Von Überoptimismus, Zockern und Schönrednerei

Die einen schicken umfangreiche Dokumente, die anderen laden zu aufwendigen Videokonferenzen: Für die Investmentbanken sind diese Tage die Zeit der Ausblicke auf das kommende Jahr. Etwas aus dem Rahmen fällt da schon fast traditionell die dänische Saxo Bank, die auch in diesem Jahr zehn „Outrageous-Predictions“ vorgelegt hat.

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Es sind verrückte, unwahrscheinliche, versponnene Ideen, die Anleger zum Nachdenken anregen sollen. Denn schließlich tritt auch das Unwahrscheinliche manchmal ein, das ist dann der berüchtigte Schwarze Schwan. Unter den diesjährigen kuriosen Prognosen der Saxo Bank: Eine Pattsituation bei den amerikanischen Zwischenwahlen, die eine Verfassungskrise in den USA auslöst und den Dollar abstürzen lässt. Eine über das Internet koordinierte Short-Attacke weiblicher Anleger auf Unternehmen, die vermeintlich bei der Gleichberechtigung hinterherhinken. Und: Ein Wettrüsten der großen Militärmächte bei Hyperschallwaffen. Man kann diese Vorhersagen zum Lachen finden — oder gerade nicht.

Dass die Idee mit der Short-Attacke gar nicht so abwegig ist, zeigt ein Trend des Jahres 2021. Die sogenannten Meme-Aktien brachten ein ums andere Mal die Märkte durcheinander. Einer der ersten Titel, den Anleger in Zockerforen nach oben trieben, war der US-Videospielehändler Gamestop. Ein Spiel David gegen Goliath: Große Short-Positionen gab es hier, Hedgefonds hatten Titel leer verkauft, wetteten wegen des fundamental schwachen Geschäfts auf fallende Kurse. Kleine Trader in Foren wie Reddit setzten dagegen — und trieben die Großen in eine Zwangslage: Sie mussten die geliehenen Aktien schnellstmöglich kaufen, um ihre Deals glattzustellen, das feuerte die Rally weiter an. So schoss die Gamestop-Aktie etwa im Januar von Kursen um 20 Dollar auf fast 500 Dollar. Seit Jahresanfang hat das Papier rund 750 Prozent gemacht — trotz flauer Geschäfte: Die Filialen des Händlers leiden unter Schließungen, die Verluste haben sich nach jüngsten Zahlen enorm ausgeweitet. Riesige Kursgewinne trotz schwacher Geschäfte sind aber ein Warnsignal. Anleger sollten es im Blick behalten, wie auch die starken Schwankungen im Markt.

Große Schwankungen mit einem guten Ende gab es auch zum Wochrnausklang an der Frankfurter. Der deutsche Leitindex holte jedenfalls im Lauf des Handelstages seine frühen Verluste wieder auf. Der DAX ging damit fast unverändert – um 0,1 Prozent schwächer – bei 15.623 Punkten ins Wochenende.

Auf Unternehmensseite standen Daimler sowie Daimler Truck im Fokus; denn die Daimler-Nutzfahrzeug-Sparte feierte ihr Börsendebüt. Wegen einer Ausnahme-Regelung notierte Daimler Truck für einen Tag sowohl im DAX wie auch im EuroStoxx. Das Papier stand zum Handelsschluss bei etwa 29 Euro und damit leicht über dem Ausgabekurs. Die Daimler-Papiere verloren wegen der Abspaltung dagegen mehr als 14 Prozent. In Summe ergibt sich damit für die Daimler-Aktionäre aber ein Plus, da sie für je zwei Daimler-Papiere nun zusätzlich eine Aktie von Daimler Truck im Depot liegen haben.

Freude löste bei Bayer-Aktionären eine Meldung aus den USA aus, wo das Unternehmen einen weiteren Prozess um angebliche Krebsrisiken der von der USA-Tochter Monsanto hergestellten glyposathaltigen Unkrautvernichter gewonnen hatte. Die Geschworenen in dem in San Bernardino (Kalifornien) verhandelten Fall hatten die Behauptung der Klägerin zurückgewiesen, die Verwendung des Herbizids Roundup habe ihre Erkrankung „Non-Hodgkin-Lymphom“ ausgelöst. Die Aktien des Pharma- und Agrarchemiekonzerns legten am Freitagvormittag deshalb um eineinhalb Prozent auf 46,47 Euro zu. Wichtiger als der Prozessgewinn wird aber Anfang kommender Woche die Entscheidung des obersten US-Gerichts über eine mögliche Grundsatzverhandlung im Glyphosat-Streit sein.

Schlechte Nachrichten gab es dagegen aus Wolfsburg. Der Volkswagen-Konzern gerät bei den Verkaufszahlen vor allem wegen des Chipmangels immer mehr unter Druck. Im November rutschten die weltweiten Auslieferungen des größten europäischen Autobauers um 31,5 Prozent auf 616.300 Fahrzeuge ab, wie das Unternehmen am Freitag in Wolfsburg mitteilte. Damit steht nun auch auf Jahressicht ein Rückgang um 1,7 Prozent auf 8,17 Millionen Fahrzeuge zu Buche. Bisher hatte VW gegenüber dem Vorjahreszeitraum wegen des coronabedingt sehr schwachen Abschneidens 2020 trotz einiger sehr ruhiger Monate noch im Plus gelegen. Auf Jahressicht peilt VW noch Auslieferungen von rund neun Millionen Fahrzeugen an nach 9,3 Millionen im vergangenen Jahr.

