Der Mann, der die Wiedervereinigung verhindern wollte

In der Nacht zum Samstag ist der ehemalige DDR-Ministerpräsident Hans Modrow verstorben. Linken-Politiker und Medien würdigten seine Verdienste. Doch zur Verklärung des langjährigen SED-Funktionärs gibt es keinen Anlass.

IMAGO / Rainer Unkel

Führende Vertreter der Linkspartei haben am Wochenende ihre Trauer über den Tod des ehemaligen DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow zum Ausdruck gebracht. „Der Tod von Hans Modrow trifft mich sehr,“ schrieb der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi auf Twitter. „Als vorletzter Ministerpräsident der DDR hat er Großartiges geleistet.“

Auch Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch teilte via Twitter mit: „Hans war ein zutiefst aufrichtiger und kämpferischer Sozialist. Bis ins hohe Alter war er ein wichtiger Ratgeber in unserer Partei, dessen Klugheit fehlen wird.“ In einer gemeinsamen Erklärung hoben Gysi und Bartsch hervor: „Der gesamte friedliche Verlauf der Herstellung der Deutschen Einheit war gerade ein besonderes Verdienst von ihm. Das wird sein politisches Vermächtnis bleiben.“

— Jan Korte (@jankortemdb) February 11, 2023

Nur wenig kritischer fielen die Nachrufe in den deutschen Medien aus. Die „Tagesschau“ schilderte Modrow als überzeugten Sozialisten, „der sich zu DDR-Zeiten ein kleines Stück kritische Distanz zur allmächtigen SED bewahrt“ hätte und deshalb in die Provinz nach Dresden geschickt worden. Der „rbb“ behauptete, er habe sich bereits im Oktober 1989 um einen Dialog mit der Opposition bemüht. Die Wochenzeitschrift „Die Zeit“ richtete sogar ein Kondolenzbuch ein und schrieb, dass beim Untergang der DDR kein Blut geflossen sei, verdanke sich „auch Helden des Rückzugs, wie Hans Modrow einer war.“

Kennzeichnungen wie diese haben mit der Wirklichkeit wenig zu tun. In Wirklichkeit war Modrow vor allem eins: ein linientreuer, folgsamer und zunehmend verstockter SED-Funktionär.

Die politische Biografie des am 28. Januar 1928 Geborenen begann, als er mit 17 Jahren zum Volkssturm eingezogen wurde, um gegen die Rote Armee zu kämpfen – eine Tatsache, die in der DDR gern verschwiegen wurde, aber für seinen späteren Werdegang nicht unwesentlich war. Denn die Mitglieder der Hitler-Jugend, die bis zum Schluss an den Endsieg glaubten, erwiesen sich nach dem Krieg als besonders treue SED-Kader. Wie der Schriftsteller Erich Loest in seiner Autobiografie schildert, war es für sie nur ein kleiner Schritt vom überzeugten Nationalsozialisten zum ebenso überzeugten Stalinisten.

Modrow, der 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten war, kam erst vier Jahre später nach Deutschland zurück. In der Sowjetunion war er in einer sogenannten Antifa-Schule politisch umerzogen worden. Die ihm damals eingeimpften Überzeugungen prägten ihn bis an sein Lebensende. Er hätte dort begriffen, „dass die Deutschen den Völkern der Sowjetunion gegenüber eine Wiedergutmachung zu leisten hatten und haben“, fasste er sein Credo zusammen. In der Praxis bedeutete dies vor allem eine bedingungslose Unterwerfung unter das jeweilige Moskauer Regime.

In Ostdeutschland wurde Modrow rasch hauptamtlicher Funktionär. 1950 übernahm er einen Posten beim kommunistischen Jugendverband in Brandenburg, ein Jahr später wurde er FDJ-Chef in Mecklenburg. Als die SED damals Tausende Jugendliche zu einem Propaganda-Marsch nach West-Berlin schickte, kam es zu zahlreichen Verletzten. In seiner Autobiographie schrieb Modrow, dass er immer noch zu dem Zorn stehe, den er damals auf die Bundesrepublik verspürt habe. „Klassenreaktion stand gegen Klassenreaktion.“ Damals brach er auch den Kontakt zu seinen in der Bundesrepublik lebenden Eltern für immer ab.

Als aufstrebender Kader besuchte Modrow 1952/53 die Komsomol-Hochschule in Moskau. In dieser Zeit erreichte der Stalinismus in der DDR seinen Höhepunkt, am 17. Juni kam es zu einem blutig niedergeschlagenen Aufstand. Wenig später wurde Modrow Mitglied der gesäuberten SED-Bezirksleitung von Berlin. Nach dem Abschluss eines Fernstudiums an der Parteihochschule zog er als Dauerabgeordneter in die DDR-Volkskammer ein.

