Ein AfD-Beitritt sorgt für Aufruhr im SPD-geführten Waldkappel

Lukas Gesang tritt der AfD bei, spricht offen von Enttäuschung über die Bundespolitik und gerät sofort ins politmediale Kreuzfeuer. Der Fall zeigt exemplarisch, wie eng das Toleranzkorsett parteipolitischer Machtmilieus geworden ist.

Screenprint: HR/hessenschau

Im beschaulichen Waldkappel bahnt sich ein mittleres Erdbeben an. Allerdings nicht, weil dort ein Windrad umgefallen wäre. Sondern weil ein kommunaler Mandatsträger sich etwas geleistet hat, das im Biotop der hessischen Medien- und Parteienlandschaft als Gotteslästerung gilt: Er ist in die AfD eingetreten. Lukas Gesang, bislang bekannt als freundlicher Vize-Bürgermeister, SPD-nah und sozial engagiert, hat den Schritt gewagt – ganz ohne die Erlaubnis der Empörungsgemeinschaft.

Beim Hessischen Rundfunk ebenso wie bei der SPD mussten daraufhin offenbar Kübel mit Baldriantee verteilt werden. Denn Gesang hatte den unverzeihlichen Fehler begangen, seinen Parteieintritt nicht in der Parteizentrale der SPD anzumelden und auch nicht beim HR. Stattdessen hatte er sich erlaubt, sich eine eigene Meinung über die Bundespolitik zu bilden und daraus Konsequenzen für sich zu ziehen.

Der Hessische Rundfunk, der sonst für fast alles großes Verständnis aufbringt, was außerhalb bürgerlicher Konventionen stattfindet, kann bei dieser Art von „Coming-Out“ nur noch schwer an sich halten. Dass jemand in den Reihen der SPD groß geworden ist und dann den Weg zur AfD findet? Das ist ungefähr so, als würde der Papst bei einer Pegida-Demo sichten lassen werden. Sakrileg!

Die Stadtverwaltung führt ihn auf ihrer Website weiterhin mit dem SPD-Zusatz. Das wirkt nun wie ein Schild, das man nicht mehr abgeknibbelt bekommt, obwohl es längst abblättert. Dabei hat Gesang längst erklärt, was ihn zu dem Schritt bewogen hat: Die politischen Zustände auf Bundesebene, die Bewertung der AfD durch den Verfassungsschutz und wohl auch das Gefühl, dass man in dieser Republik zwar alles Mögliche sein darf, nur nicht konservativ mit Haltung (in der besten Tradition des Wortes, nicht der von Links entkernten).

Die SPD reagiert entsprechend, humorlos. Der örtliche Unterbezirksvorsitzende ließ wissen, man werde „alles daran setzen, dass dieser Mensch aus dem Amt kommt“. Ein Satz, der aus dem Munde eines streng demokratischen Funktionärs kommt, aber dennoch eher nach politischer Säuberung klingt. Auch sonst wird weniger argumentiert als gewertet. Nazis raus! Aus dem Magistrat, dem Dorf, dem gesellschaftlichen Diskurs. Cheerio und fertig.

Unterdessen betont die AfD, dass Lukas Gesang kein anderer Mensch geworden sei, nur weil er nun formal das Parteibuch gewechselt hat. Ein interessanter Gedanke, den man im hr-Universum vermutlich für zu gefährlich hält. Dort dominiert weiterhin die Theorie, dass sich mit dem Eintritt in die AfD sofort die Einstellung um 180 Grad verändert und im Keller eine Reichskriegsflagge gehisst wird.

Auch Waldkappels Bürgermeister gibt sich verschnupft. Er sei „irritiert“, heißt es. Denn Gesang habe nie davon gesprochen, dass er der AfD beigetreten sei. Als ob man sich heute noch öffentlich zur AfD bekennen könnte, ohne dass einem das Fahrrad zerkratzt, der Job gefährdet oder die Mitgliedschaft in Vereinen aufgekündigt wird.

Während die SPD an einem Auszug bastelt, mahnt ausgerechnet ein Vertreter der Überparteilichen Wählergemeinschaft zur Fairness. Gesang tue viel Soziales, man solle die Kirche mal im Dorf lassen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn wenn eines in der deutschen Medienprovinz nicht verziehen wird, dann der Bruch mit dem linken Konsens. Und sei er auch noch so höflich formuliert.

Während SPD und Kommunalparlament noch am Aufmarschplan zur politischen Exkommunikation basteln, liefert ein Zukunftsforscher – und das ist dann doch das bemerkenswerte im HR-Bericht – eine recht nüchterne Erklärung für das Phänomen Gesang und viele, die ihm folgen könnten. Hartwin Maas vom Institut für Generationenforschung erklärt trocken, was dem SPD-Unterbezirk offenbar völlig unverständlich ist: Die AfD wirkt auf viele junge Menschen schlicht als logischer Ort für Wandel. Nicht, weil sie radikal wären, sondern weil alles andere so radikal festgefahren wirkt.

