Macron sagt Treffen mit Scholz ab – Frankreich ist „wütend“ auf Berlin

Frankreichs Präsident Macron hat das für den kommenden Mittwoch geplante Treffen mit Kanzler Scholz abgesagt. Einer der Gründe: „Wut“ über das 200 Milliarden Euro schwere Energieförderprogramm, das Deutschland aufgelegt hat, ohne vorher seinen engsten EU-Partner zu konsultieren.

IMAGO / Frank Ossenbrink
Bundeskanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron am 28. Juni 2022 in Elmau

Der Knall war gestern bis über den Ärmelkanal nach Großbritannien zu hören. Dort reichte er sogar an den Lärm um die neue Regierungschefin Liz Truss heran, die – kaum angetreten – erstaunlich rasch ihre Unfähigkeit demonstrierte und nach den Tories lieber heute als morgen aus dem Amt gefegt werden sollte. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verschiebt sein Treffen mit Kanzler Olaf Scholz, das für den kommenden Mittwoch geplant war. Der Grund: »Wut« über Deutschlands Energieförderprogramm, wie der Pariser Korrespondent des britischen Telegraph schreibt und sehr ausführlich die gegenseitigen Befindlichkeiten berichtet.

DER PODCAST AM MORGEN
Knall zwischen Deutschland und Frankreich – TE Wecker am 20. Oktober 2022
Frankreich sei »wütend« auf Berlin, weil es ein 200-Milliarden-Euro-Energieprogramm aufgelegt habe, ohne vorher seinen engsten EU-Partner zu konsultieren. Deutschland wiederum soll sich insgeheim über französische Heuchelei und Egoismus beschwert haben.

Die traditionellen deutsch-französischen Regierungskonsultationen zu verschieben, komme zu jenem Zeitpunkt – so der Telegraph –, als Macron innenpolitisch unter Beschuss gerät. Er habe nämlich die Abgeordneten umgangen, um seinen Haushalt 2023 durch das Parlament zu bringen. Im Parlament hat er seit den letzten Parlamentswahlen keine Mehrheit mehr. Die Opposition kündigte daraufhin an, einen Misstrauensantrag zu stellen. Unwahrscheinlich, dass dies durchkommt, ist aber doch ein deutliches Zeichen, dass Macron nicht mehr wie ein Alleinherrscher schalten und walten kann.

Deutsche und französische Regierungsstellen spielten zwar die Angelegenheit herunter und sagten, sie bräuchten »mehr Zeit«, bevor sich die Staats- und Regierungschefs treffen – die ersten derartigen Beratungen seit Amtsantritt von Scholz. Doch unübersehbar ist der Zwist nicht zuletzt aufgrund jener grauenvollen Energiepolitik, die den europäischen Stromnetzen schon lange zu schaffen macht. Die Nachbarn schotten mit millionenteuren Stromsperren (Phasenschieber) ihre Netze gegenüber den deutschen ab, sodass keine plötzlichen und unerwarteten Strommengen aus den Windrädern mehr die Nachbarnetze empfindlich aus dem Gleichgewicht bringen. Dennoch sorgt die »Energiewende« auch auf den Märkten für erhebliche Verwerfungen.

Der Sprecher von Bundeskanzler Scholz, Steffen Hebestreit, räumte ein, dass es – so wörtlich – »eine Reihe von verschiedenen Themen gibt, mit denen wir uns im Moment befassen … und zu denen wir noch keine einheitliche Position erreicht haben«. Beide Seiten hielten es für »sinnvoll«, die Gespräche auf Januar zu verschieben.

Unter vier Augen – so wieder der Telegraph – sei die Sprache jedoch weniger diplomatisch ausgefallen. Danach seien die Franzosen spürbar sauer auf die Deutschen, vor allem auf Scholz. Sie sagten es nicht öffentlich, aber sie seien privat wütend, zitiert der Telegraph eine Brüsseler Quelle.

