Corona-Update zum 1. Mai: Kein Tanz, dafür Presseerklärungen

Es ist 1. Mai: In Berlin sind "dezentrale Aktionen" angekündigt. Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten trafen sich am Donnerstag zur Besprechung des weiteren Vorgehens - ein Überblick der Ankündigungen.

imago images / IPON

Es ist wieder Mai und damit „Arbeiterkampftag“, Lieblingstag eines politischen Millieu, das von Fließbändern und Fabrikschloten wenig weiß und dafür viel darüber redet. In Berlin, das nicht gerade für seine Industrie bekannt ist, sind zu diesem Anlass 30 Demonstrationen mit je maximal 20 Teilnehmern angemeldet. Darunter, so rbb, zum Beispiel ein Autocorso von acht Fahrzeugen von Neukölln nach Grunewald. Schwerpunktmäßig wieder für Kreuzberg kündigten linke Gruppen „dezentrale Aktionen“ an, die in ganz Kreuzberg stattfinden sollen, darunter legitime Protestaktionen wie das Verteilen von Flugblättern und Aufhängen von Transparenten – aber auch Sprühereien und das Werfen von Farbbeuteln sind angekündigt. Dabei wird wohl mancher Polizist froh sein, wenn es dieses Jahr nur bei Farbbeuteln bleibt und nicht wie sonst Pflastersteine als Farbbeutelersatz verwendet werden.

In der Nacht auf den 1. Mai kam es schon zu vereinzelten Versammlungen, die von der Polizei aufgelößt werden mussten. Es wurde zum Beispiel eine leerstehende Villa im Berliner Westend besetzt, ein Polizeiauto in der Rigaerstraße wurde mit Pflastersteienen und Farbbeuteln beworfen, meldet der rbb.

Hintergründe: Freigehege für Bürger erweitert, Ziele verunklart

Am Donnerstag fand wieder eine Konferenz der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer statt. Besprochen wurden Änderungen der Corona-Vorgaben, und wie die Pandemie sich entwickelt. Die Kanzlerin formulierte als Ziel des aktuellen Vorgehens, die Ausbreitung des Virus weiterhin zu unterbinden und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Insofern also nichts Neues. Neu ist allerdings, dass sie in dieser Pressekonferenz keine konkreten Ziele formulierte, wie zum Beispiel die Verdopplungszeit der bekannten Infektionen auf eine bestimmte Zeitspanne zu verlängern oder den Reproduktionsfaktor unter 1 zu bringen – das waren alles formulierte Ziele in den vergangenen Konferenzen. Das ist wohl eine Reaktion auf die Kritik der vergangenen Wochen, die Bundesregierung würde die Zielvorgaben im Kampf gegen die Pandemie ständig ändern, wenn das vorher formulierte Ziel erreicht sei. Ihre vergangenen Entscheidungen, zuallererst die Verdopplungszeit und dann die Reproduktionszahl zum Ziel zu machen, begründete Merkel jetzt mit den Veränderungen der Situation und verlagerte ihre Argumentation wieder in das sichere Land des Vagen und damit Unangreifbaren. Am Anfang der Pandemie seien nur wenige Bürger infiziert gewesen und als oberstes Ziel habe die  Verlangsamung der Ausbreitung gegolten, um so ein exponentielles Wachstum der Zahl der infizierten zu verhindern. Dann habe sich die Situation geändert und der Reproduktionsfaktor sei an die Stelle der Verdopplungszeit getreten. Nun lässt die Kanzlerin offen, wie sie Erfolge im Kampf gegen die Pandemie definiert. Kommunikation ist eine Kunst, die die Kanzlerin in der Krise nicht beherrscht. Denn nur klare und nachvollziehbare Ziele und Maßnahmen schaffen Vertrauen und Konsens. Wer mittendrin die Maßzahl ändert, schafft Verwirrung; und wer zunächst exakte Zahlen nennt und diese dann verschwinden lässt, auch.

