welches durch die Befreiung der Bürger und Unternehmer von staatlicher Gängelung eingeläutet worden war. Die zentrale These meines Friedensplans lautet, dass der Schlüssel für die Befriedung des gesellschaftlichen Konflikts in einer Einigung über die Rolle des Staates in Energie- und Klimapolitik liegt.
Ich halte es für aussichtslos, diesen Widerspruch zu befrieden, indem eine der beiden Seiten die andere von ihrem Standpunkt überzeugt – ebenso wie es in den 500 Jahren seit der Reformation keine Einigung zwischen evangelischer und katholischer Kirche gegeben hat. Eine Bekehrung der Klimakritiker-Fraktion zu ambitioniertem Klimaschutz halte ich für ebenso unwahrscheinlich wie die Einführung des Zölibats in der evangelischen Kirche. Und vermutlich wird die katholische Kirche eher eine Päpstin wählen, als dass sich ein Klimakleber davon abbringen lässt, den Klimawandel für die größte Herausforderung der Menschheit zu halten.
Auch freie Wahlen – eigentlich der Königsweg zum Interessensausgleich in einem demokratischen Rechtsstaat – sind vermutlich für die dauerhafte Auflösung eines so tiefgreifenden und verhärteten Zerwürfnisses ungeeignet. Gewinnt eine Seite bei einer Wahl die Oberhand, wird sie als Erstes eifrig die aus ihrer Sicht falschen Klima- und Energiegesetze der Vorgängerregierung aufheben oder entschärfen, um nach vier Jahren in der nächsten Wahlperiode zuschauen zu dürfen, wie ihre politische Konkurrenz in einer Nachfolgeregierung alle Entscheidungen wieder zurückdreht. Dieses Hin und Her bewirkt das genaue Gegenteil der Berechenbarkeit, die sich Bürger und Unternehmer eigentlich wünschen.
Nach meiner Überzeugung liegt der Schlüssel zur Lösung des gesellschaftlichen Konflikts darin, die Rolle des Staates in strittigen Fragen wie Energie und Klima grundsätzlich zu überdenken. Um dem Staat eine angemessene Rolle zuzuweisen, schlage ich einen Energiegipfel ähnlich den Westfälischen Friedensverhandlungen vor.
Bevor dieser eines Tages tatsächlich stattfinden wird, stelle ich mit dem vorliegenden Buch ein Gedankenexperiment über den möglichen Verlauf eines solchen Gipfeltreffens vor. Der Energiegipfel sei ein mehrtägiges Treffen, bei dem sich Vertreter der unterschiedlichen politischen Strömungen zusammensetzen und über einen möglichen Weg in einen Energie- und Klimafrieden verhandeln.
Hat dieser (leicht gekürzte) Auszug Ihr Interesse geweckt? Lesen Sie weiter in:
André D. Thess, Der Energiegipfel. Ausweg aus dem Klimakampf. LMV, Paperback, mit zahlreichen schwarz-weißen und farbigen Illustrationen, 176 Seiten, 22,00 €.
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Viel zu spät, zu groß der angerichtete Schaden, die Deindustrialisierung schreitet voran, unaufhaltbar. Den Ideologen und Profiteuren des Klimawahns können Sie mit der ratio, mit Vernunft und Argumenten nicht beikommen.
Die angesprochenen 2 % sind der Richtigkeit halber den Deutschen durch Nutzung fossiler Energien zuzuordnen. Die Entstehungskette Co² ist 96 % natürlichen Ursprungs wie Verrottung von Biomasse, Vulkane und der Ausatmung aller Menschen und Tiere. Die verbleibenden 4% -Gesamt unterteilen sich dann auf alle Länder. Die 4 % sind dann als 100 % den menschlichen Aktivitäten zuzuordnen. Der Anteil von Deutschland beträgt davon 1,87 %. Das ist am natürlichen und menschgemachten Gesamtaufkommen 0,00467 %. Deshalb dieser Terror mit all seinen Beschränkungen und der Luftsteuer ? Das Co²-Märchen ist eine Erfindung einer Globalisten-Organisation, die seit den 70 er Jahren unter der… Mehr
Jemand, der alle Ergebnisse und Erkenntnisse negiert, die eindeutig beweisen, dass es den menschengemachten Klimawandel nicht gibt, braucht sich über die Klimalüge und ihre Folgen eigentlich keine substantielle Gedanken zu machen.
Erholte eigentlich nur Lüge gegen Wahrheit aufrechnen. Dazu ist er aber nicht gebildet genug.
Ich denke, es wäre mal nach historischen Vorbildern wieder ein Fenstersturz dran, bevor wir an einen westfälischen Frieden denken. Ist heutzutage aber schwierig, weil man in den meisten modernen Regierungsbüros leider die Fenster nicht mehr öffnen kann.
Da wir eine hocharbeitsteilige Gesellschaft sind, müssen wieder ausgewiesene Fachleute in ihren jeweiligen Gebieten sich frei äussern und handeln können.
Das ‚Wirtschaftswunder‘ wurde – neben ordoliberalen Gesetzen – von Fachleuten getragen, denen niemand ins Geschäft redete oder gar dort reinpfuschte.
Schon wer von ‚dem menschengemachten Klimawandel‘ redet, hat jegliche Rationalität hinter sich gelassen. Da sind keine Gespräche möglich.
Welche Art der Energieübertragung [Kernenergie …] genutzt wird, muss von technisch-wissenschaftlich-wirtschaftlichen Sachverhalten bestimmt werden und nicht von weltfremden Ideologien.
Die Energiewende muss man sich leisten können. Schon sehr bald werden viele feststellen, das sie es sich nicht leisten können, ihr altes Auto gegen ein E-Auto zu tauschen. Viele werden auf individuelle Mobilität verzichten müssen, mit Folgen für Urlaub, Beruf, Freizeit. Ja, die Bevölkerung ist tief gespalten, Ich kann verstehen, wenn manche ihren Frust an teuren Karossen auslassen.
Nette Sache, das Ding mit dem Energiegipfel. Das Problem ist aber doch: jeder vernünftige Mensch hätte diesen Expertengipfel zur Energiewende abgehalten, BEVOR man angefangen hätte, alles kurz und klein zu wenden.