Weihnachten und Heimat siedeln nah beieinander

Die Wohlstandskids von heute, die über so etwas wie Weihnachten und Heimat im besten Fall als Marotten von alten weißen Männern und Frauen lächeln, wenn sie uns dafür nicht verachten, verstehen das nicht.

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Aus dem Küchenfenster des Gemeindebaus, in dem ich aufwuchs, sah ich die Dorfkirche und den Kirchenwirt, aus dem Fenster des Zimmers, in dem Großmutter und ich schliefen, die Papierfabrik, von der 80 Prozent der 2.500 Dorfbewohner (davon 2.400 Zugewanderte) lebten. Die SPÖ hatte bei Wahlen selten weniger als 70 Prozent.

Aber Weihnachten waren alle katholisch. Katholisch war und ist in weiten Teilen des alten Österreichs (Slowenien, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Friaul, Venetien und so weiter) auch heute nahezu unverändert keine Religion, sondern eine Lebensart, eine dem Leben und seinen kleinen Freuden fröhlich zugewandte, recht liberale Kultur.

Sogar den Zölibat regelte damals in meiner Kindheit dieses Katholische selbst. Wenn der Pfarrer Sonntag nachmittags seinen Ausflug in die nahe Stadt zu Fuß machte, verringerte sich der Abstand zwischen ihm und seiner Pfarrersköchin mit zunehmender Entfernung vom Dorf von ursprünglich etlichen Schritten auf Null. Alle wussten es und hielten es für absolut normal und richtig.

Weihnachten war für mich von klein an das größte Ereignis des Jahres. Ja, Ostern war nett, da gab’s gutes Essen, und das galt für diesen und jenen anderen Anlass auch. Aber ans Herz ging nur Weihnachten, die stimmungsmäßig vom ersten Adventssonntag bis Dreikönig anhielten. Daran hat sich bei denen, auf deren Gesellschaft ich Wert lege, nie etwas geändert. Im Gegenteil, jetzt in den etwas älteren Jahren, nimmt dieses Bedürfnis auf besinnliche Tage eher noch zu. Meinen Nachbarn geht es nicht anders, wie wir uns dieser Tage wieder einmal in gemütlicher Runde versicherten.

Ingrid Ansari schrieb besorgt: Das, was uns bisher kulturell geprägt hat, was uns Orientierung geboten hat, soll aufgebrochen werden. Alles, was einmal ein gewisses Maß an Geborgenheit und Sicherheit bedeutete, sollte schon damals weg: die traditionelle Familie, die christlichen Traditionen, Bürgersolidarität, Bindung und Kontinuität, Formen des Umgangs und des Respekts, Achtung der Intimsphäre und Taktgefühl. Heimat, Nation und Familie wurden zum Inbegriff dessen, wovon man sich abzusetzen hatte. Das gilt auch für Menschen, die heute – ermutigt durch einen Pakt, der Migration zu einem Menschenrecht macht – entwurzelt und desorientiert durch die Welt irren und sich nirgends mehr zuhause fühlen können.

Weihnachten und Heimat siedeln ganz nahe beieinander. Weihnachten musste in der Ferne oft für Viele für ein paar Tage Ersatzheimat sein. Viele von jenen aus anderen Teilen der Welt haben auch irgendetwas, was für sie Weihnachten auf ganz andere Weise ist. Sie haben es in ihrer Heimat zurückgelassen und werden es, wie ich aus vielen Gesprächen und Erlebnissen weiß, immer vermissen – auch noch nach Jahrzehnten.

Die Wohlstandskids von heute, die über so etwas wie Weihnachten und Heimat im besten Fall als Marotten von alten weißen Männern und Frauen lächeln, wenn sie uns dafür nicht verachten, verstehen das nicht. Sie tun mir leid, weil sie nichts haben, womit sie ihren Gefühlshaushalt auffüllen könnten. Und Menschen ohne Sehnsucht nach Gefühl, nach Nähe, nach Geborgenheit gibt es nicht. Auch wenn man sich das in jungen Jahren einreden kann. Der Tag der unüberbrückbaren Leere kommt.

