Herr Lindner, wo bleibt die Entlastung?

Eigentlich wollte der Bundesfinanzminister die inflationsbedingten Mehreinnahmen des Staates an die Bürger zurückgeben. Eine Anfrage von TE zeigt: Irgendwelche konkreten Schritte dafür plant der FDP-Politiker nicht. Dabei gäbe es dafür Spielraum.

IMAGO / photothek

Von den stark gestiegenen Energietarifen und den hohen Lebensmittelpreisen, die sich demnächst ebenfalls deutlich nach oben bewegen werden, profitiert eine Seite, die versichert, die Kostenexplosion mit größter Sorge zu beobachten: der Staat. Steigt der Grundpreis, dann nehmen die Mehrwertsteuereinnahmen auch ohne höheren Tarif automatisch zu. Nach Schätzungen des DIW kassiert Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) deshalb in diesem Jahr allein auf dem Energiesektor durch die Teuerung bei Kraftstoffen, Strom und Gas gut 10 Milliarden Euro zusätzlich. Im März beträgt der Steueranteil am Benzin gut 56 Prozent. Auf den Warenpreis, die Energiesteuer von 65,45 Cent pro Liter und weitere Abgaben kommen noch 19 Prozent Mehrwertsteuer, die in absoluten Zahlen mit dem Kraftstoffpreis steigt.

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Zu den inflationsbedingten Mehreinnahmen des Bundes addiert sich eine weitere, ganz ohne Steuererhöhung realisierte Mehreinnahme: bei der Einkommenssteuer. Der Steuertarif für 2022 basiert mit seinem Freibetrag und seinen abzugsfähigen Ausgaben auf einer viel zu geringen Inflationsschätzung. Schon Ende Januar erreichte die Inflationsrate in der Eurozone 5,1 Prozent – und sie dürfte weiter steigen. „Die Gier des Staates hat kleptokratische Züge angenommen“, sagte FDP-Chef Lindner dem „Handelsblatt“ – allerdings 2017. Als Oppositionsführer hatte er stets den Abbau der kalten Progression gefordert. Und eigentlich spricht auch der Finanzminister Lindner davon, den Bürgern inflationsbedingte Sondereinnahmen des Staates zurückzugeben. Nur: Konkrete Schritte dazu gibt es bislang nicht. Sondern nur vage Ankündigungen.

Auf die Anfrage von TE beim Bundesfinanzministerium, welche Schritte Lindner für die Entlastung plant, antwortet ein Sprecher: „Dem Bundesfinanzminister ist es ein wichtiges Anliegen, die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten. Der Minister hat dabei auch die Belastungen im Blick, die sich insbesondere aus dem jüngsten Preisanstieg bei den Energiekosten ergeben.“ Für mögliche Entlastungen gebe es „grundsätzlich eine Reihe von Instrumenten“.

Allerdings nennt er keine Senkung beispielsweise der Mehrwertsteuer auf Kraftstoffe und Gas, wie sie der CSU-Politiker Peter Ramsauer kürzlich gefordert hatte. Auch eine Anpassung des Steuertarifs für 2022 erwähnt das Ministerium auf Anfrage nicht. Sondern stattdessen Maßnahmen, die erstaunlich wenig zu dem Chef einer nach eigenem Verständnis wirtschaftsliberalen Partei passen: „Regulierung von Preisen bis zu Überlegungen, direkt privaten Haushalten oder Unternehmen zu helfen.“

Außerdem weist das Ministerium auf „eine Reihe von Entlastungen“ hin, die schon beschlossen worden seien: „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden bei der Steuer durch eine Erhöhung von Pendlerpauschale, Grundfreibetrag und Arbeitnehmerpauschbetrag entlastet. Zudem entfällt von der Rentnerin über die Familie bis zum Handwerk die EEG-Umlage. Bedürftige bekommen beispielsweise einen Heizkostenzuschuss.“

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Die höhere Pendlerpauschale in der Steuerabrechnung hilft Pendlern allerdings nicht in der Gegenwart. Und ihr Anstieg ab 1. Januar 2022 fiel ausgesprochen bescheiden aus. Sie stieg von 30 auf 38 Cent je Kilometer – allerdings erst ab dem 21. Kilometer. Und der Wegfall der EEG-Umlage, die ab 2023 komplett aus Haushaltsmitteln finanziert wird, senkt den Strompreis höchstwahrscheinlich dann gar nicht, sondern mildert nur dessen weiteren Anstieg.

Besonders ärgerlich für die gebeutelten Steuerbürger: Den Inflationsausgleich im Steuertarif verschob Lindner kurzerhand ins Jahr 2023. In diesem Jahr werde es keine Anpassung geben: Der „bürokratische Aufwand“ zur Änderung des Tarifs, meint der Freidemokrat, sei zu hoch.