„Die AfD ist ein Zufluchtsort für sie“, sagt Maas. Junge Politiker, die nicht bereit sind, auf Signalworte zu achten und sich ideologisch zu verbiegen, sehen in der AfD offenbar mehr politische Hebel als bei den saturierten Parteien. Auch die Einstufung als „rechtsextrem“ schreckt viele nicht ab – die Einstellung gleiche mehr: „Wie kann die Partei rechtsextrem sein, wenn ich es nicht bin?“

Man könnte es als jugendliche Naivität abtun oder als lakonische Antwort auf einen Politikbetrieb, der zwischen identitätspolitischer Dauermoral, klimaheiliger Selbsterlösung und Karrierestau für Quereinsteiger kaum noch Spielräume bietet.

Das dürfte auch erklären, warum ein Jahrgang-1995-Kommunalpolitiker wie Lukas Gesang die Reißleine zieht – nicht aus ideologischer Radikalisierung, sondern aus wachsender Distanz zur Gleichschaltung der politischen Landschaft. Was als Skandal verkauft wird, ist für viele in seiner Generation schlicht ein Versuch, überhaupt noch etwas politisch zu bewegen.

Der parteilose frühere SPD- und FDP-Mann Stephan Schorn bringt es auf den Punkt: Die ältere Generation unterschätze maßlos, wie stark der Groll der Jüngeren ist, wenn sie Fotos aus den 1990ern sehen – mit stabilen Innenstädten, Busfahren ohne Angst, Großveranstaltungen ohne Wachtürme. „Sie sehen, was wir hatten – und sie nie hatten.“

Und sie sehen: Keine andere Partei bietet ihnen an, sich das zurückzuholen. Die AfD ist nicht die beste Option, sie stellt oft die einzige dar. Und das liegt nicht an der Radikalität der Jugend, sondern an der Selbstaufgabe und dem immer stärkeren Zusammenrücken der anderen Parteien. Die sprechen lieber über das Klima in 2090 als über die Sicherheit in 2025.

Auch die Nazi-Keule, so Schorn, prallt zunehmend ab. Für viele unter 30 ist der Nationalsozialismus so fern wie für die Boomer die Völkerschlacht bei Leipzig. Das wirkt auf diese Generation weder schockierend noch identitätsstiftend, sondern wie eine hohle moralische Erpressung aus der Zeit ihrer Urgroßeltern.

Das eigentliche Problem ist also nicht Lukas Gesang. Das Problem ist, dass seine Entscheidung nicht als Weckruf verstanden wird, sondern als Verrat. Dass eine Generation politisch aufbricht, wird nicht ernst genommen, sondern in aller Form abgewehrt. Die Folge ist dann eine zunehmende Entfremdung. Weniger Radikalisierung, sondern stille Abkehr.

Was bleibt, ist ein Provinzskandal mit Symbolkraft. Nicht, weil jemand die Seiten gewechselt hat. Sondern weil sich daran offenbart, wie schmal der Korridor geworden ist, in dem man heute noch ohne betreutes Denken atmen darf. Wer ausschert, wird nicht mehr widersprochen, sondern exkommuniziert. Das ist der eigentliche Skandal. Und der wird nicht nur in Waldkappel sichtbar.

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Kommentare ( 29 )

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verblichene Rose
21 Tage her

„…Weniger Radikalisierung, sondern stille Abkehr…“
Naja, ich bin zwar schon ein alter Sack, aber gerade deshalb kann ich von mir behaupten, daß bei mir zu keiner Zeit eine Abkehr statt gefunden hat, denn ich war dem links-woken Treiben noch nie zugewandt. Und das gute dabei ist, daß meine sozial-romantische Ader trotzdem nicht gelitten hat 😉
Ich frage mich nur, warum es sich Lukas Gesang nicht längst schon selber verbat, der SPD zugeordnet zu werden. Denn offensichtlich war er ja gar kein SPD’ler, oder doch?

siebenlauter
21 Tage her

Höchst symbolisch, man schaue einmal, wo Waldkappel liegt. AfD, das ist die neue Mitte Deutschlands:
https://drive.google.com/file/d/13lVidacZBAF5D25twGPjZZtauObb06OC/view?usp=drivesdk

Nibelung
21 Tage her

Es gibt ein Sprichwort, was schert`s die Eiche, wenn sich die Sau dran kratzt und jederGegenwehr entspringt grundsätzlich der Inititative des Einzelnen und alles zusammen kompensiert die Macht im Ganzen und das Duckmäusertum gegenüber unseren rechtlosen Sozialisten aller Art muß ein Ende haben und das funktioniert nur über eine neue Phalanx aller liberalkonservativen Kräfte, denn sie haben die alten Werte über Bord geworfen und nicht jene, die nun dagegen aufbegehren, denn nirgendwo ist der Beweis erbracht, daß idiotische Gedanken altbewährtes ersetzen können, denn das ist die Richtschnur, die uns mit den Vorvorderen verbindet und ohne sie wären wir niemand, während… Mehr

