Politiker verwechseln in einem fort Risiko und Gefahr

Politiker stehen in der Verantwortung, Entscheidungen zu treffen. Doch in der Corona-Krise stehlen sie sich allzu oft davon. Von Noah Wild

IMAGO/photothek

In Deutschland regiert die Zaghaftigkeit. Das jüngste Beispiel dafür ist die Aussetzung der Impfungen mit dem Impfstoff von AstraZeneca. Bei 13 Geimpften wurden Blutgerinnsel in den Hirnvenen festgestellt, nachdem ihnen der Wirkstoff von AstraZeneca gespritzt worden ist. Drei Tote sind zu beklagen. Insgesamt wurden bis dahin 1,6 Millionen Impfdosen von AstraZeneca gespritzt. 13 Fälle schwerer Nebenwirkungen auf 1,6 Millionen, das macht eine statistische Häufigkeit von 0,0008125 Prozent.

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Ist es angesichts einer derart niedrigen Wahrscheinlichkeit gerechtfertigt, den Impfstoff für Tage aus dem Impfprogramm zu nehmen und viele Prioritätsimpfungen zu verschieben? Die Frage muss zumindest erlaubt sein.

Hätten unsere Gesundheitspolitiker die Frage mit „ja“ beantwortet, hätte sich daraus die nächste Frage ergeben: Rechtfertigt die Corona-Lage es, dass der Staat den Tod von einigen wenigen Menschen in Kauf nimmt, um andere hunderttausende Ärzte, Pfleger, Lehrer durch eine Impfung vor einer Ansteckung zu schützen?

Auch diese Frage muss berechtigt sein, so hart diese Entscheidung für Politiker auch sein mag. Doch Politik bedeutet, Entscheidungen zu treffen, abzuwägen zwischen den Interessen der einen zulasten der Interessen von anderen. Es ist die Aufgabe von Politikern, auf Fragen wie jene, die das Coronavirus aufwirft, Antworten zu geben. Das ist die Verantwortung, in der Politiker stehen.

Unsere Politiker jedoch stellen sich ihrer Verantwortung nicht. Sie versuchen, die Entscheidungen abzuwälzen, auf Ärzte, Virologen, medizinische Einrichtungen wie das Robert-Koch-Institut oder das Paul-Ehrlich-Institut. Die Folge: Deutschland wird wie ein Krankenhaus regiert, in dem niemand mehr ein Risiko eingehen will. Ein Land, zumal von der Größe Deutschlands, lässt sich nicht wie ein Krankenhaus verwalten.

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Unsere Entscheidungsträger treffen keine Entscheidungen. Sie stehlen sich davon, aus Angst vor einer Entrüstungswelle in den sozialen Medien und Fernseh-Talkshows. Aus Angst verwechseln sie in einem fort Risiko und Gefahr. Schlimmer noch, sie setzen sie gleich. Dabei ist eine Gefahr etwas völlig anderes als ein Risiko. Wenn ich mit meinem Fahrrad losfahre, setze ich mich der Gefahr aus, dass bei hoher Geschwindigkeit ein Reifen platzt. Diese Gefahr ist real. Und trotzdem setze ich mich ihr regelmäßig aus. Aus einem einfachen Grund: Die Wahrscheinlichkeit, dass dies geschieht, ist denkbar gering. Und selbst wenn dieser unwahrscheinliche Fall eintritt, ist das Risiko noch geringer, dass ein solcher Reifenschaden schlimme Folgen für mich oder andere Menschen hat. Das Risiko ist eine statistische, eine theoretische Möglichkeit. Ja, die Gefahr droht, dass mir bei der nächsten Fahrradtour ein Reifen platzt. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies eintrifft, ist gering.