An den US-Börsen gab es zum Ausklang einer starken Woche am Freitag nochmals klare Gewinne. Der Dow Jones Industrial baute sein Plus vor allem im Späthandel auf 0,6 Prozent aus. Mit 35.971 Punkten schloss der Leitindex nahe am Tageshoch. Fast hätte er erstmals seit Mitte November wieder die Marke von 36.000 Punkten erreicht. Das Wochenplus betrug immerhin vier Prozent.

Der marktbreite S&P 500 stieg am Freitag um knapp ein Prozent auf 4.712 Zähler. Für den NASDAQ 100 ging es sogar um 1,1 Prozent auf 16.332 Punkte nach oben. Die dort versammelten Technologiewerte hatten am Vortag noch unter Gewinnmitnahmen gelitten. Starke Kursgewinne bei Oracle und Broadcom verbesserten das Bild in der Branche. Im Wochenverlauf legte der Tech-Werte-Index damit knapp vier Prozent zu.

Dass die US-Inflation mittlerweile auf dem höchsten Niveau seit 1982 angelangt ist, beunruhigte die Anleger kaum. Am Markt hieß es, dass die US-Notenbank Fed damit zumindest nicht noch stärker in Zugzwang gerate als bisher schon gedacht. Diese Argumentation verstehe wer will. Ewig wird diese Schönrednerei jedenfalls nicht weitergehen können.

Trotz oder wegen seiner 97 Lebensjahre haben die Aussagen von Warren Buffetts Partner Charlie Munger an den Finanzmärkten Gewicht. So auch seine Einschätzung bei einer Investorenkonferenz in Australien vergangene Woche, dass viele Anlagen gnadenlos überbewertet seien. „Ich schätze diese Ära als noch verrückter ein als zur Dotcom-Zeit“, warnte Munger, der sich als Value-Investor versteht. Darüber hinaus ließ er seiner Abneigung gegen Kryptowährungen freien Lauf. „Ich wünschte, sie wären niemals eingeführt worden.“ Im gleichen Atemzug lobte er die rigorose Politik Chinas gegen Bitcoin und Co. Bei grünen Energiewerten zeigte er sich dagegen euphorisch. „Ich liebe die Tatsache, dass wir rasch immer weniger Kohle, Gas und Diesel verbrennen“, so Munger. „Ich denke, das ist eine smarte Sache für die Welt, dies so zu tun. Und es wäre selbst dann smart, wenn es keine Klimaerwärmung geben würde.“

Die wirtschaftspolitischen und währungstechnischen Turbulenzen in der Türkei schüren die Angst vieler Anleger, dass die Krise auch andere Schwellenländer anstecken könnte. Doch laut Lucas Irisik, Portfoliomanager und Senior Analyst für Emerging Markets im Global-Fixed-Income-Team von Nikko AM, ist diese Furcht unbegründet: „Unserer Ansicht nach ist die derzeitige Situation weitgehend auf den Vertrauensverlust der Marktteilnehmer vor Ort in die Währung zurückzuführen. Es besteht kaum ein Ansteckungsrisiko für das gesamte Schwellenländer-Universum.“ Denn da die internationale Investorengemeinschaft das Land als Anlagemöglichkeit seit einigen Jahren zunehmend vernachlässige, habe die Türkei ihren Status als wichtiger Schwellenmarkt längst verloren und sei eher zu einem Grenzmarkt geworden. Daher werde die Beteiligung internationaler Investoren immer geringer und die Portfolioströme in die Anleihe- oder Aktienmärkte seien sehr eng geworden.


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Kommentare ( 2 )

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Alexis de Tocqueville
2 Jahre her

Der Markt korrigiert doch schon längst. Nur ein Dutzend Dickschiffe ziehen noch die Indizes. Bei Tech sieht man das sehr gut: All die Fast-Grower des letzten Jahres korrigieren massiv, 30, 40, 50% oder mehr unterm Allzeithoch sind drin. Teladoc zum Beispiel, das Unternehmen wächst kräftig, aber die Fantasiebewertung wurde und wird gnadenlos runtergeprügelt. Da geht immer noch was, aber wir sind längst nicht mehr in 2000er Territorium. Jetzt fehlt es nur noch, dass die Dickschiffe korrigieren. Die meisten sind gar nicht allzu hoch bewertet, Facebook ist sogar im historischen vergleich billig, auch Amazon und Google sind nicht anders bewertet als… Mehr

Aegnor
2 Jahre her

„Ewig wird diese Schönrednerei jedenfalls nicht weitergehen können.“ Das wird sich zeigen. In früheren Zeiten waren die Zentralbanken gezwungen die Zinsen zu erhöhen, um die Inflation abzuwürgen, weil die von Enteignung bedrohten Bevölkerungen sonst den Eliten aufs Dach gestiegen wären. In den letzten Jahren hat sich bei den Letzteren jedoch die Überzeugung breitgemacht, dass sie sich alles erlauben können. Massenimmigration Kulturfremder der zum langfristigen Verlust der eigenen Heimat führen wird, Wohlstandsverlust durch De-Industrialisierung und Energiewende, Freiheitsentzug durch Klima- und Coronapolitik. Die Leute haben alles mitgemacht und sich begierig auf die präsentierten Sündenböcke gestürzt und selbst die dümmste Propaganda der offensichtlich… Mehr