Asylkrise: Drei Stimmen zu vernachlässigten Blickwinkeln

1. Was lernen Schüler 2115 über die Jahre 2015 und folgende? - 2. Konsensbildung ist erste Bürger- und Politiker-Pflicht. - 3. Wann hören Einwohner und Zuwanderer die Wahrheit über Wohnen?

2. Konsensbildung ist erste Bürger- und Politiker-Pflicht

Christian Edom, Blogger, Christdemokrat mit Marke Katholische Soziallehre, mahnt zum Werben um Zustimmung statt Moral-Diktatur.

Demokratie fußt auf dem Werben um Zustimmung. Dieses Grundprinzip, diese Gepflogenheit und politische Realität setzt die Tatsache des Verfassungsrangs des Asylrechts keineswegs außer Kraft. Bestehen überhaupt Alternativen zu demokratischer Konsensbildung? Diese sind staatsrechtlich und auch in der politischen Praxis eng begrenzt und auf ein erträgliches Minimum zu beschränken. Die oberste Maßgabe muss sein, sich nicht einseitig konfliktverschärfend, sondern nach Möglichkeit perspektivisch konfliktauflösend zu verhalten.

Die Kirchen vernachlässigen ihre Aufgabe auszugleichen und zu mäßigen

Die Asyldebatte leidet nicht nur darunter, vom Druck der Entwicklungen und Ereignisse enorm getrieben zu sein. Es ist zum Merkmal gerade dieser Debatte geworden, wenig Raum zum Austragen politischer Differenzen und zur Bewältigung von Dissens zuzulassen. Charakteristisch und mithin stilprägend ist die Dominanz moralischer Forderungen. Es wird so getan, als bestünde ein unversöhnlicher Zielkonflikt zwischen einem einerseits zwingend würdigen Umgang mit schutzsuchenden Flüchtlingen und andererseits einem angemessenen  Gespräch mit der eigenen Bevölkerung. Das ist belastend und wirkt neben anderen wenig glücklichen Faktoren konfliktverschärfend. Die politische Notwendigkeit verlangt Konfliktauflösung. Stattdessen wird der Ton eines anti-liberalen Dezisionismus bemüht.

Das Szenario einer moralischen Notlage wird durch die Beiträge aus den Reihen der großen Kirchen eher verstärkt, als dass beide ausgleichend und mäßigend wirkten.  Solchen moralischen Rigorismus tragen sie an anderer Stelle keineswegs derart unreflektiert vor. Religion und Staat treten den Bürgerinnen und Bürgern moralisch fordernd gegenüber. Es besteht ein Ungleichgewicht, was die überdeutlichen Hinweise auf Pflichtschuldigkeit und die zu leistende Gefolgschaft betrifft. Die Politik verlangt über die Regierung hinaus einseitig Konsens und Loyalität, tut selbst aber wenig für Konsensbildung..

Spät hat die Bundesregierung die Initiative an sich gezogen und auf den anschwellenden Zustrom von Menschen nach Deutschland reagiert. Wie bereits auf dem Höhepunkt der „Pegida-Proteste“ in ihrer Neujahrsansprache hat die Bundeskanzlerin dabei über Gefühle wie Hass gesprochen. Dadurch blieb die originär politische und dezidiert ideologische Konfliktdimension zunächst ausgeblendet, welche Aufmärsche verkörpern, aus denen heraus bedrohliche Parolen gerufen werden. Ganz zu schweigen davon, wenn damit zu rechnen ist, was Neonazis und Straßengangs anzetteln, wenn sie koordiniert und planmäßig Straftaten in politischer Absicht verüben.

Konfliktlösungen statt Moralurteile

Die momentane vehemente moralische Parteinahme für Zuwanderer ersetzt jedoch keineswegs jene Fürsprache, die diese in unserer Gesellschaft dauerhaft benötigen werden. Es wären allen geholfen, wenn Politiker – und auch die Kirchen – konziliant sowie besser und stärker werbend und bittend in ihren Appellen aufträten statt dominant gebietend in Sachen Moral aufzutreten und bestenfalls sachlich neutral in der Zuwendung zu verfahren. Dieses Beispiel könnte auch die Tonlage im Feld Social Media entspannen, wo sich längst schon ein bitterer, verbissener und rebellischer Ton breitgemacht hat und Resonanz erheischt. Auch hier sind Konfliktlösungen und Antworten bitter notwendig.

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Merkels Stil hat derzeit zur Folge, dass tendenziell negative Gefühle und Befürchtungen in der Bevölkerung über Missstände in Sachen Integrationsqualität umgehend delegitimiert werden oder als verpönt und unerwünscht gelten. Hat denn aber die Politik überhaupt Wahlmöglichkeiten, der Bevölkerung vorzuschreiben, in welcher Form sich Dissens zu äußern hat? Es ist somit an der Zeit, verloren gegangenes und gestörtes Einvernehmen wiederherzustellen und zurückzugewinnen.

