Josef: Bleiben oder gehen?

Am ersten Sonntag in der Weihnachtsoktav feiert die Kirche das Fest der Heiligen Familie. Ein willkommener Anlass, den Menschen zu betrachten, der in ihr – trotz aller Widrigkeiten - die Vaterrolle annahm und ausfüllte, der für sie sorgte und sie beschützte.

Von Josef wissen wir wenig, aber zumindest schon einmal den Namen. Und der sagt bereits viel aus. Josef hieß auch der Mann mit dem bunten Rock und den verrückten Träumen, der Lieblingssohn von Jakob, der von Gott «Israel» genannt wurde. Dieser Josef sticht unter den biblischen Helden in mehrfacher Hinsicht positiv hervor. Er zeigt zwar jugendliche Allüren, die man als Hochmut interpretieren kann, zeichnet sich aber anschließend durch einen einwandfreien Lebenswandel aus. Er ist das unschuldige Opfer von neidischen Brüdern. Gott verhilft dem intelligenten, integren Josef zu großer Macht, die der aber nie egoistisch ausnutzt. Als Sklave widersteht er den Verführungskünsten seiner lasziven Herrin. Und als er als mächtigster Regierungsbeamter der Welt seinen schuldigen Brüdern gegenübertritt, vergibt er ihnen ohne jeden Anspruch auf Wiedergutmachung.

Josef ist die Lichtgestalt unter den Söhnen Israels und gleichzeitig der einzige unter ihnen, der keinen nach ihm benannten israelitischen Stamm begründet. (Als «Kompensation» werden seine Söhne Ephraim und Manasse zu Stammvätern berufen.) Er ist in jeder Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung.

Der Name Josef bedeutet: «Er fügt hinzu». Im Fall des neutestamentlichen Josef ist klar, was Gott hinzufügt: sich selbst.

Anders als bei Maria kennen wir den Stammbaum ihres Verlobten Josef. In diesen Stammbaum, der unter anderem zurückgeht auf den König David, wird Jesus nicht hineingeboren, sondern hineinadoptiert. Nach damaliger Rechtsauffassung lief das auf das Gleiche hinaus.

»Pardon, ich bin Christ!«
Eine Weihnachtspredigt für Heiden
Beide Evangelisten, die über die Geburt von Jesus berichten, nehmen sich die Zeit, den Stammbaum ausführlich offenzulegen. Für Matthäus, der vor allem für ein jüdisch-christliches Publikum schreibt, zeigt die Ahnentafel, dass Jesus den Titel «Sohn Davids» zu Recht trägt. Lukas wendet sich an ein römisch-griechisches Publikum, und dort sind Stammbäume generell von großer Bedeutung. (…)

Josef kann sich von seinem Stammbaum materiell wenig kaufen. Er arbeitet als Zimmermann, was die Tätigkeiten eines Schreiners, Architekten und Bauarbeiters miteinschließt. Anders als bei den Griechen und Römern ist eine solche handwerkliche Beschäftigung bei den Juden keinesfalls verpönt. Einige angesehene Laien-Theologen gehen derselben Tätigkeit nach. Die Pharisäer-Bewegung rekrutiert aus der Handwerksbranche viele ihrer eifrigsten Nachfolger. Allerdings darf man sich Josef nicht als Chef eines Schreinerbetriebs vorstellen, eher als Auftragsarbeiter, der mithalf, wo er gebraucht und bezahlt wurde.

Matthäus bezeichnet Josef als «fromm». Auf eine konservativ-patriotische Haltung, vermutlich mit pharisäischem Einschlag, lassen auch die Namen schließen, die Josef seinen Söhnen gibt. Neben Jesus sind das Jakobus (eigentlich Jakob, vermutlich benannt nach dem Vater von Josef, der laut Matthäus auch Jakob hieß), Judas (benannt nach dem Stammvater, vielleicht auch nach Judas, dem Makkabäer), Josef (wie der Vater) und Simon (wie Simon, der Makkabäer). Stopp. Wie war das eben? Söhne??? Dass Jesus in einer Großfamilie aufwuchs – mit mindestens sechs Brüdern und Schwestern – wird von mehreren neutestamentlichen Schriften bezeugt. Alle Versuche, in die entsprechenden Stellen «Cousins» und «Cousinen» hineinzulesen, klingen nicht sonderlich überzeugend und kommen aus einer Zeit, in der sexuelle Askese als hohes Frömmigkeitsideal gepriesen wurde.

