Schriftsteller Tellkamp: Ostdeutsche sind nicht gegen Veränderung

Interview mit dem Schriftsteller Uwe Tellkamp über das westdeutsche Unverständnis des Ostens und die Angepasstheit der Intellektuellen.

imago images / Andreas Weihs

Der preisgekrönte und in Dresden lebende Schriftsteller Uwe Tellkamp hat sich erstmals seit einem Jahr wieder in einem ausführlichen Interview zur Lage in Deutschland geäußert. Tellkamp verteidigt Sachsen und Ostdeutschland gegen Vorwürfe vor allem aus dem Westen. „Wer die Unzufriedenheit, die sich auch in Dresden artikuliert, immer nur auf materielle Gründe zurückführen will, der begreift einfach nicht, dass es gerade hier viele Menschen gibt, denen kulturelle Werte, denen Tradition so wichtig ist, dass sie auch bereit sind, in der Auseinandersetzung ihren sozialen Status zu riskieren“, schildert Tellkamp im Gespräch mit der neuen Ausgabe des Magazins Tichys Einblick. „Wer sich hier aufregt, ist nicht abgehängt, sondern mit konkreten politischen Entscheidungen der letzten Jahre nicht einverstanden. Eine Entgegnung, die wir vor allem aus dem Westen hören, lautet: Aber was wollt ihr denn? Euch geht es doch gut“, so Tellkamp. „Ich akzeptiere es nicht, wenn die gesellschaftlichen Konflikte, die wir in Deutschland haben, immer wieder so einfach auf das Materielle heruntergebrochen werden.“

Tellkamp sieht eine weitgehende Entfremdung zwischen Intellektuellen und einfachen Leuten. „Vor allem diesen Verrat der Intellektuellen an den sogenannten einfachen Leuten halte ich für unverzeihlich. Sie halten sich selbst für liberal, für weltoffen. Und sie meinen, dafür, dass sie diejenigen, die schon wegen ihrer materiellen Lebensumstände nicht genauso denken können, dafür verachten müssen. Und das finde ich verachtenswert.“ Auch der Vorwurf an die Menschen im Osten, sie würden Veränderungen ablehnen, sei falsch. „Meine Eltern sind 1989 auf die Straße gegangen mit dem Bewusstsein: Nichts wird so bleiben. Es wird tiefe Brüche geben, wir werden unsere Jobs verlie­ren. Aber das ist es uns wert, wir wollen die Freiheit“, erinnert Tellkamp an die friedliche Revolution in der DDR. „Es geht doch nicht darum, dass es hier eine generelle Ablehnung von Veränderung geben würde. Es kommt auf die Art der Veränderung an. Es ist doch eine sehr schlichte Einordnung: Das Progressive ist das Gute, das Bewahrende das Negative.“

Den Intellektuellen wirft Tellkamp vor, sich Denkverboten zu unterwerfen. „Angst, sich mit bestimmten Gedanken auseinander­ zusetzen, scheint mir vor allem unter Intellektuellen sehr weit verbreitet zu sein. Das ist paradox. Wenn diese Leute bunt sein wollen: Warum nageln sie sich dann die Buntheit im Denken selbst zu?“


Das ganze Interview in Ausgabe 10-2019 von Tichys Einblick >>>

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Kommentare ( 103 )

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Frank v Broeckel
4 Jahre her

Sehr geehrter Herr Tellkamp, was die allermeisten Menschen wahrscheinlich überhaupt nicht wissen! Sind zur weiteren Aufrechterhaltung von Staaten alle legalen Mitteln bereits erfolglos ausgeschöpft worden, kommen … ..die ILLEGALEN Mitteln zur weiteren Aufrechterhaltung des Staates zum Zuge! Denn die weitere Aufrechterhaltung des Staates nach der erfolglosen Ausschöpfung ALLER legalen Mitteln, also mittels illegaler Straftaten wohlgemerkt, ist höheres Rechtsgut, als die Strafverfolgungspflicht des Staates gegenüber Straftäter, die diese illegalen Straftaten wohlgemerkt NUR aus dem Grunde begehen, weil AUSNAHMLOS sämtliche legalen Mitteln zur Beseitigung eines vorübergehenden Notstandes bereits erfolglos ausgeschöpft worden sind! Da sich aber nicht nur Staaten und ihre Organe, sondern… Mehr

