Dauerhafte Happy Hour – aber kein Ausbau des Angebots von Bus und Bahn

Die Ampel ist die Regierung, die versucht, den Niedergang des deutschen Wohlstands zu überspielen. Doch der schimmert immer deutlicher durch – ein gutes Beispiel dafür ist der öffentliche Nahverkehr.

IMAGO / Wolfgang Maria Weber

Das „Deutschlandticket“ gehört zu den wenigen Vorzeigeprojekten der Ampel. Zum einen, weil alle drei Partner etwas von sich darin finden: Die Grünen feiern den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, die FDP die relative Vereinfachung der Buchung und in der unterkomplexen Welt der SPD gilt staatliches Geld auszugeben, um in den Markt einzugreifen, immer irgendwie als sozial.
Zum anderen haben die drei Partner tatsächlich etwas gemacht, statt immer nur ewig darüber zu reden und zu streiten.

Dazu kommt, dass zuerst das Neun-Euro-Ticket und dann das 49-Euro-Ticket der Ampel positive Schlagzeilen gebracht haben. Zwar nur in den staatlichen und staatsnahen Medien. Aber dort haben die Journalisten den Erfolg tatsächlich gefühlt, statt diesen wie in anderen Feldern nur herbeizumelden. Entsprechend sind der Bund und ihm nahe Verbände und Unternehmen weiter bemüht, Positives über das 49-Euro-Ticket zu berichten. Zuletzt ist ihnen das gelungen, als der Preis nicht erhöht wurde – gegen jeden Trend in Deutschland. Den Streit zwischen Bund und Ländern über die Kosten für den Nahverkehr konnten geneigte Journalisten nach hinten drücken.

Gescheiterte "Verkehrswende"
Ampel legt den Ausbau des Schienennetzes lahm
Nun hat der Dachverband der Verkehrsbetriebe, der VDV, wieder eine Mitteilung veröffentlicht, die von beidem geprägt ist: dem Willen, gute Schlagzeilen zu produzieren. Und dem immer größeren Problem, die Schlagseite hinter dem jeweiligen Projekt zu verbergen. „Fahrgastzahlen erholen sich weiter“, hieß die Botschaft. Doch wer sprachlich und politisch fit ist, erkennt schon in der Überschrift die Fallstricke. Die werden umso gefährlicher, je tiefer man in den Text eintaucht.

Elf Millionen Menschen haben laut VDV ein Deutschland-Ticket. 9,5 Milliarden-mal haben Fahrgäste 2023 Busse und Bahnen genutzt. Dann ist aber auch Schluss mit positiv, obwohl der VDV mit den 9,5 Milliarden Fahrgästen im Rücken noch einmal Anlauf zum Jubeln nimmt: „Damit hat sich die Nachfrage im deutschen ÖPNV nach jahrelangen pandemiebedingten Einbrüchen im vergangenen Jahr weiter erholt.“ Die Zahlen von 2023 sind also besser als die von 2022. Das hängt aber auch damit zusammen, dass sie wegen der Pandemie 2020 in den Keller gefallen sind. Den Vergleich zu den Fahrgastzahlen vor Corona verkneift sich der VDV. Aber geschenkt.

Denn mitten in der Jubelmeldung über die tollen Fahrgastzahlen bricht das eigentliche Problem des öffentlichen Nahverkehrs durch: die Finanzierung. Die ist durch das 49-Euro-Ticket schlechter geworden. In den vergangenen drei Jahren sind die Preise für Strom um 57 Prozent gestiegen, teilt der VDV mit. Die Preise für Diesel um 54 Prozent. Die Ticketpreise aber sind um 23 Prozent zurückgegangen. Die Verkehrsbetriebe müssen also mit weniger Geld höhere Kosten bezahlen. Dass die Analyse des VDV dazu keine Jubelmeldung ist, überrascht also kaum: „Hohe Kosten bei sinkenden Einnahmen stellen die Branche daher vor große wirtschaftliche Herausforderungen.“

VDV-Präsident Ingo Wortmann betont die stärkere Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs. Acht Prozent mehr als im Vorjahr – immer noch ohne Angabe der Werte vor der Pandemie. Das Problem ist nur, dass sich die Betriebe diesen Erfolg mit einem Kampfpreis erkauft haben, den sie nach eigenen Worten nicht lange durchhalten können: „Auf der anderen Seite bringen die Abonennten des Deutschland-Tickets weit überwiegend keine zusätzlichen Einnahmen.“ Wobei das Ticket eben nicht nur „keine zusätzlichen Einnahmen“ bringt, sondern „erhebliche Verluste“, so Wortmann.

