Psychische Probleme: Zahl der Suizidversuche auf hohem Niveau

Neue Daten aus dem ersten Halbjahr 2020 in Berlin legen nahe, dass die Zahl der Versuche psychisch kranker Menschen, sich selbst zu töten, zunimmt.

Wie wirkt sich der Corona-Lockdown auf die Situation von psychischen Kranken aus? Wichtige Fachleute wie der Vorsitzende der Deutschen Depressionshilfe Ulrich Hegerl gehen von einer verschlechterten Versorgung von psychisch Kranken aus,  auch von einer Verschärfung von Suchtproblemen, und halten eine Zunahme von Suiziden für möglich. Offizielle Zahlen für ganz Deutschland für 2020 liegen noch nicht vor. TE berichtete im Juni von einer Zunahme der Suizidversuche in Berlin, die sich aus den Einsatzcodes für Notrufe ergeben. Diese Zahlen hatte der Berliner FDP-Abgeordnete Marcel Luthe bei der Innenverwaltung des Landes Berlin abgefragt.

Eine erneute Abfrage Luthes für das erste Halbjahr 2020 bestätigte jetzt den Trend. Zwar bezieht er sich nur auf die Hauptstadt und auf Suizidversuche – wie viele davon tödlich endeten, ergibt sich aus den Einsatzunterlagen nicht. Trotzdem lassen die Zahlen den Schluss auf eine Verschärfung von psychischen Erkrankungen zu. So ereigneten sich schon im ersten Halbjahr mehr Suizidversuche durch Sprünge aus mehr als 10 Meter Höhe als im gesamten Jahr 2019 (acht im Vergleich zu sieben im Vorjahr). Die Zahl aller Sprünge in suizidaler Absicht lag von Januar bis Juni 2020 bei 18 – im gesamten Jahr 2019 bei 14. Absichtliche Überdosen von Medikamenten in Verbindung mit Atembeschwerden verabreichten sich im ersten Halbjahr 116 Menschen (174 Fälle 2019), sonstige Überdosen 31 (30 im Vorjahr).
Wie gesagt: eine Zahl vollendeter Suizide ergibt sich daraus zwar nicht. Sprünge in Suizidabsicht aus mehr als 10 Metern Höhe enden allerdings meist tödlich oder mit sehr schweren Verletzungen.

„Der Notfallcode der Feuerwehr wird nicht aus einem Bauchgefühl vergeben, sondern anhand von Tatsachen nach dem Standardisierten Notrufabfrageprotokoll“, kommentiert Luthe die Ergebnisse seiner Anfrage gegenüber TE. „Der Anstieg der Einsatzcodes gegenüber dem Vorjahr – und offenbar auch gegenüber 2018 – ist deutlich messbar.“

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Daraus will der FDP-Politiker noch keine Schlussfolgerung ableiten, ob die deutlich erhöhte Zahl bestimmter Suizidversuche auf die Corona-Maßnahmen zurückgeht. Aber er möchte die Daten in die Debatte über diese Maßnahmen und deren Nebenwirklungen einspeisen. „In der gesamten Corona-Debatte“, so Luthe, „wird immer wieder der wissenschaftliche Grundsatz übersehen, dass eine Korrelation nicht automatisch eine Kausalität bedeutet. Das gilt für die Behauptung der Wirksamkeit irgendwelcher Maßnahmen ebenso wie die fehlende Unterscheidung, ob jemand an oder mit einer Infektion verstorben ist oder auch nur Krankheitssymptome zeigt – es gilt aber auch hinsichtlich der Frage, ob der massive Anstieg der Einsätze wegen Suizidversuchen eine Folge der Verordnungen ist oder andere Gründe hat. All dies muss nüchtern, wissenschaftlich und transparent geklärt werden und erst dann wird aus der – offensichtlichen – Korrelation gegebenenfalls eine Kausalität.“

Als TE zum ersten Mal über gestiegene Suizidversuche in Berlin berichtet hatte, schrieb das Unternehmen „Correctiv“ am 23. Juni:
„Corona-Maßnahmen: Irreführende Berichte über angeblich gestiegene Suizidzahlen in Berlin“

Darin erwähnte Correctiv auch TE. Die Plattform schreibt, ohne TE im folgenden speziell zu erwähnen: „Die Zahlen stimmen. Eine Steigerung von 300 Prozent, die in zahlreichen Artikeln in der Überschrift genannt wird, bezieht sich allerdings nur auf die ‚Todessprünge’ aus mehr als 10 Metern Höhe. Die Zahlen als Steigerung der Suizidrate insgesamt anzuführen, ist irreführend.“

Irreführend ist daran jedoch höchstens die Darstellung von Correctiv. Denn TE hatte die einzelnen Arten der Suizidversuche im Einzelnen aufgeführt – wie auch in diesem Beitrag – , und darauf hingewiesen, dass die Zahl der vollendeten Suizide daraus nicht hervorgeht. „Die Diagnose ‚Suizid’ stellt der Leichenbeschauer, nicht die Feuerwehr“, teilt Correctiv außerdem mit. Das stimmt. Nur hatte TE nie etwas anderes behauptet.

Die Plattform, die kürzlich bei einem Rechtsstreit TE unterlag, greift hier also zu der Methode, zu ‚korrigieren’ und zu ‚widerlegen’, was im Ausgangsbeitrag nirgends behauptetet wurde.


Sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie Hilfe benötigen, kontaktieren Sie unbedingt die Telefonseelsorge. Unter der kostenfreien Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 bekommen Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Hilfe bei den nächsten Schritten anbieten können. Hilfsangebote gibt es außerdem bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Im Netz gibt es – Beispielsweise bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe – auch ein Forum, in dem sich Betroffene austauschen können.