Lindners Ministerium präsentiert eine bemerkenswerte Begründung, warum der Staat die Zusatzeinnahmen zumindest in diesem Jahr komplett einkassiert. Das Argument lautet: Die Staatseinnahmen würden schließlich leiden, weil die Bürger wegen der heftigen Energiepreise bei anderen Ausgaben sparen würden. Weil also den Bürgern wegen sich beschleunigender Geldentwertung das Geld fehlt, werden sie mit Hilfe der inflationsbedingten Steuererhöhungen noch mehr abkassiert? Eine seltsame Logik die zeigt, wie weit sich die aktuelle FDP von ihrem liberalen Kern entfernt hat.

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft geht tatsächlich davon aus, dass der kriegsbedingte Energiepreisanstieg in diesem und dem kommenden Jahr zu einem Kaufkraftverlust für private Haushalte von insgesamt rund 30 Milliarden Euro führt. Lindners Ministerium spricht von „dämpfende(n) Effekte auf die konjunkturelle Entwicklung und damit auch auf die Steuereinnahmen“.

Gerade das würde allerdings dafür sprechen, Bürger wenigstens moderat zu entlasten, und dafür auf der anderen Seite Staatsausgaben auf Sparmöglichkeiten zu durchforsten. Der Präsident des Steuerzahlerbundes Reiner Holznagel hatte dazu in einem Interview mit TE bereits Vorschläge gemacht: Verzicht auf den Erweiterungsbau des Kanzleramts, der allein schon 600 Millionen Euro Kosten, Abschaffung des Regierungs-Flugterminals, Verkleinerung des Bundestages, dessen Kosten mittlerweile eine Milliarde Euro pro Jahr überschreiten. Die restriktiven Auflagen zur energetischen Gebäudesanierung könnte der Bund aussetzen – und damit die Fördermittel. Und auch die von Verlagen geforderte Presse-Subvention von etwa 200 Millionen Euro könnte sich der Bund von vornherein sparen.

Sendung 10.03.2022
Tichys Ausblick Talk: Geld zurück! Warum wir einen Inflationsausgleich brauchen
Auf das mit Abstand größte Sparpotenzial weist der Verein „Vernunftkraft“ hin, die Dachorganisation der Bürgerinitiativen gegen den exzessiven Ausbau der Windkraft. Wegen der stark gestiegenen Börsenstrompreise verdienen Erzeuger von Wind- und Solarenergie mittlerweile mit dem Verkauf ihres Stroms an der Börse meist mehr als durch die staatlich festgelegte Einspeisevergütung. Unter diesen Umständen, argumentiert „Vernunftkraft“, könnte die angesparte Reserve des EEG-Kontos aufgelöst und an die Stromkunden zur Entlastung verteilt werden. Laut Bundesnetzagentur schloss das EEG-Konto das Jahr 2021 mit einem Plus von 10,65 Milliarden Euro ab. Allerdings müsste jeder, der nach dieser Reserve greift, sich mit der Grünstrom-Branche anlegen. Denn die betrachtet die Milliarden auf dem EEG-Konto faktisch als ihren Besitz – selbst dann, wenn sie das Geld aktuell gar nicht braucht.

In die Richtung, Einsparmöglichkeiten zur Entlastung der Bürger zu suchen, bewegen sich Lindners Pläne gerade nicht. Der Finanzminister verkündete gerade ein 200-Milliarden-Euro-Programm zur großen Transformation der Energieversorgung an. Im Wesentlichen besteht dieser Plan darin, die grundlastfähige Stromerzeugung durch Kernkraft und Kohle abzuschalten, und gleichzeitig den Verkehr und auch die Gebäudeheizung weitgehend zu elektrifizieren. Abgesehen von der technischen Machbarkeit: Diese Politik würde Deutschland noch stärker von Energieimporten abhängig machen und die Bürger immer stärker durch steigende Preise belasten.

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Kommentare ( 46 )

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Axel Fachtan
2 Jahre her

Mal eine Lanze für Lindner brechen.
Er erbt 16 Jahre Merkel-Versagen.
Jetzt bricht eben all das auf, was
über Jahrzehnte liegengeblieben ist.
Er ist gegangen, als er gesehen hat,
wie es die eigene Truppe seit 2009
an Merkels Seite versaut hat.
Die Rahmenbedingungen sind schlecht,
egal wer regiert. Da ist im Moment
keiner um den Job zu beneiden.
An die kalte Progression m u s s
er ran. Und zwar pronto.
Von der Energiewende darf er sich
ganz fix verabschieden.
Sonst wird e r verabschiedet.