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Auf französischer Seite werde unter anderem die Entscheidung Berlins beklagt, einen Großteil der zusätzlichen 100 Milliarden Euro an Militärausgaben für Standardwaffen aus den USA auszugeben, statt für neue EU-Verteidigungsprojekte zur Steigerung der Kapazitäten im eigenen Land, auf die Frankreich gedrängt hat. Macron sagte weiterhin, dass die Entscheidung, ein 200 Milliarden Euro schweres Unterstützungsprogramm gegen ausufernde Energiepreise einzuführen, zu »Verzerrungen« in der EU führen könnten.

Berlin wurde auch beschuldigt, eine Obergrenze für die Gaspreise auf EU-Ebene zu blockieren. Befürchtet werde, dass dadurch der Anreiz für die Verbraucher zum Energiesparen wegfallen und sich die Situation verschlechtern würde, sodass sich die Versorger andere Märkte suchen würden. Berlin seinerseits sei unzufrieden mit Paris, weil es das neue Pipeline-Projekt zwischen Portugal, Spanien, Frankreich und Deutschland wiederzubeleben, nicht unterstützt. Frankreich hält dies für zu kostspielig und unnötig, da das Land bereits über genügend Flüssiggasterminals an seiner Küste verfügt.

Bemerkenswert, wie schnell es Rot-Grün in Berlin geschafft hat, »ziemlich beste Freunde« gegen sich aufzubringen. Kein Jahr Amtszeit hat es gedauert.

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Kommentare ( 70 )

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Teiresias
1 Jahr her

Die „Deutschland zuletzt“-Politik, die es vor allem Anderen rechtmachen will, kommt an ihre Grenzen, weil man es nicht Amerikanern UND Franzosen Recht machen kann. Daß die USA hier das bessere Ende bei der von der deutschen Politik assistierten Plünderung Deutschlands haben, dürfte seinen Ursprung in der überragenden Leistungsfähigkeit von US-Geheimdiensten bei der Beschaffung von kompromittierendem Material zur – nennen wir es mal „Beeinflussung“ deutscher Politiker haben. In Frankreich dürfte die anfängliche Schadenfreude über den von den USA forcierten wirtschaftlichen Selbstmord Deutschlands langsam der Erkenntnis weichen, daß weite Teile der französischen Industrie von der deutschen abhängig ist und Frankreich zusammen mit… Mehr

Thorsten
1 Jahr her
Antworten an  Teiresias

Frankreich ist in erster Linie davon abängig, dass Deutschland genug Geld hat, Frankreichs Sonderwünsche über die EU zu finanzieren.
Da Deutschland zur Zeit wirtschaftlich an die Wand fährt, dürfte es Probleme damit geben.

Ralf Poehling
1 Jahr her

Zitat:“Auf französischer Seite werde unter anderem die Entscheidung Berlins beklagt, einen Großteil der zusätzlichen 100 Milliarden Euro an Militärausgaben für Standardwaffen aus den USA auszugeben, statt für neue EU-Verteidigungsprojekte zur Steigerung der Kapazitäten im eigenen Land, auf die Frankreich gedrängt hat. Macron sagte weiterhin, dass die Entscheidung, ein 200 Milliarden Euro schweres Unterstützungsprogramm gegen ausufernde Energiepreise einzuführen, zu »Verzerrungen« in der EU führen könnten.“ Einen ganz herzlichen Gruß nach Frankreich! Was den Rüstungsdeal mit den Amerikanern betrifft: Die F35 ist viel zu teuer und frisst einen erheblichen Teil des Gesamtbudgets für die Bundeswehr, bei absolut fragwürdigem Nutzen. Das Gerät ist zwar… Mehr

Astrid
1 Jahr her

Das ganze Konstrukt EU ist aus meiner Sicht am Ende. Die Führung in Form von Frau von der Leyen (noch nicht einmal gewählt) ist schon wieder in den Medien präsent, wo sagen wir es mal vornehm, Unregelmäßigkeiten und Vetternwirtschaft in Millionenhöhe thematisiert werden. Bei dieser desaströsen Führung und wenn ich mir die Staatschefs der EU Länder (außer Orban) so anschaue, sieht es für die Bürger düster aus. Macron hat in seinen Jahren Frankreich genauso heruntergewirtschaftet, wie es in Deutschland der Fall ist. Alle stecken sie in einem großen Schlamassel, weil sie selber nichts für ihre Länder geleistet haben. Die EU… Mehr