Ich bin froh, dass ich meine Weihnachten immer behalten habe, selbst in meinen politischen Sturm- und Drangzeiten. Die vergehen, Weihnachten nicht.

Dushan Wegner schreibt: Das Christentum ist nicht fehlerfrei, wahrlich nicht, doch es ist eine der besten Erfindungen der letzten zweitausend Jahre.  (Wegner meint das säkulare Christentum.) Weihnachten ist ein gutes christliches Erbe. Die Meinen und ich werden es hoch halten.

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Kommentare ( 26 )

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Johann Thiel
4 Jahre her

Wunderbare Worte zum Weihnachtsfest. Besonders schön beschrieben hat Herr Goergen das Wesen des Katholischen, dass auf einer Gelassenheit dem Leben gegenüber, und einem Leben und leben lassen besteht. Besonders bei der Zölibatgeschichte musste ich lachen, da ich diese nicht nur aus Erzählungen kenne, sondern auch in einem Zweig unserer Familie praktiziert wurde. Auch in meiner Kindheit gab‘s noch besagte Haushälterin bei unserem Pfarrer. Und das hielten nicht nur alle für normal und richtig – es war normal und richtig. Ja, alle wussten es. Das hatte etwas mit Wissen zu tun, mit Wissen über das Leben, ein Stück Bildung, Herzensbildung. Etwas… Mehr

Sabine W.
4 Jahre her

Weihnachten war auch tatsächlich mal anders als heute. Als Kind erlebt man das natürlich anders (und ‚früher war sowieso alles besser‘ – jaja… Und ‚früher war auch mehr Lametta’…) Nein, ich bin nicht besonders religiös aufgewachsen, aber Weihnachten war trotzdem etwas Besonderes. Plätzchenbacken mit Mama, Geheimniskungelei um kleine Geschenke (bloß nicht im elterlichen Kleiderschrank rumwühlen!), Adventskalender, Basteln mit Stroh, buntem Pergament. Dann der Weihnachtsbaum: Papas one and only ‚Selfmade-Produkt‘, die ganze Family knuddelte, es wurde ‚beschert‘, das Telefon (mit Schnur und Wählscheibe) klingelte (manchmal war sogar DDR-Verwandtschaft am anderen Ende dran – seltenes Ereignis). Traditionelles Weihnachtsfondue, danach Kekse, Nüsse, Pralinen,… Mehr

Nibelung
4 Jahre her

Das Zölibat und die Prohibition hatten eines gemeinsam, es mußte eingehalten werden und die wenigsten hielten sich daran und das war auch in meiner katholischen Enklave so, in der ich aufgewachsen bin, mit allen Freuden aus einer Großfamilie heraus und aufgewachsen in einer übersichtlichen Gemeinschaft, herangeführt an die kirchlichen Traditionen, keine Last sondern mehr Freude und die Prozessionen im Ort und die Hochämter an Feiertagen waren in der Stiftskirche legendär und jeder wollte auch als Ministrant mitwirken und auch Beerdigungen waren dem Anlaß entprechend würdig und mitfühlend und das alles hat geprägt, vom sonntäglichen Stammtisch nach der heiligen Messe bis… Mehr

Kassandra
4 Jahre her

Die Stones sangen schon von „mothers little helpers“.
Ich will gar nicht wissen, wie viele hier die Tage nicht ohne solche überstehen können.
Auch Kinder.
Und die im Görli haben ja auch ihre Kunden. Sonst würden sie da nicht stehen.

Sonnenschein
4 Jahre her

Schade, dass Sie in den ersten 2 Sätzen richtig einstimmen, wer erinnert oder besser gesagt kennt sich noch mit Rauhnächten aus? Um dann gleich wieder einen reinzuwürgen.

AngelinaClooney
4 Jahre her

Frohe Weihnachten Herr Goergen und ein gutes neues Jahr!
PS: Ich frage mich immer noch, wann die Lawine endlich rollt.