Ticinese
2 Jahre her

Laut einem Bericht der „Bild„-Zeitung plant Lindner eine Entlastung für Autofahrer. Demnach will er noch in der kommenden Woche eine Art Tank-Rabatt auf den Weg bringen, die den Spritpreis unter zwei Euro pro Liter drücken soll. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist von diesem Vorstoß nicht begeistert. Und auch der Bundeskanzler ist „ziemlich sauer”. (Focus online)
Nebenbei: Vermutlich kommen aber noch ganz andere Sachen auf uns zu (Siehe Ukraine).

abel
2 Jahre her

Wählen oder Nichtwählen ändert nichts. Wenn man es ehrlich betrachtet: Eine EierlegendeWollMilchSau gibt es nicht auch wenn das einem die Politiker jedesmal versprechen. Ich halte mal fest: Wir retten die ganze Welt, wir bauen unser Militär aus, wir arbeiten an einer radikalen Energiewende welche unsere Wirtschaftskraft bedroht, wir leisten uns einen aufgeblähten Beamtenapparat der seinesgleich suchen muß, wir unterstützen Europa mit viel Geld und wir wollen finanziell in jeder Lebenslage vom Staat abgesichert sein.
DAS KANN NICHT FUNKTIONIEREN! Da ist Lindner nicht alleine Schuld daß die deutschen Wähler Märchen lieben.

ketzerlehrling
2 Jahre her

Welche Entlastung? Das kommt in den Überlegungen Lindners nicht vor. Was er sagt und was er tut, ist so gut wie nie identisch. Besser kann es für diese Hampeltruppe nicht laufen. Enteignen in allen Lebensbereichen, einschränken, diese Dilettanten drehen fast durch wegen den zu beschließenden Coronamaßnahmen, dank Lebensmittelrationierungen, u. B. Speiseöl und Fleisch, wird der Bürger zu veganer Ernährung gezwungen. Kein Gas, keine Heizung, geringere Emissionen von CO2, Fahrverbote, das Klima jubelt jetzt schon.

Takeda
2 Jahre her

Das Scholz Kanzler geworden ist, sagt bereits alles über den Ist-Zustand der Deutschen Wähler aus. Von daher, kurz vor einer Wahl was großes Verspechen und der Deutsche wählt wieder die Ampel oder zumindestens die, die gerade in der Gunst der „freien“ Presse stehen. Egal ob Schwarz, Rot, Dunkelrot oder Gelb, die Hauptsache ist, alles wird vom dummen Grün überschattet!

Deutscher
2 Jahre her

Ist doch schön: Lindner kassiert und die Rotgrünen nehmen es dann, um ihrer nach Schröder / Fischer eingemotteten und jetzt abgestaubten bellizistischen Leidenschaft zu frönen.

Sozialisten spielen halt gern mit dem Militär, man denke nur an die großen prunkvollen Paraden in Moskau und Peking zu Zeiten des eisernen Vorhangs.

peer stevens
2 Jahre her

…Textausriss: „Eine seltsame Logik die zeigt, wie weit sich die aktuelle FDP von ihrem liberalen Kern entfernt hat“ …die FDP hat sich mit „smarty“ Lindner und dem Bootskapitaen Kubicki ueberhaupt nicht vom liberalen Kern entfernt. …die wissen doch ueberhaupt nicht, wo sie in Deutschland einen „liberalen Kern“ suchen sollten oder dieser in dem Deutschland unserer Tage noch irgendwo zu finden waere …was klar und deutlich heraustritt ist die Tatsache, dass UNS Lindner ein weiteres Mal „hinter die Fichte gefuehrt hat“ …und so sorgen nach den -Wahlen– im letzten September alle Buerger dafuer, dass er und seine FDP-Truppe weiterhin mit horrenden… Mehr

Aqvamare
2 Jahre her
Antworten an  peer stevens

Eben, der liberale Kern der Deutschen ist von 1844 bis 1914 in die USA ausgewandert, was damals zurückblieb, waren Beamte und Sozialisten, und dies merkt man den Land in jeder Pore an.

Or
2 Jahre her

Aber TE,

Sie verstehen Herrn Lindner nicht. Wenn der Staat verdient ist das doch gut. Wir Alle sind doch der Staat. Deswegen verdienen wir doch dann alle.

Malte
2 Jahre her

Hallooo… Staat, jemand zu Hause? Wir brauchen nicht noch mehr Subventionen, sondern eine Senkung der Steuersätze bzw. Streichung einzelner Steuerarten. Erst meine linke Tasche leer machen um mir dann einen Bruchteil über die rechte Tasche wieder zuzustecken?! Lass‘ mich einfach in Ruhe, ich brauche nichts von dir !!!

Oneiroi
2 Jahre her

Bin auf die Reaktion gespannt, wenn der deutsche Esel merkt, das er die Möhre vor der Nase nie erreichen wird:D.
Wenn ich Lindner wäre, würde ich gleich nochmal nachlegen und sonstwas versprechen. Das erste mal wurde ja schon gut aufgenommen und ob am Ende Entlastungen kommen oder nicht ist auch egal, da Wahlergebnisse in der Presse in 3 Jahren gemacht werden. Das Gedächtnis des Wählers umfässt maximal 3 Spiegelausgaben.