Wiederholt sich die Schuldenkrise von 2011/2012?

Nach den Haushaltseckwerten für 2024 an den Börsen wieder größere Sorgen um Italien - ablesbar an der Zinsdifferenz (spread), die der italienische Staat im Vergleich zu Deutschland zahlen muss, damit die Investoren ihm Geld leihen. Donnerstag überstieg der Spread für die jeweiligen Zehnjahres-Papiere erstmals wieder die Marke von 200 Basispunkten.

shutterstock/katjen

Noch ist man zwar von den Werten der Europäischen Schuldenkrise von Beginn des vergangenen Jahrzehnts entfernt, als „lo spread“ auf über 500 Punkte gestiegen war und die Krise sich erst durch berühmte Londoner Rede von EZB-Präsident Mario Draghi („Whatever it takes“) löste. Trotz der Marktberuhigung musste die letzte Regierung von Silvio Berlusconi damals zurücktreten und an und an den Technokraten Mario Monti übergeben.

Am Donnerstag stiegen die Renditen zehnjähriger italienischer Staatsanleihen auf 4,96 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit zehn Jahren. Allerdings zeigten sie auch in anderen europäischen Staaten nach oben – in Deutschland lagen sie zeitweise bei 2,98 Prozent, in Spanien bei über vier Prozent, in Frankreich bei über 3,5 Prozent.

Ausgelöst hatte den Zinssprung der Plan der Regierung Meloni, 2024 eine Neuverschuldung von 4,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts zuzulassen. Ursprünglich war man von 3,7 Prozent ausgegangen – was auch immer noch über den Maastrich-Kriterien (drei Prozent) liegen würde. Die Regierung hat diese Zahlen nun nach Brüssel geschickt, wo sie bis Mitte Oktober einer Prüfung unterzogen werden. Seit Wochen ist die Regierung Meloni auf der Suche nach finanziellen Spielräumen, die es ihr erlauben, wenigstens einen Teil ihrer Wahlversprechen umzusetzen. So sollen einkommensschwache Familien unterstützt werden. Bereits im laufenden Jahr wird das Defizitziel himmelweit verfehlt und dürfte nach Schätzungen der Wirtschaftszeitung „Il Sole 24 Ore“ wohl 5,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen.

Steigende Zinsen bei hohen Defiziten ergeben einen gefährlichen Cocktail. Laut Berechnungen von Matteo Villa, einem Datenspezialisten am Institut für internationale Studien, verbrennt Italien im laufenden Jahr nicht weniger als neun Prozent der Steuereinnahmen allein für die Bezahlung der Zinsen auf die Staatsschulden (Deutschland 1,2, Frankreich 3,4 Prozent). Die Wirtschaftsverbände reagierten mit Sorge auf die jüngsten Entwicklungen und die Erhöhung des Spread. Es sei an der Zeit, die öffentlichen Ausgaben zurückzufahren, meinte der Präsident des Industrieverbands, Carlo Bonomi, in der Zeitung „Repubblica“. Zudem müssten Investitionen gegenüber unproduktiven Ausgaben Vorrang haben. Das Festhalten an Zinserhöhungen durch die Europäische Zentralbank hält Bonomi für verfehlt.

Das Schuldenthema hielt am Freitag auch die US-Börsen im Griff. Die Angst vor einem Regierungsstillstand in den USA, falls der Streit zwischen Republikanern und Demokraten über die erforderliche Erhöhung der Schuldenobergrenze nicht rechtzeitig beendet wird, verdrängten schließlich die positive Stimmung, die die erfreulichen Daten zum Preisauftrieb im August ausgelöst hatten. Sie hatte die Indizes zunächst gestützt, weil weitere Zinserhöhungen unwahrscheinlicher geworden waren.

Der Leitindex Dow Jones Industrial schloss mit minus 0,5 Prozent auf 33.508 Punkten. Auf Wochensicht bedeutet dies ein Minus von 1,3 Prozent und für den Monat September eines von 3,5 Prozent. Auch die Quartalsbilanz ist negativ. Der marktbreite S&P 500 büßte am Freitag 0,3 Prozent auf 4.288 Zähler ein, während der technologielastige Nasdaq 100 ein Plus von 0,1 Prozent auf 14.715 Punkte ins Ziel rettete. Für beide Indizes stehen damit sowohl für den September als auch für das dritte Jahresviertel Verluste zu Buche.

Die Unternehmensnachrichten waren am Freitag vor allem geprägt von Nike. Der Aktienkurs reagierte mit einem Kurssprung von 6,7 Prozent auf die besser als erwartet ausgefallenen Geschäftszahlen. Der Sportartikelhersteller habe im ersten Geschäftsquartal bei weitem nicht so schlecht wie befürchtet abgeschnitten, kommentierte Jefferies-Analyst James Grzinic. Dazu habe Nike mit dem Umsatzausblick auf das laufende Quartal positiv überrascht, ergänzte Gabriella Carbone von der Deutschen Bank. Von den Nike-Zahlen profitierten am Freitag auch andere US-Sportartikelhersteller: Under Armour gewannen 4,6 Prozent und Foot Locker 2,3 Prozent.

Auffällig waren im Dow mit einem Kursgewinn von 6,5 Prozent zudem die Papiere der Apothekenkette Walgreens . Der Konzern will Kreisen zufolge den früheren Cigna-Chef Tim Wentworth zum Vorstandschef berufen. Eine endgültige Entscheidung sei noch nicht getroffen worden, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg.

Die Aktien der Autohersteller aus Detroit schlossen schwächer, nachdem im Tarifstreit die Gewerkschaft UAW den Druck auf General Motors (GM) und Ford erhöhte. Ford-Aktien verloren 1,1 Prozent, GM-Papiere gaben um 0,6 Prozent nach.