Risikogesellschaft
Sperrt das Land wieder auf. Wir können es riskieren.
Auch von ihrer Kritik an Öffnungs- und Lockerungsdiskussionen rückt sie indirekt ab, als sie ihren ausdrücklichen Dank für alle ausdrückt, die „sich darüber Gedanken machen“, wie die Wiedereröffnung des Landes passieren kann. Es ist  eine verschämte amtliche Seligsprechung für alle Teilnehmer an „Öffnungsdiskussionsorgien“.

Insgesamt zeichnet sich diese Konferenz dadurch aus, dass die Regierung mehr langfristige Perspektiven gibt als sonst – mehr, aber immer noch nicht viele.

Als Strategiebeweis wurde das langfristige Verbot von Veranstaltungen spezifiziert: Bis zum 31. August bleiben größere Sportveranstaltungen mit Zuschauern; Volksfeste; größere Konzerte; Festivals; Dorf-, Stadt- und Straßenfeste sowie Kirmes-Veranstaltungen untersagt. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass andere Veranstaltungen womöglich früher wieder stattfinden können. Auch sollen Gottesdienste unter Auflagen wieder stattfinden können und Spielplätze öffnen. Museen, Galerien, Ausstellungen, Gedenkstätten, Zoos und botanische Gärten sollen ebenfalls als Freigehege für Bürger wieder öffnen dürfen – entsprechende Bekanntmachungen der Länder werden in den nächsten Tagen folgen.

Die nächste Konferenz ist nicht erst in zwei Wochen angesetzt, sondern schon am 6. Mai, um die Auswirkungen diese Lockerungen zu besprechen. Bei dieser Konferenz sollen auch Entscheidungen zu Kitas- und Schulöffnungen fallen. Öffnungsstrategien für die Gastronomie und andere, oben nicht explizit erwähnte Kultureinrichtungen, sollen aber erst in der Woche danach, also um den 13. Mai herum, besprochen werden. Die bisher geltenden Einschränkungen, wie das Kontaktverbot, sollen bis auf den 10. Mai fortgeschrieben werden. Am 6. Mai findet dann eine erneute Einschätzung der Lage statt, um die Einschränkungen weiter zu lockern oder noch einmal zu verlängern.

Die Frage, ob im Sommer Auslandsurlaube wieder möglich sein werden, wollte die Kanzlerin nicht beantworten, weil die Situation in einigen Monaten noch nicht vorhersehbar sei. Eine Sonderstellung für Österreich, damit dort Sommerurlaub wieder möglich sein könnte, im Rest Europas aber nicht, schloss der bayrische Ministerpräsident Markus Söder aus.

Während Merkel und Söder jedoch erheitert feststellten, dass Urlaub in Deutschland auch ganz schön sein kann, gingen sie eher nonchalant darüber hinweg, dass es in Deutschland mittlerweile bis zu 10,1 Millionen Kurzarbeiter gibt. Zum Vergleich: selbst 2009 gab es in Deutschland nur 1,44 Millionen Kurzarbeiter. Dass auch die Kurzarbeit keine langfristige Perspektive ist, dass die Menschen entweder arbeitslos werden oder wieder voll arbeiten müssen, darüber ging man in der Pressekonferenz großzügig hinweg – mit Verweis auf die großen Reserven der Bundesagentur der Arbeit. Für die Politik wächst Geld halt in den Amtsstuben. Während also die Öffnung von Botanischen Gärten und Museen die Regierenden umtreibt, bleibt die zentrale Frage offen, wie die Wirtschaft anlaufen kann. Da hilft es auch nichts, dass neue Rettungsfonds versprochen werden – gerade so, als ob der Staat Wirtschaft einfach ersetzen könnte.

Söder lobte sich selbst, weil „dass rechtzeitige, frühzeitige und geschlossene und entschlossene Handeln auch der Politik“, das dazu beigetragen habe die Situation in Deutschland „zu stabilisieren“. Entschlossen hat Söder tatsächlich reagiert; aber die Politik als ganzes eher nicht. Einreisestopps aus Risikogebieten kamen zum Beispiel erst sehr spät und eher pro forma – aus dem Iran konnten zum Beispiel Reisende noch ganz einfach und ohne Fieber-Kontrolle einreisen, da waren in Deutschland schon alle Kaffees und Kneipen geschlossen.