1961 machte die SED den damals 33-jährigen zu ihrem Kreischef in Köpenick – ein Berliner Stadtteil mit immerhin 120.000 Einwohnern. Sechs Jahre später übernahm er den Posten des Sekretärs für Agitation und Propaganda bei der Berlin SED. 1971 wurde er schließlich Abteilungsleiter für Agitation im Zentralkomitee. Damit stand er an der Spitze des DDR-Propagandaapparates, der die ostdeutschen Medien lenkte und über die sogenannte Sichtagitation an den Straßen befand.

1973 wurde Modrow dann SED-Chef des Bezirks Dresden – nicht um ihn abzuschieben, wie es in einigen Nachrufen hieß, sondern als ein weiterer Schritt auf der Karriereleiter. Erst danach stockte sein Aufstieg trotz mehrerer hoher Orden. Im Weg stand ihm nicht nur, dass die wichtigsten Posten in der SED-Spitze besetzt waren, sondern auch, dass ihn westdeutsche Medien mit dem Nimbus des Reformers versahen, was Parteichef Erich Honecker wenig behagte.

In Modrows kleinem Reich war allerdings von Reformen nichts zu spüren. Die Diktatur der SED unterschied sich in Dresden nicht von der in Halle oder Leipzig. Dies zeigte sich besonders in der Endphase des Regimes, als der Druck von Ausreiseantragstellern und Bürgerrechtsgruppen immer stärker wurde.
Bei den Kommunalwahlen im Mai 1989 schickte Modrow Abgesandte zu den Wahlkommissionen, damit diese die Ergebnisse manipulierten. Wegen Wahlfälschung und fahrlässigen Falscheides verurteilte ihn das Landgericht Dresden deshalb später zu zehn Monaten auf Bewährung. Im August kam es dann zu einem massiven Polizeieinsatz, als Umweltschützer gegen ein geplantes Reinst-Silizium-Werk im Stadtteil Gittersee protestieren wollten.

Mit Modrow sind aber vor allem die schlimmen Prügelszenen am Hauptbahnhof verbunden, als DDR-Bürger Anfang Oktober verzweifelt versuchten, zu den Zügen zu gelangen, mit denen Botschaftsflüchtlinge aus Prag in die Bundesrepublik ausreisen durften. Als Chef der Bezirkseinsatzleitung sorgte Modrow damals dafür, dass über 1300 Menschen festgenommen wurden. In einem Fernschreiben an Honecker brüstete er sich anschließend: „Mit dem entschlossenen Einsatz der Genossen der Sicherheitsorgane wurden staatsfeindliche terroristische Ausschreitungen unterbunden.“

Anders als in einigen Nachrufen behauptet, war es auch nicht Modrow, der am 9. Oktober mit einer 20-köpfigen Delegation aus Demonstranten Verhandlungen führte, um die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zu beenden. Das Gespräch führte vielmehr Dresdens Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer, der als erster SED-Politiker die Bereitschaft zum Dialog zeigte. Da Modrow seine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung der Proteste später leugnete, wurde er 1996 auch noch wegen meineidlicher Falschaussage verurteilt.

Als Egon Krenz Honecker ablöste, macht er Modrow zum Politbüromitglied und kurz darauf zum DDR-Ministerpräsidenten. Durch die Ernennung des vermeintlichen Reformers sollte die von der SED verkündete „Wende“ auch personell glaubhaft gemacht werden. Zusammen mit Gysi, dem früheren DDR-Spionagechef Markus Wolf und weiteren Genossen sorgte Modrow dann Anfang Dezember dafür, dass auch Krenz zurücktreten musste, während er selbst weiter im Amt blieb.
In den 150 Tagen als Ministerpräsident führte Modrow einen zähen Kampf für den Erhalt der SED, der Stasi und der DDR. Um den verhassten Staatssicherheitsdienst aus der Schusslinie zu nehmen, ließ er diesen zunächst in Amt für Nationale Sicherheit umbenennen. Weil dort massenhaft Akten vernichtet wurden, besetzten Bürger ab Anfang Dezember dessen Dienststellen und der Runde Tisch forderte Modrows Regierung auf, die Stasi aufzulösen.

