Schäubles Lawine oder warum die Freunde der Zuwanderung Pegida brauchen

Wer immer und wie auch immer Fehlentwicklungen der Flüchtlingspolitik anspricht, wird wegen falscher Wortwahl kritisiert: "Das stärkt doch bloß Pegida, löst Angst aus". Wo ist die Grenze zwischen angemessenem Sprachgebrauch und Sprechverbot?

Zwei Meldungen vom selben Tag: Schäuble verwendet das Bild von der Lawine. Wenn sie einmal losgetreten, tobt sie zu Tal und richtet dabei Verwüstung an. Ein Aufschrei folgt – darf man Flüchtlinge als Naturkatastrophe sehen? Am selben Tag gesteht das Bundesinnenministerium ein, dass es nicht einmal mehr in der Lage ist, die ankommenden Flüchtlinge auch nur zu zählen. Darüber hat sich so gut wie niemand aufgeregt. Wir regen uns über Wörter auf, nicht mehr über faktische Ungeheuerlichkeiten.

Das ist der neue Normalzustand: Moralische Entrüstung statt Handeln. Wann immer in den vielen Talk-Shows jemand Probleme mit der Flüchtlingspolitik auch nur anspricht, wird er unter Publikumsbeifall zum Schweigen verdonnert: Sie helfen doch nur Pegida! Das ist der immer wiederholte, nur geringfügig variierte neue Formel, mit der Gegner zum Verstummen gebracht werden sollen. Pegida ist der neue Ordnungsruf. Fast hat man den Eindruck, die Refugee-Welcome-Fraktion müsste Pegida erfinden, wenn es sie nicht schon gäbe.

Ein paar Demonstranten in Dresden reichen, um eine gesellschaftliche Tabu-Zone zu errichten: Jeder, der irgendwie Zweifel am „Wir-schaffen-das-Mantra“ hat, wird in die Nähe des Rechtsradikalismus gerückt. So darf man nicht mehr über Zahlen, Belastungen, Kriminalität, absonderliche Wertvorstellungen und Integrationsprobleme reden – das fördert doch nur Pegida? Es ist eigentlich ein Riesenerfolg für Pegida, ein Erfolg, der weit über Dresden hinausreicht: Irgendwie sind bald alle Pegida.

Noch einen Schritt weiter geht die politisierende Netz-Narretei von Sascha Lobo: Er fordert die „gezielte Verwendung der Nazikeule“ gegen alle, die irgendwie nicht bedingungslos ja sagen zur unbegrenzten, unbedingten Zuwanderung.

Damit hat die politische Verrohung eine neue Flachstelle erreicht: Die Verharmlosung des Holocaust. Der Vorwurf des Nazismus, Auschwitz, Völkermord und Weltkrieg, alle diese Verbrechen der Nazis werden verharmlost, wenn man diesen historisch einmaligen Begriff gezielt ziellos auf jede Form der Diskussion anwendet. Es ist schon absurd, wenn durch solche Trivialisierung der Nazismus wieder dadurch zulässig gemacht wird, weil die Nazikeule wahllos auf jeden angewandt wird, der der aktuellen (wenn man auch nur wüßte, welche das ist) Flüchtlingspolitik entgegentritt.

Nazi ist, wer von Belastungsgrenzen durch Masseneinwanderung spricht; eigentlich schon doppelt: Masse und Begrenzung, alles Nazis. Nazi ist, wer von Obergrenzen des Asylrechts spricht, wobei es gar keine Zweifel daran gibt, dass auch dieses Grundrecht Begrenzungen im Recht der Anderen und durch seine korrekte Anwendung findet – unbegrenzt wird das Asylrecht ja erst dadurch, dass seine rechtlichen Begrenzungen willkürlich und rechtswidrig außer Kraft gesetzt werden: Schon ist der gesetzestreue Bürger auch ein Nazi. So wird die Verharmlosung des Holocaust indirekt hoffähig gemacht – mit Langzeitwirkung. Übrigens ist Sascha Lobo eigentlich kein Holocaust-Verharmloser. Er ist halt einer dieser Geschichtsvergessenen, für die Nazi eine Metapher aus einem Videospiel ist. Er ist ein Gut-Meiner. Der alles richtig machen und sich im warmen Mainstream mit anderen Gut-Meinern wohlfühlen will. Er ist ständig auf der Suche nach einem exzentrischen Markenzeichen, seit sich alle an den roten Irokesenschopf gewöhnt haben. Das alles ist Ich-Marketing, und gar nicht so böse gedacht, wie es wirkt. Gut gemeint ist eben noch nicht gut gemacht.Mit dem nazi-Wort sollte man sparsam umgehen – nicht inflationär. Denn Inflation entwertet. Herr Lobo teilt dazu mit, dass der „kausalschluss schlicht nicht im text drinsteht. das wort flüchtlinge kommt nicht vor,zuwanderung auch nicht, alles, was ich fordere, ist: rechtsradikale forderungen rechtsradikal zu nennen.“

Aha. wir leben ja Gott sei Dank nicht in einer Welt der Zuspitzung, in der das alles nicht stattfindet, oder? Weil es so ist, ein Aufruf zur Besonnenheit und Entschärfung: Deutschland muss wieder mehr Demokratie wagen. Dazu gehört die scharfe politische Debatte, dazu zählen auch sprechende Wortbilder – das Gegenteil der derzeitigen Totschlags-Argumentiererei durch infantile Verharmloser des Nationalsozialismus.

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