Es könnte allerdings sein, dass es sich bei den Jesus-Geschwistern um Kinder aus einer ersten Ehe von Josef handelte. Danach wäre Josef ein Witwer und viele Jahre älter als Maria gewesen. Das ist möglich. Für wie plausibel man diese Variante hält, hängt nicht zuletzt davon ab, ob man bei Maria eine lebenslange Jungfräulichkeit für dogmatisch geboten hält oder nicht. In vielen Christen der ersten Jahrhunderte sträubte sich alles gegen die Vorstellung, Maria wäre nach der Geburt Jesu zur ehelichen Tagesordnung übergegangen. Es gab aber auch Gegenstimmen, die auf einen Vers im Matthäus-Evangelium verwiesen. Dort heißt es von Josef: «Er schlief nicht mit Maria bis zur Geburt.» Damit deutete der Evangelist doch an, dass Maria und Josef nach der Geburt wie ganz normale Eheleute miteinander umgegangen sind. Oder nicht?

"Siehe ich verkündige Euch große Freude ..."
Der gefährliche Weg nach Bethlehem und eine schwere Geburt
Chromatius, ein Bischof im nördlichen Teil von Italien und ein Zeitgenosse des Kirchenvaters Augustinus, kannte das Argument und lehnte es kategorisch ab. Ungefähr um das Jahr 400 gab er zwar zu, dass die Matthäus-Passage sehr unterschiedlich ausgelegt wurde: «Es gibt nicht wenige rücksichtslose Leute, die dauernd danach fragen, ob die heilige Mutter Maria nach der Geburt des Herrn nicht doch sexuelle Beziehungen mit Josef hatte.» Diese Frage müsse aber entschieden verneint werden: «Es ist nicht plausibel, dass die Maria des Evangeliums – eine Jungfrau, die Gott in sich getragen hat, die Gottes Herrlichkeit nicht bloß in einer Wolke gesehen hat, sondern Wert geachtet wurde, Gott in ihrem jungfräulichen Bauch zu tragen – sich anschließend mit einem Mann vereinigte.» Genauso absurd sei die Annahme, dass Josef, «der Mann, der immer das Richtige tat, mit der heiligen Maria nach der Geburt des Herrn schlief». (…)

Egal, ob Josef ein junger Mann von Anfang oder Mitte 20 war, dem durchschnittlichen Heiratsalter für galiläische Männer, oder schon zehn Jahre älter: Feststeht, dass er kein seniler Greis war, sondern ein kerniger Typ. Sein Namensvetter Josephus (Flavius Josephus, jüdisch-hellenistischer Historiker – Anm. d. Red.), der ursprünglich auch Josef hieß, betont die muskulöse Freiheitsliebe der galiläischen Männer: «Sie sind von früher Jugend an kriegerisch und außerdem zahlreich. Weder Feigheit bei seinen Männern noch Männermangel hat jemals das Land bedroht.»

Doch dann passiert etwas, das den stolzen Josef in seinen inneren Grundfesten erschüttert.

«Ehe er sie heimholte», so berichtet Matthäus, hat Maria ihm etwas mitzuteilen. Sie berichtet ihm von der Engel-Erscheinung.

Josef glaubt ihr nicht. Er steckt in einem Dilemma. Einen Bastard großzuziehen, das kommt für ihn nicht in Frage. Selbst wenn er sich dazu durchringen könnte, wäre sein Ruf ruiniert. Seine Nachbarn werden sich ausrechnen können, dass die Zeugung des Kindes vor der Hochzeit stattfand. Entweder ist er blamiert als Wüstling, der mit dem Sex nicht bis zur Eheschließung warten konnte, oder als gehörnter Vater eines Kuckuckskinds.

Er könnte sich jetzt von Maria trennen. Rechtliche Probleme gibt es keine. Nach Auffassung mancher jüdischer Tora-Experten reichen schon ein versalzenes Essen oder auch nur die mangelnde Attraktivität der Gattin als Scheidungsgrund. Eine Verlobung lässt sich deshalb ohne Probleme auflösen. Aber irgendetwas hält ihn davon ab, sich öffentlich von Maria loszusagen. Vielleicht haben ihre Beteuerungen doch bei ihm verfangen. «Er wollte sie nicht in Schande bringen», berichtet der Evangelist Matthäus, «plante aber, sie heimlich zu verlassen.»

