Das Correctiv-Kartenhaus wackelt

Mehr als einen Monat nach dem Bericht zum Treffen in Potsdam verstrickt sich Correctiv immer mehr in Widersprüchen und Falschdarstellungen. Nun bringt ein Medienbericht die Plattform und deren Mitarbeiter so in Bedrängnis, dass sich auch Journalisten der Massenmedien aus der Deckung trauen.

IMAGO
Seit heute Mittag rumort es  gewaltig in der Journalistenblase. Grund dafür ist ein Bericht des Portals „Übermedien“. Übermedien bildet einen Newsletter der US-amerikanischen Nachrichten-Webseite Semafor ab. Semafor lobt hierbei die Arbeit von Correctiv: Es handele sich um die größte Enthüllung des Jahres, wenn nicht Jahrzehnts. Auch ansonsten gibt die Seite das von Correctiv gestrickte Narrativ wieder. Doch es gibt einen Schönheitsfehler. Das vermeintliche Lob ist vergiftet.

„Der Reporter, den sie hineingeschickt hatten, stromerte durch die Gänge mit einem leeren Becher, mit dem er herumfuchtelte, den er als Vorwand benutzte, um in geschlossene Konferenzräume zu gehen auf der Suche nach einer Tasse Kaffee. Währenddessen nahm er mit seiner Apple Watch Ton, Video und Fotos auf.“

So übersetzt Übermedien eine Passage aus dem Newsletter. Der letzte Satz hat Sprengkraft. Schon zuvor war spekuliert worden, dass Correctiv journalistische Maßstäbe genau so wie Gesetze grob verletzt habe.

Übermedien schreibt dazu: „Denn Correctiv hatte bislang nicht behauptet, bei seinen Recherchen Tonaufnahmen angefertigt zu haben. Aus gutem Grund: Denn während heimliche Videoaufnahmen unter bestimmten Bedingungen erlaubt sind, ist das heimliche Mitschneiden des Tons von Gesprächen in Deutschland streng und ausnahmslos verboten.“

Zu Recht fragt Autor Stefan Niggemeier, wie so eine Passage ganz beiläufig dort stehen kann. Übermedien fragt deshalb bei der stellvertretenden Correctiv-Chefredakteurin Anette Dowideit nach, die spätestens seit ihrem Presseclub-Auftritt einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden ist. Dort hatte sie erzählt, Correctiv erhalte keine Regierungsgelder und habe auch den Begriff „Deportationen“ nicht verwendet. Beides hat sich im Nachhinein als – vorsichtig formuliert – Falschdarstellung herausgestellt. Der Presseclub-Auftritt der Correctiv-Vertreterin hatte zum ersten Mal bei Medien wie Usern den breiten Zweifel gestreut, wie glaubwürdig die Recherchen seien.

Nun ist es wieder Dowideit, die eine Lawine ins Rollen bringt. Auf die Nachfrage von Übermedien, ob die Darstellung von Semafor stimmt, gibt Dowideit eine Stellungnahme ab, die eher verwirrt, denn Klarheit schafft. Übermedien fragt: „Mit einer Apple Watch kann man keine Bilder aufnehmen. Können Sie das aufklären?“ Antwort Dowideit:

„Die Videobilder, die mit der AppleWatch gemacht wurden, sind einfach nur die kurzen Sequenzen aus der Lobby des Hotels, während die Gäste ankamen – die schon in einer Reihe von TV-Beiträgen zu sehen waren.“

Nicht nur Niggemeier lässt dieser Kommentar ratlos zurück. User haben auf X bereits suggeriert, dass die Übersetzung von Übermedien nicht ganz auf den Punkt sei. Im Original habe Semafor geschrieben, dass der Reporter „through his Apple watch“ Bilder gemacht hätte. Übermedien gibt das als „mit seiner Apple Watch“ wieder. Vielmehr könnte aber gemeint sein, der Reporter habe „durch seine Apple Watch“ Bilder aufgenommen, heißt, die Apple Watch diente als bloßer Auslöser, die Kamera hingegen ein iPhone.