Die Situation für die Verkehrsbetriebe wird nicht besser. „Wirtschaftsminister“ Robert Habeck (Grüne), politisch befreundete Experten und geneigte Presse erzählen zwar von der Inflation, die sich abkühle. Doch Wortmann – eigentlich der Ampel nicht abgeneigt – kommt nicht daran vorbei, von „weiterhin sehr hohen beziehungsweise steigenden Kosten im Betrieb, also bei Strom, Diesel und Personal“ zu sprechen. „Die Lücke zwischen Ticketeinnahmen und Kostenentwicklung wird immer größer, so dass der wirtschaftliche Druck auf die Branche extrem zunimmt“, sagt der Verbandschef. Die Preise künstlich billig halten und gleichzeitig das Angebot so auszuweiten, dass es zum Umsteigen lockt, werde ohne höhere staatliche Subventionen nicht funktionieren.

Deutsche Bahn
Sparen statt Schienen: Aus der Traum von der Verkehrswende
Die elf Millionen Abonnenten des Deutschland-Tickets, die hohe Zufriedenheit der Kunden bei selbst durchgeführten Befragungen, die Rede vom „Erfolgsweg“, der Anstieg der Fahrgastzahlen – das alles ist eine Scheinblüte, die nur dazu dient, der Ampel für ein paar Monate wenigstens einige gute Schlagzeilen zu bringen. Ein Großteil der Abonnenten des Deutschlandtickets war zuvor schon Kunde des öffentlichen Nahverkehrs. Mit dem Ticket zahlen sie jetzt weniger für die gleiche Leistung. Wenig verwunderlich, wenn sie dem Ticket in Abfragen gute Noten geben.

Doch wer wie die Verkehrsbranche mit Kampfpreisen um Neukunden wirbt, der ist auf Wachstum angewiesen. Wirte kennen das Prinzip: Du kannst in der „Happy Hour“ die Getränke unter Wert verkaufen – aber der Laden muss danach rappelvoll sein, wenn wieder die vollen Preise gelten. Im Nahverkehr soll dauerhaft Happy Hour herrschen und zusätzliche Kunden lockt das 49-Euro-Ticket auch nicht an. 15 Millionen Abonnenten müssten es sein, sagt Wortmann und nennt das „Wachstumsziel“. Vier Millionen Abonnenten fehlen also bei elf Millionen Kunden. Der Kundenstamm muss also noch um mehr als ein Drittel wachsen. Eine ambitionierte Aufgabe.

Zumal das 49-Euro-Ticket auf wackligen Füßen steht. Recht bald könnte es ein 54-Euro-Ticket sein oder gleich ein 59-Euro-Ticket. Schwellenwert. Also Taschenspielertrick. Die Handschrift der Ampel. Denn Unternehmen müssen am Ende so viel Geld einnehmen, wie sie ausgeben. Das gilt sogar für staatliche und staatsnahe Unternehmen – egal, wie viel Haltung und Polit-Brimborium die Akteure vorher aufgeführt haben. Wächst der Kundenstamm nicht deutlich, ist die Verkehrsbranche dauerhaft auf Geld aus der Politik angewiesen. Doch die agiert in ihrer Haushaltspolitik derzeit sprunghaft und nach Kassenlage. Für einen gut finanzierten öffentlichen Nahverkehr sieht es daher nicht gut aus. Für ein besseres Angebot als bisher sind die Perspektiven noch schlechter.

