Die Bahn stellt einen traurigen Rekord auf

Die „Verkehrswende“ gehört zu den Schlagwörtern, mit denen die Ampel für sich punkten will. Doch die „Erfolgsbilanz“ der Bahn spricht dagegen – im November war es besonders schlimm.

IMAGO

Es gibt Sätze, die hat jeder Vertreter der Ampel drauf und kann sie noch im Halbschlaf aufsagen: „Wir wollen mehr Verkehr auf die Schiene verlagern“, ist einer davon. Doch was, wenn dort gar kein Platz ist? Das Schienennetz ist schon jetzt derart überbeansprucht, dass auf die Bahn kein Verlass ist. So wie im November, als fast die Hälfte aller Fernzüge unpünktlich fuhren, wie die Bahn auf ihrer eigenen Internetseite zugibt.

Den genauen Daten ist die Union nun mit einer „Kleinen Anfrage“ an die Bundesregierung nachgegangen. CDU und CSU waren dabei davon ausgegangen, dass die Bahn im vergangenen Jahr „einen Rekordwert bei der Unpünktlichkeit ihrer Züge erreicht“ hat. Nämlich eine Verspätungsquote von 31 Prozent. Ein Blick auf die Zahlen der Bahn zeigt: Es ist noch schlimmer.

Übers gesamte Jahr 2023 fuhren nur 64 Prozent der Fernzüge pünktlich. 36 Prozent waren demnach verspätet. Zum Jahresbeginn ging es noch. Da erreichte die Bahn Pünktlichkeitswerte von rund 70 Prozent. Doch in der zweiten Hälfte des Jahres wurde es richtig schlimm: Im November fuhren gerade mal noch 52 Prozent aller Fernzüge pünktlich.

Als unpünktlich gilt ein Zug, der sechs Minuten oder mehr nach der eigentlich vorgesehenen Zeit am Bahnhof eintrifft. Für die Statistik zählt die Bahn jede Station. Von den 36 Prozent an Fernzügen, die sich verspäteten, kam mehr als die Hälfte eine Viertelstunde oder mehr zu spät. Bei fast einem Viertel der Züge waren es eine halbe Stunde oder mehr.

In Anfrage und Antwort geben sich Union und Ampel gegenseitig die Schuld am Versagen der Bahn. Die Union verweist in ihrer Frage darauf hin, dass die Pünktlichkeit bis 2021 ja „stabil über 70 Prozent“ gelegen habe. Die Ampel antwortet mit dem Verweis auf die „Kapazität des Schienennetzes“, das für ansteigende Passagierzahlen nicht ausgelegt sei.

Wobei es in Deutschland an manchem mangeln mag, aber nicht an Gründen, warum die Bahn zu spät kommt. Also:

  • teilweise überlastetes Schienennetz
  • Störungsgeschehen an der Infrastruktur
  • umfangreiche Baumaßnahmen
  • daraus resultierende Kapazitätskonflikte
  • zahlreiche externe Einflüsse
  • Extremwetterereignisse
  • gefährliche Eingriffe in den Bahnverkehr
  • Haltezeitüberschreitungen
  • Bereitstellungen
  • Personal
  • Fremdeinwirkung
  • Behördeneinsatz
  • gefährliche Ereignisse
  • Witterung
  • eine Oberleitungsstörung am Knotenpunkt Hannover
  • ein gefährliches Ereignis im Bahnbetrieb in Reichertshausen
  • Langsamfahrtstellen im Raum Nürnberg und Gütersloh
  • die temporäre Einführung von Grenzkontrollen im stehenden Zug
  • der GdL-Streik

Diese Vielfalt an Begründungen für Verspätungen stammen alle wörtlich aus der Antwort der Bundesregierung. Sie verspricht aber auch Besserungen: „Um die Pünktlichkeit zu erhöhen, investieren der Bund und die DB AG weiter in eine leistungsfähige Infrastruktur und in ein digitales Kapazitätsmanagement zur optimalen Nutzung des Bestandnetzes.“ All das mündet im „Deutschlandtakt“, den die Ampel einführen will und mit dem das Netz superschnell und mordszuverlässig wird. Das soll in so 30 bis 40 Jahren der Fall sein. Für ein Ministerium, in dem es vor allem darum geht, Rekord-Verspätungen zu rechtfertigen, ist Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) keine schlechte Besetzung.

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Kommentare ( 19 )

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hoho
2 Monate her

In KF gibt es oft genug die Stimmen aus der Schweiz. Das ist interessant, weil man vergleichen kann. Letzte Woche haben zwei Unternehmer sich auch über die Deutsche Bahn lustig gemacht:“die Schweiz lässt verspätete Züge gar nicht rein damit sie die gut funktionierende SBB nicht aus der Reihe bringen. Das wissen natürlich die Entscheider in D. auch. Oder doch nicht? Ist ja ähnlich wie mit dem Strom – die Abschaltung der AKWs in D. macht Wellen in dem ganzem Verbundsystem. Geht die deutsche Wirtschaft auf die Knie, ist EU auch krank. Mal sehen, wenn der deutsche Michel wach wird und… Mehr

Reinhard Lange
2 Monate her

Aha. Und warum war die staatliche deutsche Bundesbahn vor deren Umwandlung in eine Aktiengesellschaft stets zuverlässig? Und wieso ist die schweizerische SBB trotz Aktiengesellschaft im alleinigen Eigentum der Eidgenossenschaft ein absolutes Vorzeigeunternehmen?
Wieso sind einige Staatsunternehmen vorbildlich und warum ist die deutsche Bahn als AG im Besitz des Bundes ein schlampiger Laden?