Unter der Verwechslung von Risiko und Gefahr leidet die gesamte Bevölkerung seit Ausbruch der Pandemie vor mehr als einem Jahr. Darunter litten in Deutschland monatelang auch die 80.600 Friseursalons mit rund 240.000 Beschäftigten. Es besteht tatsächlich die Gefahr, dass sich das Coronavirus über Friseursalons verbreitet. Unbestritten. Doch dank eines umsichtigen Hygiene- und Abstandsplans in den Salons konnte das Risiko, dass sich jemand bei seinem Friseurtermin infiziert, denkbar geringgehalten werden. Zwischen dem ersten und zweiten Lockdown im vergangenen Jahr wurden bei 700.000 Kundenkontakten täglich, nicht mehr als insgesamt zehn Corona-Infektionen von Friseuren auf Friseurtermine zurückgeführt. Um das Risiko einer Infektion beim Friseur in Prozent auszudrücken, bedarf es eines Rechners, der sehr viele Nullen hinter dem Komma berechnen kann.

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Ich lebe gerne in einem Land, in dem ich weiß, dass seinen Politikern das Leben jedes einzelnen Bürgers wichtig ist. Viele Menschen müssen in einem Staat leben, in dem dies nicht selbstverständlich ist. Es ist auch richtig, dass unsere Politiker alles daransetzen, die Bevölkerung vor einer Infektion zu bewahren. Gleichzeitig sollte uns jedoch auch bewusst sein, dass ein Leben auf diesem Planeten nur möglich ist, wenn wir bereit sind, Risiken einzugehen. Ständig setzen wir uns Gefahren aus, ob wir aus dem Haus gehen, mit dem Auto fahren, oder ob wir zu Hause bleiben.

Das soll natürlich nicht bedeuten, dass wir Gefahren suchen sollen, wenn wir sie vermeiden können. Vielmehr muss uns bewusst sein, dass wir ständig Abwägungen treffen müssen. Welches Risiko will ich eingehen? Und welches nicht? Welche Wahrscheinlichkeit ist akzeptabel, welche nicht?

Viele Friseure waren durch die Schließung ihrer Salons von der Insolvenz bedroht. Am Ende war es jedoch nicht ihr Leid, dass ein Umdenken bei den Politikern bewirkt und die kontrollierte Öffnung der Salons ermöglicht hat. Es war die Angst vor einer unkontrollierten und unkontrollierbaren Schattenwirtschaft in den Küchen der vielen Friseurkunden. Diese Nebenwirtschaft drohte, die Inzidenzzahlen dramatisch steigen zu lassen.

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Politiker dürfen sich nicht davonstehlen. Sie dürfen Gefahr nicht mit Risiko gleichsetzen. Vielmehr müssen sie sich der Verantwortung stellen, Entscheidungen zu treffen, die der Allgemeinheit nützen, aber einzelne Menschen treffen können. Das ist ihre Aufgabe. Wenn sie ein neues Baugebiet genehmigen, wägen sie auch zwischen den Interessen von Wohnungssuchenden und den Interessen der Erholungssuchenden ab, die künftig nicht mehr in der dann überbauten Natur Spazierengehen können.

Politiker stehen in der Verantwortung für ihre Entscheidungen, und es sei es für ihre Nicht-Entscheidungen. Aber sie können sich nicht aus dieser Verantwortung stehlen. Denn die Pflicht, Entscheidungen zum Wohl der Allgemeinheit zu treffen, entsteht aus dem öffentlichen Amt, um das sie sich beworben und dass sie angenommen haben. Verweigern sich Politiker dieser Verantwortung, weigern sie sich, ihre Pflicht auszuüben und betreiben Als-ob-Politik.


Noah Wild ist Sprecher der Geschäftsführung und Teilhaber der Wild Beauty GmbH in Seeheim-Jugenheim, einem Dienstleister und Lieferanten für Friseure.

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Kommentare ( 80 )

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Jens Frisch
2 Jahre her

Ihr Denkfehler beginnt im ersten Absatz: Es ist eben keine Impfung, sondern eine experimentelle Gentherapie und wir sind die Versuchskaninchen.

