Juliette Lewis: Die Tochter wird 50 Jahre alt

„Kap der Angst“, „Kalifornia“ und „Schöne Bescherung“ gehören zu den großen Erfolgen von Juliette Lewis. Ihr Leben sagt viel über die Filmfabrik Hollywood aus. An diesem Mittwoch wird sie 50 Jahre alt.

IMAGO - Collage: TE

Manche Filme schauen Menschen drei- oder fünfmal, zehnmal oder mehr. „Schöne Bescherung“ ist einer von diesen Filmen. Für viele gehört die Komödie um Clark Griswold, der seiner Familie ein unvergessliches Weihnachtsfest bescheren will, zu ihrem eigenen Weihnachtskult. Chevy Chase ist in Bestform in dem Teil der legendären Filmreihe „National Lampoon“.

Als seine Tochter Audrey tritt Juliette Lewis auf. Da die Tochter nicht altert, aber die Filme über ein Jahrzehnt verteilt gedreht werden, spielt immer eine andere junge Frau die Audrey. Keiner gelingt das annähernd so gut wie Lewis. Großes zeigt sich besonders im Kleinen. Der Zuschauer glaubt Lewis das Mädchen, das einerseits vom übermäßigen Engagement ihres Vaters genervt ist – aber doch strahlende Augen bekommt, als die überbordende Außenbeleuchtung endlich erstrahlt.

Es ist 1989 und Juliette Lewis gilt als der kommende Star Hollywoods. Dort ist sie aufgewachsen. Ihr Vater ist selbst Schauspieler, die Mutter Grafikdesignerin – alles läuft auf eine Karriere als Künstlerin heraus. Lewis bricht die Schule ab, um sich der Schauspielerei zu widmen. Mit Erfolg. 1988 tritt sie erstmals kurz in einem Blockbuster auf: „Meine Stiefmutter ist ein Alien“. Ein Vehikel, um den Ruhm Kim Basingers abzusahnen, die nach „9 1/2 Wochen“ auf dem Höhepunkt ihrer Karriere steht.

Mit 14 Jahren ins Filmgeschäft einzusteigen, ist nichts Ungewöhnliches. Im Gegenteil. Hollywood hat einen hohen Bedarf an Kinder- und Jugenddarstellern. Doch ein strenger Jugendschutz verbietet diesen zu viel Präsenz am Set. Also braucht das Business ständig Nachwuchs. Im Basinger-Streifen spielt Alyson Hannigan („How I met your mother“) die Tochter. Sie wiederum hat zwei Freundinnen. Eine gibt Juliette Lewis, die andere Darstellerin ist längst vergessen. Viele bekommen in Hollywood eine Chance – nur wenige können sich im Geschäft halten.

Juliette Lewis gehört dazu. Sie hat einfach mehr Talent als ihre Mitbewerberinnen. 1991 bekommt sie ihre wichtigste Rolle: „Kap der Angst“. Robert de Niro auf dem Rachefeldzug gegen seinen ehemaligen Anwalt Nick Nolte. Juliette Lewis gibt Noltes Tochter, die dem Charme des Todfeindes ihres Vaters erlegen ist. Sie wird für den Nebendarsteller-Oscar nominiert. Es wird in der Kombination von kommerziell und künstlerisch ihr größter Erfolg bleiben.

Denn Juliette Lewis hat ein Problem: Sie ist zu gut für Hollywood. Sie kann viel mehr, als immer nur die nette Tochter zu spielen. Das zeigt sie 1993 in dem Roadmovie „Kalifornia“. Die Hauptdarsteller sind David Duchovny (Akte X) und Michelle Forbes. Doch das weiß hinterher kaum noch wer. Denn Brad Pitt und Juliette Lewis spielen die beiden gnadenlos an die Wand. Sie geben ein Pärchen, das die Hauptfiguren als Tramper mitnehmen. Auf den ersten Blick wirken sie wie White Trash – auf den zweiten Blick stellen sie sich als Psychopathen heraus. Pitt als Mörder und Vergewaltiger, Lewis als Co-Abhängige.

Für einen großen kommerziellen Erfolg taugt das Format von „Kalifornia“ nicht. Als Kunstwerk hat der Film zu viele dramaturgische Schwächen und zu blasse Hauptdarsteller. Kalifornia bleibt ein Liebhaber-Film, ob des sensationellen Spiels Pitts und Juliette Lewis’ – doch ihr großer Film war das noch nicht, denken die Macher Hollywoods und sind sich sicher, dass der ein Jahr später kommt: „Natural Born Killers“. Doch der Streifen wird zum Anfang des Niedergangs von Juliette Lewis: Alles rechnet mit dem Blockbuster des Jahres 1994. Regisseur Oliver Stone (JFK) ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Hauptdarsteller Woody Harrelson (Cheers) ist ebenfalls auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Und Hauptdarstellerin Juliette Lewis will dorthin. Die Erwartungshaltung ist enorm, zumal Stone ein bahnbrechendes Konzept verspricht – doch am Ende ist die Erwartungshaltung zu hoch. Und falsch.