Frank v Broeckel
4 Jahre her

Sehr geehrter Herr Tellkamp, machen Sie einfach mal folgendes: Laden Sie sich die deutsche Bevölkerungstabelle Stand 1975 aus dem Internet herunter, und geben dann einfach für die Geburtsjahrgänge 1976 ff einfach stumpf pauschal zwei Drittel(1,4:2,1) der jeweils 28 jährigen Menschen ein, dann sollte Ihnen ab dem Jahre 2014 ff etwas Besonderes auffallen! TROTZ seit dem Jahre 1975 ff zwischenzeitlich erfolgter Zuwanderung Abermillionen Russlanddeutscher, TROTZ zwischenzeitlich erfolgter Wiedervereinigung, TROTZ zwischenzeitlich erfolgter Zuwanderung Abermillionen Europäer und Nichteuropäer hier nach Deutschland FEHLEN uns TROTZDEM dauerhaft durchschnittlich 55,55 eigene Enkel je 100 Einwohner auf dem deutschen Arbeitsmarkt, weil die zwischenzeitlich zugewanderten Personen in der… Mehr

Frank v Broeckel
4 Jahre her

Für Herrn Tellkamp und andere interessierte Personen! Wir haben es seit dem Jahre 2015 ff ausdrücklich NICHT mit althergebrachter Politik, sondern mit einem völlig anderen staatsrechtlichen Ereignis zu tun, das normalerweise eigentlich NUR in Kriegen oder Bürgerkriegen vorkommen SOLLTE, und selbst dann auch gelegentlich! Und von diesen allerseltensten staatsrechtlichen Ereignis weltweit überhaupt, haben wir es dazu auch noch mit seiner allerseltensten Ausprägung zu tun! Um das Ganze dann auch noch zu toppen, ist das Ganze mangels vorhandenen Präsidialsystem auch noch der Parteiendemokratie SELBST zur Abarbeitung zugewiesen worden! Die wenigen Menschen weltweit wohlgemerkt, die durch diesen Schlamassel überhaupt noch durchblicken, passen… Mehr

Frank v Broeckel
4 Jahre her

Sehr geehrter Herr Tellkamp, weil politische Systeme, wie zum Beispiel Staaten demographische, also in Wahrheit mathematische, Gesetzmäßigkeiten WEDER vorübergehend außer Kraft setzen, NOCH dauerhaft verändern können, hatten wir diese Ersatzenkelstampede aus rein demographischen Gründen genannt Flüchtlingskrise! Ein vergleichbares Szenario kennen Sie ja aus dem Film “ Titanic „! Hätte die Besatzung der Titanic damals nicht aus Nationalisten und Populisten, sondern hätte stattdessen aus vielfältigen und toleranten Personen bestanden, hätten diese selbstverständlich jederzeit die physikalischen, also EBENFALLS mathematischen Gesetzmäßigkeiten vorübergehend außer Kraft setzen oder dauerhaft verändern können, und die Titanic wäre dann überhaupt NICHT erst im Atlantischen Ozean versunken! Denn GENAU… Mehr

Marie-Jeanne Decourroux
4 Jahre her

Tatsächlich erweist sich der Westen in seinem Kultur-Relativismus (i.a. überheblich als »Weltoffenheit« missverstanden oder damit verwechselt) als borniert, wenn er die KULTURELLEN GRÜNDE nicht sieht oder sehen will, die so viele (und immer mehr) Ostdeutsche den alten Parteien entfremden. Die Liebe zum Eigenen und der Wunsch, nicht nur das materielle, sondern auch sein kulturelles Erbe an die kommende Generation weiterzugeben, ist so wenig Herabsetzung des Anderen (oder gar „Nazi“…), wie die Liebe zu einer Person andere Menschen diskriminiert. Dies nicht zu sehen, darin liegt die ganze Blindheit des Multikulturalismus, der sich damit in Wirklichkeit (wie Tellkamp richtig erkennt) als Materialismus… Mehr