Söder kritisierte Diskussionen darüber wie lange ein Mensch leben solle und nannte sie „gefährlich“. Das war ein Seitenhieb auf Boris Palmer (Grüne), den Oberbürgermeister von Tübingen, der in der vergangenen Woche kritisiert hatte, dass Shutdowns und Besuchsverbote Menschen schützen sollten, die möglicherweise auch ohne Corona gestorben wären.

Die Folgen werfen viele Fragen auf
Der Kampf gegen Corona könnte zum Pyrrhus-Sieg der Regierenden werden
Wie schon zuvor war der erste Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) der dritte Redner; das erzwingt nicht die Sachfrage, sondern der Parteienproporz in der Großen Koalition. Doch zwischen dem entschlossenen Söder und einer sich rechtfertigenden Merkel blieb wenig für ihn zu sagen übrig: Er wirkte eher farblos.

Schlussendlich scheint sich die Krisenkommunikation der Regierung als ganzes verbessert zu haben. Eine klare Krisenkommunikation wurde zum Beispiel im Pandemie-Strategiepapier von 2013 als extrem wichtig bezeichnet. Das scheinen die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin nun auch verstanden zu haben, es wurden klarere Aussagen getroffen und wenigstens (sehr vorsichtige) längerfristige Perspektiven vorgestellt. Das habe zwar auch damit zu tun, wie Tschentscher feststellte, dass nun mehr über das Virus bekannt ist und damit bessere Entscheidungen getroffen und Pläne geamacht werden können. Trotzdem bleibt das Gefühl zurück, dass die Beteiligten dazulernen, wie Krisenkommunikation aussehen sollte, auch wenn sie noch immer nicht die frühzeitige, umfassende und präzise Informationspoltiik von Sebastian Kurz in Wien erreichen. Und immer mehr gefallen sich die Regierenden in einer autoritären Pose gegenüber jedem, der wirtschaftlich tätig ist: Gnadenhalber wird das eine oder andere Betätigungsfeld erlaubt. Dass Wirtschaftsfragen existentiell sind, wird nicht gesehen, solange die Wirtschaftenden die Kasse füllen oder Schulden erhöht werden können.


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Kommentare ( 61 )

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Gabriele Kremmel
3 Jahre her

Hypothese sticht Realität. Die, nach den heutigen Erkenntnissen über das Virus überzogen wirkenden Beschränkungen und ihr Bestehen darauf fußen meiner Mng. nach schon länger auf falschen Annahmen aus dem Szenario von 2013, statt sich an der tatsächlichen Entwicklung zu orientieren (und diese zu erforschen). Das Strategiepapier geht rein hypothetisch von einer Sterberate von 10 % aus, bei über 65jährigen sogar von bis zu 50 %. Dass man sich nach den anders lautenden Erkenntnissen eines Dr. Streeck und Dr. Püschel noch auf dieses Szenario beruft und damit länger als notwendig Existenzen vernichtet und seelisches Leid durch Kontaktverbote anrichtet, ist unglaublich, für… Mehr

Bernd Schulze sen.
3 Jahre her

Und wie es scheint haben sich die Aktivisten an die Regeln gehalten oder gab es kein Feiertagsbonus von Frl. KÜNAST.

Karl Heinz Muttersohn
3 Jahre her

Eins ist klar: Ohne faschistische Methoden werden sich die Folgen des von der Politik verursachten Wirtschaftskollapses nicht bewältigen lassen. Wenn erst mal 15 Millionen arbeitslos sind (und das wird kommen), wenn die Nahrungsmittel knapp werden und wenn klar wird, wem wir das alles zu verdanken haben, dann bleibt dem Führer gar nichts anderes übrig als den dicken Knüppel rauszuholen. Und wieder wird der Michel klatschen und dem Führer huldigen.

Angelo Teodoro Maialino
3 Jahre her

Das ist ein sehr guter Punkt.
Die zeigen uns den Mittelfinger. Mit uns können sie es offenbar machen. Und trotzdem hat diese Regierung Rückhalt.

Ich will hier weg. Ich will einfach nur noch weg. Aber die Grenze ist zu.