Wenn die Kirchen in ihren Voten auf das christliche Gebot der Nächstenliebe verweisen, liegt es aber an ihnen selbst, deutlich zu machen, worin denn genau der Unterschied zwischen praktizierter Nächstenliebe und dem Verlangen an das Kirchenvolk besteht, sich unkritisch zu Verwaltungshandeln und staatlichem Machthandeln zu verhalten und diesem in keinem Fall die Zustimmung zu versagen.

Es gibt eine problematische Tendenz, eine Transformation der Wegweisung Jesu als Botschaft der Liebe in hartleibige, neuzeitliche Prinzipienmoral zu betreiben, die ihre Härte und Präzision aus dem Wesen der Erfindung der modernen Naturwissenschaft und dem Szientismus als Messlatte zieht. Wer die Wegweisungen Jesu zum streng nomologischen Gebot erniedrigt, handelt wider Luther, für den das Evangelium gerade kein Gesetzbuch und keine Gebotslehre darstellte. Gesetz und Evangelium sind kritisch zu unterscheiden, der Glaube nicht in eine Gesetzesreligion zu verwandeln. Nächstenliebe und ihre Universalität reduziert sich unversehens auf Sozialethik und Strukturprinzipien der Gerechtigkeit. Eine Erinnerung und Mahnung an den Auftrag der Liebe muss eben auch selbst im Geist der Liebe artikuliert und vermittelt werden, ansonsten reduziert sich Kirche darauf, eine beliebige politische oder lediglich moralische Instanz sein zu wollen.

Kräfte bündeln, nicht spalten

Liebe bedeutet darum gerade im christlichen Kontext deutlich mehr und anderes als nur Toleranz. Der Liberalismus zum Beispiel verschärft mit seinem Gebot der Toleranz Konflikte,  anstatt sie zu bewältigen. Er verlangt Menschen nicht wirklich ein positives Verhältnis zu Menschen, Anschauungen, Kulturen und Gesinnungen ab, die spürbar anders sind als man selbst. Das Wesen von Fremdheit darf daher nicht auf eine bloße bedeutungsarme Andersartigkeit reduziert werden, der nur bedeutungslose Beliebigkeit zukommt. Die religiöse Botschaft wiederum ist selbst wie fremd im Vergleich zur irdischen Weltlichkeit. Wenn Goethe einst zu verstehen gab, Toleranz allein genüge nicht, zielte dies tendenziell darauf ab, dass vom Wesensverhalt her ein positives Verhältnis zu etwas gefragt ist und nicht bloße Toleranz. Zudem darf nicht übersehen werden, dass Liebe mehr ist als ein moralisches Gutsein.

Es ist also sowohl mehr Konfliktbereitschaft als auch Liebe und Toleranz nötig, um all das zu meistern, was Deutschland zu bewältigen hat. Dabei genügt es nicht, auf die Stärke der Nation zu verweisen, um Zuversicht zu erzeugen, wenn dabei kein klares Maß für die Stärke wie auch Rechenschaft hinsichtlich der eigenen geistigen Position besteht. Konsensbildung ohne Vorverurteilung des je anderen ist von daher unabdingbar und verlangt ihr Eigenrecht in jeder reifen Demokratie. Rein moralische Forderungen genügen nicht, wenn mehr nötig ist als Toleranz, um das Zusammenleben der Menschen als Bürger untereinander zu hegen und zu pflegen.

Akzeptanz und Duldung seitens der Bevölkerung reichen hier nicht aus. Wenn die Politik mehr Konfliktbereitschaft und Einsatz riskiert, kann sie mit Leichtigkeit Bewegungen wie „Pegida“ bezwingen und die demokratische Praxis stärken.

Gerade dann, wenn man auch die Möglichkeit der  Ablehnung bejaht und einräumt, kann man volle Zustimmung erwerben. Verweigert man dies vorab, gelingt es viel schwerer, eine umfassende Zustimmung ohne Beigeschmack zu erlangen; über eine moralische Gewissensbildung hinaus einen tragfähigen Konsens zu finden, in den sich möglichst viele Bürger einbezogen fühlen und diesen Konsens ihrerseits aktiv anderen gegenüber politisch vertreten und nicht geneigt sind, nur betreten und ratlos zum Thema zu schweigen.

Es ist zu wenig, der Bevölkerung kurzfristig Zustimmung aus der Not heraus abzuringen, ohne dass sie sich dabei auch dafür entscheidet, die Belange der Flüchtlinge wirklich zu ihren eigenen zu machen, und sich nicht lediglich dazu bringen lässt, nichts offen gegen Asylanten zu haben, weil dies moralisch unerträglich sei und als unanständig gilt. Nur wenn die Politik erkennt, was für interne Leistungsgrenzen ihre Linie hat, wird sie ihr Handeln zu optimieren können.

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