H. Priess
4 Jahre her

Für mich war Stefan Heym ein Beispiel eines Intellektuellen. Er war integer bis ins Blut, stand zu seinen Überzeugungen und vertrat die auch gegen die Sozialisten obwohl er selber einer war. Sein Kampf um sein Buch „5 Tage im Juni“ dauerte fast 30 Jahre nur weil er den Aufstand so beschrieb wie er war. Er wollte die DDR nie verlassen, weil er sich als Teil der Gesellschaft sah. Als Biermann ausgebürgert wurde hatte er das unsterbliche Bomont: Das ausbürgern könnte sich einbürgern. Was ich als Intellektuellen bezeichnen würde sind die Eigenschaften die eine Person auszeichnen die eben nicht den Durchschnitt… Mehr

RUEDI
4 Jahre her

Und Tellkamp hat recht. – Die Ostdeutschen haben ihren klaren Blick zum großen Teil behalten, der zur Zeit der SCHNITZLER- Presse geprägt wurde. Ja, wir leben in einem vom Politisch-Medialen-Komplex kontrollierten Meinungskorridor, der Abweichler diszipliniert durch Ausgrenzung oder ökonomische Zwänge. Dutzende Politikwissenschaftler, Studienmachern und sogar die OMAs gegen RECHTS aller Coleur werden benutzt, um das ABGEHÄNGTE OSSI zu diffamieren, zu markieren, auszuweiden und die Innereien zu analysieren, sogar die Gehirne werden in Scheiben geschnitten, um das GIFT zu suchen, was deren Geist angeblich zerstört: AFD – die Alternative für Deutschland. Tatsächlich. Die angeblichen TOLERANZ -Prediger sind die eigentlichen INTOLERANTEN, sie… Mehr

Dieter Rose
4 Jahre her
Antworten an  RUEDI

Napalm auf Sachsen,
wenn Zitronensaft nicht ausreicht.
Maria Clara Groppler, 14. Jahre, J…u,
laut eigener Aussage, in night wash.

tube
4 Jahre her

nur wenige Leute aus dem Kunstbetrieb äußern sich kritisch zur illegalen Massenmigration, wegbrechendem Rechtsstaat usw. Und zufällig, oder auch nicht zufällig, kommen die alle aus Sachsen:
Tellkamp, die Dresdner Buchhändlerin Susanne Degen, Schauspieler Uwe Steimle, der Leipziger Maler Axel Krause und weitee (auch weltbekannte) Maler aus Leipzig.
Von Künstlern aus dem Rest Deutschlands alles Ja-Sager, Einschleimer und Mitläufer, kommt gar nichts.

kasimir
4 Jahre her
Antworten an  tube

Weil sie alle Angst haben. Es gibt ja auch fast keinen deutschen Film mehr, in dem nicht wenigstens mit versteckter Botschaft auf Nazis oder die Flüchtlingssituation aufmerksam gemacht wird. Da muß sich der Regisseur manchmal ganz schön verrenken, daß er das noch in die Handlung eingebaut bekommt :-)) Was in der Kunst, egal ob Literatur, Theater, Film im Moment abgeht, ist wirklich bedenklich, es scheint fast nur noch Künstler zu geben die im Vorauseilenden- Gehorsam- Modus arbeiten. Es tut einfach der Seele nicht gut, wenn man sich immer verbiegt! Darum ist es wirklich erfrischend Leute wie Axel Krause oder Uwe… Mehr

tube
4 Jahre her
Antworten an  kasimir

in Leipzig stehen viele ältere Maler hinter A. Krause, gegen ihn nur junge Nachwuchstalente, aber die können ja sowieso nur barbarisch schlechte Bilder fabrizieren.

Reinhard Schroeter
4 Jahre her
Antworten an  kasimir

Es ist 30 Jahren her, das wir im Osten wieder den aufrechten Gang gelernt haben zu gehen und wir haben uns diesen wieder selber beigebracht.
In 14 Jahren mit einer ehemaligen bolschewistischen FDJ-Sekretärin im berliner Kanzleramt, scheinen viele sogenannten „Kunst-u.Kulturschaffende“ , besonderes von jenseits der Elbe, nichts sehnlicher zu wünschen als wieder vor denen in Berlin zu kriechen.
Ein Elend !

erwin16
4 Jahre her
Antworten an  kasimir

Damals konnten sie dich maximal einsperren. Alle strafen davor, haben doch viele nicht gejuckt. Manche Angestellte haben eher noch den Chef unter Druck gesetzt. Der hatte mehr Druck.
Heute gibt es mehr Verlockungen und das Leben ist vom Grundniveau viel teurer und betteln um irgendwas vom Amt ist auch nicht toll.