Auf dem geraden Weg
Eine katholische Familie unter der Naziherrschaft
Eine geräuschlose Trennung ist in Nazareth, wo jeder jeden kennt, freilich nicht möglich. Beabsichtigt Josef, sich aus dem Staub zu machen? Vielleicht in den Süden des Landes, in der Nähe von Jerusalem? Oder nach Ägypten, wohin es viele Juden auf der Flucht vor dem brutalen Herodes verschlagen hat? Dass er sich mit einer solchen Flucht selbst in ein schlechtes Licht stellt, will Josef offenbar hinnehmen. Er verzichtet offensichtlich auch darauf, von Marias Eltern den traditionellen Brautpreis zurückzufordern, den er oder seine Eltern bezahlt haben. Er verhält sich wie ein echter Gentleman.

Unbeschadet wäre Maria allerdings auch nicht zurückgeblieben, wenn Josef still und heimlich verschwunden wäre. Das Stigma der unehelichen Geburt hätte an ihr gehaftet – und an Jesus der Makel, ein Bastard zu sein. Ganz wird dieser Verdacht übrigens nie ausgeräumt werden.

Josef will nicht die für ihn bequemste Lösung. Er will das Richtige tun – auch für Maria. Gott macht Josefs Grübeleien ein Ende. Er lässt Josef von einem Engel träumen. Der Engel klärt Josef über die Hintergründe von Marias Schwangerschaft auf. Nun fügt sich Josef und willigt in eine Hochzeit ein.

Was bleibt, ist das Reputationsproblem. Wie kann man das Getuschel vermeiden, das losgehen wird, wenn die voreheliche Zeugung des Kindes nicht mehr geleugnet werden kann? Ideal wären eine rasche Hochzeit und ein baldiger Ortswechsel. Dahin, wo Maria in aller Anonymität ihr Kind zur Welt bringen könnte, um nach einer gewissen Frist dann nach Nazareth zurückzukehren. Imageverlust abgewehrt.

Zu Hilfe kommt den beiden Verlobten die Großmannssucht der Herrschenden. Der Evangelist Lukas berichtet, dass Augustus eine Volkszählung anordnet. Ein solcher Vorgang war damals durchaus üblich, um die Anzahl der steuerpflichtigen Untertanen und ihre Vermögensverhältnisse zu ermitteln. Allerdings gehörten die jüdischen Gebiete damals gar nicht zum römischen Imperium und lag die Steuerhoheit beim König Herodes. Zwar berichtet der jüdische Historiker Josephus von einer reichsweiten Volkszählung, datiert sie aber für das Jahr 6 nach Christus. Das heißt nicht, dass es so gewesen sein muss. Josephus unterlaufen, wenn es um Zahlen und Daten geht, immer wieder gravierende Fehler. Auch die wichtigsten römischen Historiker für diesen Zeitraum, Livius und Cassius Dio, helfen nicht weiter. Ihre Ausführungen zu den Jahren der Zeitenwende sind größtenteils verschollen.

Es gibt einige Anhaltspunkte dafür, dass Lukas richtigliegt. Für das letzte Jahrzehnt vor der Zeitenwende sind zahlreiche römische Volkszählungen dokumentiert. Der Kontrollfreak Augustus wollte genau wissen, über wie viele Untertanen er herrschte. Dabei unterschied er nicht genau zwischen römischen Provinzen und solchen Gebieten, die offiziell unabhängig waren, aber informell zu seinem Machtbereich gehörten. Wie eben Judäa und Galiläa.

Sie folgten dem Stern
Die Weisen am Hof des Herodes auf dem Weg zum messianischen Kind
Ins Bild passt auch ein Trend, der um dieselbe Zeit das ganze Römische Reich erfasste. Die von Rom abhängigen Herrscher wetteiferten um die Gunst von Augustus. Sie bauten Tempel, in denen er als Gott angebetet wurde, veranstalteten Feste zu seiner Ehre, benannten Städte nach ihm. Der letzte Schrei, um sich bei Augustus einzuschmeicheln, war ein Treue-Eid. Diesen Schwur mussten alle Untertanen der jeweiligen Provinzfürsten leisten.

