Vom hohen Ross: St. Martin und die Stoffzuteilung

Bei der CDU geht's zu St. Martin nicht um freiwillige Barmherzigkeit, sondern um angeordnetes Maskentragen.

Getty Images | Screenprint: Twitter/CDU

Ein gängiger rhetorischer Kniff ist die Autoritätsanrufung, idealerweise von Autoritäten, die sich nicht wehren können oder wollen. Mit der Einleitung „was würde Jesus dazu sagen“ kann ein Pfarrer seit jeher seine eigene Botschaft gegen alle Einwände imprägnieren. Ein Donnerwort vom Kruzifix wird schon nicht kommen. An die Methode hatte offenbar auch das Social-Media-Team der CDU gedacht, das sich zum St.-Martins-Tag Gedanken über eine praktische Nutzanwendung in Corona-Zeiten machte. Nach ihren Vorstellungen soll Sankt Martin seinen halben Mantel aber nicht Händlern und Gastronomen anbieten, die jetzt durch den zweiten Lockdown in Schwierigkeiten geraten. Es geht vielmehr ums Maskentragen:

„Die Botschaft des #Martinstag|es könnte nicht aktueller sein. Zurzeit ist es nicht der Mantel, sondern ein anderes Stück Stoff, durch das wir unseren Mitmenschen helfen können. Die Alltagsmaske – sie muss nicht geteilt, aber sollte von jedem getragen werden. Schütz dich & andere!“

Im ersten Schreck dachten vermutlich viele Leser, die Partei rufe dazu auf, Masken zu teilen, entweder im Sinn der Mehrfachnutzung oder gleich mit dem Schwert. Aber es geht, siehe oben, um „Barmherzigkeit gegenüber den Schwächsten“.

Bei Barmherzigkeit – und darin besteht die eigentliche Lehre des Heiligen Martin – handelt es sich allerdings um eine individuelle und freiwillige Entscheidung. Bezogen auf die Masken nimmt der Staat diese Entscheidung gerade allen Bürgern ab, indem er auf Maskenpflicht in Supermärkten, Verkehrseinrichtungen, Schulen und in Innenstädten besteht und ein entsprechendes Bußgeld vorsieht, wenn sich jemand nicht fügt, der den Sinn von Masken beispielsweise im Supermarkt einsieht, auf feuchten und halbleeren Plätzen im Novemberniesel aber eher nicht. Barmherzigkeit per Allgemeinverfügung, ansonsten Bußgeld: Dass das nicht zusammenpasst, merkt jeder, der den Tweet bis zu Ende durchliest. Also vielleicht nicht das CDU-Twitterteam selbst, aber der Rest.

Vor nicht allzu langer Zeit kursierte ein Foto von Armin Laschet mit heruntergezogener Maske in einem Flugzeug, von dem unmaskierten SPD-Vorsitzenden im ICE und von einem maskenlosen Ministerpräsidenten Wilfried Kretschmann im Wartebereich eines Flughafens, ebenso von Bundespräsident Steinmeier während seines Südtirol-Urlaubs. Die Twitteranten aus dem Adenauerhaus könnten mit etwas Phantasie die Martins-Geschichte noch etwas realistischer umschreiben: Wer oben auf dem Ross sitzt, darf etwas barmherziger mit sich selbst sein, „das Stück Stoff“ (CDU) auch einmal weglassen, wenn es unangenehm wird, und dafür nach unten mit dem Schwert drohen, falls andere auf den gleichen unbotmäßigen Gedanken kommen.

Die Bußgeldeinnahmen durch die Verfolgung der Maskensünder werden jedenfalls gerecht unter den vielen Bedürftigen verteilt.

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