Es muss nicht immer Filet sein

„Nose-to-tail“ liegt gerade mächtig im Trend. Aber eigentlich ist die in jeder Hinsicht sinnvolle Verwertung eines Tieres von der „Schnauze bis zum Schwanz“ nur eine Rückbesinnung auf Usancen der Vergangenheit. Von Georg Etscheit und aufgegessen.info

picture alliance / Foodcollection | Foodcollection
Kalbsbries mit Koriander und Äpfeln

Alfred Hitchcock war nicht nur ein Meister des Suspense, sondern auch des schwarzen Humors. Außerdem war er ein Genießer vor dem Herrn, wovon sein voluminöses Äußeres zeugte. Die zwei letzteren Eigenschaften des Meisters vereinigen sich in seinem Thriller „Frenzy“ über die Jagd auf einen Frauenmörder in London. Running Gag ist die Frau des ermittelnden Beamten von Scotland Yard, eine begeisterte Köchin, die ihrem Gatten immer französische Haute Cuisine serviert, obwohl er Steak mit Pommes bevorzugt.

Einmal kredenzt sie ihm „Pieds de porc“ in einer weißen Sauce, die fast ebenso unappetitlich daherkommen wie die Schandtaten des „Krawattenmörders“ Rusk. „Sieht aus wie Schweinefüße“, sagt der des Französischen offenbar nicht mächtige Inspektor. „Genau das sind sie“, entgegnet die Frau und fügt erklärend hinzu, dass es sich bei der Sauce um dieselbe handele, die die Franzosen für Kutteln benutzten. Die gequälte Miene des Polizisten beim Verzehr der Schweinsfüße ist eine Oskar-verdächtige schauspielerische Leistung.

Schweinefüße oder auch Schweinekopf sind, anders als in Frankreich, in Deutschland weitgehend aus der Mode gekommen. Die wohlhabenden Deutschen bevorzugen die edleren Teile eines Tieres: Schweinefilet, Kalbschnitzel, Rindersteak oder Hühnerbrust. Alles andere, und das ist der Großteil eines Tieres, landet meist als „Schlachtnebenprodukte“ in der Wurst, wird zu Tierfutter verarbeitet oder sogar schnöde als Abfall entsorgt.

Aufgegessen.info
Spargelzeit ist da! – Der Sauce-Hollandaise-Test
Doch nun kommt die „Von der Schnauze bis zum Schwanz“- Bewegung (neudeutsch: Nose-to-tail) und fordert eine andere Art des Kochens und des Umgangs mit geschlachteten Tieren. Wenn man schon ein Lebewesen dem Schlachter überantwortete, heißt es von Seiten der Protagonisten der Bewegung wie dem britischen Sternekoch Fergus Henderson, der „Nose-to-tail“ schon vor zwanzig Jahren zu propagieren begann, sei man aufgefordert, möglichst alle Teile zu verzehren, mit Ausnahme von Fell, Borsten, Klauen und anderen wirklich ungenießbaren Partien.

Mit gehörigem Zeitverzug ist die Bewegung nun endgültig auch in Deutschland angekommen. Wogegen im Prinzip nichts einzuwenden ist, handelt es sich doch eigentlich nur um eine Rückbesinnung auf die Usancen vergangener Zeiten, als am Schlachttag wirklich alles im großen Siedetopf landete. Niemals wäre man in weniger gut situierten Zeiten auf den Gedanken gekommen, ein irgendwie genießbares Stück Tier wegzuwerfen, dafür war es viel zu wertvoll.

Allerdings verlang die Nose-to-tail-Verwertung von Köchen eine besondere Hingabe und besonderes Können, vom Gast die Aufgeschlossenheit, sich auch mal Ungewohntes servieren zu lassen. Das beginnt bei Innereien wie Leber, Herz, Nieren, Lunge oder Pansen und endet, im buchstäblichen Sinne bei Schwanz, Kopf und Füßen. In der Tat gibt es, was die weniger bekannten Teile eines Tieres anbelangt, vieles zu entdecken. Und bevor man sich Insekten einverleibt, kann man es ja mal mit Hühnerfüßen oder Hühnerkämmen probieren, die frittiert als durchaus wohlschmeckende Knabberei gelten.