GMNW
2 Monate her

Einen wesentlichen Grund für das Chaos der Bahn wurde leider nicht genannt:
Merkel CDSU-Regierung mit wechselnden Trittbrettfahrern; nach sechzehn langen Jahren Stillstand, Reformstau, Mehltau kann nur das dabei herauskommen!

CIVIS
2 Monate her

„Die Bahn“ hat das geschafft, wohin andere Politikfelder noch streben bzw. wovon sie träumen..

Die Bahn hat geschafft, dass sich -trotz eklatanter Defizite in fast all ihren Hauptdisziplinen- kaum noch ein Mensch darüber aufregt.
Es ist halt „Die Bahn“ mit ihren „Hauptfeinden Frühling, Sommer, Herbst und Winter“; dagegen anzugehen ist halt zwecklos und man muss auch als Bahnfahrer jetzt eben damit leben. Kismet halt !

Wie schön wär´s doch, wenn solch fatalistische Grundhaltungen bei Bürgern auch auf Bereiche wie Kultur, Finanzen, Wirtschaft, Äußeres, Inneres u.s.w. ausgeweitet werden könnten; das „Durchregieren und Abkassieren“ wäre damit für die Regierung viel einfacher !

Last edited 2 Monate her by CIVIS
johnsmith
2 Monate her

Lächerlich wie schlecht selbst die geschönten Zahlen noch sind – denn natürlich müssten auch Verspätungen von 5 Minuten als verspätet gezählt werden, denn auch damit verpassen Fahrgäste mit Kindern oder die nicht gut zu Fuß sind häufig schon den Anschlusszug. Grund ist auch, dass die Bahn Gleise und Strecken seit einiger Zeit nicht mehr im laufenden Betrieb z.B. Nachts repariert, wie sie das früher getan hat und andere Bahnen auch noch machen. Stattdessen werden jetzt komplette Strecken monatelang gesperrt. Leider sitzen im Vorstand so wie auch in der Regierung kaum Leute mit echter Fachkompetenz (Eisenbahnerfahrung). Die gut dotierten Posten werden… Mehr

Freiheit fuer Argumente
2 Monate her
Antworten an  johnsmith

Das könnte auch daran liegen, dass niemand mehr nachts arbeiten will, wenn es Bürgergeld umsonst gibt.

Ohanse
2 Monate her

Pünktlich in 30 Jahren? Abgesehen von der völligen Lächerlichkeit dieses Ziels: Auch das wird nichts. Unfähiges Führungspersonal stellt keine fähigeren Nachfolger ein, sondern nur noch weniger Begabte. Das Problem wird ungelöst von einer Generation an die nächste weitergereicht werden. Nicht einmal in einhundert Jahren wird diese Bahn pünktlich sein. Nicht einmal ein radikaler Austausch sämtlicher Verantwortlicher wird etwas bringen. Die Bahn liegt am Boden und kommt nie wieder hoch.

Gerd07
2 Monate her

„Für ein Ministerium, in dem es vor allem darum geht, Rekord-Verspätungen zu rechtfertigen, ist Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) keine schlechte Besetzung.“

Das ist keine Rechtfertigung, sondern eine voll und ganz zutreffende Erklärung. Über Jahrzehnte wurde zuwenig investiert und dann teilweise auch noch suboptimal. Das macht sich irgendwann bemerkbar und die Fehlerkorrektur dauert. Ebenfalls Jahrzehnte.

Last edited 2 Monate her by Gerd07
Hieronymus Bosch
2 Monate her

Ja, die Bahn repräsentiert das High-Tech-Land Deutschland: immer schnell voran, leider nur mit falschen Versprechungen! In Wahrheit ist die Bahn ein Chaos-Club und passt damit vollends in die hiesige politische Landschaft!

littlepaullittle
2 Monate her
  • „Fremdeinwirkung“

Mein Lieblingsgrund fuer das deutsche Buehnenstueck „Schuld und Suehne“.
Der zaehlt auch fuer restliche Politik:
Es war sicher die AfD oder Putin.
Oder die Bauern oder Trump ?
Oder der Krankenstand oder China ?
Oder der Virus, aber sicher nicht die Spritze ?

Guzzi_Cali_2
2 Monate her

Allein die Option auf den Streß, womöglich einen Anschlußzug zu verpassen oder die Freundin länger als nötig irgendwo warten zu lassen (insbesondere bei der nur in Spuren existierenden Kriminalität an Bahnhöfen), macht es mir leicht, mich für den Komfort eines Privatwagens mit Verbrenner zu entscheiden. Ich lege Wert auf „Verbrenner“, weil mir ein E-Auto – ganz abgesehen davon, daß ich es mir weder leisten könnte, noch wollte – ähnlichen Streß bescheren würde. Ausnahmslos ALLES, was die Ampel (incl. der Vorgängerregierung) bisher in die Hand genommen hat, ist zu etwas geworden, was die Farbe dessen hat, wenn man schwarz, grün, rot… Mehr