Corona und Grenzpolitik: Renaissance für den Schlagbaum?

EU-Staaten riegeln wieder ihre Grenzen ab. Welche Folgen hat das langfristig für die Europa-Politik?

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Geschlossene Grenzen innerhalb der EU. Noch vor wenigen Wochen nicht vorstellbar, nun eine Realität. Macht die Krise offenbar, worauf sich die Loyalität und die Bereitschaft zur Solidarität der meisten Menschen bezieht? Erlebt der Nationalstaat so eine Renaissance? Und welche Folgen hat das für die EU? Zu diesen Punkten hat die Tagespost profilierte Europa-Politiker befragt.

„Mit der Corona-Krise ist es wie mit allen großen Herausforderungen für Europa, die meist von außen kommen: Als starke Gemeinschaft können wir sie mit Gottes Hilfe bewältigen, nationalegoistisch zerlegt oder zersplittert werden wir scheitern. Die beste Antwort auf viele politische Probleme ist der im katholischen Subsidiaritätsprinzip wurzelnde Föderalismus“, ist der Präsident der überparteilichen Paneuropa-Union, der langjährige ehemalige CSU-Europaabgeordnete Bernd Posselt, sicher. Große Entscheidungen müssten im kontinentalen Rahmen gefällt werden, weil die EU „die Betriebsgröße des 21. Jahrhunderts“ sei. In der Corona-Krise müsse die gemeinsame Kraftanstrengung in der Entwicklung eines Impfstoffs und gegenseitiger Hilfe bei der Eindämmung der Pandemie liegen. Andererseits, so betont Posselt, benötigten wir mehr Kompetenzen für die regionale Ebene, die dem Menschen am nächsten sei. „Ist es sinnvoll, Entscheidungen auf den nationalstaatlichen Raum von Freilassing bis Flensburg zu konzentrieren, statt Kiefersfelden und Kufstein, Baden und das Elsaß jeweils als Einheit zu betrachten? Die Kinder haben ihre Schule auf der andern Seite, Arbeitsplatz und Wohnort sind diesseits und jenseits der EU-Binnengrenze. Deshalb ist es besser, wenn im großen europäischen Rahmen konkrete Einzelentscheidungen von den Regionen gefällt werden, auch wenn diese zu verschiedenen ,Nationalstaaten‘ gehören.“

Historische Dimension des Problems

Schließlich weist Posselt auf die historische Dimension des Problems hin: Schon für das Hohenzollernreich habe gegolten, dass es gleichzeitig zu groß und zu klein sei – „nämlich zu groß, um sich friedlich in die Mitte Europas zu integrieren, und zu klein, um die wirklich wichtigen Probleme eigenständig zu lösen“. Dies gelte auch für den heutigen Nationalstaat, der zu klein sei, um sich in einer immer gefährlicheren Welt zu behaupten, und zu groß, um Heimat zu sein. Es seien nun, so hebt Posselt hervor, zwei Lehren zu ziehen: „Aufbau eines wirklich geeinten Europa mit einem starken supranationalen Dach und starken Regionen, mehr Solidarität über die Binnengrenzen hinweg und mehr Effizienz an den Außengrenzen statt wirkungslosem, aber zerstörerischem Nationalegoismus.“

Gänzlich anders setzt die Akzente der europapolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Harald Weyle. „Wir sehen, dass bei körperlicher, rechtlicher und sozialer Sicherheit am Anfang wie am Ende immer der konkrete Staat vor Ort gefragt ist. Grenzüberschreitender Kooperation tut das keinen Abbruch.“ Sich aber „auf immer zentralere Entscheidungen aus der Ferne“ zu verlassen, wäre ein fahrlässiger Verzicht auf Schnelligkeit, Handlungsoptionen und Umsetzungskontrolle. Das schließe freilich nicht aus, dass sich nach der Krise bei der Auswertung der Daten standardisierte Lösungsabläufe ergeben würden, die künftig auch über den nationalen Bereich hinaus im Krisenfall angewendet werden könnten, hebt Weyel hervor.

Der europapolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Christian Petry, weist darauf hin, dass nach dem Willen der Mitgliedsstaaten die EU die Nationalstaaten in der Gesundheitspolitik lediglich unterstützen solle. Insofern sei es nur konsequent, wenn sich der Blick der Bevölkerung nun auf die nationale Regierung richte.