Contra Merkl
1 Jahr her

Die Franzosen waren schon sauer, als Scholz mit Spanien gesprochen hatte und einen Bau der Pipeline über die Pyränäen beschlossen hat. Frankreich wollte alleine das dickste Stück vom Kuchen ab haben. Für was hat der Habeck den eigentlich diese schwimmenden LNG Terminals gemietet, wo eins am Tag 300.000 Euro kostet ? Und davon 4 gemietet hat ? Was soll es bringen die LNG Tanker dann in Spanien oder Frankreich anlanden zu lassen und wieder einen Haufen Gebühren zu zahlen für Annahme, Regasifizierung und Durchleitung nach Deutschland ? Da bleibt vom groß angekündigten doppel Wumms nur noch ein Bümschen übrig, weil… Mehr

Stefferl
1 Jahr her

Na ja, man muß auch nicht jedes Krähen des französischen Gockels ernst nehmen. Derselbe Macron hätte sich wohl kaum beschwert, wenn die Deutschen ihre Waffen ausschließlich bei französischen Waffenschmieden einkaufen würden. Einen Anreiz zum Energie-Sparen gibt es nur ohne Gaspreisdeckel. Ich halte zwar die Maßnahmen der deutschen Bundesregierung für falsch. Man darf sich für deren Bewertung aber nicht ausgerechnet di Franzosen heranziehen. Es gibt kaum unsolidarischere EU-Partner, wie die Gockel von nebenan. (Das sage ich als ausgesprochener Freund der Franzosen!)

zweisteinke
1 Jahr her

Sagt das Bild von dem Kanzlerclown nicht alles?
Der freut sich nen Ast, bald ist das große Werk vollbraucht, daß die GröKaZ angefangen hat. Deutschland ist erlegt und zur Beute der „Partner“ in der sog. EU und jenseits des Teiches geworden. Marschallplan erfüllt.

zweisteinke
1 Jahr her

Jaja, die lieben „Partner“! Geht es um Milliarden ist es schnell vorbei mit der viel beschworenen „Solidarität“ und „Verbundenheit“. Beides wird so wie so nur immer von den deutschen Deppen eingefordert, wenn es ums bezahlen geht. Wird der Kuchen anders verteilt wir es sich die eu-Granden wünschen, zu denen gehört ja bekanntlich kein einziger Deutscher, wird ganz schnell die „böse Deutschland“ Keule ausgepackt. Das Selbe passiert, wenn sich die Krauts weigern anstands- und fraglos jeden Schwachsinn zu bezahlen, den die restlichen Looserklitschen, einschließlich der Franzmänner, verbrechen. Schöne herrliche EU. Das Schlaraffenland der Leistungsfernen. Gut, daß die Party sehr bald vorbei… Mehr

Wilhelm Roepke
1 Jahr her

Macron soll sich nicht so anstellen, wir könnten über das Desaster mit den französischen Atomkraftwerken, das komplett selbst verschuldet ist, auch einen auf beleidigt machen, weil wir das verstromte Gas nach Frankreich rüberschieben müssen, um einen europäischen Blackout zu verhindern. Außerdem tut ein wenig Sand im deutsch-französischen Getriebe der EU sehr gut; dann haben sie keine Zeit, schon wieder neue Gender-, Ungarnbashing-, Immigrationsförderungs- oder sonstige Unsinnsprogramme zu erfinden.

Cimice
1 Jahr her

In Notzeiten ist sich eben jeder selbst der Nächste. Gilt offenbar auch in der EU. Sieht so aus, als hätte das „Friedensprojekt EU“ die längste Zeit existiert. Schade eigentlich, es hatte als EWG so schön begonnen. Selbst einem Scholz (1958 geboren) sind der Zweite Weltkrieg und das zerstörte Deutschland schon kein Begriff mehr. Einem Macron noch umso weniger.

Mikmi
1 Jahr her

Beim Atomstrom, neue Meiler, Invest Sicherheit, ja da war Frankreich gerne zur Stelle, im Alleingang für mehr AKWs. Solidarität ist ja so ein Wort, nur wenn ich selber was davon habe. Die Befindlichkeiten dieser Herren können mal etwas zurück stecken, so wichtig sind sie dann doch nicht.