Georg Diez bei Spiegel-Online still und heimlich fort

Nein, die Welt wird nicht besser oder schlechter ohne aufgepumpte politische Texte eines früher mitunter lesenwerten Feuilletonisten, der aus den USA als Weltverbesserer zurückkam und dabei vergaß, dass er als solcher schon rüber gemacht hatte.

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Die Kolumne des Georg Diez ist nicht mehr. Ungefähr zeitgleich mit Erscheinen eines neuen Buches des Journalisten verschwand Georg Diez aus der Riege der SPON-Kolumnisten. Zwei Nachfragen bei der Online-Redaktion blieben bisher unbeantwortet. SPON und auch Diez selbst nahmen dazu bisher keine Stellung. Das darf man ungewöhnlich finden, wenn ein Autor so lange schon an so einem viel beachtenden Platz wöchentlich tätig ist. Auch der Stammleserschaft gegenüber, die es ja auch bei Diez gegeben haben muss, kann man so ein Verhalten merkwürdig bis unhöflich empfinden. Welcher Drama-Queen-Akt mag hinter diesem allseitigen Schweigen stecken?

Die Kolumne „Der Kritiker“ von Georg Diez wurde nun bei Spiegel Online still und heimlich entsorgt. Der letzte Eintrag ist vom 09.09. 2018. Diese letzte Kolumne trägt den Titel „Die Krise der Konservativen“. Anschließend verschwand Diez vom Radar bei „SPON – Die Kolumnisten“ samt Foto und Einträgen, die jetzt nicht mehr am üblichen Platz abrufbar sind und nur per Suchmaschine gefunden werden können.

— Florian Schroeder (@Schroeder_Live) October 9, 2018

Einmal Harvard und zurück

Nun war Georg Diez schon einmal für längere Zeit weg. Aber er war nicht nur einfach weg, er inszenierte seinen damaligen Abgang wortreich in einer vorerst letzten Kolumne am 28.08.2016, als es da hieß: „Autoritäre Systeme, Radikalismus, Kapitalismus – was ist das für eine Zeit, in der wir leben? Der Kritiker zieht sich nach Harvard zurück, um zu erforschen, wie die Zukunft der Demokratie aussehen könnte.“

Diez sparte damals nicht an großen Worten, sparte nicht an Pathos und Selbstbespiegelung, als er damals sein Sabbatical von sich selbst, von seiner SPON-Kolumne nahm und seine letzte Kolumne eröffnete, als wäre dieser kurze Text der Beginn eines großen tragischen Epos:

„Was ist die Zeit, in der wir leben – das ist es, was ich wissen will, jeden Tag, mit jedem Wort, das ich schreibe, das ist es, was ich auch mit dieser Kolumne herausfinden wollte und will, jede Woche neu: einer Kolumne, die ich immer so gern geschrieben habe, weil ich oft selbst nicht wusste, wohin mich die Gedanken führen würden.“

Diez ging 2016 für ein Jahr in die USA, um nach Selbstauskunft herauszufinden, wie eine Demokratie im 21. Jahrhundert aussehen könnte, die sich „von den Zwängen eines Kapitalismus befreit (…) Das ist es, womit ich mich im kommenden Jahr beschäftigen werde …“ und weiter: „Ich weiß, dass die Aufgabe etwas größenwahnsinnig ist …“

Diez kündigte an, ein Jahr lang an der Universität Harvard an einer „Mischung aus Akademie und Praxis“ teilzunehmen. Er kam dann tatsächlich ein Jahr später zurück, schrieb wieder seine Kolumne und war leider auch großenwahnsinnig geworden. Was allerdings nicht stimmte, war, was er seinen Lesern damals im ersten Aufguss einer letzten Kolumne versprach: „Ich werde als ein anderer zurückkehren.“ Diez war Diez geblieben. Er war sogar noch viel mehr Diez geworden. Wir haben hingeschaut. War es dieses Noch-mehr-Diez, was nun für SPON nicht-mehr-erträglich war?

Widerstand gegen den aktiven Widerstand?
Georg Diez im Widerstand gegen Bedeutungslosigkeit - hinter der Tastatur als Waffe
Eine seiner letzten Kolumnen nach seiner letzten Kolumne (ja, es wird kompliziert, wenn man sich immer wieder neu trennt) nach seiner Reise in die Staaten rief zum Widerstand auf. Aber sein Sofa-Widerstand stachelte nur, insistierte, wollte nur andere bewegen, aktiv zu werden, während sich Diez hinter seine Tastatur zurückzog und vom Ideal einer „undogmatischen Menschlichkeit“ fabulierte. „Es sind Memes, es sind Fiktionen, die notwendig sind, um die Wirklichkeit zu verändern.“, schrieb Georg Diez. Und damit war dann auch alles gesagt, als Diez zu jenen gehören wollte, die davon träumen, die Wirklichkeit der anderen nachhaltig zu verändern. An der Tastatur. Im deutschen Größenwahn, den er ja selbst für sich fürchtete, als er seine Reise in die USA erklären wollte.

Eine große Übersättigung, offensichtlich eine Langeweile und ein Beleidigtsein ob der fehlenden Aufmerksamkeitssteigerung, als niemand wirklich seinen Erkenntnissen lauschen wollte, die noch schriller geworden waren als noch zuvor, als Diez mit „Lösungen“ für Deutschland im Gepäck seine Arbeit für seine SPON-Kolumne wieder aufnahm.

Abgesang
Mesut Özil tritt zurück: das Drama ist zu Ende
Nun ist er einfach verschwunden. Diez fliegt jetzt unter dem Radar. Wüssten wir schon um die Hintergründe der Kündigung, könnten wir Georg Diez immerhin noch zu Gute halten, dass er verstanden hat, dass man sich nicht immer wieder neu verabschieden kann wie ein junges Mädchen, das mit sich und der Liebe noch so furchtbar ringt. Ja doch, manchmal muss man einfach für immer wegbleiben, um andere Ufer zu entdecken. Möglicherweise ist ja das neue Buch des Journalisten, der auch Autor ist, so ein rettendes Ufer.

Manchmal aber hilft es einfach auch, einen Moment lang kleinere Brötchen zu backen. Einfach mal still sein. Nein, die Welt wird nicht besser oder schlechter ohne solche aufgepumpten politischen Texte eines früher mitunter lesenwerten Feuilleton-Journalisten, der aus den USA als Weltverbesserer zurückkam und dabei vergaß, dass er als solcher schon rüber gemacht hatte.

Kolumnist nun verzweifelt gesucht? Eigentlich nicht.

Ein kleines Abschiedsgeschenk an den in Selbstsicht größten Kolumnisten aller Zeiten wollen wir uns aber dennoch nicht verkneifen: Ein finnisches Sprichwort: „Guter Rat ist wie Schnee, je leiser er fällt, desto länger bleibt er liegen.“ Und ein Satz von Timur Vermes. Der schreibt in „Er ist wieder da“: „Es war sofort ersichtlich, dass er nicht um die Macht der Stille wusste, sondern sie eher fürchtete.“

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