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Kommentare ( 37 )

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Soistes
2 Monate her

Das Auto ist für sehr viele Leute seit den 60ger Jahren der Beweis, dass sie zur Mittelklasse gehören. Das ist natürlich ein Blödsinn. Niemand gehört zur Mittelklasse, der nicht mindestens seine eigenen vier Wände besitzt ! Diese Leute wird man aber niemals vom öffentlichen Nahverkehr überzeugen können, da der Grundsatz, diesen zu meiden, für sie ein wesentliches Identitätsmerkmal ihrer eingebildeten Mittelklassenexistenz ist. Selbst dann nicht, wenn der öffentliche Nahverkehr auf einmal gratis sein sollte. Das würde nur dazu führen, dass diejenigen, die schon bisher mit dem ÖPNV führen, danach öfter fahren würden.

Winston S.
2 Monate her

Ich hatte erst letzte Woche das zweifelhafte Vergnügen, wegen eines Trauerfalles nach Deutschland zu müssen und auch noch öffentliche Verkehrsmittel nutzen zu „dürfen“.
Vom Tarifchaos mal ganz abgesehen, das ein „normaler Mensch“, der nicht ständig damit fährt, irgendwie durchdringen muß…
Meine Verwandten und Freunde haben mir gratuliert, daß ich (zufällig) meinen Rückflug erst am Donnerstag hatte, als der wieder mal Streik gerade vorbei war… und daß die S8 von München nach Flughafen tatsächlich fuhr… kein Schnee, kein Streik, keine Baustelle…
Dieses Land ist völlig am Ende!

Last edited 2 Monate her by Winston S.
H. Priess
2 Monate her

Nun habe ich alle Kommentare gelesen und fast alle schimpfen wie die Rohrspatzen. Ich schildere das mal aus meiner Sicht. Ich bin 63 und beziehe eine kleine EU Rente, jede zweite Woche besuche ich meine jetzt 95 jährige Mutter, da ist immer etwas zu erledigen. Für die rund 40Km nimmt die Bahn 15,30€ hin und zurück 30,60€, also 61,20€ im Monat. Den Stadtbus benutze ich drei oder vier Mal im Monat, eine Fahrt 2,50€ also 5,00€ hin und her. Ich versuche Termine auf einen Tag zu legen schaffe ich drei bezahle ich zum Ersten, dann zum Zweiten dann zum Dritten… Mehr

Michael Palusch
2 Monate her
Antworten an  H. Priess

Jede Art von Subvention ist für irgendjemand „eine spürbare Entlastung des Geldbeutels“. Das ist die Krux mit Subventionen. Man hält sie immer dort für überflüssig, wo man selbst keinen Nutzen davon hat. Und so wird Ihnen jeder Subventionsempfänger seinen ganz individuellen Grund dafür nennen, warum exakt diese Subvention völlig vertretbar ist.

Weisheitszahn
2 Monate her

Der Nahverkehr hat schon seit Jahrzehnten nicht wirtschaftsdeckend gearbeitet und wird es auch nie. Er ist ein teures Hilfsmittel, um hochverdichtete Bereiche zu erschließen. Wäre jetzt auch nicht schlimm, wenn man es sich denn leisten könnte bzw. WOLLTE. Aber da hat unsere Ampel ja klare Prioritäten: Peru braucht eben erst mal für 150Mio neue Fahrradautobahnen und Indien für 50Mrd ne neue Mondrakete, bevor hier vielleicht mal 500€ über sind, um ne klemmende Waggontür an der S2 zu reparieren – geschweige denn Millionen für eine neue Bahnlinie. Und mit dem Billigticket haben Bahn und die örtlichen Verkehrsbetriebe jegliches, schon vorher nur… Mehr

Der Ingenieur
2 Monate her

Der ÖPNV „lebte“ von kulturellen Grundwerten in der Gesellschaft, die inzwischen leider nicht mehr existieren: Sowas wie „Gemeinwohl“ gibt es inzwischen nicht mehr. Anlagen und Fahrzeuge werden durch Vandalismus zerstört, sabotiert, beschmiert, verdreckt, vollgekotzt, vermüllt. Und es wird inzwischen aus den o.g. Gründen nicht nur unangenehm, sondern auch höchst gefährlich: Anmache, Diebstahl, Überfälle, Messerstechereien, auf die Gleise stoßen etc. etc. Bahnhöfe sind zu den absoluten Verbrechensschwerpunkte geworden und auch der Weg von und zu Haltestellen in der Nacht ist höchst gefährlich. Zudem fängt man sich durch die völlig mit Menschen überfüllten Bussen und Bahnen auch noch alle Keime dieser Welt… Mehr