Aufgrund der Konstellation erwarten alle einen Hollywood-Erfolg. Doch Stone liefert einen Film, der Hollywood und andere Medien in einer Art Gewaltrausch dekonstruieren soll. Das lässt vielleicht das Herz eines Marihuana rauchenden Filmstudenten im 27. Semester höher schlagen – die breite Masse der Kinobesucher irritiert es nur. Hinzu kommt, dass sich reale Mörder nach ihrer Tat darauf beziehen, sie hätten „Natural Born Killers“ nachspielen wollen. Mit einem Schlag gilt das Talent Juliette Lewis als Kassengift.

Sie hat danach noch Erfolge. Allen voran „From Dusk Till Dawn“. Lewis spielt wieder mal die Teenager-Tochter, selbst mittlerweile 23 Jahre alt, dieses Mal die Tochter von Harvey Keitel. Der Vampirfilm ist zwar ein Kultfilm. Wegen des öligen Spiels von George Clooney, dem irren Auftritt von Quentin Tarrantino und dem sexy Tanz von Salma Hayek. Juliette Lewis gehört dieses Mal aber nicht zu denen, die in Erinnerungen bleiben.

Von nun an geht’s bergab. Lewis verfällt den Drogen. Sie versucht sich als Musikerin, kann da aber kommerziell überhaupt nicht punkten – und auch künstlerisch nur mit viel gutem Willen seitens ihrer alten Fans. Juliette Lewis bleibt aber eine Kämpferin. Ein Kind aus Hollywood. Sie weiß, dass man in diesem Business nicht aufgeben darf. Doch fortan spielt sie, wenn sie Glück hat, als Nebendarstellerin in zweitklassigen Filmen wie „Umständlich verliebt“. Eine von den unzähligen Komödien, die den Friends-Ruhm von Jennifer Aniston absahnen sollen.

Lewis war künstlerisch am besten, als sie in „Kalifornia“ eine verwundete Seele darstellte. Sie selbst neigte dazu, eine zu sein: Künstlerfamilie, früh ins Hollywood-Geschäft eingestiegen, Drogen en masse genommen und Interviews zu sexuellem Missbrauch gegeben. In der Kombination verwundert es wenig, als sie sich zur „Scientology Kirche“ bekennt, die andere als Sekte bezeichnen. Dass Juliette Lewis als Schauspielerin einen dritten Frühling erleben wird, ist eher unwahrscheinlich. An Darstellerinnen von älteren Frauen hat die Filmfabrik nur wenig Bedarf. Immerhin läuft die Serie „Yellowjackets“ für sie in den USA vielversprechend an. Darin spielt sie Nat, eine Frau, die an den Folgen eines Flugzeugabsturzes leidet. In Sachen große Kino-Rollen sehen die Perspektiven aber eher schlecht aus.

Doch zum Glück ist sie Schauspielerin. Und so bleibt Juliette Lewis auf ewig die kleine Audrey. Die unter ihrem Vater und einem irren Advent leidet. Die aber am Ende glücklich Weihnachten feiert. So wie viele Tausend, wenn nicht Millionen Menschen es auch jedes Jahr tun – nachdem sie „Schöne Bescherung“ gesehen haben. Und sei es zum zwölften Mal.

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Kommentare ( 5 )

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Orlando M.
1 Jahr her

Sie hat eine ganze Kleinstadt in Lateinamerika auf gutem Niveau am Leben gehalten, aber so leider ihre Karriere ruiniert. Die wichtigsten Voraussetzungen für eine Filmkarriere sind neben Können und Aussehen Disziplin und Zuverlässigkeit sowie keine Skandale.

P.Reinike
1 Jahr her

Juliette Lewis ist eine der Charaktere, die man nicht vergisst. In der tollen Serie „Yellowjackets“ gehört sie neben Melanie Linskey und Christina Ricci zu den tragenden Figuren, läuft nun schon sehr erfolgreich in der zweiten Staffel, wobei ihre Figur zu Ende den Serientod stirbt. Leider.

Jan
1 Jahr her

Nicht zu vergessen ihre Rolle in „Strange Days“ (1995), in der sie ihre musikalischen Talente mit der Schauspielerei verbinden konnte. Das Thema des Films ist übrigens heute noch interessant.

pcn
1 Jahr her

Ja, Herr Thurnes, so ist Hollywood. Das ist Hollywood. Manchmal menschlich verstörend, trotz allem kreativ und auch wieder menschlich. Dennoch sage ich Ihnen, und ich spreche von der Filmindustrie, Filmkomponisten, Technikern, Kameraleuten, dass in den USA immer noch die besten und mit hohem Unterhaltungswert Filme produziert werden. Wer dort mal an vielen Sets am Drehort dabei war und zugesehen hat, wie 100-200 Crew-Mitglieder wie ein ineinandergreifendes Räderwerk Szenen vorbereiten, der weiß, wovon ich rede. Das Filmstudium dort, wo es eine Reihe von ausgezeichneten Fachunis In den USA gibt, umfasst so ziemlich alles, was nur mit Cinematographie zutun hat. Die Spezialisierung… Mehr

Kartoffelstaerke
1 Jahr her
Antworten an  pcn

Amerika war über die letzten hundert Jahre Nummer eins in professionellem Entertainment aller Sparten. Eine unglaubliche Fülle an Talenten, meist gepaart mit höchster Professionalität.
Ob das noch so bleiben wird, scheint mir heute fraglich. Das Zersetzungswerk des woke-destruktiven Wahnsinns (siehe Academy) arbeitet auch hier.

Last edited 1 Jahr her by Kartoffelstaerke