Gabriele Kremmel
4 Jahre her

Wieso selbstauferlegtes Denkverbot? Intellektuelle, die diese Bezeichnung verdienen und des Denkens mächtig sind unterwerfen sich doch keinen Denkverboten. Ich vermute eher, der Intellekt reicht da vielleicht nur bis zu den Grenzen der, von interessierten Kreisen auferlegten Denkverbote. Islamophobie ist so ein Beispiel, mit dem sich Islamisten selbst vor der mehr als berechtigten Kritik an der demokratiefeindlichen politischen Komponente ihrer Religion und der Aufdeckung ihrer Weltherrschaftsbestrebungen schützen. Kluge Menschen erkennen solche instrumentalisierenden Denkverbote und tragen dazu bei, sie aufzudecken und zu eliminieren. Von echten Intellektuellen würde ich genau das erwarten – und keine idealistisch oder ideologisch verklärten, politisch korrekten oder sonstwie… Mehr

anita b.
4 Jahre her
Antworten an  Gabriele Kremmel

Wo leben sie?
Natürlich wissen die intellektuellen es besser.
Jeder, der die DDR erlebt hat, weiss wie es geht. Man sagt das, was erwartet wird ( von denen an der Nacht) und die Karriere läuft.

Kassandra
4 Jahre her
Antworten an  anita b.

Wie dumm.
Wer könnte nicht im voraus erkennen, dass alles ins off Richtung früheren oder späteren Untergang läuft.
Ich hoffe auf einen schnellen.
Im Islam ist solches Zweifeln den Gläubigen verboten, weshalb diese als Menschen oftmals an sich selbst verzweifeln – aber uns hier kann man vorausschauendes Denken doch nicht nehmen.
Man lese „Und Gott schuf die Angst. Ein Psychogramm der arabischen Seele“ (München 2018) von Burkhard Hofmann.
Es gibt eine besondere Rezension am 15. August…

Imre
4 Jahre her
Antworten an  Gabriele Kremmel

Sie idealisieren die Intellektuellen, das ehrt Sie, teilweise. Nach meiner Einschätzung gibt es jedoch 2 Arten von Intellektuellen: Die von Ihnen beschriebene und „erwartete“ Sorte, und jene, deren Moralvorstellungen nicht mit der Klugheit Schritt halten konnten. Im Extremfall, gerissene Gauner… In natura mehr durchaus kluge Leute, denen ihre Klugheit jedoch sagt, sich nicht mit den Mächtigen anzulegen, lieber mit dem Strom schwimmen, gegebenenfalls für gute Entlohnung auch die dort gewünschte Einstellung an den Tag zu legen. Im weniger „tolerierbaren“ Fall sich selbst durch direkte Korruption an zu passen. Ergo, nicht automatisch leistet ein kluger Politiker seinen Wählern gute Dienste. Die… Mehr

Gabriele Kremmel
4 Jahre her
Antworten an  Imre

Es liegt mir fern, Intellektuelle zu idealisieren. Ich messe sie an ihrem eigenen Anspruch, intelligent und gebildet sein zu wollen und die Lizenz zum abwägen und werten zu haben. Diesem Anspruch werden viele nicht gerecht. Da der Begriff Intellektueller jedoch nicht geschützt ist (wie der des Friseurmeisters, der sein Können nachweisen muss)… usw.

Alter weiser Mann
4 Jahre her

Der Begriff Intellektueller ist nicht verbrannt. Denn diese sehr häufig als Politikwissenschaftler getarnten, mit einem Schmalspurbart nach Talibanart versehenen Pseudointellektuellen sind eben gerade keine Intellektuellen, da es ihnen an Geist, Verstand und Intelligenz mangelt.

Das sehen Sie heutzutage am ehesten an den moralisch-gutmenschlichen Schulschwänzern, welche anschließend eine Petition einreichen, in welcher diese zu erkennen geben, daß sie noch zu unreif sind die Reifeprüfung (Abitur) abzulegen. Das sind keine Intellektuellen und werden es nie werden. Aber sie können sehr starke Steigbügelhalter und Schleimspurkriecher sein. Weder ein Hitler noch ein Honecker waren alleine. Beide hatten eine umfangreichen Entourage hinter sich.