Last edited 2 Monate her by Der Ingenieur
Positivsteuerung
2 Monate her
Antworten an  Der Ingenieur

Sie haben vollkommen Recht. Wir brauchen eine „Täterwohlabgabe“ zur Sanierung des öffentlichen Nahverkehrs. Das ist schließlich der Raum, in dem Dealer, Taschendiebe und Gewalttäter ihrer täglichen Arbeit nachgehen, ohne jegliche Arbeitsschutzmaßnahmen.

joly
2 Monate her
Antworten an  Der Ingenieur

Ich habe seit 50 Jahren kein gutes Wort für den ÖNV oder die DB. Schon bei uns Studenten hieß der ÖNV 5A-Container. Damals in den 70er Jahren standen die A`s für Arme, Alte, Assis, Auszubildende und Ausländer. Und als W15er musste ich meist auf dem verdreckten Boden sitzen. Wo war da der Staatsbürger in Uniform? Heute als Rentner kann ich nicht mehr die DB nutzen. Die Gleise verursachen ein ständiges hin und her Geschütteltes Fahrunvergnügen, das bei mir eine sofortige ärztliche Rückenbehandlung verursacht. Egal wie billig – solange ich als Vollzahler von jedem Bahnkarteninhaber von meinem Platz vertrieben werden kann,… Mehr

johnsmith
2 Monate her

Das Deutschland-Ticket ist super für Grünen-Wähler in den Großstädten wie Berlin, Hamburg etc., wo vom Steuerzahler subventioniert alle 5 Minuten ein Bus oder eine U-Bahn fährt. Noch besser ist es für Bürgergeldempfänger in Berlin, die nur 29€ dafür bezahlen.
Den arbeitenden Steuerzahlern auf dem Land oder in Kleinstädten mit kaum existierenden Nahverkehr bringt es nichts, die dürfen es nur mitbezahlen.

Fulbert
2 Monate her

Man steuert in diesem Land auf die Zustände der Industrialisierung zu, als die Massen zu Fuß in die Betriebe strömten, da selbst ein Fahrrad ein Luxusgut war. Vermutlich wird man uns das noch als Rückkehr zu einstigen Wachstumszeiten verkaufen – verbunden mit Elendsquartieren in der Nähe des Arbeitsortes. Kutschen, zumindest solche motorisierter Art, wird es dann wie einst ausschließlich für den Neuadel aus Politik und diesem dienenden Organisationen geben.

Rob Roy
2 Monate her

Beispiel Hauptstadt: Hier erschwert man mit der Umwandlung von Fahrspuren in Radwege, Parkplatzvernichtung und Tempo 30 auf Hauptstraßen, sowie horrender Parkgebühren im kompletten Innenstadtbereich Autofahrern das Leben. Der öffentliche Nahverkehr, auf den alle umsteigen sollen, wird dagegen vernachlässigt. So hat man es in 35 Jahren nach der Wende gerade mal auf ein Handvoll neuer U-Bahnstationen gebracht und 2 zusätzliche Tram-Linien. In den 90er Jahren hätte man einen U-Bahn-Abzweiger zum Flughafen Tegel bauen können, den man 20 Jahre lang bis zur Schließung hätte nutzen können und auch darüber hinaus für das, was da auch immer entstehen soll. Der Anschluss an das… Mehr

Last edited 2 Monate her by Rob Roy
Skeptiker
2 Monate her

Keine Sorge: Wenn das Geld hinten und vorne nicht mehr reicht, dann wird der ÖPN-Verkehr deshalb doch nicht abgeschafft – er verkehrt nur nicht mehr.

TinaTobel
2 Monate her

Da böte es sich jetzt natürlich an, einen zusätzlichen „Beitragsservice Verkehrswende“ einzurichten. Jeder Bürger wird verpflichtet eine Steu… äh, einen Beitrag von – sagen wir zunächst – 18,36 € für den ÖPV zu entrichten, unabhängig davon ob er den ÖPV nutzt oder nicht.

Last edited 2 Monate her by TinaTobel
Skeptiker
2 Monate her
Antworten an  TinaTobel

Das ist entschieden die beste Idee seit Einführung der Demokratieabgabe.