Sonny
21 Tage her

Früher gab es (auch) keine homogenen Gruppen. Arbeitskollegen, Bekannte, Verwandte, Sportfreunde – jeder hatte seine eigene Meinung und oft genug wurde heftig (in der Sache) diskutiert. Danach hat man ein Bier zusammen getrunken und alles war gut. Heute will man das kontroverse Diskutieren total unterdrücken und alles gleichschalten. Das ist so weit gegangen, dass das Gegenüber nicht nur anderer Meinung ist – nein. Heute ist dieses Gegenüber der Feind! Von obersten Stellen verordnet. Auch ich kann mich nicht davon frei machen – für mich sind diese autokratischen „Weltverbesserer“ mittlerweile ebenfalls zu einem Feind geworden, den ich verachte. So was hätte… Mehr

Last edited 21 Tage her by Sonny
Lars Baecker
21 Tage her

Wenn erst einmal der Anfang gemacht ist, werden weitere folgen. Shitstorms verziehen sich immer schneller. Und je mehr es werden, desto schwieriger haben es die „Unsere-Demokratie-Demokraten“ jene an den Pranger zu stellen, die für Veränderung eintreten. Herr Gesang hat alles richtig gemacht. Sollen die „Guten“ halt jetzt rumheulen. Nützen wird es ihnen nichts.

MartinKienzle
21 Tage her

Der gegenwärtige Kampf in unserem Vaterland führen die sogenannten „Anywheres“, sprich die sogenannte „Elite“ der BRD, der Heimat fremd ist und die vor jenem Hintergrund danach strebt, eine Einheitswelt zu erbauen gegen die sogenannten „Somewheres“, ergo Autochthonen, die deren Heimat im umfassenden Sinne bewahren möchten (https://www.zukunftsinstitut.de/zukunftsthemen/somewheres-anywheres), das die Erklärung bildet, weshalb die AfD, die unzulänglich die Interessen des indigenen Deutschen Volkes vertritt, seitens der sogenannten „Elite“ der BRD unnachgiebig angefeindet wird, das unter anderem in Waldkappel ersichtlich ist, das allerdings alltäglich bizarrer wird, da die sogenannte „Elite“ der BRD mitnichten obsiegen wird, wenngleich sie unentwegt sich der Propagandabegriffe wie „Ausländerfeind,… Mehr

Wursthans
21 Tage her

Die sollen mal alle schön ins Portrait gehen
und ne Friedenspfeife rauchen.
Dann wird alles wieder gut.

Biskaborn
21 Tage her

Herrlich wie sie hysterieren die Linken! Man merkt Einsicht, Argumente, Nachdenken sind für diese Ideologen absolute Fremdworte, das ist das Gefährliche in dieser Gesellschaft!

Siggi
21 Tage her

Was wohl fürceinbE3dbeben entstehen würde/wird, wenn der ehrenwerte Herr Dr. Maaßen der AfD beitritt. 8 auf der Richterskala. Die klammheimliche Freude würde ein schon seit langem gewünschtes und erhoffte Glücksgefühl auslösen, aber auch einige verzerrte Gesichter erzeugen.

Ach, wäre das schön.

Turnvater
21 Tage her
Antworten an  Siggi

Herr Maaßen soll mal schön da bleiben, wo er ist.

Eine rechte Sahra Wagenknecht – Variante braucht niemand.

Siggi
21 Tage her
Antworten an  Turnvater

Wie kommen Sie darauf? Auch wenn sich Herr Dr. Maaßen immer noch mit denen abgibt, die ihn zu Unrecht übel behandelt haben, ist er immer noch integer!

Rainer Schweitzer
21 Tage her

CDU, SPD und Grüne merken gar nicht, daß sie allen, die auch nur partiell eine andere Politik wollen und nicht der mehrfach umbenannten Mauermörderpartei anhängen, tatsächlich keine andere Wahl mehr lassen als die AfD, selbst dann, wenn sie einzelne Positionen dort ablehnen. „Was als Skandal verkauft wird, ist für viele in seiner Generation schlicht ein Versuch, überhaupt noch etwas politisch zu bewegen.“„Die AfD wirkt auf viele junge Menschen schlicht als logischer Ort für Wandel. Nicht, weil sie radikal wären, sondern weil alles andere so radikal festgefahren wirkt.“ Das betrifft beileibe nicht nur junge Mitglieder. Wer, gerade auf der kommunalen und… Mehr

horrex
21 Tage her
Antworten an  Rainer Schweitzer

Obige bemerken schon, dass Andere eine andere Politik wollen.
Nur fehlen ihnen in ihrer Verbohrtheit offenbar ein paar cerebrale Valenzen um sich/etwas zu ändern. Wie soll doch Einstein gesagt haben: Dummheit ist, immer wieder dasselbe zu tun und gleichzeitig darauf zu hoffen das etwas Anderes dabei rauskommt. –