Waehler 21
4 Jahre her

Zeiten ändern sich mit den Menschen, die in ihr leben. Das kann man nicht aufhalten. Vielleicht für einen Wimpernschlag lang blockieren. Auch, hat es je die gute, alte Zeit gegeben?
Über alle Epochen, in denen Menschen sich gegen neue Notwendigkeiten gestemmt haben, sind für die Menschheit nicht gut ausgegangen. Aber auch in dem sie etwas neues ausprobiert haben , sind diese Zeiten auf Dauer, nicht gut ausgegangen.
Und über allem thront die Frage: Wozu das alles?
Wenn wir aber solche Tage wie Weihnachten nutzen, für uns persönlich, eine Antwort zu suchen, haben diese Tage schon ihren Sinn erfüllt.

H. Priess
4 Jahre her
Antworten an  Waehler 21

Innehalten, Revue passieren lassen, nachdenken was das Jahr war. Ich sagte am heiligen Abend zu meiner Mutter(stolze 90) aber top: Schau, es war ein gutes Jahr für mich persönlich. Es gab keine Katastrophen, meine Kinder und Enkel sind gesund und munter, ich war gesund, mein Hausarzt ist zufrieden mit mir, mein Neurologe auch und bei der Darmspiegelung hab ich wieder TÜF für drei Jahre bekommen. Ich habe all die vorhergesagten Katastrophen überlebt denn sie traten nicht ein. Mit der Gewissheit, daß auch die angekündigte Apokalypse nicht eintreten wird nehme ich das neue Jahr so wie es kommt. Ihnen wünsche ich… Mehr

Beobachterin
4 Jahre her

Werter Herr Georgen, ihrem erhebenden Beitrag entnehme ich: Heimat ist nichts für Anfänger. . Heimat ist schwierig. Sie ist nicht nur ein Ort, Geborgenheit, Familie oder Tradition. Heimat ist ein sehnsüchtiges Gefühl, das zu entwickeln es den Abstand der Jahre oder die Entfernung braucht. Heimat kristallisiert sich aus der Distanz, räumlich, zeitlich und emotional. Heimat ist wie Puderzucker für die Seele. (So sehe ich das, während ich gemütlich Lebkuchen und den letzten Rotwein genieße …) . In der Weihnachtszeit, die nicht rein zufällig auf die längsten Nächte des Jahres fällt, wandert dann der Blick ins Innere. Besinnlichkeit bestimmt die Zeit… Mehr

Andreas aus E.
4 Jahre her

„Die Meinen und ich werden es hoch halten.“

Ich auch.

Ostfale
4 Jahre her
Antworten an  Andreas aus E.

Wenn ich mich recht erinnere, so tue ich das daß siebzigste Jahr, erst mit Vater, Mutter und Schwester, später mit der eigenen Familie dazu. Gerade die heurige Weihnacht habe ich sehr bewußt, wie erinerlich nur selten, begangen und begehen dürfen. Gott sei Dank dafür. Weiß ich, was das kommende Jahr bringt oder eben auch nicht?

Stiller Ruf
4 Jahre her

Ein sehr schöner und, wie ich finde, versöhnender Artikel, lieber Herr Goergen, dem dennoch eine tiefe und aktuelle Tragik innewohnt. Denn ist wahr, dass sie, die „Kids“ nichts mehr anderes haben, womit sie ihren „Gefühlshaushalt“, aber vor allem auch ihre Sinnsuche (ein unverdächtiger Kant würde wohl sagen: ihr „unhintertreibbares“, weil jedem Menschen nun mal inhärentes, „religiöses Bedürfnis“) substantiell auffüllen können. Es ist also kein Wunder, wenn sie – äußerlich zwar saturiert und vollgestopft mit Facebook & Co – innerlich jedoch verhungernd, sich irgendwann ERSATZ-Götzen-und Religionen zuwenden. Und diese „Ersatzgötter“ sehen in ihnen längst das perfekte Mittel zum Zweck, um ihr… Mehr

Sonnenschein
4 Jahre her
Antworten an  Stiller Ruf

Aber zu diesen Kids gehören Eltern? Das ist, was mich am meisten irritiert…..wer hat die umgepolt in den letzten Jahren?

Stiller Ruf
4 Jahre her
Antworten an  Sonnenschein

Der linkssozialistische Zeitgeist in Interaktion mit den Polit-und Medienkartellen, die mit der Instrumentalisierung von Kindern u. Jugendlichen, jetzt endgültig ihre diabolische Fratze zeigen.