Vor 12:00 Uhr verspeisen!
Der große Aufgegessen-Weißwurst-Test
Kalbszunge beispielsweise war schon immer eine Delikatesse und sollte achtsamer behandelt werden, als sie in einer pampigen Mehlschwitze mit Kapern zu versenken. Andere Innereien haben zumindest regional noch ihr Refugium, wie Saures Lüngerl in Bayern, Kutteln in Baden oder auf Euter basierendes Berliner Schnitzel, auch Falsches Schnitzel genannt. Auf unserer Wiederentdeckungsreise gilt es auch, die mittlerweile völlig unbegründete Angst vor Markknochen abzulegen. BSE ist lange vorbei und nichts spricht dagegen, wieder Markklöschen in einer schönen Boullion anzurichten oder das gehaltvolle Knochenmark geröstet auf Crostini zu genießen.

Zurecht gerade ziemlich in Mode sind geschmorte Kalks- oder Rinderbäckchen, die man zuweilen sogar im Sternerestaurant antrifft, eine echte Delikatesse, wenn sie in einem kräftigen Schmorfonds mit Rot- oder Portwein schwimmen. Auch Kalbsbries ist stark im Kommen, was angesichts der herausragenden geschmacklichen Qualität der nur bei Kälbern oder Lämmern anzutreffenden Thymusdrüse kein Wunder ist.

Allerdings sind die vergessenen Teile der Tiere eher etwas für die Gasthausküche. Im Gourmetrestaurant erwartet man zu Recht die Gustostücke, also das Allerbeste, was ein Tier zu bieten hat. Wenn ein Münchner Sternerestaurant etwa ein Stück von der „Alten Kuh“ serviert, versehen mit der Botschaft, man möge doch auch das Fleisch ausgedienter Milchkühe nicht vernachlässigen, ist das nicht viel mehr als ein grüner Marketinggag. Und wenn die Tranche von der Kuh-Oma dann noch aus Galizien stammt und nicht aus München-Gauting, wird der ökologische Ansatz vollends ad absurdum geführt. Aber irgendwie muss der hohe Menüpreis ja gerechtfertigt werden.

Freuen wir uns trotzdem auf manch unverhoffte Wiederentdeckung. Etwa „Pieds de porc grillés sauce rémoulade“ nach Paul Bocuse. Dazu müssen die Schweinefüße in Leinenstreifen eingewickelt werden, bevor sie zehn (!) Stunden in einer Brühe aus Weißwein, Wasser, Gemüsen und Gewürzen gar gekocht werden. Anschließend dekretiert der Meister, sie mit Butter zu begießen und in Paniermehl zu wälzen, bevor sie „bei milder Hitze an Holzglut“ gegrillt werden. Dazu Sauce Remoulade und Kartoffelpüree.

Klingt kompliziert, aber saugut.

Unterstützung
oder

Kommentare ( 8 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

8 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
joly
20 Tage her

Punkt 1: Der Autor war garantiert schon seit 2-3- Jahren nicht mehr bei ALDI einkaufen – sonst wüsste er, dass Markknochen fast immer dort zu haben sind. Punkt 2: Man offeriert schon Hühnerunterarme bei diesem Diskounter und auch anderes „Abfallfleisch“. Inflation macht`s möglich. Punkt 3: Vieles Vergessenes findet man zwar nicht mehr beim Deutschen – wohl aber beim Türken. Schafsköpfe, Innereien auch vom Huhn und Schaf. Kuttelsuppe gibt es in vielen türkischen Restaurants. Alleine in Mannheim kenne ich 5 solcher Restaurants. Punkt 4: Völlig vergessen sind die Augen. In Ägypten wurden die Schafsaugen am Tisch aus dem Schafskopf gepuhlt und… Mehr

doktorcharlyspechtgesicht
1 Monat her

Vollverwertung setzt sich glücklicherweise, auch dank dieser und ähnlicher Artikel, wieder durch. Ich beobachte am hiesigen Bauernmarkt ein reiches Angebot an Innereien, dass gerne angenommen wird. Das Problem bleibt, dass Innereien sofort verarbeitet werden müssen und nicht wie manches Rindfleisch eine Zeit im Kühlschrank dümpeln dürfen. Man sollte also wirklich ein Gusto darauf verspüren und gleich nach dem Einkauf das Innereiengericht zubereiten. Es gibt auch eine italienische Grilltradition, bei der vom Herz bis zur Milz alles mariniert und im Ganzen gegrillt wird – etwas für Spezialisten. Mongolen und Afrikaner gewisser Ethnien nehmen unseren Bauern auch Blut und Innereien sehr gerne… Mehr