Sonny
2 Jahre her

Das eigentliche Problem bei der zunehmenden Nicht-Akzeptanz ist doch die Ungleichbehandlung – sprich bewußte Benachteiligung vieler Gruppen in Deutschland. Während sich die Menschen in Bussen und Bahnen drängeln dürfen wegen der Fahrt zur Arbeit, sind Einkäufe in z.B. Baumärkten oder Bekleidungsgeschäften verboten, wo viel weniger Gedränge herrscht. Nach Mallorca darf man in den Urlaub fahren, an deutsche Küsten- und anderen Urlaubsregionen aber nicht. Wer auf der Durchreise eines Kreisgebiets zur oder von der Arbeit ist, darf die Tankstelle abends im Ausgangssperrengebiet anfahren und benutzen, der dort Lebende aber nicht. Einige erhalten großzügige monetäre Hilfen, andere gar nichts. Ein Muster ist… Mehr

Wolfgang M
2 Jahre her

Aus Sicht des Staates muss mit AstraZeneca weiter geimpft werden. Es gibt eindeutig viel weniger Tote. Die Herdenimmunität steigt. Der einzelne Bürger kann AstraZeneca ablehnen. Auch wenn das Risiko verschwindend gering ist: Warum soll sich der Einzelne mit AstraZeneca impfen lassen, wenn es Impfstoffe ganz ohne bekannte Risiken gibt? Ist der Einzelne für die Herdenimmunität zuständig oder für seine eigene Gesundheit. Bundespräsident Steinmeier lässt sich (angeblich) demonstrativ mit AstraZeneca impfen. Wer am Bildschirm kann denn beurteilen, welcher Impfstoff sich in der Spritze befand. Ich traue heute den Politikern jede Schweinerei zu. Da ist auch der Bundespräsident nicht ausgenommen (besonders nach… Mehr

SwingSkate
2 Jahre her

Der Autor hat immer noch eine sehr idealisierte Vorstellung vom deutschen Politikbetrieb. Nehmen wir das Beispiel Fahrrad, geplatzter Reifen – Gefahr und Risiko. Unsere Politik will einen weltoffenen Nationalstaat in ein Multiethnisches/multireligiöses Gebilde umwandeln, die Grünen sind ja schier besessen von der Idee. Zweifellos ein Plan mit Risiken, obwohl ständig nur von Chancen gefaselt wird. Gibt es aber eine belastbare Statistik, welche die Risiken auf Grund einer geringen Gefahrenlage vertretbar erscheinen lässt? Oder anders: Gibt es historisch und/oder geographisch irgendein soziales Multi-Gebilde was nicht über kurz oder lang implodiert (ist)? Also, Zaghaftigkeit ist eins der wenigen Dinge, die ich der… Mehr

koeloe
2 Jahre her

Das Aussetzen von Astrazeneca anhand von 13 schweren Zwischenfällen in Deutschland, incl. der drei Todesfälle, scheint für manche Menschen unverhältnismäßig zu sein. Jedoch nicht, wenn man die Nebenwirkungen der Impfungen von ganz Europa betrachtet, was seitens der deutschen Medien und Behörden offenbar sorgsam vermieden wurde. Der Epoch Times, 15.2.2021, ist aus einer Veröffentlichung der Britischen Arzneimittelbehörde (entspricht dem Paul-Ehrlich-Institut) für GB Folgendes zu entnehmen: Bis dahin 30.000 Geimpfte, gemeldet 100.000 unerwünschte Impfreaktionen: Darunter: Todesfälle: 236, (76 durch Pfizerimpfstoff, 64 durch Astrazeneca). Von den 236 sind 15 unmittelbar nach der Impfung „umgefallen“ (9 durch Pfizerimpfstoff, 6 durch Astrazeneca) Vollständig Erblindete: 13… Mehr

G Koerner
2 Jahre her
Antworten an  koeloe

Ich finde es immer wieder bemerkenswert, wenn sogenannte Impfgegner und Hypochonder sich ein Urteil über den Impfstoff von Astra-Zeneca anmaßen. Die selben Leute haben tags darauf keine Probleme damit, sich mariniertes Grillfleisch (Hauptsache billig!) aus der Tiefkühlung von ALDI/LIDL einzuverleiben.