Nachdem die Pandemie überstanden sei, müssten aber Lehren gezogen werden: „Die Mitgliedstaaten werden weiterhin die wichtige Rolle spielen. Es ist aber offensichtlich, dass es bei einer solche Pandemie mindestens eine bessere Koordinierung braucht“, betont der Sozialdemokrat. „Durch die viel zitierte Globalisierung werden einerseits früher lokal beschränkte, ansteckende Krankheitsphänomene rasend schnell zu einer Pandemie. Anderseits sind die Abhängigkeiten durch die arbeitsteilige Weltwirtschaft enorm gewachsen. Denkbar wäre neben der Koordinierung auch eine durch die EU gemeinsam verwaltete Reserve an essentiellen Medizinprodukten, wie Schutzausrüstung oder Beatmungsgeräten. Sicher müssen wir auch Antworten jenseits der Gesundheitspolitik suchen, etwa in der Industriepolitik, und in wichtigen Produktionsfeldern die Unabhängigkeit von Exporten von außerhalb der EU gewährleisten.“ Auch die europapolitische Sprecherin der Grünen, Franziska Brantner, hebt hervor, dass die EU gemeinsame Konzepte entwickeln müsse: „Es braucht jetzt ein klares Signal, dass die EU keines ihrer Mitglieder in der Krise alleine lässt.“ Auch ökonomische Signale seien wichtig: „Traut Euch bloß nicht, gegen einen von uns in der Krise zu spekulieren. Wir werden dem einen Riegel vorschieben.“

Auch der Europa-Politiker der Linkspartei, Andrej Hunko, setzt auf Solidarität: Sozial- und Gesundheitspolitik seien nach wie vor und auf absehbare Zeit nationalstaatlich verankert. Mit dem Katastrophenschutz- oder dem Krisenreaktionsmechanismus könnte die EU Ländern aber beispielsweise wie Italien beim Kollaps des Gesundheitssystems unter die Arme greifen.


Dieser Beitrag von Sebastian Sasse ist zuerst bei „Die Tagespost“ erschienen.

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Kommentare ( 24 )

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24 Comments
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John Sheridan
4 Jahre her

Ich kann hier nur aus der DACH-Region Vorarlberg / St. Gallen / Lindau berichten:
Die EU ist absolut tot, bei allen Beteiligten. Die Ressentiments gegenüber allen „Parteien“ sind enorm gestiegen (selbst zwischen Vorarlberg und Tirol) bezüglich Hamsterkäufen, Neid und Sonstigem. Vielleicht waren diese aber auch nie wirklich weg. Und ja, in Vorarlberg sind die EU- mit -„Republik Österreich“ Schildern „über installiert“ worden.

Gerro Medicus
4 Jahre her

Economy is global, but all business is local! Das ist eine alte Weisheit, die sich auch auf diese Situation übertragen lässt. Die Corona-Krise hat gleich zwei Haupt-Lügen des Merkel-Rgeimes entlarvt: Lüge eins: Man kann die deutschen Grenzen nicht schützen Doch, man kann, aber das wussten wir eigentlich schon seit dem G8-Gipfel in Heiligendamm und dem G7-Gipfel auf Schloss Elmau. Immer wenn es um die Sicherheit der Großkopfeten ging, da waren die Grenzen plötzlich kontrollier- und schützbar! Und heute hat man das nur mehr als widerwillig getan, weil alle anderen Staaten dies auch gemacht haben und man sich dem nicht entziehen… Mehr

Nachdenkerin X
4 Jahre her

Ich frage mich auch, wie diese Maßnahme mit dem GG vereinbar ist.