Heute kennt man sogar den Wortlaut der Schwurformel. Sie findet sich eingraviert auf zeitgenössischen Steintafeln. Die Untertanen schworen bei ihren Göttern, sich mit allen Kräften für das Wohlergehen von Augustus und seiner ganzen Familie einzusetzen. «Seine Freunde sollen auch meine Freunde sein, und seine Feinde meine Feinde», ist auf den Tafeln zu lesen. «Wen Augustus zu seinem Feind erklärt, den will ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Waffen über Land und über das Meer verfolgen. Sollte ich diesen Eid jemals brechen, dann sollen ich und meine Kinder auf alle Ewigkeit verflucht sein.» (…)

Auch Herodes verpflichtete seine Untertanen zu einem solchen Eid. Er hatte Augustus mit einer sinnlosen militärischen Aktion verärgert und beeilte sich nun, wieder Boden gut zu machen. Vermutlich im Jahr 6 vor Christus ordnete Herodes den Massen-Schwur an. Auch ihm selbst sollten die Juden bei dieser Gelegenheit die Treue schwören. Welche Formel ihnen vorgeschrieben wurde, ist nicht bekannt. Die meisten Untertanen gehorchten. Nur einige Tausend Pharisäer weigerten sich und mussten zur Strafe eine hohe Geldbuße zahlen.

Ein solcher Massen-Schwur setzte voraus, dass die Anzahl der Untertanen bekannt war. Es musste also gezählt werden, in Judäa genauso wie in den anderen Teilen des Römischen Reichs. Josef ergriff die Gelegenheit beim Schopf. Wie sein Vorfahre David stammten auch seine unmittelbaren Ahnen aus Bethlehem in Judäa. Er hatte dort eventuell ein wenig Landbesitz und somit einen Vorwand, mit Maria dorthin zu reisen. Offenbar hatte Maria die Schwangerschaft bisher verheimlichen können.

Vor der Abreise feiern Josef und Maria Hochzeit. Die Feier bleibt sicher unter dem normalen Standard. Sie muss schnell über die Bühne gehen. Maria kann ihren Schwangerschaftsbauch vermutlich unter der Brautkleidung verbergen. Kurz darauf ziehen sie und Josef los. (…) Was sie bei ihrem Abschied nicht ahnen:

Viele der Menschen in Nazareth und Umgebung werden sie nie wiedersehen, weil diese einer schrecklichen Katastrophe entgegengehen. Einem Massaker und einer Massendeportation. Die Reise nach Bethlehem rettet Josef und Maria womöglich das Leben.

Leicht gekürzter Auszug aus:
Markus Spieker. Jesus. Eine Weltgeschichte. Fontis Verlag, Hardcover mit Überzug, goldfarbenes Vorsatzpapier und Lesebändchen, 1004 Seiten, 30,00 €.


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Kommentare ( 2 )

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2 Comments
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Monika Medel
2 Jahre her

In der damaligen Zeit bezeichnete man alle als „Arme“ die mit handwerklicher Arbeit ihr Brot verdienten, auch wenn man sich zum Brot noch einiges dazu leisten konnte. Das Ideal war der Gelehrte der sich die Hände nicht schmutzig machte, auch wenn er aus dem letzten Loch pfiff. Es handelte sich bei Josef und Jesus übrigens nicht nur um Zimmerleute sondern um Fachhandwerker für alle Holzarbeiten was auch Schreinerei und Drechslerei umfasste, die griechische Bezeichnung ist da umfassender. Möglicherweise besaß Josef auch ererbtes Land in Bethlehem, das führe ich jetzt mal näher nicht aus. Eine Unterkunft zusammen mit Tieren war früher… Mehr

Andreas aus E.
2 Jahre her

„Allerdings darf man sich Josef nicht als Chef eines Schreinerbetriebs vorstellen, eher als Auftragsarbeiter, der mithalf, wo er gebraucht und bezahlt wurde.“ Das wage ich zu bezweifeln. Jesus wird in Jerusalem „Sohn des Zimmermanns“ genannt. Ich deute das so, daß Schreinermeister Josef im ganzen Land bekannt war, gutverdienender, gehobener Mittelstand, etwa so wie heute überregional bekannte Architekturbüros. Daß ich das mit „arme Leute im Stall“ für frömmelnde Auslegung bzw. Propagandapredigt halte, hatte ich ja schon mehrfach notiert: Meiner Meinung nach hatte der wackere Mann schlicht zu spät ein anständiges Hotelzimmer gebucht, vermutlich brummte daheim das Geschäft, aber immerhin konnten er… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Andreas aus E.