euroduck
1 Monat her

Ein Tier von vorne bis hinten zu verwerten ist das Beste was man machen kann. Bestelle ich bei meinem Schlachter Ochsenbäckchen, einen Schweinskopf und die Füße. Dazu noch einen Ochsenschwanz dann bezahle ich nur für die Ochsenbäckchen denn der Rest sind „Schlachtnebenprodukte“. Aus den Ochsenschwanz wird ein kräftiger Bratenfond oder eine Suppe Allerdings hat er den Nachteil das er mindestens 8 Stunden vor sich hin schmurgeln muß. Aus den Kopf und den Füßen vom Schwein mache ich Sülze. Gerade die Füße enthalten soviel Kollagen das man keine weiteren Bindmittel wie z. B. Gelantiene braucht. Bei Innereien streike ich obwohl ich… Mehr

Anna Lyse
1 Monat her

Kann ich auf jeden Fall nachvollziehen, das Problem nur: In unserer schnelllebigen Zeit fehlt eben jene, um jedem Stück vom Tier angemessen zu begegnen. Auch die Zubereitung will ja gelernt sein. Früher haben das die fleißigen und Küchenkundigen Frauen und Großmütter auf dem Hof erledigt, die sind aber heute mit den „Omas gegen Rechts“ Demos ausgelastet und können sowas auch gar nicht mehr.

Raul Gutmann
1 Monat her

Es muss nicht immer Filet sein

Gelächter! Und zwar nachhaltiges!
Angesichts der realen, ja welches Adjektiv mag zutreffend sein?, Ernährungsgewohnheiten?, Tischsitten wohl kaum, ist die Artikelüberschrift im 107. Jahr nach Abschaffung der Monarchie nachhaltig deplaziert.
Das politische Bewußtsein der gegenwartlichen Arbeitsameisen korrespondiert mehrheitlich zu ihrer kulinarischen Eßkultur. Wer hätte den Mut, die Schlafstätten jener zu inspizieren?
Heiner Müller bezeichnete die DDR-Plattenbauwohnungen einst mit der Alliterstion Fickzellen mit Fernheizung.
Die Abschaffung der Monarchie 1918 zog die gesamtgesellschaftliche Zerstörung nach sich, wobei das fehlende Bewußtsein der Bürger, – Bürger?, ähm, sollte vielmehr von Wahlschafen die Rede sein? – für ersten Halbsatz spricht.

Manuela
1 Monat her

Also ich gehöre definitiv zur Fraktion „nose to tail“. Leber, saure Kutteln oder saure Nierle und Herz mit Bratkartoffeln. Fein! Am Euter habe ich mich auch schon versucht, da besteht aber noch Übungsbedarf. „gilt es auch, die mittlerweile völlig unbegründete Angst vor Markknochen abzulegen.„ Richtig! Da werfen sich viele Leute irgendwelche Kollagentabletten ein, statt mit einer guten Knochenbrühe ihr Essen zu verfeinern.🙄 Und Markklößle sind ein Hit! Osteoporose werden meine Familie und ich wohl nicht bekommen. Und ja, Knochenbrühe ist fett! Und Fett ist ein Geschmacksträger. Was die „alte Kuh“ im Edelrestaurant angeht: Schon mal so ein Fleisch ein paar… Mehr

Last edited 1 Monat her by Manuela
Kraichgau
1 Monat her

ich hab jetzt nicht bis zum letzten Rezept mitgelesen,aber hat der Autor eventuell übersehen,das da in den 80ern/90ern ein „ganz kleines“ Problem auftauchte in der „Gastronomie“ bezgl Innereien und weniger edler Teile besonders im Rinderbereich?
ich habe damals in dem Gewerbe gearbeitet und seit dem Aufflammen des BSE-Skandals in GB und D war die Verwertung wie hier beschrieben,komplett tot und beerdigt…man bekam Innereien nicht mehr geschenkt weg!
und nein,das ist nicht lange vorbei,wie der Autor schreibt,das hat sich „weiter vererbt“

Last edited 1 Monat her by Kraichgau
Felix Dingo
1 Monat her

Und schon wieder ein Begriff, der im Englischen eine andere Bedeutung hat.
Dort heißt „nose to tail“ : Stoßstange an Stoßstange.

Und hier ist noch so ein Begriff: Viele Sozialpädagogen möchten gerne „Street Worker“ werden.
Nur dass im Englischen der Begriff dummerweise die Bedeutung von Straßenhure bzw. Straßenstricher hat.
Wer hätte das gedacht?