Cabanero
4 Jahre her

Im Grunde wird das Problem durchaus erkannt – die EU ist in ihrer heutigen Form überflüssing und sinnlos, und würde bei weiterer Zentralisierung noch kontraproduktiver. Insoweit müssen die meisten ohnehin nur angemaßten Kompetenzen der EU-Kommisiion wieder auf die Nationalstaaten zurückverlagert werden, einschließich einer geregelten Aufgabe des Euros. Das Problem der Funktionäre der Parteien von Links bis CDU ist jedoch, daß sie zugleich die deutsche Nation mindestens ablehnen, auf dem linkem Spektrum sogar verachten. Ihre ersatzweise erworbene paneuropäische Identität läßt daher auch angesichts einer solchen Krise nichts anderes zu, als auf „Europa“ zu rekurrieren. Beim Bayer Bernd Posselt kommt noch eine… Mehr

Marcel Seiler
4 Jahre her

MeckPomm hat wahrscheinlich einfach keine Lust auf die Luxux-Infektionenen, die sich die Hamburger bei ihren Luxus-Skireisen zugezogen haben, die sich durchschnittliche MeckPomms gar nicht leisten können. Das verstehe ich gut.

Marcel Seiler
4 Jahre her

Die Handlungsunfähigkeit der EU ist in der Frage der illegalen Einwanderung wie in der Corona-Krise überdeutlich geworden. Auch in Deutschland hat der Zentralstaat gezögert und taktiert. Gehandelt hat die Landesregierung in Bayern.

Als zweites gilt, dass Maßnahmen, die für die Deutschen gut sind, nicht unbedingt für Griechen und Italiener passen. Es geht hier nicht nur um vage Dinge wie Mentalität (das auch), sondern auch um Familienstrukturen, Siedlungsstrukturen, Verkehrssysteme, Systeme sozialer Absicherung usw. Bis die EU-Großkopferten das alles begriffen haben, ist die Krise längst vorbei.

StefanB
4 Jahre her

Wenn ich schon „Solidarität“ (CSU-Heini) und „ein klares Signal“ (die Grüne) höre, klingelt mir das Kampflied aller Sozialisten und Kommunisten unangenehm in den Ohren: Die Internationale.*

Völker, hört die Signale!
Auf zum letzten Gefecht!
Die Internationale
erkämpft das Menschenrecht.

Ich kann diese längst widerlegten Sprechblasen nicht mehr hören. Zurück zum strengen Subsidiritätsprinzip in Sachen EU einerseits und zu starken Nationalstaaten andererseits. Das ist der richtige Weg für Europa.

*Volltext hier: https://www.lyrix.at/t/international-die-internationale-deutsch-bbb

Peter Pascht
4 Jahre her

Sie setzen Gerüchte vom „Hörensagen“ in die Welt.
Was sie erzählen ist von Gesetzes wegen nicht möglich.

Peter Pascht
4 Jahre her
Antworten an  Peter Pascht

Hier hat sich niemand eine Satire erlaubt, sondern sie haben sich Unverständnis erlaubt.
Wie es in diesen Artikeln steht, geht es bei diesen Kontrollen nicht um eine Wiedereinführung von Schlagbäumen oder Grenzen und schon gar nicht um eine erfundene „Staatsbürgerschaft“, sondern um die Begrenzung der Bewegungsfreiheit wegen der Pandemie, gemäß derer es vorgesehen ist, dass jeder an seinem Wohnsitz bleibt und das ist nun mal der erste Wohnsitz.

Nachdenkerin X
4 Jahre her
Antworten an  Peter Pascht

Per „Gnadenerlaß“ wurde der Frau gestattet, doch an ihrem Zweitwohnsitz zu bleiben. So weit sind wir schon, daß ein Grundrecht (Freizügigkeit aller Deutschen) in Frage gestellt und dann „großzügig“ doch gewährt wird.
Ich frage mich, ob es überhaupt eine gesetzliche Grundlage für diesen Erlaß gibt.
Und dann noch dieser Skandal: Deutsche werden nicht hereingelassen, aber Asylbewerber schon. Deutsche also Menschen zweiter Klasse? (Ich schreibe bewußt nicht Bürger, denn Asylbewerber sind keine Bürger.)

Regina Lange
4 Jahre her
Antworten an  Peter Pascht

Nein, eine Politikerin (den Name weiß ich nicht mehr, sie kam aber aus einem norddeutschen Bundesland) hat das in den letzten Tagen im Staatsfunk verkündet! Der Bürger hat sich an seinem Erstwohnsitz aufzuhalten! Hat er einen Zweitwohnsitz, auch wenn es Eigentum ist, darf er ihn im Moment nicht nutzen! Von wegen Hörensagen!