Angelo Teodoro Maialino
3 Jahre her

Lasst euch nicht für dumm verkaufen! Man kann mit mathematischen Formulierungen, Unsinn so darstellen, dass es auf dumme Leute wissenschaftlich wirkt. Es ist mWn bis heute keine repräsentative Stichprobe auf SARS-CoV-2 oder Antikörper dazu gemacht worden. Deswegen ist das behauptete R durch nichts abgesichert. Ich habe den Eindruck, dass dieses R durch Mundschutzpflicht in Menschenmassen und nichts weiter schon deutlich unter 1 gedrückt werden kann. So machen es die Asiaten. Und bei uns? Hier hat man die Wirtschaft uriniert und die Leute trotzdem im Rudel ohne Maske U-Bahn fahren lassen. Man verteilt Strafzettel, wenn zwei Leute, die in einer gemeinsamen… Mehr

schukow
3 Jahre her

»es wurden klarere Aussagen getroffen und wenigstens (sehr vorsichtige) längerfristige Perspektiven vorgestellt.« — Das gilt für Hitlers letzte Rundfunkansprache vom Januar 1945 auch. Ein nackter Kaiser kann »kommunizieren« soviel er will, er bleibt nackt.

Peter Pascht
3 Jahre her

Das Thema des verfassungswidrigen Umgangs von Amtspersonen mit den Grundrechten, sowie die Amtsanmaßung polizeilicher Maßnahmen, ohne richterlichen Beschluss, wird mit Sicherheit auch noch an Wichtigkeit gewinnen. Mit einem „wir müssen verzeihen“ wird es nicht getan sein.

Selbstverständlich ist diese auch so unter Politikern bekannt:
Kubicki /FPD gestern:
„Der Anstieg des R-Zahl ist politisch so gewollt“. Ein Schelm wer böses denkt.

So hat z.Bps. der Ministerpräsident Haseloff Daten von Corona erkrankten, ungesetzlich an die Polizei weiter gegeben. Offenbar gibt es Menschen denen ihre DDR Erziehung ins Blut übergegangen ist.

orgonfranz
3 Jahre her

Ich frag mich , wie lange es noch dauern mag, bis die für die wirtschaftliche Katastrophe (ohne wissenschaftlich abgesicherte Datenlage) verantwortlichen Politiker und Virologen massive Verstärkung ihres persönlichen Polizeischutzes beantragen werden. Hoffe dass es nie dazu kommt

Peter Pascht
3 Jahre her

Um hier eine Frage zu beantworten. Es gibt keine Reproduktionszahl „R“, weil man davon nicht sprechen kann, da die „Reproduktion“ ein Zufall ist, wie die Zahlen belegen, ein Poisson-Prozess „seltener Ereignisse“ wo der Mittelwert gleich der Standardabweichung (der Streuung) ist. Bundesweit haben wir im Mittel eine Rate von 3100 Neuinfizierungen pro Tag mit einer breiten Streuung von -1500 / +3000. Deswegen sprechen verschiedene Personen auch von so unterschiedlichen Werten. Da ist also nichts „exponentiell“ oder verdoppelt“, sondern „zufällig“ mit einer breiten Streuung. So hängen die Zahl der Erkrankten und Toten nicht linear von der Gesamtanzahl der Fälle ab, sondern Poisson… Mehr

Angelo Teodoro Maialino
3 Jahre her
Antworten an  Peter Pascht

> ein Poisson-Prozess „seltener Ereignisse“ wo der Mittelwert
> gleich der Standardabweichung (der Streuung) ist.

Bei Poisson ist der Erwartungswert gleich der Varianz. Standardabweichung ist die Wurzel davon.
Das hätte eigentlich bei den negativen Werten des 2-Sigma-Bereichs auffallen müssen.

Hieronymus Bosch
3 Jahre her

Laut Mitteilung des Linken-Politikers Bartsch werde es in Deutschland zukünftig wieder Klassekämpfe geben. Schon diese Rückbesinnung auf einen Begriff aus der marxistischen Mottenkiste zeigt, dass die Linken bis heute nichts aus der Geschichte gelernt haben. Für sie ist die Geschichte weiter eine Geschichte von Klssenkämpfen, nur ist das Proletariat verschwunden – es sei denn, man sagt: Schutzsuchende aller Welt, vereinigt euch!