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Kommentare ( 31 )

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Monika
3 Jahre her

Seit März muß man sich notgedrungen ständig Sorgen machen. Wie geht es der dementen Mutter im Pflegeheim, kann das Kind ein ganz normales Kinderleben führen, wann geht man am einfachsten einkaufen, damit man nicht Schlange stehen muß, usw.? Früher lief sowas einfach, die psychisch Kranken hatten „nur“ ihre Krankheit und nicht noch die zusätzlichen Probleme und die Isolation. Ich kann mir gut vorstellen, daß selbst gesunde Menschen an den ganzen Lockdown-Maßnahmen und evtl. auch an übersteigerter Corona-Angst leiden. Mir geht dieser ganze Stress auch auf den Senkel. Über die ganzen Kollateralschäden des Lockdowns und der fortdauernden „Schutzmaßnahmen“ werden wir sowieso… Mehr

Ralf Poehling
3 Jahre her

Ich gehe jede Wette ein: Ein erheblicher Anteil der Suizide in diesem Land sind gar keine.

Horst Johnson
3 Jahre her

Der FDP Politiker Luthe wurde nun innerhalb seiner eigenen Partei auch geschaßt. Und weg ist er, aus der Fraktion ausgeschlossen. Zu kritisch, Nachfragen nicht erwünscht.
FDP, genauso überflüssig wie die GEZ.

daldner
3 Jahre her

Eben. Man muss nicht krank sein, um sich zu töten. Ein Bilanzselbstmord ist eine Sache nüchternen Nachdenkens und vielleicht die letzte Freiheit, die einem dieser Staat noch lässt.

nachgefragt
3 Jahre her

Liebe Redaktion, mag ja alles so sein. Erstens verschweigen Sie hier im Hinblick auf die Gift-Einnahmen, dass dieses Jahr die Rechtslage zur Sterbehilfe geändert wurde. Es ist sehr wahrscheinlich, dass etliche Fälle in diese Richtung gehen und jetzt erst überhaupt erfasst werden. Außerdem stehen die Zahlen dennoch weder in Berlin noch sonstwo im Verhältnis zu den Opferzahlen durch Corona in Deutschland, schon gar nicht im Vergleich ohne Lockdown. Einer Ihrer Autoren kommt doch aus Braunschweig und hat einen guten Draht zur Stadt. Der kann ja zum Beispiel mal dort nachhaken.

Wolfsohn
3 Jahre her
Antworten an  nachgefragt

Wieviele Menschen sind denn in Deutschland – nachweislich(!) – an Corona gestorben?
Wie will man solche Zahlen ermitteln, wenn Obduktionen verhindert werden?
Glaskugel????

Dr_Dolittle
3 Jahre her

Sie haben Recht – aber Kant wird ja nicht umsonst vom Sockel gestoßen…..

EinBuerger
3 Jahre her

Die offizielle Realität ist was in den Medien steht. Und in den Medien steht nur, was ins Narrativ passt. Entsprechend wird dann die offizielle Realität gebildet.
Sollten sie sich irgendeine Erzählung basteln können, wie diese Meldung von den erhöhten Suizidversuchen in ihr Narrativ passt, werden sie es bringen. Finden sie keine passende Erzählung, werden sie es nicht bringen. Und dann findet es offiziell nicht statt.
Es geht immer nur um mediale Erzählungen, die in reale Einzelstücke einfügt werden. Im Grunde wie bei allen Ideologien.

MPS
3 Jahre her

„Wie wirkt sich der Corona-Lockdown auf die Situation von psychischen Kranken aus?“

Kann ich Ihnen sagen. Meine werte Mutter war auch vor Corona schon psychisch vorerkrankt. In der Lockdown Zeit ist sie wieder in ein Tief gefallen. In ein so extremes Tief wie bisher noch nicht. Der Lockdown macht/e Leute krank, dass kann ich aus erster Hand bestätigen.

bkkopp
3 Jahre her

Mir erscheint unvermeidlich dass eine Krisensituation wie wir sie seit Februar/März haben, und die Auswirkungen der panikartigen Notbremsung, zu einer höheren Suizidrate führt. Die Schweden haben kaum gebremst, weshalb sie, bevölkerungsproportional, eine viel höhere Todesrate von Covid-19 haben, wie mehrere andere Länder auch. Da in Schweden, Großbritannien, Belgien, usw. oder gar den USA, der Wirtschaftseinbruch nicht wesentlich anders ist als hier, sind wir noch lange nicht am Ende der Krise, die für sehr viele Leute entweder dispositiv, oder wegen der Vernichtung der wirtschaftlichen und sozialen Existenz, zu einem psychischen Zusammenbruch führen kann und wird. Die Antwort kann aber nicht darin… Mehr

Heike
3 Jahre her

Ich bin überzeugt auch dafür hat Merkel eine treffsichere Erklärung! Hat das Todesopfer einen positiven Test = an Corona gestorben
Ungetestete Tote werden unter „bedauerliche Einzelfälle“ verbucht. Ansonsten gilt „nun sind sie halt tot – mir doch egal“

Karina Gleiss
3 Jahre her
Antworten an  Heike

Wahrscheinlich werden diese Schicksale auch als „Verwerfungen“ verbucht. Oder aber, wie Sie schon richtig feststellten, als Opfer von Corona. Dem menschenverachtenden Zynismus dieser Psychos, für die Verantwortungsgefühl, Empathie usw. Fremdwörter zu sein scheinen.