Johanna
2 Jahre her

Der Autor irrt. Die Impfung mit unzureichend geprüften Impfstoffen ist etwas anderes als der Ziegelstein, der mir auf den Kopf fallen könnte. Dass ich in meinem üblichen Umfeld den dort vorkommenden Gefahren begegne und Risiken in Kauf nehme, ist normal.Gesundheitsgefahren durch neue Impfstoffe sind jedoch eher vergleichbar der Gefahr, dass mich am Ostseestrand ein Tiger anfällt. Wenn jetzt schon propagiert wird, jeder solle sich selbst entscheiden, ob er sich mit unsicheren medizinischen Stoffen behandeln lässt, dann könnte der Supermarkt demnächst mitteilen, wer Champignons kaufe, könne Pech haben, es könnte auch mal ein Knollenblätterpilz dabei sein.

Auswanderer
2 Jahre her

Das ist halt das Problem wenn man immer nur Parteisoldaten in die Parlamente wählt! Die haben den Kopf mit soviel Partei-Mist voll, dass die nicht mehr klar denken können! Beispiel Lauterbach: Der hat studiert, schön! Und dann? Der Steuerzahler hat dem das Studium gezahlt und dann geht der in der SPD und macht seine Praxisarbeit in der Partei! Man sollte endlich Studiengebühren für alles verlangen und dann sollte man die Kosten erstattet bekommen anhand der geleisteten Arbeit! Wir alimentieren zigtausende Studenten, die besser eine Lehre oder ein Praktikum gemacht hätten! Geld für Bildung ist genug da, nur ist die Effizienz… Mehr

Rachel
2 Jahre her

Es sind 31 dokumentierte Fälle und 9 Tote. Das ist nicht tolerierbar bei einer Impfung, die jungen Geimpften nichts bringt, zumindest i.d.R.

Und es ist wohl eine Autoimmumreaktion beteiligt. Es gibt also keinen Grund anzunehmen, dass das nur junge Frauen betrifft.

Demokratius
2 Jahre her
Antworten an  Rachel

Das Risiko, an Covid19 zu sterben, hat sich in den Altersgruppen unter 60 Jahren als äußerst gering herausgestellt. Das sollte man bedenken, ehe man die Leute mit einem Vakzin impft, das überhaupt zu Todesfällen führen kann.

Sandrarichter
2 Jahre her

Das Risiko von unter 60 jährigen, an Corona zu sterben, beträgt allerdings noch viel weniger als 0,0008125 Prozent!
„Politiker verwechseln in einem fort Risiko und Gefahr“ in bezug auf die Impfung? Was war denn davor da, die Impfung oder der Virus? Wieso sollte man durch Impfung gegen einen grippeähnlichen Virus das Leben von Tausenden jungen Menschen Opfern, nur damit ein paar Tausend im Durchschnitt weit über 80 Jahre alte und schwerkranke Menschen noch ein paar Monate länger leben oder leiden können?

Ratloser Waehler
2 Jahre her
Antworten an  Sandrarichter

Wieso sollte man durch Impfung gegen einen grippeähnlichen Virus das Leben von Tausenden jungen Menschen Opfern, nur damit ein paar Tausend im Durchschnitt weit über 80 Jahre alte und schwerkranke Menschen noch ein paar Monate länger leben oder leiden können?

Es ist doch so: Es geht gar nicht darum, das ein paar Tausend im Durchschnitt weit über 80 Jahre alte und schwerkranke Menschen noch ein paar Monate länger leben.

Ich finde es unfair, den alten und kranken Menschen die Schuld in die Schuhe zu schieben für das, was hier und in anderen zumeist westlichen Industrienationen los ist.

elly
2 Jahre her

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