Wie auch immer die Details abliefen – dass Correctiv eigenmächtig handelte und eine brüchiger werdende Story nun nicht nur von den Gegenaussagen der Anwesenden, sondern auch von den Umständen überrollt wird, ist mittlerweile Fakt. Auch Vertreter der Massenmedien, die noch vor wenigen Tagen ungeprüft das Correctiv-Narrativ übernahmen, melden nun Kritik und Zweifel an. Niggemeier spitzt das Gefühl, das so manchen beschleicht, selbst zusammen: „Verwegener Gedanke: Vielleicht ist es gar keine so gute Idee, mit den eigenen heiklen Recherchen zu prahlen, wenn dabei die Fakten so leicht durcheinander geraten?“

Auch Carsten Brennecke, der mit Ulrich Vosgerau den prominentesten Teilnehmer der Potsdamer Veranstaltung in der Kanzlei Höcker vertritt, wird auf den Bericht aufmerksam. Er kündigt an, dass der Fall nicht ohne Konsequenzen bleiben würde. Es könnte dem laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren Aufwind geben.

„Correctiv hatte bislang dementiert, bei seinen Recherchen Tonaufnahmen angefertigt zu haben und hält laut Übermedien an diesem Dementi fest“, stellt Brennecke fest. „Nun läuft ja bereits ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts, es seien illegale Aufnahmen gefertigt worden. Die Berichterstattung von Semafor wird sicherlich auch zum Gegenstand des Ermittlungsverfahrens werden.“

Es werde noch „interessant“, wie Correctiv die Berichterstattung des US-Nachrichtenmagazins erklären wolle. „Correctiv ist ja bei der Potsdam-Berichterstattung von Anfang an durch Presseanwälte vertreten. Wenn die Berichterstattung der US-Presse falsch ist, dann müsste Correctiv nun umgehend gegen diese Berichterstattung des US-Nachrichtenmagazins anwaltlich vorgehen und notfalls auch gerichtlich durchsetzen, dass diese Berichterstattung gelöscht wird.“

Dabei könne Correctiv in einem gerichtlichen Verfahren gegen das US-Magazin nur dann die Löschung der Behauptung, es sei abgehört worden, erreichen, wenn die Correctiv-Mitarbeiter im einstweiligen Rechtsschutz dann auch an Eides statt versicherten, dass keine Abhörmaßnahmen erfolgt sind. „Die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung wäre dabei strafbar“, so Brennecke. Es bleibe demnach spannend, ob Correctiv gegen den Bericht vorgehe.

Nicht nur juristisch ist die Angelegenheit „spannend“. Denn die Correctiv-Geschichte ist nunmehr nicht nur Auslöser für Massenaufmärsche gegen Rechts und eine seit Wochen anhaltende Hysterie, die sich mal gegen angeblich rechte Bauern, mal gegen Hans-Georg Maaßen, mal gegen Kritiker der Berichterstattung, und immer wieder gegen die AfD richtet. Sie ist mittlerweile der Humus, auf dem die Regierungsabsichten zu mehr Überwachung, mehr Zensur und mehr Einschränkungen zur Meinungsfreiheit fußen. Keine Faeser-Paus-Haldenwang-Konferenz ohne Potsdam-Konferenz als Kronzeugen-Anführung. Am angeblichen „Geheimplan“ hängt mehr als nur die Glaubwürdigkeit von Correctiv. Es hat fünf Wochen gedauert, bis sich nun auch weitere Vertreter der Massenmedien mit Wertungen aus der Deckung trauen – jetzt, da bereits eine ganze Reihe von Kindern auf den nackten Kaiser gezeigt haben und dafür verdroschen wurden.

Aktualisierung von 16:25 Uhr:
Niggemeier hat mittlerweile Brennecke geantwortet. Die Semafor-Autorin habe eingeräumt, dass es sich um ein „sprachliches Missverständnis“ gehandelt habe. Correctiv würde daher das US-Magazin zur Korrektur kaum gerichtlich „zwingen müssen“.

— Tim Röhn (@Tim_Roehn) February 15, 2024

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