Coole Fälle für heiße Tage: Eddie Flynn ermittelt

Wer, wie ich, versucht, sich gelegentlich kleine fiktionale Auszeiten zwischen Ampel-Krach, Klima-Klebern und entgleisenden Weltkonflikten zu gönnen, sucht für die knappe Freizeit erzählerische Punktlandungen. Steve Cavanaghs Eddie-Flynn-Reihe ist eine solche Entdeckung. Von Ralf Schuler

Manchmal sind die vermeintlich leichten Dinge besonders schwer. Einen guten Krimi zu schreiben, zum Beispiel. Steve Cavanagh ist es mit seiner Reihe um Eddie Flynn gelungen.

Flynn ist eine Kunstfigur, die mit allem ausgestattet ist, was ein Multifunktionsheld braucht: zerrüttete Verhältnisse, Ex-Alkoholiker (der anders als Jo Nesbøs Harry Hole allerdings nicht ständig abstürzt), ehemaliger Trickbetrüger mit großer Fingerfertigkeit. Er hat auf den rechten Weg eines versierten Strafverteidigers in New York zurückgefunden, ist selbstverständlich ein grundguter Menschenfreund mit unerschütterlichem Gerechtigkeitsempfinden, hochgewachsen, kräftig, nicht nur mit Sprüchen schlagfertig, irgendwas in den dreißiger Jahren und ringt ständig mit seiner zerbrochenen Beziehung zu Exfrau Christine und Tochter Amy, die alles für ihn sind. Puh.

Das ist – zugegeben – ein etwas durchsichtiges Konstrukt, aber langweilige Helden braucht schließlich niemand. Wer einen schüchternen Grübler und Hänfling spannend findet, ist bei Eddie Flynn an der falschen Adresse. Der Vorteil seiner randvollen Vita besteht darin, dass er sich glaubhaft in fast allen Lebenslagen bewegen, Schurken k.o. schlagen, Rivalen unbemerkt Dinge aus der Tasche ziehen und gleichzeitig mit allen Tricks eines Star-Anwalts arbeiten kann. Er ist Kumpel der Gerichtsdiener und Knastwärter und wird von Cavanagh so liebevoll als Ich-Erzähler geführt, dass man sich gern auf ihn einlässt.

Erzählt mit meisterhafter Rhythmik

Überhaupt ist die Erzählweise des Autors das wirklich Faszinierende. Cavanagh zeichnet Figuren, Situationen und Gedanken mit jener meisterhaften Rhythmik, wie sie nur wenige (zum Beispiel Raymond Chandler und sein Held Philip Marlowe) beherrschen. Ein oder zwei Sätze zur Beschreibung der Lage, dann zur Sache, Dialog oder weiter im Fluss. Nur die nötigen Striche, keine eitle Autorenselbstdarstellung durch unnötiges Ausmalen der Szenen mit rhetorischem Nichts.

Reflexionen sind knapp und handlungsdienlich und doch auch intensiv. Und dann sind da natürlich Sprüche, an denen ich zumindest meinen Spaß habe: „Er hielt eine gewaltige Faust in die Höhe, und ich stieß mit meiner dagegen. Es war, als würde ein Marshmallow eine Abrissbirne berühren.“

Ein Prachtband - voluminös wie sein Autor
Chesterton war das Gegenteil von woke. Er war ein Kerl
Obwohl die Fälle von Eddie Flynn eigentlich als Anwaltsgeschichten daherkommen, sind die Grundkonstellationen doch schon so scheinbar unauflösbar und spannend, dass es ein intellektuelles Vergnügen ist, der Auflösung beizuwohnen. Dass sie sich regelmäßig zu dramatischen Ermittlungs- und Actionhandlungen zuspitzen, kommt dann noch hinzu. Im jüngsten Fall „Fifty Fifty“ stehen zwei Schwestern unter der Anklage, ihren Vater grausam getötet zu haben. Was immer auch an Indizien auf den Tisch kommt, es trifft auf beide zu und hilft nicht, die eiskalte Killerin von der Unschuldigen zu unterscheiden.

Einblicke ins US-Rechtssystem inklusive

In „Thirteen“ sitzt ein raffiniert vorgehender Serienkiller selbst in der Jury, die am Ende das Urteil fällen soll, kennt also den Stand der Ermittlungen und der Verhandlung und ist Flynn immer einen Schritt voraus. Und noch etwas macht die Thriller mit Eddie Flynn so spannend: Der Autor Steve Cavanagh flicht in die Handlung immer wieder sehr nüchterne Einblicke in das anglo-amerikanische Rechtssystem mit seinen Deals, mächtigen Richtern und Psychotricks zur raffinierten Lenkung der Geschworenen ein. In vielen Fällen geht es eben nicht um die Wahrheit und darum, was wirklich passiert ist, sondern um eine Art Juristen-Schach um Sieg und Niederlage, bei dem der Angeklagte nur eine Figur auf dem Spielfeld ist und durch ein falsches Geständnis mehr erreichen kann, als mit dem Beharren auf seiner Unschuld.

Cavanagh wuchs in Belfast auf, zog mit 18 nach Dublin und jobbte neben dem Jura-Studium als Tellerwäscher, Türsteher und Callcenter-Agent. Vielleicht macht das seine Bücher so dicht und authentisch. Vor allem aber ist es die meisterhafte Erzählweise, die Jörn Ingwersen auf sehr gelunge Weise ins Deutsche übertragen hat, die die verwickelten Handlungen zu einem Lesegenuss machen, den man am Ende eines Buches sofort mit dem nächsten fortsetzen möchte.

Wenn Sie Krimis mögen: Lesen Sie Steve Cavanagh!

RALF SCHULER wuchs im Ost-Berliner Stadtteil Köpenick auf. Er wurde mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet, arbeitete für „Die Welt“, die „Märkische Allgemeine Zeitung“ und war bis 2022 Leiter der Parlamentsredaktion der „Bild“ in Berlin. Jetzt bei Rome Media tätig. Zuletzt veröffentlichte er: Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde.


 

Alle fünf bisher auf Deutsch vorliegenden Bände der Eddie-Flynn-Reihe sind im TE Shop erhältlich (und müssen nicht der Reihe nach gelesen werden!):

Steve Cavanagh, Zu wenig Zeit zum Sterben. Der erste Fall für Eddie Flynn. Goldmann Verlag, Klappenbroschur,  512 Seiten, 12,00 €

  • Gegen alle Regeln. Der zweite Fall für Eddie Flynn. 576 Seiten, 12,00 €
  • Liar. Der dritte Fall für Eddie Flynn. 512 Seiten, 16,00 €
  • Thirteen. Der vierte Fall für Eddie Flynn. 544 Seiten, 13,00 €.
  • Fifty Fifty. Der fünfte Fall für Eddie Flynn. 512 Seiten, 15,00 €.
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