Der Euro stabilisierte sich nach deutlichen Kursverlusten im Verlauf der Woche. Nach US-Börsenschluss wurde die Gemeinschaftswährung mit 1,0571 Dollar gehandelt. Die Rendite zehnjähriger Papiere betrug 4,58 Prozent. Mit 4,69 Prozent war in dieser Woche der höchste Stand seit 16 Jahren erreicht worden

Der deutsche Aktienmarkt hatte zuvor zum Wochenschluss seine Erholung vom Vortag fortgesetzt. Erfreuliche Inflationsdaten sorgten zwischenzeitig für deutlichen Auftrieb, bis zum Freitagabend ebbte ein Großteil des Rückenwinds jedoch wieder ab. Der Leitindex DAX schloss mit plus 0,4 Prozent bei 15.387 Zählern deutlich unter seinem Tageshoch. Auf Wochensicht liegt das Börsenbarometer mit rund einem Prozent im Minus. Auch die Quartalsbilanz fällt mit knapp fünf Prozent Abschlag trübe aus, aber seit Jahresbeginn gerechnet notiert der Dax weiterhin komfortabel im Plus.

Der MDAX der mittelgroßen Werte sprang am Freitag zurück über die Marke von 26.000 Zählern, zur Schlussglocke stand ein Plus von 1,4 Prozent auf 26.075 Punkte zu Buche.

Auf Unternehmensseite stachen an der DAX-Spitze die Commerzbank hervor – die neue Ausschüttungspolitik sorgte für einen Kursanstieg von elf Prozent. Zeitweise waren die Papiere auf das höchste Niveau seit Anfang August geklettert. Das Finanzinstitut setzte sich für die nächsten Jahre ehrgeizigere Ziele und will seine Anteilseigner stärker am Unternehmenserfolg beteiligen. Unter anderem will das Management die Ausschüttungsquote nach oben schrauben. Die neu gesteckten Ziele zur Profitabilität bezeichneten Analysten als ehrgeizig.

Im Sog eines unerwartet starken Quartalsberichts des US-Sportartikelherstellers Nike gewannen die Konkurrenten Adidas und Puma jeweils rund sechs Prozent. Erfüllte Margenerwartungen, der Ausblick sowie Fortschritte bei den Lagerbeständen sendeten positive Ergebnissignale auch für die beiden deutschen Wettbewerber, schrieb Branchenexperte James Grzinic vom Analysehaus Jefferies.
Die Anteilscheine von Synlab sprangen um gut 24 Prozent auf rund zehn Euro an und setzten sich damit an die Spitze des Nebenwerteindex SDAX . Der Finanzinvestor und Großaktionär Cinven will Europas größten Labordienstleister für zehn Euro je Aktie komplett übernehmen. Eine Mindestannahmeschwelle gibt es nicht. Tags zuvor waren die Synlab-Papiere noch auf den tiefsten Stand seit Mitte März abgesackt.

Am Rentenmarkt fiel die Umlaufrendite von 2,92 Prozent am Vortag auf 2,86 Prozent.

Entscheidend für die Börsenentwicklung der kommenden Woche werden die Bemühungen in Washington sein, über das Wochenende den Stillstand der US-Bundesbehörden zu verhindern. In der neuen Woche stehen zudem wichtige Konjunkturdaten wie etwa der US-Arbeitsmarktbericht an, der als Gradmesser für das weitere Vorgehen der Fed gesehen wird.

Neue Höchstkurse an den Aktienmärkten, wie sie noch im Sommer gesehen wurden, scheinen zumindest im sich aktuell verdüsternden Konjunkturszenario eine Illusion: In Deutschland etwa hatte sich das ifo-Geschäftsklima zuletzt den fünften Monat infolge weiter verschlechtert und für die Eurozone wird der Eintritt in eine Rezession erwartet.

Zwar ist der Preisauftrieb hierzulande und in der Eurozone zuletzt deutlich zurückgegangen, insgesamt bietet sich im Euroraum aber ein eher gemischtes Bild, weshalb die Experten der niederländischen Bank ING auch keinen Grund sehen, an dem „higher-for-longer“-Szenario der EZB zu zweifeln: „Die höheren Energie- und Lohnkosten halten das Risiko am Leben, dass die Inflation länger als erhofft über dem Zielwert der Notenbank bleiben könnte“.

Auf Seite der deutschen Unternehmen sind derweil wenige Termine absehbar, die sich vorrangig auf den Donnerstag konzentrieren: Der Verpackungshersteller Gerresheimer legt Quartalszahlen vor, vom Leasingspezialisten Grenke kommen dann Zahlen zum Neugeschäft und der IT-Dienstleister GFT lädt zum Kapitalmarkttag.

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Kommentare ( 2 )

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Alf
6 Monate her

Wiederholt sich die Schuldenkrise von 2011/2012?
Unser Staat ist kein ordentlicher Kaufmann.
Würde alles bilanziert, was zu bilanzieren ist, dies ordnungsgemäß und ohne buchhalterischen Tricks, müßte das Land Insolvenz anmelden.
Unsere Regierungen sehen es nicht als notwendig an, eine ordentliche Bilanz zu erstellen, Rückstellungen zu bilden, Risiken werden nicht eingepreist. Die Substanz wird weiter aufgebraucht.
Die Schulden und Verpflichtungen des Staates werden auch kommende Generationen belasten. Die Bürger werden hinter die Fichte geführt.
Wir brauchen keine Schuldenkrise. Diese ist schon längst da.

Aegnor
6 Monate her

Wartet mal ab bis der LKW-Maut und Atemsteuer-Hammer Ende des Jahres kommt. Dann zieht die Inflation zumindest in Deutschland wieder ordentlich an.