Ralf Poehling
4 Jahre her

An sich ist es ganz einfach: Wir brauchen möglichst viel regionale und kommunale Selbstverwaltung. Die EU wäre dann in der Pflicht, diesen Systemansatz nach außen anzusichern und zu schützen. Im Moment läuft es genau umgekehrt: Die EU bevormundet die Bürger bis in entlegenste Regionen bei Dingen, von denen sie keine Ahnung hat und die sie nichts angehen, ist aber zeitgleich nicht in der Lage, die Bürger in Gänze vor Fremdinteressen zu schützen und die Grenzen abzusichern. Die soziale und handelsrechtliche Komponente gehört auf die kommunale Ebene, die geopolitische auf die europäische. Derweil sind Nationalstaaten keineswegs überflüssig, denn sie erfüllen immer… Mehr

Ralf Poehling
4 Jahre her
Antworten an  Ralf Poehling

@PAule Zitat:“Wie meinen, deutsche Interessen werden von Brüssel vertreten?“ Nein, werden sie nicht und genau das ist der Fehler. 😉 Die EU müsste zwingend(!) deutsche Interessen, sowie natürlich auch die Interessen aller anderen EU Mitglieder, in der Welt vertreten, sonst erfüllt das ganze Projekt überhaupt keinen Zweck. Man geht kein Bündnis ein, um sich kaputtregulieren und ausplündern zu lassen, sondern um daraus für sich einen Vorteil zu erzielen. Dieser Vorteil darf natürlich nicht zum Nachteil der anderen EU Mitglieder sein, sonst wird der ganze Sinn und Zweck einer Gemeinschaft konterkariert. Was wiederum dazu führt, dass Politiker von morgens bis abends… Mehr

T. Pohl
4 Jahre her
Antworten an  Ralf Poehling

Aber ich befürchte, dass eher die Hölle zufrieren wird, als dass die EU die Interessen der Nationalstaaten ehrlich vertritt….
Denn auch die Abgeordneten des EU-Parlaments haben Machtanwandlungen…

Ralf Poehling
4 Jahre her
Antworten an  T. Pohl

@T. Pohl Diese Machtanwandlungen muss und kann man ihnen abgewöhnen. Und zwar indem man den Laden systemisch so anlegt, dass er nur nach außen und nicht nach innen wirken kann. EU Politik darf nur Außenpolitik sein. Die Mitglieder müssen ihre Ansprüche nur nach außen anmelden können und nicht nach innen. Stellen Sie sich die EU als Organismus vor: Ein Organismus, wo sich die unterschiedlichen Organe gegenseitig verdauen und zerfleischen und ist kanzerogen oder hat zumindest ein massives Problem mit der eigenen Immunabwehr. So wie z.B. bei Allergikern, wo die Immunabwehr den eigenen Körper angreift und nicht den Eindringling von außen.… Mehr

Contra Merkl
4 Jahre her

Wie sehr die EU hilft sieht man bei Griechenland, Italien, Malta. Auch nach 2015 war es nicht die EU, sondern National wurde die Initiative von S. Kurz und V. Orban geführt. Wenn jedes Land seine Grenzen kontrolliert, können die Länder auch nicht mehr ihren Grenzschutz vernachlässigen und alles nach Deutschland durchwinken, so wie sich Frau Merkel das vorgestellt hat. Wenn der Nachbar eine Party gibt, will ich auch nicht das die Gäste alle durch meinen Garten laufen. So geht das einfach nicht. Grenzen und Zäune machen schon Sinn. Wer das nicht will, wird das Sozialsystem überfordern und opfern. Krankenversicherung und… Mehr

Peter Pascht
4 Jahre her
Antworten an  Contra Merkl

“ können die Länder auch nicht mehr … alles nach Deutschland durchwinken“ Das sind sie falsch informiert. Niemand der Europäer hat Migranten nach Deutschland durchgewunken, sondern Frau Merkel hat sie herbeigewunken und diesen Ländern gesagt sie sollen sie nur rein lassen, denn sie Merkel würde sie dann nach Deutschland holen. Das hat einen Run nach Europa ausgelöst welcher genau dann jene Ländern an der Peripherie getroffen hat, die dann aber nach 2015 von Merkel im Stich gelassen wurden, nach dem Motto, „die Geister die ich rief die werde ich nun nicht mehr los“. Bis Leute wie Orban und Salvini dieses… Mehr