Diese beschloss darauf hin, stattdessen einen „Verfassungsschutz“ und einen „Nachrichtendienst“ zu bilden. Erst nach massiven Protesten hob der Ministerrat Mitte Januar 1990 den Beschluss wieder auf. Die 91 000 hauptamtlichen Mitarbeiter wurden nun in andere Behörden versetzt, in den Vorruhestand geschickt oder mit üppigen „Übergangsbeihilfen“ versehen. Hunderte Stasi-Vernehmer erhielten eine Anwaltslizenz, die auch nach der Wiedervereinigung weiter galt. Funktionäre, die ein Seegrundstück oder eine Villa bewohnten, durften diese dank des sogenannten Modrow-Gesetzes zu einem symbolischen Preis in ihr Eigentum überführen.
Während die Stasi ersatzlos aufgelöst wurde, blieb die SED am Leben. Auf einem Sonderparteitag im Dezember 1989 appellierte Modrow an die Delegierten: „Lasst diese Partei nicht zerbrechen, nicht untergehen, sondern macht sie sauber und stark.“ Und weiter drohte er: „Wenn bei der Schärfe des Angriffes auf unser Land dieses Land nicht mehr regierungsfähig bleibt, weil mir, dem Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik, keine Partei mehr zur Seite steht, dann tragen wir alle die Verantwortung dafür, wenn dieses Land untergeht.“ Am Ende fand sich keiner, der die Partei auflösen wollte.

Dabei ging es Modrow auch und vor allem um die Rettung des Parteivermögens. Wie das Berliner Landgericht feststellte, diskutierte die Parteispitze damals in praktisch jeder Sitzung, wie dieses gerettet werden könne. Als Regierungschef verfügte Modrow dabei über besondere Möglichkeiten. Als die PDS, wie die SED inzwischen hieß, aus Angst vor einer Enteignung gut drei Milliarden DDR-Mark an den Staatshaushalt abführte, sorgte er dafür, dass das Geld an Parteifreunde weitergereicht wurde. Und im Oktober 1990 fand in seiner Wohnung eine Krisensitzung statt, weil der sogenannte Putnik-Deal aufgeflogen war, bei dem die KPdSU der PDS fingierte Rechnungen ausstellen sollte.

Nach den ersten freien Volkskammerwahlen musste Modrow am 12. April 1990 sein Amt als Ministerpräsident abgeben. Am 3. Oktober trat dann die DDR der Bundesrepublik bei. Die PDS machte Modrow zu ihrem Ehrenvorsitzenden und entsandte ihn 1990 in den Bundestag. Von 1999 bis 2004 war er zudem Mitglied des Europaparlaments. 2007 wurde der inzwischen 79-jährige schließlich zum Chef des Ältestenrats der Linken ernannt.

In dieser Zeit profilierte sich Modrow vor allem als DDR-Nostalgiker. Mehrfach trat er mit Aussagen hervor, die den Versuch der Parteiführung, das Image der Diktaturpartei abzustreifen konterkarierten. Als Modrow 2006 gefragt wurde, ob die DDR für ihn eine Diktatur oder eine Demokratie gewesen sei, antwortete er: „Sie ist für mich der Versuch einer sozialistischen Entwicklung, in der auch Demokratie mit Einschränkungen wirksam war.“ Und auf eine Frage nach den Mauertoten antwortete er: „Die Verantwortung für die Toten tragen die Verantwortlichen auf beiden Seiten.“ Über die Stasi behauptete er schließlich, dass die von ihr hinterlassenen Aktenberge „eigentlich Harmlosigkeiten“ seien.

Die Liste derartiger Äußerungen ist damit nicht zu Ende. So unterzeichnete Modrow 2008 zusammen mit Krenz ein Papier, in dem die DDR als ein Land bezeichnet wurde, „in dem es sich gut leben und schaffen ließ“. Die Wiedervereinigung sei dagegen eine „Kolonisierung“ gewesen, mit „Deindustrialisierung und Vernichtung großer Teile der Landwirtschaft und ganzer Wirtschaftszweige.“ Das Papier mündete in die Frage: „Wo bleibt das Gedenken an die Opfer der Kolonisierung Ostdeutschlands?“

Der Ältestenrat der Linkspartei entwickelte sich unter Modrow zunehmend zu einem Ort der Diktaturverklärung. „Mit Nachdruck wenden wir uns deshalb auch gegen Diffamierungen und Verleumdungen des untergegangenen zweiten deutschen Staates,“ hieß es zum Beispiel 2008 in einer Erklärung. Der Rat hielt es für „erforderlich, eine bisher oftmals noch vorherrschende Konzentration auf eine Distanzierung von der Politik sozialistischer Führungskräfte im 20. Jahrhundert, von damaligen Unzulässigkeiten, Fehlern, sonstigen negativen Handlungen und ihren nachwirkenden Folgen zu überwinden.“

Im März vergangenen Jahres machte Modrow noch einmal Schlagzeilen, als er eine „Mitteilung über die Beratung des Ältestenrates“ zum Ukraine-Krieg verschickte. Darin hieß es: „Die Frage, wie weit der Krieg in der Ukraine nun ein Einmarsch russischer Truppen ist oder sich als ein innerer Bürgerkrieg der Kräfte in den neuen Ost-Staaten und faschistischen Elementen im Westen der Ukraine darstellt, steht im Raum.“ Danach trat Modrow öffentlich nicht mehr in Erscheinung.
Am 10. Februar ist der SED-Funktionär in Berlin gestorben.

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